Varikozele

Zusammenfassung

  • Definition:Krankhafte Erweiterung des Plexus pampiniformis im Skrotum durch Venenklappeninsuffizienz. Kann primär oder als Symptom einer anderen Erkrankung (z. B. bei extraperitoenalen Tumormassen) auftreten.
  • Häufigkeit:Betrifft ca. 15–20 % der ansonsten gesunden Männer, kann ab der Pubertät progredient zunehmen. Die Erkrankung betrifft ca. 35–40 % der infertilen Männer.
  • Symptome:Häufig asymptomatisch oder lediglich leichte Symptome wie Schweregefühl und Schmerzempfindlichkeit; selten starke Schmerzen.
  • Befunde:Erweiterte, geschlängelte Blutgefäße im kranialen Skrotumanteil, die im Liegen schmaler werden. Eine Varikozele tritt in 90 % der Fälle linksseitig auf; rein rechtsseitige Varikozele ist selten und Anlass für weitere Diagnostik.
  • Diagnostik:Die Diagnose wird klinisch durch Inspektion und Palpation in stehender und liegender Position gestellt. Einteilung in 3 Schweregrade (I–III).
  • Therapie:Als Behandlungsmethoden kommen Watchful Waiting, ggf. operative Therapie (Venenligatur) oder Sklerosierung der Varikozele infrage. Die Behandlung kann die Fertilität bei Paaren verbessern, bei denen keine andere Ursache für eine Infertilität gefunden werden kann.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der gesamte Abschnitt auf diesen Referenzen.1-2
  • Krampfadern im Skrotum infolge Dilatation der Vena spermatica interna und des Plexus pampiniformis entlang des Samenstrangs3
  • Einteilung gemäß WHO
    • Grad 0: noch nicht sichtbar und nicht palpabel
    • Grad 1: nur durch Valsalva-Manöver (Pressversuch) palpabel, nicht sichtbar
    • Grad 2: palpabel, aber bei aufrecht stehendem Patienten bei Raumtemperatur nicht sichtbar
    • Grad 3: bei aufrecht stehendem Patienten bei Raumtemperatur sichtbar
  • Die Erkrankung kann mit einer verminderten Hodenfunktion und Subfertilität kombiniert auftreten.4
    • Über 80 % aller Fälle von Varikozele bei Erwachsenen sind nicht mit Infertilität verbunden.

Häufigkeit

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der gesamte Abschnitt auf diesen Referenzen.1-2
  • Prävalenz
    • Eine Varikozele tritt bei ca. 15–20 % der erwachsenen Männer auf.5
  • Die Erkrankung nimmt meist in der Pubertät ihren Ursprung und steht in der Regel nicht mit anderen Krankheiten in Verbindung.
  • Die Prävalenz bei infertilen Männern liegt bei ca. 35–40 %.
  • In ca. 90 % der Fälle tritt die Varikozele linksseitig auf, die Prävalenz der beidseitigen Varikozele variiert zwischen ca. 30–80 %.
    • Isoliert rechtsseitig auftretende Varikozelen sind äußerst selten und sollten an das Vorliegen eines retroperitonealen Prozesses denken lassen.

Ätiologie und Pathogenese

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der gesamte Abschnitt auf diesen Referenzen.1-2
  • Nahezu ausschließlich linksseitiges Auftreten (> 90 %), da die Vena spermatica sinistra in ungefähr rechtem Winkel in die linke Nierenvene mündet, während die Vena spermatica dextra eher schräg und direkt in die Vena cava inferior mündet, wodurch hier der Abfluss erleichtert ist.
    • Die Venenklappen in der Vena spermatica sinistra sind häufig funktionell beeinträchtigt oder fehlen gänzlich.
      • Die Ursache hierfür ist unklar.
    • Die linke Vena spermatica ist ca. 8–10 cm länger als die rechte.
      • Der hydrostatische Druck ist links höher aufgrund der Länge und dem Einmündungswinkel des Gefäßes.
      • Die Bildung von Kollateralen trägt ebenfalls zum steigenden Druck bei.
  • Eine Varikozele kann sowohl bei fertilen als auch bei infertilen Männern zu Hodenatrophie sowie einer reduzierten Spermatogenese und Spermienqualität führen.6
  • Der genaue Mechanismus, der zu Subfertilität führt, ist noch nicht geklärt.3-4
    • Diskutiert werden ursächlich ein erhöhter venöser Rückfluss, der zu einem Druckanstieg führt sowie die Entwicklung von Stase begünstigt.
    • Eine testikuläre Hyperthermie infolge Venenstasen gilt als weitere wahrscheinliche Ursache.
      • Die Temperatur der menschlichen Hoden liegt physiologisch ca. 2,1 °C unter der Körperkerntemperatur.
      • Die Temperaturregulierung des Skrotums wird durch die dünne Skrotalhaut ohne subkutanes Fett sowie einen Gegenstromwärmeaustausch (Plexus pampiniformis) gewährleistet.
      • Dieser Regulationsmechanismus ist bei der Varikozele gestört.
    • Eine Varikozele ist in der Regel mit einer Hypoxie verbunden, wodurch Hodenfunktionsstörungen begünstigt werden können.7
    • Diskutiert werden leicht erniedrigte Testosteronspiegel als weitere mögliche Erklärung für Infertilität.8
      • Möglicherweise können im Rahmen einer Varikozelektomie hormonelle Dysfunktionen rückgängig gemacht werden.9

ICPC-2

  • K99 Herz-/Gefäßerkrankung, andere
    • Umfasst auch Krampfadern an anderen Stellen als an den unteren Extremitäten.

ICD-10

  • I86.- Varizen sonstiger Lokalisationen
  • I86.1 Skrotumvarizen
    • Inkl.: Varikozele

Diagnostik

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der gesamte Abschnitt auf diesen Referenzen.1-2

Diagnostische Kriterien

  • Primär klinische Diagnose
  • Bei rechtsseitiger Varikozele ggf. weiterführende Diagnostik (Krankheitsursache im Beckenbereich?)

Differenzialdiagnosen

  • Hydrocele funiculi
    • Flüssigkeit und nicht erweiterte Venen entlang des Samenstrangs
  • Inguinalhernie
  • Spermatozele
    • Zyste in Beziehung zum Caput epididymis
  • Eine schnell entstandene linksseitige Varikozele bei Kindern und Männern über 40 Jahren kann einem Nierentumor geschuldet sein.
    • ebenso eine rechtsseitige Varikozele

Anamnese

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der gesamte Abschnitt auf diesen Referenzen.1-2
  • Häufig asymptomatisch
  • Symptome können umfassen: Schweregefühl, Hautreizung, Juckreiz, selten Schmerzen.
  • Mögliche kosmetische Hautveränderungen können die Patienten belasten.
  • Varikozelen können mit Infertilität assoziiert sein.

Klinische Untersuchung

  • Inspektion und Palpation des Hodens sowohl am liegenden als auch am stehenden Patienten.
  • Typische klinische Befunde umfassen: erweiterte, palpable oder sichtbare Venen im Skrotum, kranial des Hodens; häufiger linksseitig als rechtsseitig.
  • Die Varikozele wird in Rückenlage kleiner.
    • Falls dies nicht der Fall ist, sollte weitere Diagnostik zur Feststellung der Ursache erwogen werden.
  • Bei Fehlen sicherer Palpationsbefunde kann ein Valsalva-Manöver im Stehen durchgeführt werden, um eine Füllung der Gefäße zu provozieren.
  • Eine rechtsseitige oder rasch entstandene Varikozele sollte an retroperitoneale Prozesse denken lassen und zu weiterer Diagnostik veranlassen.

Ergänzende Untersuchungen

  • In den meisten Fällen sind keine zusätzlichen Untersuchungen erforderlich.
  • Junge Männer mit Kinderwunsch sollten frühzeitig über die Möglichkeiten einer evtl. Spermaanalyse, Hormonanalysen und Behandlungsmöglichkeiten informiert werden (Kinderwunschsprechstunde, Androlog*in, Urolog*in).
    • Eine Spermaanalyse für infertile Männer mit Varikozele wird empfohlen.
  • Möglicherweise können erhöhte FSH-Werte bei gestörter Spermiogenese festgestellt werden.
  • Bei Unsicherheit bezüglich der Diagnose kann eine urologische Ultraschalluntersuchung mit Doppler-Flow-Messung sinnvoll sein.
    • skrotaler Ultraschall: mehr als 3 dilatierte Venen Grad I (> 2 mm Durchmesser), Grad 2 (> 3 mm), Grad 3 (> 3,3 mm) oder 1 mm Zunahme des Venendurchmessers bei Valsalva-Manöver
  • Eine retrograde spermatische Venografie ist invasiv und nicht Teil der Routinediagnostik.

Therapie

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der gesamte Abschnitt auf diesen Referenzen.1-2

Allgemeines zur Therapie

  • Bei fertilen Männern mit moderaten Beschwerden abwartendes Offenhalten
  • Grundlage aller Varikozelenbehandlungen ist das Schließen der venösen Drainage der Hoden via Vena spermatica interna bei gleichzeitiger Bewahrung der Funktion von Arteria spermatica interna, den vasalen Blutgefäßen und der Lymphdrainage entlang der Vasa deferentes.
    • Umfasst auch das Unterbinden von Kollateralen, um Rezidive zu verhindern.
  • Infertilität
    • Eine Behandlung ist bei unauffälligen Spermaproben nicht indiziert.
      • Ausnahme: Junge Männer mit klinisch palpabler Varikozele und objektivem Nachweis von Hodenatrophie sind Kandidaten für eine Behandlung.
    • Operation (Exzision oder Embolisation) der Varikozele kann bei jenen Männern zu erhöhter Fertilität in führen, bei denen keine Erklärung für die verminderte Fertilität vorliegt.4
    • Unter folgenden Bedingungen erscheint eine Therapie der Varikozele bei Infertilität eher sinnvoll:3
      • Die Varikozele ist bei einer klinischen Untersuchung des Skrotums palpabel.
      • Das Paar ist bekanntermaßen infertil.
      • Die Partnerin ist fertil oder bei ihr besteht eine Ursache für die Infertilität, die heilbar ist.
      • Beim männlichen Partner wird eine verminderte Spermienzahl oder Spermienfunktion festgestellt.
  • Hypogonadismus3
    • Es ist unklar, ob eine Varikozelektomie einen positiven Effekt auf ein niedriges Serumtestosteron hat.
    • Die mikrochirurgische Varikozelektomie kann eine Alternative zur medikamentösen Behandlung des Hypogonadismus darstellen und möglicherweise bei einigen Männern einen Androgenmangel verhindern.10
  • Schmerzen
    • Zunächst sollten evtl. Differenzialdiagnosen für Beschwerden im Bereich des Skrotums und der Leiste ausgeschlossen werden.
    • In Bezug auf vorhandene Schmerzen ist das Resultat der Behandlung unvorhersehbar und lindert nicht zwangsläufig die Beschwerden, kann diese sogar in seltenen Fällen verstärken.11
    • Es existieren konservative Behandlungsansätze:
      • Elevation und Stützung des Skrotums (Suspensorium)
      • NSAR, evtl. andere Analgetika (zurückhaltende Empfehlung)
      • Beckenbodenübungen.

Chirurgische Therapie

  • Offene Operation retroperitoneal-inguinal: Durchtrennung oder Ligatur der Vena spermatica auf der betroffenen Seite
  • Alternativ heute zunehmend mikrochirurgischer, subinguinaler Ansatz oder Laparoskopie/roboterassistierte Laparoskopie12
    • Die mikrochirurgische Varikozelektomie erzielt häufig bessere Resultate.
  • Grundsätzlich Operation in Erwägung ziehen:
    • Wenn starke Beschwerden trotz Ausschöpfung der konservativen Behandlungsmethoden bestehen.
    • Bei Verdacht, dass die Varikozele Infertilität verursacht.
  • Indikation für operative Therapie bei Jugendlichen5
    • subklinisch oder Grad I: keine Operation
    • Grad II–III und symmetrisch, oder < 20 % Größenunterschied zwischen den Hoden: Observation, keine Operation
    • Grad II–III und asymmetrisch, mit > 20 % Größenunterschied: operative Therapie
  • Indikation für operative Therapie bei Erwachsenen5
    • subklinisch oder Grad I: Observation
    • Grad II–III ohne Symptome oder mit physiologischer Spermienqualität: Observation
    • Grad II–III mit Symptomen oder pathologischer Spermienqualität: operative Therapie

Verlauf, Komplikationen und Prognose

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der gesamte Abschnitt auf diesen Referenzen.1-2

Verlauf

  • Der natürliche Verlauf der Varikozele ist unklar.
  • Die Erkrankung kann mit einer verminderten Spermienqualität, mangelhaftem Hodenwachstum und möglicherweise Atrophie assoziiert sein.3-4

Komplikationen

  • Beeinträchtigung der Fertilität bei einigen Patienten

Prognose

  • Die Behandlung der Varikozele zur Förderung der Fertilität ist umstritten.3-4
  • Eine Varikozelektomie kann die Spermienqualität bei infertilen Männern mit palpabler Varikozele verbessern.
  • Eine Mikrovarikozelektomie kann bessere Ergebnisse bei geringerer Komplikationsrate im Vergleich zur offenen Technik erzielen.

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Illustrationen

Varicocele.png
Varikozele
Varikozele.jpg
Varikozele
Skrotum - Varikozele
Skrotum - Varikozele

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie, Deutsche Gesellschaft für Urologie. Akutes Skrotum im Kindes- und Jugendalter. AWMF-Leitlinie Nr. 006-023. S2k, Stand 2015. www.awmf.org

Literatur

  1. Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie, Deutsche Gesellschaft für Urologie. Akutes Skrotum im Kindes- und Jugendalter. AWMF-Leitlinie Nr. 006-023, Stand 2015.www.awmf.org www.awmf.org
  2. Jensen CFS, Østergren P, Dupree JM, Ohl DA, Sønksen J, Fode M. Varicocele and male infertility. Nat Rev Urol. 2017 Sep;14(9):523-533. doi: 10.1038/nrurol.2017.98. Epub 2017 Jul 4. PMID: 28675168. www.nature.com
  3. Masson P, Brannigan RE. The varicocele. Urol Clin North Am 2014; 41: 129-44. pmid:24286772 PubMed
  4. Persad E, O'Loughlin CAA, Kaur S, Wagner G, Matyas N, Hassler-Di Fratta MR, Nussbaumer-Streit B. Surgical or radiological treatment for varicoceles in subfertile men. Cochrane Database of Systematic Reviews 2021, Issue 4. Art. No.: CD000479. DOI: 10.1002/14651858.CD000479.pub6. Accessed 03 December 2021. www.cochranelibrary.com
  5. Varicocele. BestPractice. Last updated 23 Nov 2021. bestpractice.bmj.com
  6. Saleh R, Mahfouz RZ, Agarwal A, Farouk H. Histopathologic patterns of testicular biopsies in infertile azoospermic men with varicocele. Fertil Steril 2010; 94: 2482-5. pmid:20416871 PubMed
  7. Ferlin A, Speltra E, Patassini C, et al. Heat shock protein and heat shock factor expression in sperm: relation to oligozoospermia and varicocele. J Urol 2010; 183: 1248-52. pmid:20096881 PubMed
  8. Dabaja A, Wosnitzer M, Goldstein M. Varicocele and hypogonadism. Curr Urol Rep 2013; 14: 309-14. pmid:23754533 PubMed
  9. Hsiao W, Rosoff JS, Pale JR, et al. Varicocelectomy is associated with increases in serum testosterone independent of clinical grade. Urology 2013; 81: 2013-7. pmid:23561709 PubMed
  10. Zohdy W, Ghazi S, Arafa M. Impact of varicocelectomy on gonadal and erectile functions in men with hypogonadism and infertility. J Sex Med 2011; 8: 885-93. pmid:20722780 PubMed
  11. Schlegel PN, Goldstein M. Alternate indications for varicocele repair: non-obstructive azoospermia, pain, androgen deficiency and progressive testicular dysfunction. Fertil Steril 2011; 96: 1288-93. pmid:22130099 PubMed
  12. Parekattil SJ, Brahmbhatt JV. Robotic approaches for male infertility and chronic orchialgia microsurgery. Curr Opin Urol 2011; 21: 493-9. pmid:21934622 PubMed

Autor*innen

  • Moritz Paar, Dr. med., Facharzt für Allgemeinmedizin, Münster
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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