Läsion des N. axillaris

Zusammenfassung

  • Definition: Periphere Nervenläsion im Bereich der Schulter.
  • Häufigkeit: Nicht selten, traumatisch, entzündlich oder iatrogen bedingt.
  • Symptome: Die typischen Symptome sind Kraftverlust und Ermüdung im Arm in Verbindung mit Tätigkeiten, die über dem Kopf ausgeführt werden.
  • Untersuchung: Die klinischen Befunde zeigen eine geschwächte Abduktion (M. deltoideus) und eine geschwächte Außenrotation des Armes (M. teres minor) sowie Taubheitsgefühl im lateralen Schulterbereich.
  • Diagnostik: Klinische Diagnose, MRT und elektrophysiologische Tests können sinnvoll sein.
  • Therapie: Die Therapie hängt von der Verletzungsursache, der Schwere der Läsion und dem Alter des Patienten ab und ist in der Regel konservativ.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Eine Läsion des N. axillaris ist eine Form der peripheren Neuropathie und tritt meist als Mononeuropathie auf.
  • Der N. axillaris kann im Bereich der lateralen Achsellücke oder des Oberarmknochens Kompressionen und Verletzungen ausgesetzt sein.

Klinische Anatomie

  • Der N. axillaris entspringt dem Fasciculus posterior des Plexus brachialis und enthält Fasern aus den Rückenmarkssegmenten C5 und C6.
  • Verlauf und Verzweigungen
    • Der Nerv passiert den vorderen/unteren Teil des M. subscapularis auf der Rückseite des Arms.
    • Er durchtritt die sog. laterale Achsellücke zusammen mit Arteria und Vena circumflexa humeri posterior und verläuft um das Collum chirurgicum des Oberarmknochens.
  • Motorische Fasern
    • Der N. axilliaris innerviert motorisch folgende Muskel: M. deltoideus, M. teres minor und den langen Trizepskopf.
  • Sensorische Fasern
    • Vermittelt sensorische Informationen aus dem Schultergelenk und der Haut der lateralen Schulterregion.
  • Nervenschäden
    • Der N. axillaris kann dort, wo er aus der Achsellücke austritt, Kompressionen und Verletzungen ausgesetzt sein.

Häufigkeit

  • Selten traumatisch durch Oberarmfrakturen bzw. anschließende Kallusbildung oder im Rahmen von Schultergelenkluxationen.1-2
  • Iatrogene Verletzungen im Rahmen von Arthroskopien sind beschrieben. Durch die zunehmende Häufigkeit dieses Eingriffes, werden auch vermehrt Läsionen des N. axillaris beschrieben. Bis zu 14% aller Läsionen des N. axillaris sind iatrogen bedingt.1,3

Ätiologie und Pathogenese

  • Schäden am N. axillaris treten auf in Verbindung mit:
    • Schulterluxation als häufigste traumatische Ursache.4 Nervenverletzungen sind häufig vor allem bei Luxationen nach vorne und unten, insbesondere wenn Begleitverletzungen der Rotatorenmanschette auftreten.2
    • Oberarmfraktur am Collum chirurgicum und ggf. anschließender Kallusbildung
    • Druck nach oben in der Achselhöhle – z. B. durch eine Unteramgehstütze
    • Druck durch unsachgemäßen Gipsverband
    • wiederholter Überlastung – z. B. durch Werfen von Bällen, Schwimmen5
    • direktem Trauma
    • Arthroskopien oder Eingriffen am Schultergelenk nach Verletzungen der Rotatorenmanschette3
    • einer neuralgischen Schulteramyotrophie.6
  • Eine Kompression der Nervensegmente (Neurapraxie und Axonotmesis) ist die häufigste Ursache von peripheren Nervenschäden in den oberen Extremitäten.1
  • Die Kompression führt zu Ischämie des Nerven, und der Grad der Schädigung hängt von der Dauer und dem Ausmaß der Ischämie ab.
    • In den leichtesten Fällen ist das Problem nur intermittierend. Parästhesien treten nur bei bestimmten Schulterpositionen auf.
    • Bei anhaltenden und chronischen Kompressionen kommt es zu Demyelinisierung. In diesem Fall sind die Symptome persistierend und können sich durch bestimmte Bewegungen verschlimmern, wodurch Schmerzen und Muskelschwäche zunehmen.
    • Anhaltende und zunehmende Kompression führen zu Funktionsverlust der distalen Nervensegmente, da diese Segmente durch die kontinuierliche Kompression degenerieren.

ICPC-2

  • N81 Verletzung Nervensystem, andere
  • N94 Periphere Neuritis/Neuropathie

ICD-10

  • G56 Mononeuropathie der oberen Extremität
    • G56.8 Sonstige Mononeuropathien der oberen Extremität

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Die klinische Diagnose wird bei reduzierter Kraft im M. deltoideus und einem Taubheitsgefühl im lateralen Schulterbereich gestellt. Es resultiert eine abgeschwächte Armelevation und Außenrotation.
  • Die Diagnose wird durch eine MRT und/oder elektrophysiologische Untersuchungen bestätigt.

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Die typischen Symptome sind Kraftverlust und Ermüdung im Arm in Verbindung mit Tätigkeiten, die über dem Kopf ausgeführt werden.
    • Der Schwächegrad variiert, die Paresen sind nur selten vollständig, da andere Muskelgruppen an der Schulterabduktion und der Außenrotation des Arms beteiligt sind.
  • Die Patienten können ein Kribbeln und Taubheitsgefühl im seitlichen und hinteren Teil des Oberarms spüren.

Klinische Untersuchung

  • Die Untersuchungen zeigen eine abgeschwächte Abduktion (M. deltoideus) und eine abgeschwächte Außenrotation des Armes (M. teres minor).
  • In einem kleinen Hautareal über dem lateralen Teil der Schulter kann es zu Taubheitsgefühl kommen.
  • Im Laufe der Zeit entwickelt sich eine sichtbare Atrophie des M. deltoideus.

Ergänzende Untersuchungen

  • Bei Unklarheiten in Bezug auf die Diagnose oder bei einem auffällig langsamen Heilungsprozess kann eine MRT sinnvoll sein.7
  • Elektrophysiologische Tests können ebenfalls indiziert sein, jedoch erst nach mindestens 3 Wochen. Die Untersuchung kann dazu dienen, zwischen einem isolierten Nervenschaden und einem Plexusschaden zu unterscheiden.

Indikationen zur Überweisung

  • Bei unklarer Diagnose und ausbleibendem Therapieerfolg

Therapie

Therapieziel

  • Abhängig von der Ursache der Schädigung
  • Bei Kompressionsschäden steht die Entlastung im Vordergrund.

Allgemeines zur Therapie

  • Abhängig von Ursache und Ausmaß der Schädigung klingen die Symptome bei den meisten Patienten ohne Behandlung ab, der Heilungsprozess kann jedoch mehrere Monate dauern.8
  • Die Therapie hängt vom Verletzungsmechanismus, dem Schweregrad, dem Alter der Patienten und dem muskulären Trainingszustand vor der Verletzung ab.
  • Evtl. ist es erforderlich, die Schulter kurzzeitig in Abduktionsstellung zu immobilisieren.
  • Bei anhaltenden Beschwerden oder bei Verschlimmerung kann eine Operation erforderlich sein.
  • Physio- und Bewegungstherapie sind für die Aufrechterhaltung der Beweglichkeit und zur Stärkung der Umgebungsmuskulatur wichtig.
  • Eine allgemeine Schmerztherapie mit NSAR ist möglich.
  • Zur Behandlung von im Verlauf auftretenden neuropathischen Schmerzen werden verschiedene systemisch verabreichte Substanzgruppen mit unterschiedlichen pharmakologischen Wirkprinzipien eingesetzt, wie Antidepressiva, Antikonvulsiva und Opioide.9

Medikamentöse Therapie

  • Beim akuten Symptombild können Antiphlogistika bzw. NSAR indiziert sein. Sie reduzieren Schwellungen und Druck im Bereich des Nerven.
  • Bei starken Schmerzen kann der Einsatz von Carbamazepin, Gabapentin oder Amitriptylin erwogen werden.
  • Zur Behandlung von im Verlauf auftretenden neuropathischen Schmerzen werden verschiedene systemisch verabreichte Substanzgruppen mit unterschiedlichen pharmakologischen Wirkprinzipien eingesetzt, wie Antidepressiva, Antikonvulsiva und Opioide.9

Operative Therapie

  • Evtl. wird ein operativer Eingriff erforderlich, um eine Kompression des Nerven aufzuheben bzw. zu lösen (Neurolyse).10
  • Der Therapieerfolg ist am größten, wenn die Operation innerhalb von 3–6 Monaten ausgeführt werden kann.8

Weitere Therapien

  • Physiotherapie kann dazu beitragen, die Muskelkraft aufrechtzuerhalten.
    • Aufrechterhaltung der aktiven und passiven Beweglichkeit der Schulter
    • Stärkung der Rotatorenmanschette, des M. deltoideus und der periskapulären Muskulatur
  • Evtl. ist eine berufliche Veränderung notwendig.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Komplikationen

  • Schulterlähmung

Prognose

  • Die Prognose ist abhängig vom Typ der Verletzung.
  • Bei indirekten Druckverletzungen ist die Prognose gut, diese heilen meist spontan aus.
  • Substanzielle Nervenverletzungen heilen in der Regel mit einem funktionellen Defekt (Ausnahme: kindliches Alter). Die Qualität und der Zeitpunkt der Primärversorgung haben (neben patientenbezogenen Faktoren) Einfluss auf das Behandlungsergebnis.1
  • Direkte Schädigungen des Nerven führen häufig zu permanenten Schäden und zu persistierender Lähmung.
  • Eine vollständige Restitution ist möglich, falls die Ursache der Läsion festgestellt und therapiert werden kann.
  • Bei inkompletten Nervenschäden vergehen bis zur vollständigen Restitution ca. 3–4 Monate.

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Illustrationen

Plexus brachialis
Plexus brachialis

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Handchirurgie (DGH), Deutsche Gesellschaft für Neurochirugie (DGNC), Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) u.a. Nervenverletzungen, Versorgung peripherer.... AWMF Leitlinie 005-010. S3, Stand 2013. www.awmf.org
  • Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN). Chronische neuropathische Schmerzen, Pharmakologische nicht interventionelle Therapie. AWMF Leitlinie 030-114. S1, Stand 2012. www.awmf.org

Literatur

  1. Deutsche Gesellschaft für Handchirurgie (DGH), Deutsche Gesellschaft für Neurochirugie (DGNC), Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) u.a. Nervenverletzungen, Versorgung peripherer.... AWMF Leitlinie 005-010. S3. Stand 2013. www.awmf.org
  2. Habermeyer P, Ebert T, Kessler M. Traumatische Erstluxation der Schulter: Stufenkonzept der Erstversorgung. Deutsches Ärzteblatt 2000; 97(10): A-620. www.aerzteblatt.de
  3. Antoniadis G, Kretschmer T, Pedro MT, König RW, Heinen C, Richter HP. Iatrogene Nervenläsionen. Deutsches Ärzteblatt 2014; 111(16): 273-9. www.aerzteblatt.de
  4. Goslin KL, Krivickas LS. Proximal neuropathies of the upper extremity. Neurol Clin 1999; 17: 525. PubMed
  5. Neal SL, Fields KB. Peripheral nerve entrapment and injury in the upper extremity. Am Fam Physician 2010; 81: 147-55. www.ncbi.nlm.nih.gov
  6. Orphanet. Das Portal für seltene Erkrankungen und Orphan drugs. Neuralgische Amyotrophie. 2013. www.orpha.net
  7. Stoller DW. Magnetic Resonance Imaging in Orthopaedics and Sports Medicine. 3rd ed. Philadelphia, Pa.: Lippincott Williams & Wilkins, 2007:
  8. Steinmann SP, Moran EA. Axillary nerve injury: diagnosis and treatment. J Am Acad Orthop Surg 2001; 9: 328-35. PubMed
  9. Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN). Chronische neuropathische Schmerzen, Pharmakologische nicht interventionelle Therapie. AWMF Leitlinie 030-114. S1. Stand 2012. www.awmf.org
  10. Christopher M., Grossman, MG, Hochwald N, Tornetta P. Radial and axillary nerves: anatomic considerations for humeral fixation. Clinical Orthopaedics & Related Research 2000; 373: 259-64.

Autoren

  • Caroline Beier, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, Hamburg
  • Terje Johannessen, professor i allmennmedisin, Institutt for samfunnsmedisinske fag, Norges teknisk-naturvitenskapelige universitet, Trondheim
  • Erik Stålberg, professor emeritus och läkare, Institutionen för neurovetenskap, avd för klinisk neurofysiologi, Uppsala universitet (Medibas)

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