Allgemeine Informationen
- Sofern nicht anders gekennzeichnet, beruht der gesamte Artikel auf diesen Referenzen.1-6
Definition
- Urethrorrhö: sichtbarer oder mikroskopisch bestätigter Ausfluss aus der Harnröhre
- Oft gleichzeitig mit Brennen beim Wasserlassen, Juckreiz und unangenehmem Gefühl in der Harnröhre
- In den meisten Fällen handelt es sich um eine Urethritis im Rahmen einer sexuell übertragbaren Krankheit.
Häufigkeit
- Keine verlässlichen Daten zur Prävalenz von Urethritis und Ausfluss insgesamt
- Geschätzte Prävalenz der Infektion mit den beiden häufigsten Urethritiserregern bei Männern in Deutschland, bei vermutlich hoher Dunkelziffer:
- Chlamydia trachomatis bis zu 1/1.0007
- Mycoplasma genitalium ca. 1 %.
Diagnostische Überlegungen
- In 40–60 % der Fälle kann keine Ursache identifiziert werden.
- Es können bakterielle Infektionen oder Virusinfektionen sein, die sich nicht nachweisen lassen – es wird angenommen, dass die meisten Fälle von Urethritis auf eine Infektion zurückzuführen sind.
- Eine immunologisch bedingte Urethritis ist ebenfalls möglich.
- Infektiöse Urethritis
- häufigste Erreger in verschiedenen Studien
- Chlamydia trachomatis: 11–50 %
- Mycoplasma genitalium: 6–50 %
- Ureaplasma urolyticum: 5–26 %
- Trichomonas vaginalis: 1–20 %
- Adenoviren: 2–4 %
- Herpes genitalis: 2–3 %
- seltenere Erreger (< 1 % aller infektiösen Urethritiden)
- Neisseria gonorrhoeae
- Neisseria meningitidis
- Haemophilus-Arten
- anaerobe Bakterien oder Viren
- fragliche Bedeutung von EBV
- häufigste Erreger in verschiedenen Studien
ICPC-2
- Y03 Harnröhrenausfluss
- U72 Urethritis
ICD-10
- R36 Ausfluss aus der Harnröhre8
Differenzialdiagnosen
Häufige Urethritisursachen
Genitale Chlamydieninfektion
- Sexuell übertragene Infektion durch Chlamydia trachomatis, verantwortlich für 11–50 % aller Fälle von Urethritis bei Männern
- 5–10 Tage Inkubationszeit
- Bei 1/3 der Infizierten treten keine subjektiven Symptome auf, ansonsten:
- Juckreiz
- leichte Dysurie
- leichter Ausfluss, oft mukoid und farblos
- evtl. Epididymitis oder Prostatitis.
- Diagnose durch Nachweis von Chlamydia trachomatis (Kultur oder PCR) im Urethrasekret
Mykoplasmen-Urethritis
- Sexuell übertragbare Infektion, macht 6–50 % der Fälle infektiöser Urethritis aus.
- Brennen und Ausfluss sind typische Symptome.
- Verdacht vor allem bei negativem Chlamydien-Test
- Nachweis durch PCR im Urethralsekret (Versand über ein Chlamydien-Transportmedium) oder Urin
- Der Test ist nicht in allen Laboren verfügbar.
Ureaplasma urolyticum
- Nur bei einem Teil der mit Ureaplasma urolyticum infizierten Männer tritt eine Urethritis auf. Die Infektion kann auch gänzlich symptomlos verlaufen.
- Mehr als 1.000 Erreger/ml Erststrahlurin sprechen für eine Uroplasmen-bedingte Urethritis.
Herpes-simplex-Urethritis bei Herpes genitalis
- Das Herpes-simplex-Virus kann Verursacher einer rezidivierenden, oft stark symptomgebenden Urethritis sein.
- Evtl. mit Konjunktivitis
Adenoviren-Urethritis
- Evtl. mit Konjunktivitis
Trichomonas-vaginalis-Urethritis
- Ansteckung beim Sex mit einer infizierten Frau
- Bei Männern meist asymptomatisch
- Evtl. Dysurie oder Brennen bei der Ejakulation
- Siehe auch Artikel Trichomonadenkolpitis.
Seltenere Urethritisursachen
Andere Infektionen
- Gonorrhö
- Die Symptome treten 2–7 Tage nach der Infektion auf.
- Urethritiden verursachen in der Regel starkes Brennen beim Wasserlassen und gelben, mukopurulenten Ausfluss.
- Bakteriämie verursacht Fieber mit Schmerzen und Schwellungen in großen Gelenken.
- Die Diagnose wird durch Kultivierung bestätigt.
- Neisseria meningitidis
- Haemophilus-Arten
- Candida-Arten
- Anaerobe Bakterien oder Viren
Nichtinfektiös
- Harnröhrenstriktur
- Fremdkörper
- Trauma
- Iatrogen, z. B. nach Urethrozystoskopie
- Chemische Irritation, z. B. Spermizide
- Steinabgang bei Urolithiasis
- Reaktive Arthritis (Reiter-Syndrom)
Weitere Differenzialdiagnosen
Prostatitis, chronische
- Häufige Erkrankung mit variabler Symptomatik
- Typische Symptome können Schmerzen oder Beschwerden im Perineum, Probleme beim Wasserlassen, Ausfluss und Hämatospermie sein.
- Die klinische Untersuchung fällt sehr oft normal aus, aber die Prostata kann palpationsempfindlich und diffus vergrößert sein.
- Differenzialdiagnose oder Begleiterkrankung chronisches Beckenschmerzsyndrom
- kein Ausfluss
- Schmerz mit anorektaler und genitaler Betonung, evtl. gesamter Beckenbereich
- Die Symptome sollten innerhalb der letzten 6 Monate für mindestens 3 Monate bestanden haben.
- gehäuft mit Depression und psychosozialen Symptomen assoziiert
- Ätiologie ist kontrovers. Diskutiert werden u. a.:
- somatoforme Störung9
- Entzündung: Es ist unklar, welche Rolle sie beim chronischen Beckenschmerzsyndrom spielt und wie die Grenzlinien zur chronischen Prostatitis und interstitiellen Zystitis verlaufen.
- immunologische Dysfunktionen
Harnröhrenkarzinom
- Selten
- Medianes Alter: 70 Jahre
- Positive Raucheranamnese bei der Hälfte der betroffenen Männer
- Eine schmerzfreie, intermittierende oder kontinuierliche makroskopische Hämaturie ist das Hauptsymptom.
Harnwegsinfekt
- Harndrang und Miktionsfrequenz erhöht
Anamnese
Erscheinungsbild des Ausflusses
- Gonorrhö ist gekennzeichnet durch reichlichen, purulenten Ausfluss, der plötzlich auftritt.
- Schleimiger und spärlicher Ausfluss, der über einen Zeitraum von mehreren Wochen entsteht, deutet auf eine nichtgonorrhöartige Urethritis, z. B. durch Chlamydien oder Mykoplasmen, hin.
- Blutiger Ausfluss tritt bei Prostatitis und Harnröhrenkrebs auf.
Symptome anderer Organe
- Polyarthritis, Konjunktivitis, Dermatitis?
- z. B. Reiter-Syndrom, bei genetisch prädisponierten Patienten
- Infektionen, z. B. mit Chlamydien, sind mögliche Auslöser.
- Näheres im Artikel Reaktive Arthritiden
- z. B. Reiter-Syndrom, bei genetisch prädisponierten Patienten
Infektionsquelle
- Sexuelle Kontakte?
Klinische Untersuchung, ggf. bei Spezialist*in
- Anzeichen für Reiter-Syndrom (siehe Artikel Reaktive Arthritiden)?
- Vergrößerte Lymphknoten in der Leiste?
- Palpation des Skrotums: Anzeichen für Epididymitis oder Orchitis?
- Die Harnröhrenöffnung wird auf Kondylome und Herpes-Effloreszensen untersucht.
- Probenentnahme
- Ausfluss
- Urethrasekret
- Urethraabstrich
- Mikroskopie (sofern vorhanden)
- zur Untersuchung auf Leukozyten und Bakterien
- PCR auf
- Chlamydien
- Mykoplasmen
- evtl. Herpesviren (besonders bei rezidivierender Urethritis und bei ungewöhnlich starkem Brennen)
- Kultivierung (Gonorrhö)
- Erststrahlurin
- Urinteststreifen: positive Leukozytenesterase deutet auf eine Urethritis.
- mikrokopische Untersuchung im High-Power-Field (s. o.)
Leitlinie: Diagnostik der nicht gonokokkenbedingten Urethritis1
- Bei sichtbarem Ausfluss oder anderen Harnröhrensymptomen sollte eine Urethritis-Abklärung erfolgen (IV, C).
- Die Diagnose Urethritis sollte anhand des Nachweises polymorphkerniger Leukozyten im Urethralsekret mikroskopisch gesichert werden.
- Die Qualität des Probenmaterials hängt stark von der Art der Probengewinnung ab.
-
Für den Urethraabstrich wird ein 5-mm-Plastiklöffel oder Wattestäbchen etwa einen Zentimeter tief in die Urethra eingeführt (1b).
- Auch andere Instrumente wie stumpfe Kürette oder Spatel können verwendet werden (C).
- Vorhandener Ausfluss kann aufgefangen werden, ohne das Intrument in die Harnröhrenöffnung einzuführen (IV, C).
- Eine Erststrahlurin-Probe kann auf Erreger untersucht werden.
Vorgehen bei Patienten mit negativem Abstrich, bei denen die Symptome persistieren1
- Ein Behandlungsversuch ohne Urethritis-Nachweis ist nicht zu empfehlen, weil man damit eine Verschleppung der Beschwerden riskiert (IV).
- Entscheidet man sich in begründeten Ausnahmefällen dennoch dafür, sollten die Sexualpartner*innen mitbehandelt werden.
Ergänzende Untersuchungen
Maßnahmen und Empfehlungen
Indikation zur Überweisung
- Bei diagnostischer Unsicherheit oder fehlendem Ansprechen auf die Therapie Überweisung an Urologie oder Venerologie.
Hinweise zur Therapie
- Eine Diagnostik und ggf. Therapie der Sexualpartner*innen der letzten 60 Tage sollte durchgeführt werden.
- Die sexuelle Abstinenz sollte bis 7 Tage nach Therapieende eingehalten werden.3
- Konnte ein Erregernachweis geführt werden, orientiert sich das weitere Vorgehen primär am jeweiligen Erreger (siehe die entsprechenden Artikel).
Leitlinie: Therapie der infektiösen, nicht gonokokkenbedingten Urethritis1,5
- Männer mit schweren Symptomen sollten behandelt werden, sobald die Diagnose gestellt wird und ohne die Testergebnisse zu Chlamydien, Gonorrhö oder Mycoplasma genitalium abzuwarten.
- Erste Wahl bei bakterieller, nicht-gonorrhoischer Urethritis
- Doxycyclin 2 x 100 mg über 7 Tage
- In zweiter Linie
- Azithromycin 1 x 500 mg Tag 1 und 1 x 250 mg Tag 2–5
- Mycoplasma genitalium
- makrolidsensitiv
- Azithromycin 1 x 500 mg Tag 1 und 1 x 250 mg Tag 2–5 – oder –
- Azithromycin 1.500–2.000 mg einmalig
- makrolidresistent
- Moxifloxacin* 1 x 400 mg über 7–10 Tage – oder –
- Pristinamycin 4 x 1.000 mg über 10 Tage
- makrolidsensitiv
- Bei bakterieller, nicht-gonorrhoischer, nicht-chlamydienbedingter Urethritis
- Wenn primär mit Doxycyclin behandelt:
- Azithromycin 1 x 500 mg Tag 1 und 1 x 250 mg Tag 2–5 – oder –
- Azithromycin 1.500–2.000 mg einmalig
- Wenn primär mit Azithromycin behandelt:
- Doxycyclin 2 x 100 mg 7–10 Tage
- Wenn primär mit Doxycyclin behandelt:
* Wegen zwar seltener aber potenziell schwerer Nebenwirkungen sollte Moxifloxacin mit Bedacht eingesetzt werden und für Fälle reserviert bleiben, bei denen ein makrolidresistenter Mycoplasma-genitalium-Stamm als Ursache des Therapieversagens vermutet wird.
Für Fluorchinolone wurden von der Europäischen Arzneimittel-Agentur Anwendungsbeschränkungen empfohlen: Besondere Vorsicht bei Älteren und bei Patient*innen mit Nierenfunktionseinschränkung. Keine Kombination mit Kortikosteroiden. Nicht empfohlen als Mittel der 1. Wahl zur Behandlung leichter und mittelschwerer Infektionen.10
Verlaufskontrolle
- Entzündung und Beschwerden können trotz erfolgreicher Erradikation des Erregers längere Zeit persistieren.
- Patienten, bei denen Symptome persistieren, wenn auch mild, sollten nach 3 Wochen erneut untersucht werden. Wenn eine persistierende Urethritis bestätigt wird, ist diese erneut adäquat zu behandeln (s. o.) und die Möglichkeit einer Reinfektion abzuklären (IV, C).
- Patienten, die wegen einer Mycoplasma-genitalium-Infektion behandelt werden, sollten nach 3–4 Wochen erneut auf M. genitalium getestet werden.
- Bei unkomplizierter Chlamydien-Urethritis wird eine routinemäßige Wiederholung des Erregertests nicht empfohlen.
Therapieversagen
- 10–20 % der Fälle
- Mögliche Ursachen
- unzureichende Therapietreue
- Reinfektion
- Viren
- resistente Bakterien
- Weiterbehandlung nach initialem Chlamydiennachweis: Siehe Artikel Genitale Chlamydieninfektion bei Männern.
- Weitere Tests bei Persistenz oder Reinfektion
- Nukleinsäure-Amplifikationstests (NAAT) für Mycoplasma genitalium
- Einschl. Makrolidresistenz-Test, falls dieser nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt durchgeführt wurde.
- evtl. Test auf Trichomonas vaginalis mittels NAAT aus dem Erststrahlurin und/oder Urethralabstrich
- Da keine Meldepflicht besteht, liegen aktuelle epidemiologische Daten zur Verbreitung in Deutschland nicht vor.
- bei positivem Test Behandlung mit Metronidazol
- Partner*innen mitbehandeln.
- Weitere Informationen siehe Artikel Trichomonadenkolpitis.
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Quellen
Leitlinien
- Deutsche STI-Gesellschaft (DSTIG). Sexuell übertragbare Infektionen (STI) – Beratung, Diagnostik und Therapie. AWMF-Leitlinie Nr. 059-006. S2k, Stand 2018. www.awmf.de
Literatur
- International Union against Sexually Transmitted Infections (IUSTI): 2016 European guideline on the management of non-gonococcal urethritis. PMID: 27147267 PubMed
- Centers for Disease Control and Prevention: 2021 Sexually Transmitted Diseases Treatment Guidelines. www.cdc.gov
- Wagenlehner FME, Brockmeyer NH; Discher T et al. Klinik, Diagnostik und Therapie sexuell übertragbarer Infektionen. Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 11-22 www.aerzteblatt.de
- Deutsche STI-Gesellschaft. Leitfaden STI-Therapie und -Prävention. Hinweise zur Therapie ausgewählter sexuell übertragbarer Infektionen (STI) der Deutschen STI-Gesellschaft zur Förderung der sexuellen Gesundheit. Stand 2020. dstig.de
- Deutsche STI-Gesellschaft (DSTIG). Sexuell übertragbare Infektionen (STI) – Beratung, Diagnostik und Therapie. AWMF-Leitlinie Nr. 059-006, Klasse S2k Stand 2018. www.awmf.org
- Morris S. Urethritis. BMJ Best Practice. Last reviewed: 16 Jan 2022, last updated: 30 Nov 2021. bestpractice.bmj.com
- Abteilung für Infektionsepidemiologie Robert Koch-Institut. Begleitevaluation zum Chlamydien Screening in Deutschland - Endbericht Chlamydia trachomatis. Stand September 2013. www.rki.de
- Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI): ICD-10-GM Version 2022. Stand 17.09.2021; letzter Zugriff 16.02.2022. www.dimdi.de
- Hohenfellner U: Chronischer Beckenschmerz in der Urologie. In: Berberich HJ, Siedentopf U (Hrsg.): Psychosomatische Urologie und Gynäkologie. München, Basel: Ernst Reinhardt 2016; 41-48.
- BfArM: Fluorchinolone: Einschränkungen in der Anwendung aufgrund von möglicherweise dauerhaften und die Lebensqualität beeinträchtigenden Nebenwirkungen 16.11.18. www.bfarm.de
Autor*innen
- Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).