Metabolische Azidose

Zusammenfassung

  • Definition: Abfall des pH-Wertes durch Akkumulation von Säuren oder Verlust bzw. fehlende Bildung von Bikarbonat. 
  • Häufigkeit:Häufige Grunderkrankungen sind Diabetes mellitus und Niereninsuffizienz.
  • Symptome:Bestimmt vor allem durch die Grunderkrankung.
  • Befunde:Kußmaul-Atmung bezeichnet ungewöhnlich tiefe Atemzüge zur respiratorischen Kompensation der Azidose.
  • Diagnostik:Beurteilung des Säure-Basen-Haushaltes mit Feststellung der metabolischen Azidose durch arterielle Blutgasanalyse. Weitere Kategorisierung durch Berechnung der Anionenlücke.
  • Therapie:Im Vordergrund steht bei der akuten metabolischen Azidose die Behandlung der Grunderkrankung und intensivmedizinische Maßnahmen, i. v. Gabe von Bikarbonat sollte vermieden werden. Bei der metabolischen Azidose im Rahmen einer chronischen Niereninsuffizienz orale Verabreichung von Bikarbonat.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Abfall des pH-Wertes (vom normalen pH-Wert 7,4) durch Akkumulation von Säuren oder Verlust bzw. fehlende Bildung von Bikarbonat
  • Konstellation der metabolischen Azidose in der Blutgasanalyse: pH-Wert ≤ 7,35, Bikarbonat < 22 mmol/l
    • Metabolische Störungen sind durch primäre Veränderungen der Bikarbonatkonzentration gekennzeichnet, respiratorische durch primäre Veränderungen des CO2-Partialdrucks.1

Kategorisierung der metabolischen Azidosen anhand der Anionenlücke

Was bedeutet Anionenlücke?

  • Die Anionenlücke (AL) ist definiert als Differenz von Na+ (Kation) und der Summe aus HCO3 und Cl (Anionen)
    • AL = Na+ − (HCO3 + Cl)
  • Tatsächlich existiert eigentlich keine „Lücke“, da die Summe aus positiv und negativ geladenen Teilchen gleich ist.
  • „Lücke“ entsteht, da die Gleichung nicht alle Kationen und Anionen berücksichtigt; nicht erfasst werden:
    • Kationen wie K+, Ca++, Mg++
    • Anionen wie Phosphat (PO43−), Sulfat (SO4), Laktat, Albumin.
  • Normwert der Anionenlücke liegt bei 12 ± 2 mmol/l.

Kategorisierung mithilfe der Anionenlücke

  • Metabolische Azidosen werden üblicherweise kategorisiert nach dem Vorhandensein bzw. der Abwesenheit von nichtphysiologischen (und im Routinelabor nicht erfassten) Anionen.2
    • metabolische Azidose mit vergrößerter Anionenlücke
    • metabolische Azidose mit normaler Anionenlücke
  • Beispiele
    • Ein Anstieg von Säuren (z. B. Laktatazidose) mit Verbrauch von HCO3 zur Pufferung führt zu einer metabolischen Azidose mit erhöhter Anionenlücke.
    • Bei Verlust von Bikarbonat, z. B. über den Magen-Darm-Trakt, wird für jedes verlorene HCO3 ein Cl rückresorbiert, sodass die Anionenlücke sich nicht vergrößert (Summe aus HCO3 und Cl bleibt gleich).3

Ätiologie und Pathogenese

Metabolische Azidosen mit erhöhter Anionenlücke

Metabolische Azidose mit normaler Anionenlücke

  • Verlust von Bikarbonat über den Magen-Darm-Bereich
  • Chronische Niereninsuffizienz
    • verminderte Ammoniogenese und dadurch verminderte Säureausscheidungskapazität sowie verminderte Reabsorption/Synthese von Bikarbonat5
  • Renale tubuläre Azidose
  • Iatrogen (NaCl-Infusion)
  • Einnahme von Carboanhydrasehemmern (Acetazolamid)

Prädisponierende Faktoren

ICPC-2

  • T99 Endokrine/metabolische/Ernährungserkrankungen

ICD-10

  • E87 Sonstige Störungen des Wasser- und Elektrolythaushalts sowie des Säure-Basen-Gleichgewichts
    • E87.2 Azidose
    • E87.4 Gemischte Störung des Säure-Basen-Gleichgewichts

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • pH-Wert ≤ 7,35
  • Bikarbonat < 22 mmol/l

Differenzialdiagnosen 

Anamnese

Klinische Untersuchung

  • Klinische Befunde von Grunderkrankungen
  • Hinweise für Entwicklung einer Sepsis, eines Schocks
  • Typisch ist eine vertiefte Atmung (Kußmaul-Atmung) zur kompensatorischen Abatmung von CO2
  • Evtl. auch Tachypnoe

Weiteres diagnostisches Vorgehen

Blutgasanalyse

  • Für die Beurteilung des Säure-Basen-Haushaltes wird eine arterielle Blutgasanalyse (BGA) durchgeführt.
  • Normwerte der BGA
    • pH: 7,36−7,44
    • Bikarbonat: 22−26 mmol/l
    • pO2: 75−100 mmHg
    • pCO2: 35−45 mmHg
  • BGA bei metabolischer Azidose
    • pH-Wert ≤ 7,35
    • Bikarbonat < 22 mmol/l
    • pCO2 zumeist erniedrigt
      • Sofern eine rein metabolische Azidose vorliegt, Erniedrigung des pCO2 durch kompensierende Hyperventilation, bei gleichzeitiger Störung der Respiration muss dies aber nicht der Fall sein (kombinierte metabolische und respiratorische Azidose).

Berechnung der Anionenlücke 

  • Bei einer metabolischen Azidose sollte die Anionenlücke (AL) immer berechnet werden.2
  • Berechnung: AL = Na+ − (HCO3+ Cl)
  • Normwert der AL = 12 ± 2 mmol/l
    • Bei Hypalbuminämie: pro Rückgang des Albumins um 1 g/dl sollte der Normbereich der Anionenlücke um 2,5 mmol/l angehoben werden.2

Weitere Differenzialdiagnose und Diagnostik anhand der Anionenlücke

  • Bei vergrößerter Anionenlücke kommen vor allem folgende Ursachen in Betracht:2
  • Als Eselsbrücke kann der Name des deutschen Arztes Adolf Kußmaul dienen, der auch Namensgeber der vertieften Atmung bei der metabolischen Azidose ist: Ketoazidose, Urämie, Salicylsäure, Methanol, Aethylenglykol, Laktat3
  • Ergänzende Laboruntersuchungen sollten umfassen:2
  • Die wichtigsten Differenzialdiagnosen der metabolischen Azidose mit normaler Anionenlücke (Synonym hyperchlorämische metabolische Azidose):6
    • extrarenale Ursachen, meistens eine Durchfallerkrankung
    • renale Ursachen (beginnende Niereninsuffizienz oder renal-tubuläre Azidosen)
    • Unter intensivmedizinischen Bedingungen sollte die Möglichkeit einer iatrogenen hyperchlorämischen Azidose durch Volumentherapie mit NaCl-Lösung bedacht werden.

Indikationen zur Klinikeinweisung/Überweisung

  • Bei akuter metabolischer Azidose Einweisung ins Krankenhaus
  • Behandlung einer chronischen Niereninsuffizienz mit Azidose in Zusammenarbeit mit Nephrologen

Therapie

Allgemeines zur Therapie 

  • Akute metabolische Azidosen müssen unter intensivmedizinischen Bedingungen behandelt werden.
  • Chronische metabolische Azidosen bei chronischer Niereninsuffizienz werden im Rahmen der allgemeinen konservativen Therapie behandelt.

Therapie der akuten metabolischen Azidose

  • Die Behandlung akuter metabolischer Azidosen besteht aus der Behandlung der Grunderkrankung und supportiven Maßnahmen.
  • Dies bedeutetet z. B.:
    • antbiotische Therapie bei Sepsis
    • Revaskularisation bei akut-ischämischem Herzversagen
    • Kreislaufunterstützung mit Volumentherapie und Katecholaminen bei Schock
    • Insulin- und Volumengabe bei Ketoazidose
    • Nierenersatzverfahren bei Urämie oder zur Elimination von Medikamenten oder Alkoholen.
  • Die Infusion von Bikarbonat zum Ausgleich der Azidose sollte möglichst vermieden werden, da es sich um keine kausale Therapie handelt und wahrscheinlich eher ungünstig auswirkt.7

Behandlung der metabolischen Azidose bei chronischer Niereninsuffizienz

  • Metabolische Azidose entwickelt sich häufig bei chronischer Niereninsuffizienz, zunehmende Prävalenz mit Abnahme der glomerulären Filtrationsrate (GFR).8
  • Die Progression der Niereninsuffizienz wird durch die Azidose begünstigt, zudem hat dies ungünstige Auswirkungen auf den Stoffwechsel von Muskulatur und Knochen sowie auf die Herzfunktion und die Respiration.5
  • Der Bikarbonatspiegel muss daher > 22 mmol/l gehalten werden.9
  • Zur Korrektur sollten vorgenommen werden:5
    • Umstellung der Ernährung mit erhöhtem Anteil von Obst und Gemüse, moderate Eiweißzufuhr
    • orale Substitution von Bikarbonat

Verlauf, Komplikationen und Prognose

  • Verlauf und Prognose sowie die möglichen Komplikationen werden durch die unterschiedlichen Auslöser und Grunderkrankungen bestimmt.

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Literatur

  1. Adrogue H, Gennari F, Galla J, et al. Assessing acid–base disorders. Kidney International 2009; 76: 1239–1247. doi:10.1038/ki.2009.359 DOI
  2. Schricker S, Schanz M, Alscher M, et al. Metabolische Azidose - Diagnostik und Therapie. Med Klin Intensivmed Notfmed 2019. doi:10.1007/s00063-019-0538-y DOI
  3. Luft F. Akute metabolische Azidose: Gründlich überdenken – dann handeln. Nephrologe 2012; 7: 468–471. doi:10.1007/s11560-012-0672-5 DOI
  4. Schorn R, Ursprung T, Bleisch J. Schwere, Metformin-assoziierte Laktatazidose. Schweiz Med Forum 2012; 12: 980–982. doi:10.4414/smf.2012.01367 DOI
  5. Hoyer J. Chronische metabolische Azidose bei Niereninsuffizienz. Nephrologe 2012; 7: 472–480. doi:10.1007/s11560-012-0670-7 DOI
  6. de Torrenté A, Krapf R. Azidosen: akut und chronisch, respiratorisch und metabolisch. Schweiz Med Forum 2004; 4: 707-712. doi:https://medicalforum.ch/de/resource/jf/journal/file/view/article/smf/de/smf.2004.05250/78da29ebe331a67b38e4f7d1d1e9f9700366446e/smf_2004_05250.pdf/
  7. Adrogue HJ, Madias N. Management of life threatening acid base disorders. (Part 1). N Engl J Med 1998; 338: 26-.
  8. Mohebbi N. Metabolische Azidose bei chronischer Nierenerkrankung und nach Nierentransplantation. Nephrologe 2018; 13: 5-11. doi:10.1007/s11560-017-0211-5 DOI
  9. Bourquin V, Martin P. Behandlung bei chronischem Nierenversagen. Schweiz Med Forum 2006; 6: 794–803. doi:10.4414/smf.2006.05948 DOI

Autoren

  • Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i.Br.
  • Johan Hulting, Dozent und Oberarzt, MIVA, Südkrankenhaus, Stockholm
  • Terje Johannessen, Professor für Allgemeinmedizin, Institutt for samfunnsmedisinske fag, Technisch-naturwissenschaftliche Universität Norwegens, Trondheim

Links

Autoren

Ehemalige Autoren

Updates

Gallery

Snomed

Click to edit