Anämie bei Kindern

Allgemeine Informationen

Definition

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
  • Von einer Anämie spricht man, wenn der Hämoglobinwert, die Erythrozytenzahl und/oder Hämatokrit unterhalb des altersentsprechenden Normbereichs liegen.
  • Die Definition beruht auf den altersabhängigen Normwerten für Hämoglobin:
Alter

Hämoglobin (g/dl) 

Mittelwert/Perzentile 2,5

MCV (fl) 

Mittelwert/95 % RI

1. Lebenswoche 19,3/15,4 109,6/101–119
14 Tage 16,6/13,4 105,3/88–122
1 Monat  13,9/10,7 101,3/91–111
2 Monate  11,2/9,4 94,8/84–105
4 Monate 12,2/10,3 86,7/76–97
6 Monate 12,6/11,1 76,3/68–84
9 Monate  12,7/11,4 77,7/70–86
1–2 Jahre 12,0/10,2 80,5/72,6–88,9
3–5 Jahre 12,5/10,8 80,8/74,2–88
6–8 Jahre 12,9/11,3 82,1/75,6–88,8
9–11 Jahre  13,4/11,6 83,5/76,9–90,4
12–14 Jahre

♀ 13,5/11,7

♂ 14,0/12,0

♀ 86,3/78,6–94

♂ 84,1/77,2–91,3

15–17 Jahre 

♀ 13,5/11,4

♂ 15,0/12,4

♀ 88,1/79,5–96,9

♂ 86,5/78,8–94,7

Häufigkeit

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
  • Genaue Angaben zur Häufigkeit sind schwierig, da Anämien häufig asymptomatisch verlaufen und daher erst spät oder gar nicht erkannt werden.2
  • Am häufigsten kommen Eisen- und Infektanämien vor.

Diagnostische Überlegungen

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
  • Überlegungen je nach Alter2
    • bei Neugeborenen unter 3 Monaten: in den meisten Fällen physiologische Anämie
      • meist im Alter von 6–9 Wochen
      • Aufgrund einer erhöhten Sauerstoffversorgung des Gewebes und einer verringerten Produktion von Erythropoetin nimmt die Eryhtropoese nach Geburt dramatisch ab.
      • Hb-Werte beim Neugeborenen sind zu Beginn hoch (> 14 g/dl) und nehmen dann rapide ab (ca. 11 g/dl im Alter von 6–9 Wochen)
    • im Alter von 3–6 Monaten: hinweisend auf Hämoglobinopathie
  • Symptomatik
    • Eine sich langsam entwickelnde Anämie kann symptomarm sein.
    • Eine schnelle Anämieentwicklung (Blutung, akute Hämolyse) zeigt sich durch Symptome schon bei deutlich höheren Hämoglobinwerten als bei einer langsam entstehenden Anämie, teils verursacht durch Hypovolämie (Blutung), teils durch die Anämie selbst.
    • anämietypische Symptome: Lethargie, Tachykardie, Blässe, Müdigkeit, Kurzatmigkeit
  • Bei Hinweisen auf Hämolyse 
    • Fragen nach Veränderungen der Urinfarbe, Ikterus
  • Bei Hinweisen auf Blutverlust 
    • Fragen nach Veränderungen der Stuhlfarbe, Blutspuren im Stuhl, gastrointestinale Symptome, starkes oder häufiges Nasenbluten
  • Eisenmangelanämien
    • Ist das Kind ein Frühchen oder gibt es Hinweise auf eine Blutung, Infektion oder niedrige Eisenzufuhr?
    • Ein niedriges Geburtsgewicht prädisponiert für eine Eisenmangelanämie, da dem Kind bei Geburt weniger Eisenspeicher zur Verfügung stehen; gleichzeitig wächst es aber schneller als andere Kinder.
    • mangelnde Fürsorge und schlechte Ernährung
  • Liegen Malabsorptionserkrankungen wie Zöliakie, Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa vor?
  • Infektionen können zu einer Infektanämie, zu einer immunhämolytischen Anämie und zum hämolytisch-urämischen Syndrom führen.
  • Angeborene Anämien, Hämoglobinopathien und Formanomalien der Erythrozyten?
  • Drogen- oder Toxinexposition? 
  • Familienanamnese mit Hinweisen auf familiär gehäuftes Auftreten von Anämien 
  • Ernährungsanamnese

Konsultationsgrund

  • Bei symptomloser/symptomarmer Anämie häufig als Zufallsbefund bei der Blutentnahme
  • Blasses, schwaches und kurzatmiges Kind
  • Hinweis auf akute Blutung

Abwendbar gefährliche Verläufe

ICPC-2

  • B78 Erbliche hämolytische Anämie
  • B80 Eisenmangelanämie
  • B81 Anämie mit Vitamin-B12-/Folsäuremangel
  • B82 Anämie, andere

ICD-10

  • D46 Myelodysplastisches Syndrom
    • D46.0 Refraktäre Anämie ohne Ringsideroblasten
    • D46.1 Refraktäre Anämie mit Ringsideroblasten
    • D46.2 Refraktäre Anämie mit Blastenüberschuss
    • D46.4 Refraktäre Anämie, nicht näher bezeichnet
    • D46.5 Refraktäre Anämie mit Mehrlinien-Dysplasie
  • D50 Eisenmangelanämie
    • D50.0 Eisenmangelanämie nach chronischem Blutverlust
    • D50.1 Sideropenische Dysphagie
    • D50.8 Sonstige Eisenmangelanämien
    • D50.9 Eisenmangelanämie, nicht näher bezeichnet
  • D51 Anämie mit Vitamin-B12-Mangel
    • D51.0 Anämie mit Vitamin-B12-Mangel durch Mangel an "Intrinsic-Faktor"
    • D51.1 Anämie mit Vitamin-B12-Mangel durch selektive Vitamin-B12-Malabsorption mit Proteinurie
    • D51.2 Transcobalamin-II-Mangel
    • D51.3 Sonstige alimentäre Vitamin-B12-Mangelanämie
    • D51.8 Sonstige Vitamin-B12-Mangelanämien
    • D51.9 Vitamin-B12-Mangelanämie, nicht näher bezeichnet
  • D52 Folsäure-Mangelanämie
    • D52.0 Alimentäre Folsäure-Mangelanämie
    • D52.1 Arzneimittelinduzierte Folsäure-Mangelanämie
    • D52.8 Sonstige Folsäure-Mangelanämien
    • D52.9 Folsäure-Mangelanämie, nicht näher bezeichnet
  • D53 Sonstige Anämien
    • D53.0 Proteinmangelanämie
    • D53.1 Sonstige megaloblastäre Anämien, andernorts nicht klassifiziert
    • D53.2 Skorbutanämie
    • D53.8 Sonstige näher bezeichnete Mangelanämien
    • D53.9 Mangelanämie, nicht näher bezeichnet
  • D55 Anämien durch Enzymdefekte
    • D55.0 Anämie durch Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase[G6PD]-Mangel
    • D55.1 Anämie durch sonstige Störungen des Glutathionstoffwechsels
    • D55.2 Anämie durch sonstige Störungen glykolytischer Enzyme
    • D55.3 Anämie durch Störungen des Nukleotidstoffwechsels
    • D55.8 Sonstige Anämien durch Enzymdefekte
    • D55.9 Anämie durch Enzymdefekte, nicht näher bezeichnet
  • D56 Thalassämie
    • D56.0 Alpha-Thalassämie
    • D56.1 Beta-Thalassämie
    • D56.2 Delta-Beta-Thalassämie
    • D56.3 Thalassämie-Erbanlage
    • D56.4 Hereditäre Persistenz fetalen Hämoglobins [HPFH]
    • D56.8 Sonstige näher bezeichnete Thalassämien
    • D56.9 Thalassämie, nicht näher bezeichnet
  • D57 Sichelzellenkrankheiten
    • D57.0 Sichelzellenanämie mit Krisen
    • D57.1 Sichelzellenanämie ohne Krisen
    • D57.2 Doppelt heterozygote Sichelzellenkrankheiten
    • D57.3 Sichelzellen-Erbanlage
    • D57.8 Sonstige näher bezeichnete Sichelzellenkrankheiten
  • D58 Sonstige hereditäre hämolytische Anämien
    • D58.0 Hereditäre Sphärozytose
    • D58.1 Hereditäre Elliptozytose
    • D58.2 Sonstige Hämoglobinopathien
    • D58.8 Sonstige näher bezeichnete hereditäre hämolytische Anämien
    • D58.9 Hereditäre hämolytische Anämie, nicht näher bezeichnet
  • D59 Erworbene hämolytische Anämien
    • D59.0 Arzneimittelinduzierte autoimmunhämolytische Anämie
    • D59.1 Sonstige autoimmunhämolytische Anämien
    • D59.2 Arzneimittelinduzierte nicht-autoimmunhämolytische Anämie
    • D59.3 Hämolytisch-urämisches Syndrom
    • D59.4 Sonstige nicht-autoimmunhämolytische Anämien
    • D59.5 Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie [Marchiafava-Micheli]
    • D59.6 Hämoglobinurie durch Hämolyse infolge sonstiger äußerer Ursachen
    • D59.8 Sonstige näher bezeichnete erworbene hämolytische Anämien
    • D59.9 Erworbene hämolytische Anämie, nicht näher bezeichnet
  • D60 Erworbene isolierte Aplasie durch erythropoetische Zellen [Erythroblastopenie]
    • D60.0 Chronische erworbene isolierte Aplasie durch erythropoetische Zellen
    • D60.1 Chronische erworbene isolierte Aplasie durch erythropoetische Zellen
    • D60.8 Sonstige näher bezeichnete erworbene isolierte Aplasie durch erythropoetische Zellen
    • D60.9 Chronische erworbene isolierte Aplasie durch erythropoetische Zellen
  • D61 Sonstige aplastische Anämien
    • D61.0 Genetisch bedingte aplastische Anämie
    • D61.1 Arzneimittelinduzierte aplastische Anämie
    • D61.2 Aplastische Anämie infolge sonstiger äußerer Ursachen
    • D61.3 Idiopathische aplastische Anämie
    • D61.8 Sonstige näher bezeichnete aplastische Anämien
    • D61.9 Aplastische Anämie, nicht näher bezeichnet
  • D62 Akute posthämorrhagische Anämie
  • D63 Anämie bei chronischen, anderenorts klassifizierten Krankheiten
  • D64 Sonstige Anämien
    • D64.0 Hereditäre sideroblastische Anämie
    • D64.1 Sekundäre sideroblastische Anämie infolge einer Krankheit
    • D64.2 Sekundäre sideroblastische Anämie durch Arzneimittel oder Toxine
    • D64.3 Sonstige sideroblastische Anämien
    • D64.4 Kongenitale dyserythropoetische Anämie
    • D64.8 Sonstige näher bezeichnete Anämien
    • D64.9 Anämie, nicht näher bezeichnet
  • P61 Sonstige hämatologische Krankheiten in der Perinatalperiode
    • P61.2 Anämie bei Prämaturität
    • P61.3 Angeborene Anämie durch fetalen Blutverlust
    • P61.4 Sonstige angeborene Anämien, anderenorts nicht klassifiziert

Differenzialdiagnosen

Neugeborene

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1

Physiologische Anämie

  • Nach 6–9 Wochen
  • Aufgrund einer erhöhten Sauerstoffversorgung des Gewebes und einer verringerten Produktion von Erythropoetin nimmt die Eryhtropoese nach Geburt dramatisch ab.

Blutverlust3

  • Aufgrund von Blutungen, feto-maternalem und feto-fetalem Transfusionssyndrom
  • Macht 5–10 % aller Fälle mit schwerer neonataler Anämie aus.
  • Führt zu Tachypnoe, Blässe, Irritabilität, Trinkproblemen
  • Verlust von 20 % des Blutvolumens führt zu Schock und einem kardiopulmonalen Kollaps.
  • Anämie mit oft normalen Erythrozytenindizes
  • Die Retikulozytenanzahl ist initial normal, aber erhöht sich in der Folge. 

Rhesus-Inkompatibilität

  • Entwicklung einer Anämie nach Entbindung, evtl. Ikterus

Andere Inkompatibilität

  • AB0-Unverträglichkeit
  • Ikterus und geringgradige Anämie
  • Bei schwerer Inkompatibilität Hydrops fetalis, selten bei einer AB0-Unverträglichkeit
  • Positiver indirekter Coombs-Test (direkte Coombs-Tests können schwach positiv sein), erhöhtes Bilirubin, normozytäre Anämie mit erhöhter Retikulozytenanzahl

Angeborene hämolytische Anämie

  • Sphärozytose, G6PD-Mangel
  • Hyperbilirubinämie und moderater Ikterus
  • Geringe Enzymaktivität; bei Hämolyse im Ausstrich Poikilozytose, Retikulozytose, Heinz-Körperchen und Bisszellen (bei G6PD-Mangel) oder Akanthozyten (bei Pyruvatkinase-Mangel)

Kongenitale Infektion

Diamond-Blackfan-Syndrom (Erythrogenesis imperfecta)1

  • Angeborene isolierte aplastische Anämie als Folge einer erhöhten Apoptose unter den Erythrozyten-Vorläufern
  • Betrifft 7 von 1 Mio. Lebendgeborenen.
  • Eine neonatale Blässe weitet sich zu einer symptomatischen Anämie aus.
  • Evtl. zusätzliche Skelettanomalien
  • Makrozytäre Anämie mit geringer Retikulozytenanzahl

Fanconi-Anämie

  • Erhöhte Verwundbarkeit der Vorläuferzellen im Knochenmark führt zu einer erhöhten Apoptose, die zur Panzytopenie fortschreitet.
  • Die Diagnose wird im Durchschnitt im Alter von 8 Jahren gestellt, aber die Erkrankung ist mit angeborenen Veränderungen verbunden, die es möglich machen, dass die Diagnose eher gestellt werden kann (Café-au-lait-Flecken, Mikrosomie, niedriges Geburtsgewicht, Fehlbildungen von Daumen, Niere, Knochen und Augen).
  • Mikrozytäre Anämie und Retikulozytopenie, Thrombozytopenie oder Leukopenie
  • Die genetische Untersuchung kann für Fanconi-Anämien typische genetische Mutationen nachweisen.

Säuglinge bis Kleinkindalter

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1

Eisenmangelanämie bei Kindern

  • Bei 9 % der Kleinkinder zwischen 12 Monaten und 3 Jahren
  • Mikrozytäre, hypochrome, hyporegeneratorische Anämie
  • Blässe, Antriebslosigkeit, vermindertes körperliches Leistungsvermögen, Gereiztheit
  • Evtl. Abflachen der Wachstumskurve, blasse Haut und Schleimhäute. Dyspnoe, Tachykardie und ein vergrößertes Herz bei schwerer Anämie

Infektion4

  • Bakterielle oder virale Infektion, die zu einem zytokinvermittelten Rückgang im Eisenverbrauch und bei der Produktion der roten Blutzellen führen.
  • Die Symptomatik wird normalerweise von der Infektionserkrankung bestimmt.
  • Normozytäre oder schwach mikrozytäre Anämie, geringes/normales Serum-Eisen mit geringen Transferrin-Werten. Ferritin kann erhöht sein (akute Phase-Reaktion).

Blutverlust

  • Trauma, gastrointestinale Blutung
  • Tachypnoe, Tachykardie, Blässe, Hypotension
  • Hb ist anfangs oft normal, später normozytäre, normochrome Anämie

Thalassämie5

  • Positive Familienanamnese für eine mikrozytäre Anämie, ggf. mit Ikterus
  • Insbesondere bei Menschen aus dem Mittelmeerraum, dem Nahen Osten sowie Teilen Afrikas und Asiens
  • Abhängig von der Anzahl der betroffenen Gene gibt es eine große Bandbreite zwischen asymptomatischen Genträgern und Symptomen einer schweren Anämie mit komplexem Krankheitsbild.
  • Ikterus (auch Splenomegalie) bei mikrozytären Anämien als weiterer Hinweis auf Thalassämia major oder intermedia

Sichelzellanämie

  • Signifikante geografische Variation in der Häufigkeit, im Äquatorgürtel Afrikas beträgt die Prävalenz von heterozygoten Träger*innen 10–30 %. In Deutschland sind jährlich etwa 300 Kinder und Erwachsene von der Sichelzellenerkrankung betroffen.
  • Autosomal-rezessiver Erbgang
  • Ikterus, Gallensteine, Hepatosplenomegalie, schlechte Wundheilung, Wachstumsverzögerung bei Kindern; im Anfall: Schmerzen, Daktylitis, leichtes Fieber
  • Laboruntersuchungen zeigen Hämolyse, Retikulozytose und HbS in der Hb-Elektrophorese. Der Blutausstrich zeigt eine große Menge an Sichelzellen.

Enzymdefekte der roten Blutzellen

  • G6PD-Mangel
  • X-chromosomaler Erbgang, daher sind besonders männliche Nachkommen betroffen.
  • Höchste Prävalenz in Afrika, Asien und den Mittelmeerländern
  • Führt zu neonataler Hyperbilirubinämie und hämolytischer Anämie oxidativem Stress.
  • Niedrige Enzymaktivität; bei Hämolyse im Ausstrich Poikilozytose, Retikulozytose, Heinz-Körperchen und Bisszellen (bei G6PD-Mangel)

Membrandefekte der Erythrozyten

  • Sphärozytose, Elliptozytose
  • Autosomal dominante Erkrankung, daher ist die Familienanamnese bei ca. 75 % der Patient*innen positiv.
  • Führt zu Hyperbilirubinämie, Splenomegalie, Gallenblasenerkrankung und aplastischer Krise.

Hämolytische Anämie

  • Anämiesymptome in Verbindung mit Ikterus oder Hämaturie
  • Bei chronischer Hämolyse evtl. Lymphadenopathie, Hepatosplenomegalie, Cholestase, Choledocholithiasis
  • Relativ selten bei Menschen mitteleuropäischer Abstammung; in Afrika, Asien und dem Mittelmeergebiet häufiger

Hämolytisch-urämisches Syndrom

  • Infektion mit Shigatoxin bildenden enteropathogenen E. coli
  • Trias aus akuter Nierenfunktionsstörung, hämolytischer Anämie und Thrombopenie
  • Blutige Diarrhö und Zeichen einer akuten Niereninsuffizienz, evtl. auch Hypertonie. Bereits der Verdacht auf ein HUS rechtfertigt die umgehende Einweisung in ein Krankenhaus bzw. spezialisiertes Zentrum.

Aplastische Anämie

  • Sehr selten: in Mitteleuropa 2–3 Fälle pro Mio. und Jahr

Hypersplenie

Transitorische Erythroblastopenie

  • Ist eine recht häufige vorübergehende Immunreaktion gegenüber Erythrozyten-Vorgängerzellen.
  • Anämie nach Toxin-Aufnahme oder Viruserkrankung; tritt meist bei Kindern im Alter von 6 Monaten bis 3 Jahren auf.
  • Normozytäre Anämie
  • Typische Befundkonstellation: Kleinkindalter, wenig beeinträchtigter Allgemeinzustand bei stark erniedrigter Hb-Konzentration, vorausgegangener Infekt, keine Lymphknotenschwellung, normale Leukozyten- und Thrombozytenzahlen1
  • Die Prognose ist gut, der Hämoglobin-Wert normalisiert sich oft innerhalb weniger Wochen.

Leukämie bei Kindern

Myelofibrose

  • Bindegewebige Umwandlung des Knochenmarks führt zu verringerter Knochenmarksfunktion.
  • Sehr selten bei Kindern
  • Tritt nach einer Resektion des Ileums oder in Verbindung mit inflammatorischen Erkrankungen auf.

Vitamin-B12-Mangel 

  • Makrozytäre Anämie

Folsäuremangel

  • Makrozytäre Anämie

Hypothyreose

  • Normo- oder hypochrome Anämie

Spätere Kindheit und Jugendzeit

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1

Eisenmangelanämie bei Kindern

  • Erhöhter Eisenbedarf beim Wachstumsschub in der Pubertät1

Entzündliche Erkrankungen

  • Blutuntersuchungen zeigen Entzündungszeichen.
  • Häufig leichte und asymptomatische Anämie
  • Normochrome und normozytäre Erythrozyten

Rheumatische Erkrankungen

  • Bei rheumatischer Erkrankung spiegelt sich oft die Erkrankungsaktivität in einer mikrozytären oder viel häufiger in einer normozytären, normochromen Anämie wider.
  • Häufig leichte und asymptomatische Anämie

Niereninsuffizienz

  • Anämie bei chronischem Nierenversagen durch einen Erythropoetinmangel verursacht sein, neben Blutverlust als Folge einer erhöhten Blutungsneigung und Blutverlust in Verbindung mit Hämodialyse.
  • Häufig leichte und asymptomatische Anämie

Blutverlust

  • Hypermenorrhö1  
  • Gastrointestinaler Blutverlust 
  • Rezidivierende oder starke Expistaxis

Veränderungen in der Hb-Synthese oder Membrandefekte in roten Blutzellen

  • Siehe oben.

Anamnese

Besonders zu beachten

  • Viele Kinder mit Anämie sind asymptomatisch.
  • Zufallsbefund bei Blutuntersuchung

Allgemeinsymptome

  • Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Unwohlsein
  • Appetitlosigkeit
  • Tachykardie
  • Kurzatmigkeit
  • Verminderte Spielaktivität
  • Wachstumsverzögerung

Frühgeburt

Ernährung

  • Exzessiver Milchkonsum6-7
    • Kuhmilch selbst enthält nur wenig und schlecht verwertbares Eisen.
    • Durch eine hohe Aufnahme von Kuhmilch wird die Eisenaufnahme aus anderen Lebensmitteln verringert.8
  • Ernährungsanamnese: Fokus auf Eisenaufnahme, ferner Vitamin-B12- und Folsäureaufnahme

Infektzeichen

  • Fieber
  • Symptome der Atemwege, des Magen-Darm-Trakts, der Harnwege
  • Fieber bei Tropenrückkehrer*innen oder Einwanderer*innen

Hämolytische Krise

Positive Familienanamnese

  • Familiäre Anämien legen den Verdacht auf eine Thalassämie oder Hämoglobinopathie nahe.

Anzeichen einer Panzytopenie

  • Auffällige Infektneigung
  • Hautblutungen

Klinische Untersuchung

  • Wirkt das Kind krank?
    • Dyspnoe, Tachykardie und vergrößertes Herz bei schwerer Anämie
    • Lymphknotenschwellung, Hepatosplenomegalie?
    • Hepatosplenomegalie und Bauchschmerzen als Folge von extramedullärer Erythropoese bei hämolytischen Anämien
  • Größe/Gewicht
    • Abflachen der Wachstumskurve?
  • Hautveränderungen?
    • Blässe der Haut und Schleimhäute? Blässe hat wenig Sensitivität am Beginn einer geringgradigen Anämie, korreliert aber gut mit einer schweren Anämie.
    • Ikterus?
    • Anzeichen für Hautblutungen (Petechien/Ekchymosen)? Sprechen für Blutungsneigung.

Ergänzende Untersuchungen

In der Hausarztpraxis

Interpretation

  • Hb und MCV können bei den meisten Anämien auf die Ursache hinweisen.
  • MCV (mittleres korpuskuläres Volumen)
  • Normozytäre Anämie
    • Häufig in der frühen Phase von Eisenmangel oder einer chronischen Erkrankung.
    • Vorübergehende Erythroblastopenie nach einer Virusinfektion ist nicht ungewöhnlich. Hierbei ist die initiale Retikulozytenanzahl 0, aber sie steigt langsam an.
    • Seltenere Ursachen sind Hämoglobinopathien, Enzymdefekte, Membrandefekte, hämolytische Anämien.
    • Der erste Schritt in der Abklärung einer normozytären Anämie ist die Bestimmung der Retikulozytenzahl, um die Erkrankungen mit hohem Turnover roter Blutzellen von gestörter Hämatopoese (z. B. Leukämie) zu unterscheiden.
  • Ferritin
    • Eisenspeicher
    • erniedrigt bei einer Eisenmangelanämie
    • normal oder erhöht bei einer Infektanämie
  • Blutausstrich
    • bei Verdacht auf maligne Erkrankung oder zum Nachweis einer pathologischen Erythrozytenmorphologie (z. B. Sichelzellen, Fragmentozyten, Sphärozytose)1

Ergänzende Untersuchungen bei unsicherer Diagnose

  • Retikulozyten
    • Überleben in peripherem Blut nur 1–2 Tage.
    • gutes Maß für die aktuelle Produktion von roten Blutzellen im Knochenmark
    • Eine niedrige oder „normale“ Retikulozytenanzahl bei signifikanter Anämie zeigt eine Blutbildungsstörung an.1
  • Infektparameter wie BSG und CRP,
  • Hämolyseparameter wie LDH, Bilirubin, Haptoglobin und zusätzlich Coombs-Test (zum Nachweis einer Antikörper-bedingten Hämolyse)
  • Serum-Eisen und TIBC (Total Iron Binding Capacity)
    • Maß für die Fähigkeit des Körpers, Eisen zur Produktion von roten Blutzellen zu transportieren.
    • Bei einer Eisenmangelanämie ist Serum-Eisen erdniedrigt und TIBC erhöht.
  • Vitamin B12 (Homocystein, Methylmalonsäure), Folsäure im Serum und Erythrozyten
  • Serologie

Diagnostik bei Spezialist*innen

  • Evtl. Röntgenthorax
  • Osmotische Resistenz (Sphärozytose), Hämoglobindifferenzierung (Hämoglobinopathien), Enzyme (Glukose-6-phosphat-Dehydrogenase [G6PDH], Pyruvatkinase [PK])
  • Evtl. Abklärung einer Malabsorption
  • Knochenmarksbiopsie
    • Eine Knochenmarksuntersuchung ist bei Verdacht auf Leukämie indiziert. 

Maßnahmen und Empfehlungen

Indikationen zur Überweisung

  • Leichte Eisenmangelanämien und Infektanämien können in der Hausarztpraxis behandelt werden.
  • Andere Anämieerkrankungen: zu Spezialist*innen überweisen.

Checkliste zur Überweisung

Anämie bei Kindern

  • Anamnese1
    • Beginn und Dauer? Entwicklung? Frühgeburt?
    • Symptombild? Allgemeinsymptome? Ernährung?
    • Anzeichen für Blutungen, Infektionen, geringe Eisenaufnahme? Andere Anzeichen für vorliegende Erkrankungen?
    • Evtl. Therapieversuch?
    • Familiäre Disposition für Anämien?
    • Konsequenzen: Wachstums- und Entwicklungshemmung? Ernährungsschwierigkeiten?
  • Klinische Untersuchung
    • Allgemeinzustand? Allgemeiner körperlicher Status?
    • Gewicht und Körpergröße. Vorsorgeheft.
  • Ergänzende Untersuchungen

Indikationen zur Krankenhauseinweisung

  • Bei offensichtlichen Anzeichen einer malignen Erkrankung
  • Schwere Anämie
  • Akuter Blutverlust

Leitlinie: Anämiediagnostik im Kindesalter1

Mikrozytäre Anämie

  • Bei einer Hb-Konzentration, die mehr als 1,5 g/dl (0,9 mmol/l) unter dem altersentsprechenden Normalwert liegt, sollte die Verdachtsdiagnose eines Eisenmangels ausschließlich gestellt werden bei:
    • entsprechender Ernährungsanamnese bei einem Kind zwischen 3 und 6 Jahren.
    • einem nachvollziebaren chronischen Blutverlust bei älteren Kindern.
    • einer darüber hinaus gehenden Anamnese und einem klinischen Befund ohne Anhalt für andere Ursachen einer Mikrozytose oder Anämie (z. B. Malapsorption bei Zöliakie, Lambliasis etc.).
  • Bei einer ausgeprägten Anämie (Hb > 3 g/dl [> 1,8 mmol/l]) unterhalb des altersentsprechenden Normalwertes
    • ist die Vorstellung in einer pädiatrisch-hämatologischen Spezialambulanz oder bei pädiatrischen Hämatolog*innen empfehlenswert.
    • ist eine stationäre Einweisung zu erwägen, bei kardialen Dekompensationszeichen ist sie immer indiziert.
  • Ein Therapieansprechen auf eine orale Eisensubstitution (3–4 mg/kg/d in 1 Einzeldosis) ist der beste funktionelle Beweis für einen alimentären Eisenmangel.
  • Bei ausbleibender Normalisierung muss bei gesicherter Therapieadhärenz nach anderen Ursachen für den Eisenmangel gesucht werden.
  • Beim alimentären Eisenmangel und deutlicher Anämie führt eine orale Substitution in der Regel innerhalb von 5–7 Tagen zur Retikulozytose.
    • Die Dokumentation dieses Retikulozytenzahlanstiegs repräsentiert eine kostengünstige Methode sowohl zur Bestätigung der Diagnose als auch der
      ausreichenden Therapie.
    • Die Eisensubstitution sollte bis zur Auffüllung der Eisenspeicher, meist über mindestens 12 Wochen, fortgeführt werden.
  • Bei Versagen der Eisensubstitution muss die Möglichkeit chronischen Blutverlustes oder von Eisenresorptionsstörungen (z. B. Zöliakie, Helicobacter-pylori-Gastritis, Lambliasis, entzündliche Darmerkrankungen) erwogen werden.
  • In den letzten Jahren wurden zunehmend genetisch bedingte Störungen des Eisenmetabolismus molekular charakterisiert, die zu einer mikrozytären Anämie führen.
    • Die wahrscheinlich häufigste unter diesen insgesamt sehr seltenen hereditären mikrozytären Anämien ist die Iron Refractory Iron Deficiency Anemia (IRIDA).
    • Betroffene Patient*innen präsentieren sich mit dem Bild einer Eisenmangelanämie, die auf enterale Eisengaben nicht anspricht.
    • Die typische Laborkonstellation ist die ausgeprägt mikrozytäre Anämie bei niedrig normalem Ferritin und stark erniedrigter Transferrinsättigung.
    • Mutationen im TMPRSS6-Gen sind eine mittlerweile gut definierte Ursache für die IRIDA.
  • Die Serumferritinkonzentration ist typischerweise bei der Anämie der chronischen Krankheit erhöht.

Normozytäre oder makrozytäre Anämie

  • Ikterus bei Hämolyse oder Leberkrankheiten
  • Persistierendes oder rezidivierendes Fieber bei chronischer Infektion, juveniler rheumatoider Arthritis, malignen Erkrankungen oder HIV-Infektion
  • Nasenbluten und Hämatomneigung bei Leukämie, aplastischer Anämie oder HUS
  • Gehstörungen oder Knochenschmerzen bei juveniler rheumatoider Arthritis (JRA), Leukämie, Neuroblastom oder Sichelzellkrankheit
  • Chronische Diarrhö bei Malabsorption oder akute Diarrhö bei HUS
  • Medikamentenanamnese
  • Mangel-/Fehlernährung als Hinweis für seltenen Vitamin-B12- oder Folatmangel
  • Kleinwuchs bei schwerer chronischer Anämie, Nierenerkrankungen, Hypothyreose,
    Diamond-Blackfan-Anämie (DBA), Fanconi-Anämie
  • Mikrozephalie oder andere kongenitale Anomalien bei Fanconi-Anämie, DBA
  • Zeichen von Systemerkrankungen wie Petechien und Hämatome (Leukämie, aplastische Anämie, HUS), Ikterus bei Hämolyse oder Lebererkrankungen
  • Generalisierte Lymphadenopathie bei JRA, Leukämie, HIV
  • Splenomegalie bei Leukämie, hereditärer Sphärozytose,  Leberkrankheiten und Sichelzellerkrankung (nur im Kleinkindesalter)
  • Familienanamnese für Anämie, Ikterus, Splenomegalie und Gallensteine als Hinweis für hereditäre hämolytische Erkrankungen oder für eine dyserythropoetische Anämie.
  • Leukopenie und/oder Thrombozytopenie weisen auf eine maligne Infiltration der Knochenmarks, eine aplastische Anämie oder einen B12-Mangel hin (oder selten auf ausgeprägten Hypersplenismus als Ursache).
  • Vor der Durchführung von Spezialuntersuchungen (Knochenmarkzytologie, Knochenmarkhistologie, Zytogenetik) wird die Vorstellung in einer pädiatrisch-hämatologischen Spezialambulanz oder bei pädiatrischen Hämatolog*innen empfohlen.
  • Die transitorische Erythroblastopenie ist eine recht häufige Erkrankung des Kleinkindalters mit der typischen Befundkonstellation: Kleinkindalter, wenig beeinträchtigter Allgemeinzustand bei stark erniedrigter Hb-Konzentration, vorausgegangener Infekt, keine Hepatosplenomegalie, keine Lymphknotenschwellung, normale Leukozyten- und Thrombozytenzahlen

Hämolytische Anämie

  • Eine akute Hämolyse stellt eine dringende Einweisungsdiagnose dar.
    • Hinweise auf schwere Hämolyse sind Kopfschmerzen, Schwindel, Synkope, Fieber, Bauchschmerzen oder Rückenschmerzen.
  • Tachypnoe und/oder Tachykardie weisen auf eine rasche Anämisierung mit Schock hin.
  • Eine im Teststreifen nachgewiesene Hämoglobinurie deutet auf eine rasche und lebensbedrohliche akute Hämolyse hin und stellt eine Einweisungsindikation dar.
  • Bei Patient*innen mit afrikanischen, mediterranen oder asiatischen Vorfahren ist an die Möglichkeit einer Thalassämie, Sichelzellerkrankung oder eines G6PD-Mangels (vor allem bei Jungen) zu denken.
  • Eine Familienanamnese mit Anämien, Ikterus, Splenektomien oder unerklärten Gallensteinen deutet auf eine hereditäre Sphärozytose.
  • Da Coombs-Test-negative autoimmunhämolytische Anämien bei Kindern selten sind, schließt ein negativer Coombs-Test mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Autoimmunhämolyse aus.

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

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Illustrationen

Eisenmangelanämie, Blutausstrich
Eisenmangelanämie, Blutausstrich
Hämolytische Anämie, Blutausstrich
Hämolytische Anämie, Blutausstrich

Quellen

Leitlinien

  • Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie. Anämiediagnostik im Kindesalter. AWMF-Leitlinie Nr. 025-027. S1, Stand 2018. www.awmf.org

Literatur

  1. Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie. Anämiediagnostik im Kindesalter. AWMF-Leitlinie Nr. 025-027, Stand 05/2018. www.awmf.org
  2. Sandoval C. Approach to the child with anemia. UpToDate. 06/2019. www.uptodate.com
  3. Wang M. Iron Deficiency and Other Types of Anemia in Infants and Children. Am Fam Physician 2016 Feb; 15;93(4): 270-278. www.aafp.org
  4. Hartung HD, Olson TS, Bessler M. Acquired aplastic anemia in children. Pediatr Clin North Am 2013; Dec;60(6): 1311-36. pmid:24237973 PubMed
  5. Muncie HL, Campbell J. Alpha and beta thalassemia. Am Fam Physician 2009; Aug 15;80(4):: 339-44. pmid:19678601 PubMed
  6. Brotanek JM, Gosz J, Weitzman M, Flores G. Iron deficiency in early childhood in the United States: risk factors and racial/ethnic disparities. Pediatrics 2007; 120: 568-75. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  7. Nead KG, Halterman JS, Kaczorowski JM, Auinger P, Weitzman M. Overweight children and adolescents: a risk group for iron deficiency. Pediatrics 2004; 114: 104-8. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  8. Kazal LA. Prevention of Iron Deficiency in Infants and Toddlers. Am Fam Physician 2002; Oct 1;66(7): 1217-1225. www.aafp.org

Autor*innen

  • Laura Morshäuser, Ärztin, Bonn
  • Marlies Karsch-Völk, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, München
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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