Harnröhrenausfluss/Urethritis bei Männern

Allgemeine Informationen

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet, beruht der gesamte Artikel auf diesen Referenzen.1-6

Definition

  • Urethrorrhö: sichtbarer oder mikroskopisch bestätigter Ausfluss aus der Harnröhre
  • Oft gleichzeitig mit Brennen beim Wasserlassen, Juckreiz und unangenehmem Gefühl in der Harnröhre
  • In den meisten Fällen handelt es sich um eine Urethritis im Rahmen einer sexuell übertragbaren Krankheit.

Häufigkeit

  • Keine verlässlichen Daten zur Prävalenz von Urethritis und Ausfluss insgesamt
  • Geschätzte Prävalenz der Infektion mit den beiden häufigsten Urethritiserregern bei Männern in Deutschland, bei vermutlich hoher Dunkelziffer:

Diagnostische Überlegungen

  • In 40–60 % der Fälle kann keine Ursache identifiziert werden.
    • Es können bakterielle Infektionen oder Virusinfektionen sein, die sich nicht nachweisen lassen – es wird angenommen, dass die meisten Fälle von Urethritis auf eine Infektion zurückzuführen sind.
    • Eine immunologisch bedingte Urethritis ist ebenfalls möglich.
  • Infektiöse Urethritis 
    • häufigste Erreger in verschiedenen Studien
    • seltenere Erreger (< 1 % aller infektiösen Urethritiden) 
      • Neisseria gonorrhoeae
      • Neisseria meningitidis
      • Haemophilus-Arten
      • anaerobe Bakterien oder Viren
      • fragliche Bedeutung von EBV

ICPC-2

  • Y03 Harnröhrenausfluss
  • U72 Urethritis

ICD-10

  • R36 Ausfluss aus der Harnröhre8

Differenzialdiagnosen

Häufige Urethritisursachen

Genitale Chlamydieninfektion

  • Sexuell übertragene Infektion durch Chlamydia trachomatis, verantwortlich für 11–50 % aller Fälle von Urethritis bei Männern
  • 5–10 Tage Inkubationszeit
  • Bei 1/3 der Infizierten treten keine subjektiven Symptome auf, ansonsten:
  • Diagnose durch Nachweis von Chlamydia trachomatis (Kultur oder PCR) im Urethrasekret

Mykoplasmen-Urethritis

  • Sexuell übertragbare Infektion, macht 6–50 % der Fälle infektiöser Urethritis aus.
  • Brennen und Ausfluss sind typische Symptome.
  • Verdacht vor allem bei negativem Chlamydien-Test
  • Nachweis durch PCR im Urethralsekret (Versand über ein Chlamydien-Transportmedium) oder Urin
    • Der Test ist nicht in allen Laboren verfügbar.

Ureaplasma urolyticum

  • Nur bei einem Teil der mit Ureaplasma urolyticum infizierten Männer tritt eine Urethritis auf. Die Infektion kann auch gänzlich symptomlos verlaufen.
    • Mehr als 1.000 Erreger/ml Erststrahlurin sprechen für eine Uroplasmen-bedingte Urethritis.

Herpes-simplex-Urethritis bei Herpes genitalis

  • Das Herpes-simplex-Virus kann Verursacher einer rezidivierenden, oft stark symptomgebenden Urethritis sein.
  • Evtl. mit Konjunktivitis

Adenoviren-Urethritis

Trichomonas-vaginalis-Urethritis

  • Ansteckung beim Sex mit einer infizierten Frau
  • Bei Männern meist asymptomatisch
  • Evtl. Dysurie oder Brennen bei der Ejakulation
  • Siehe auch Artikel Trichomonadenkolpitis.

Seltenere Urethritisursachen

Andere Infektionen

  • Gonorrhö
    • Die Symptome treten 2–7 Tage nach der Infektion auf.
    • Urethritiden verursachen in der Regel starkes Brennen beim Wasserlassen und gelben, mukopurulenten Ausfluss.
    • Bakteriämie verursacht Fieber mit Schmerzen und Schwellungen in großen Gelenken.
    • Die Diagnose wird durch Kultivierung bestätigt.
  • Neisseria meningitidis
  • Haemophilus-Arten
  • Candida-Arten
  • Anaerobe Bakterien oder Viren

Nichtinfektiös

Weitere Differenzialdiagnosen

Prostatitis, chronische

  • Häufige Erkrankung mit variabler Symptomatik
  • Typische Symptome können Schmerzen oder Beschwerden im Perineum, Probleme beim Wasserlassen, Ausfluss und Hämatospermie sein.
  • Die klinische Untersuchung fällt sehr oft normal aus, aber die Prostata kann palpationsempfindlich und diffus vergrößert sein.
  • Differenzialdiagnose oder Begleiterkrankung chronisches Beckenschmerzsyndrom
    • kein Ausfluss
    • Schmerz mit anorektaler und genitaler Betonung, evtl. gesamter Beckenbereich
    • Die Symptome sollten innerhalb der letzten 6 Monate für mindestens 3 Monate bestanden haben.
    • gehäuft mit Depression und psychosozialen Symptomen assoziiert
    • Ätiologie ist kontrovers. Diskutiert werden u. a.:
      • somatoforme Störung9
      • Entzündung: Es ist unklar, welche Rolle sie beim chronischen Beckenschmerzsyndrom spielt und wie die Grenzlinien zur chronischen Prostatitis und interstitiellen Zystitis verlaufen.
      • immunologische Dysfunktionen

Harnröhrenkarzinom

  • Selten
  • Medianes Alter: 70 Jahre
  • Positive Raucheranamnese bei der Hälfte der betroffenen Männer
  • Eine schmerzfreie, intermittierende oder kontinuierliche makroskopische Hämaturie ist das Hauptsymptom.

Harnwegsinfekt

  • Harndrang und Miktionsfrequenz erhöht

Anamnese

Erscheinungsbild des Ausflusses

  • Gonorrhö ist gekennzeichnet durch reichlichen, purulenten Ausfluss, der plötzlich auftritt.
  • Schleimiger und spärlicher Ausfluss, der über einen Zeitraum von mehreren Wochen entsteht, deutet auf eine nichtgonorrhöartige Urethritis, z. B. durch Chlamydien oder Mykoplasmen, hin.
  • Blutiger Ausfluss tritt bei Prostatitis und Harnröhrenkrebs auf.

Symptome anderer Organe

Infektionsquelle

  • Sexuelle Kontakte?

Klinische Untersuchung, ggf. bei Spezialist*in

  • Anzeichen für Reiter-Syndrom (siehe Artikel Reaktive Arthritiden)?
  • Vergrößerte Lymphknoten in der Leiste?
  • Palpation des Skrotums: Anzeichen für Epididymitis oder Orchitis?
  • Die Harnröhrenöffnung wird auf Kondylome und Herpes-Effloreszensen untersucht.
  • Probenentnahme 
    • Ausfluss
    • Urethrasekret
    • Urethraabstrich
  • Mikroskopie (sofern vorhanden)
    • zur Untersuchung auf Leukozyten und Bakterien 
  • PCR auf
    • Chlamydien
    • Mykoplasmen
    • evtl. Herpesviren (besonders bei rezidivierender Urethritis und bei ungewöhnlich starkem Brennen)
  • Kultivierung (Gonorrhö)
  • Erststrahlurin
    • Urinteststreifen: positive Leukozytenesterase deutet auf eine Urethritis.
    • mikrokopische Untersuchung im High-Power-Field (s. o.)

Leitlinie: Diagnostik der nicht gonokokkenbedingten Urethritis1

  • Bei sichtbarem Ausfluss oder anderen Harnröhrensymptomen sollte eine Urethritis-Abklärung erfolgen (IV, C).
  • Die Diagnose Urethritis sollte anhand des Nachweises polymorphkerniger Leukozyten im Urethralsekret mikroskopisch gesichert werden.
  • Die Qualität des Probenmaterials hängt stark von der Art der Probengewinnung ab.
  • Für den Urethraabstrich wird ein 5-mm-Plastiklöffel oder Wattestäbchen etwa einen Zentimeter tief in die Urethra eingeführt (1b).
    • Auch andere Instrumente wie stumpfe Kürette oder Spatel können verwendet werden (C).
  • Vorhandener Ausfluss kann aufgefangen werden, ohne das Intrument in die Harnröhrenöffnung einzuführen (IV, C).
  • Eine Erststrahlurin-Probe kann auf Erreger untersucht werden.

Vorgehen bei Patienten mit negativem Abstrich, bei denen die Symptome persistieren1

  • Ein Behandlungsversuch ohne Urethritis-Nachweis ist nicht zu empfehlen, weil man damit eine Verschleppung der Beschwerden riskiert (IV).
    • Entscheidet man sich in begründeten Ausnahmefällen dennoch dafür, sollten die Sexualpartner*innen mitbehandelt werden.

Ergänzende Untersuchungen

  • Patienten mit nachgewiesener Urethritis sollten auch auf HIV und Syphilis getestet werden.

Maßnahmen und Empfehlungen

Indikation zur Überweisung

  • Bei diagnostischer Unsicherheit oder fehlendem Ansprechen auf die Therapie Überweisung an Urologie oder Venerologie.

Hinweise zur Therapie

  • Eine Diagnostik und ggf. Therapie der Sexualpartner*innen der letzten 60 Tage sollte durchgeführt werden.
  • Die sexuelle Abstinenz sollte bis 7 Tage nach Therapieende eingehalten werden.3
  • Konnte ein Erregernachweis geführt werden, orientiert sich das weitere Vorgehen primär am jeweiligen Erreger (siehe die entsprechenden Artikel).

Leitlinie: Therapie der infektiösen, nicht gonokokkenbedingten Urethritis1,5

  • Männer mit schweren Symptomen sollten behandelt werden, sobald die Diagnose gestellt wird und ohne die Testergebnisse zu Chlamydien, Gonorrhö oder Mycoplasma genitalium abzuwarten.
  • Erste Wahl bei bakterieller, nicht-gonorrhoischer Urethritis
    • Doxycyclin 2 x 100 mg über 7 Tage
  • In zweiter Linie
    • Azithromycin 1 x 500 mg Tag 1 und 1 x 250 mg Tag 2–5
  • Mycoplasma genitalium
    • makrolidsensitiv
      • Azithromycin 1 x 500 mg Tag 1 und 1 x 250 mg Tag 2–5 – oder –
      • Azithromycin 1.500–2.000 mg einmalig
    • makrolidresistent
      • Moxifloxacin* 1 x 400 mg über 7–10 Tage – oder –
      • Pristinamycin 4 x 1.000 mg über 10 Tage
  • Bei bakterieller, nicht-gonorrhoischer, nicht-chlamydienbedingter Urethritis
    • Wenn primär mit Doxycyclin behandelt:
      • Azithromycin 1 x 500 mg Tag 1 und 1 x 250 mg Tag 2–5 – oder –
      • Azithromycin 1.500–2.000 mg einmalig
    • Wenn primär mit Azithromycin behandelt:
      • Doxycyclin 2 x 100 mg 7–10 Tage

* Wegen zwar seltener aber potenziell schwerer Nebenwirkungen sollte Moxifloxacin mit Bedacht eingesetzt werden und für Fälle reserviert bleiben, bei denen ein makrolidresistenter Mycoplasma-genitalium-Stamm als Ursache des Therapieversagens vermutet wird.

Für Fluorchinolone wurden von der Europäischen Arzneimittel-Agentur Anwendungsbeschränkungen empfohlen: Besondere Vorsicht bei Älteren und bei Patient*innen mit Nierenfunktionseinschränkung. Keine Kombination mit Kortikosteroiden. Nicht empfohlen als Mittel der 1. Wahl zur Behandlung leichter und mittelschwerer Infektionen.10

Verlaufskontrolle

  • Entzündung und Beschwerden können trotz erfolgreicher Erradikation des Erregers längere Zeit persistieren.
  • Patienten, bei denen Symptome persistieren, wenn auch mild, sollten nach 3 Wochen erneut untersucht werden. Wenn eine persistierende Urethritis bestätigt wird, ist diese erneut adäquat zu behandeln (s. o.) und die Möglichkeit einer Reinfektion abzuklären (IV, C).
  • Patienten, die wegen einer Mycoplasma-genitalium-Infektion behandelt werden, sollten nach 3–4 Wochen erneut auf M. genitalium getestet werden.
  • Bei unkomplizierter Chlamydien-Urethritis wird eine routinemäßige Wiederholung des Erregertests nicht empfohlen.

Therapieversagen

  • 10–20 % der Fälle
  • Mögliche Ursachen
    • unzureichende Therapietreue
    • Reinfektion
    • Viren
    • resistente Bakterien
  • Weiterbehandlung nach initialem Chlamydiennachweis: Siehe Artikel Genitale Chlamydieninfektion bei Männern.
  • Weitere Tests bei Persistenz oder Reinfektion
    • Nukleinsäure-Amplifikationstests (NAAT) für Mycoplasma genitalium
    • Einschl. Makrolidresistenz-Test, falls dieser nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt durchgeführt wurde.
    • evtl. Test auf Trichomonas vaginalis mittels NAAT aus dem Erststrahlurin und/oder Urethralabstrich
    • Da keine Meldepflicht besteht, liegen aktuelle epidemiologische Daten zur Verbreitung in Deutschland nicht vor.
    • bei positivem Test Behandlung mit Metronidazol
      • Partner*innen mitbehandeln.
    • Weitere Informationen siehe Artikel Trichomonadenkolpitis.

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche STI-Gesellschaft (DSTIG). Sexuell übertragbare Infektionen (STI) – Beratung, Diagnostik und Therapie. AWMF-Leitlinie Nr. 059-006. S2k, Stand 2018. www.awmf.de

Literatur

  1. International Union against Sexually Transmitted Infections (IUSTI): 2016 European guideline on the management of non-gonococcal urethritis. PMID: 27147267 PubMed
  2. Centers for Disease Control and Prevention: 2021 Sexually Transmitted Diseases Treatment Guidelines. www.cdc.gov
  3. Wagenlehner FME, Brockmeyer NH; Discher T et al. Klinik, Diagnostik und Therapie sexuell übertragbarer Infektionen. Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 11-22 www.aerzteblatt.de
  4. Deutsche STI-Gesellschaft. Leitfaden STI-Therapie und -Prävention. Hinweise zur Therapie ausgewählter sexuell übertragbarer Infektionen (STI) der Deutschen STI-Gesellschaft zur Förderung der sexuellen Gesundheit. Stand 2020. dstig.de
  5. Deutsche STI-Gesellschaft (DSTIG). Sexuell übertragbare Infektionen (STI) – Beratung, Diagnostik und Therapie. AWMF-Leitlinie Nr. 059-006, Klasse S2k Stand 2018. www.awmf.org
  6. Morris S. Urethritis. BMJ Best Practice. Last reviewed: 16 Jan 2022, last updated: 30 Nov 2021. bestpractice.bmj.com
  7. Abteilung für Infektionsepidemiologie Robert Koch-Institut. Begleitevaluation zum Chlamydien Screening in Deutschland - Endbericht Chlamydia trachomatis. Stand September 2013. www.rki.de
  8. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI): ICD-10-GM Version 2022. Stand 17.09.2021; letzter Zugriff 16.02.2022. www.dimdi.de
  9. Hohenfellner U: Chronischer Beckenschmerz in der Urologie. In: Berberich HJ, Siedentopf U (Hrsg.): Psychosomatische Urologie und Gynäkologie. München, Basel: Ernst Reinhardt 2016; 41-48.
  10. BfArM: Fluorchinolone: Einschränkungen in der Anwendung aufgrund von möglicherweise dauerhaften und die Lebensqualität beeinträchtigenden Nebenwirkungen 16.11.18. www.bfarm.de

Autor*innen

  • Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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