Atrophische Kolpitis bei älteren Frauen

Zusammenfassung

  • Definition:Atrophische Kolpitis (Vulvovaginitis) in der Postmenopause.
  • Häufigkeit:Bis zu 40 % der postmenopausalen Frauen.
  • Symptome:Brennen in der Scheide, evtl. Dyspareunie, evtl. Ausfluss, evtl. häufige Harnwegsinfekte.
  • Befunde:Erythematöse Vulva, enger Introitus, dünne und leicht verletzliche vaginale Schleimhaut.
  • Diagnostik:Ggf. Zytologie und Bakteriologie.
  • Therapie:Vorzugsweise lokale Behandlung mit Lubrikanzien und/oder Östrogenen.

Allgemeine Informationen

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der Abschnitt auf diesen Referenzen.1-2

Definition

  • Atrophische Kolpitis
    • Atrophie und mangelnde Lubrikation der Vaginalschleimhaut infolge von Alterungsprozessen einschließlich des physiologischen Östrogenmangels in der Postmenopause
  • Urogenitale Atrophie
    • Die postmenopausal bedingten atrophischen Veränderungen erstrecken sich auf Labia majora und minora, Klitoris, Vestibulum und Introitus vaginae, Vagina, Urethra und Harnblase.

Häufigkeit

  • Häufigste Ursache für vaginale Irritationen bei älteren Patientinnen
  • Bis zu 40 % der postmenopausalen Frauen sind von einer atrophischen Kolpitis betroffen. Nur wenige davon begeben sich in ärztliche Behandlung.

Ätiologie und Pathogenese

  • Postmenopausale Östrogenmangel führt zu:
    • Verdünnung des Vaginalepithels mit Verlust von Glykogen
    • Anstieg des vaginalen pH (Normalbereich 3,8–4,2), was wiederum die Überwucherung mit anaeroben Bakterien sowie Sekundärinfektionen begünstigt.
  • Übergewichtige Frauen haben aufgrund der Östrogenproduktion im peripheren Fettgewebe häufig geringere oder keine Beschwerden.

ICPC-2

  • X84 Vaginitis / Vulvitis

ICD-10

  • N95.2 Atrophische Kolpitis in der Postmenopause3

Diagnostik

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der Abschnitt auf diesen Referenzen.1-2,4

Diagnostische Kriterien

  • Typische Symptome und klinische Befunde (s. u.)
  • Häufig asymptomatisch oder nur leichte Beschwerden

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Brennen in der Scheide
  • Trockenheit
  • Juckreiz
  • Wundsein
  • Empfindlichkeit
  • Vermehrter Ausfluss: farblos, gelb oder leicht blutig
  • Mangelnde Lubrikation und Dyspareunie
  • Harndrang, Harninkontinenz, Dysurie, rezidivierende Infektionen des Urogenitaltraktes (bedingt durch Atrophie der Harnröhren- und Blasenschleimhaut)

Gynäkologische Untersuchung

  • Vaginalatrophie mit dünner, glatter und leicht verletzliche Schleimhaut
  • Erythematöse Vulva, evtl. mit Rhagaden
  • Harnröhrenatrophie
  • Ausfluss: farblos, gelb oder leicht blutig (Cave: DD Malignome!)

Ergänzende Untersuchungen

  • Zytologie
  • Im Direktpräparat auf Gardnerella, Trichomonas und Pilze untersuchen.
  • Evtl. Pilz- und Trichomonaskultur anlegen.

Therapie

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der Abschnitt auf diesen Referenzen.1-2,4

Leitlinie: Urogenitale Atrophie1

  • Frauen mit symptomatischer urogenitaler Atrophie soll die Anwendung von
    Befeuchtungs-, Gleitmitteln alleine oder zusammen mit einer vaginalen Östrogentherapie angeboten werden (Ib/A).
  • Die Therapie kann so lange wie erforderlich angewendet werden (Ib/A).

Therapieziele

  • Beschwerdefreiheit
  • Wiederherstellung der Resistenz der Schleimhaut

Allgemeines zur Therapie

  • Beschwerdelinderung, Vermeidung von Sekundärkomplikationen
  • Primär Versuch mit Lubrikanzien, sie können auch additiv zu lokalen Östrogenen angewendet werden.
  • Lokale Östrogentherapie kann auch als zusätzliche Gabe bei niedrig dosierter systemischer Hormontherapie hilfreich sein.
  • Die Vor- und Nachteile einer Östrogentherapie sind bei jeder Patientin abzuwägen; das Ziel ist, den Einsatz von Östrogen und die Dauer der Behandlung zu begrenzen.
  • Antibiotika sind nur bei Kolpitiden infolge einer bakteriellen Sekundärinfektion indiziert.

Empfehlungen für Patientinnen

  • Evtl. Gleitmittel beim Geschlechtsverkehr verwenden.
  • Sexuelle Aktivität wirkt sich günstig aus.

Medikamentöse Therapie

Lokale Östrogentherapie

  • Die lokale Behandlung ist einer systemischen vorzuziehen.
  • Bei niedriger Dosierung haben Estradiol und Estriol ein vergleichbares Risiko-Nutzen-Verhältnis.
  • Bei der Dosierung sollte darauf geachtet werden, dass keine systemisch wirksamen Plasmakonzentrationen erreicht werden.
  • Bislang keine Hinweise auf Wirksamkeitsunterschiede zwischen den unterschiedlichen lokalen Applikationsformen (Cremes, Ringe, Suppositorien).1,5
    • Die Patientin kann die von ihr bevorzugte Applikationsform verwenden.
  • Estriol 0,5 mg als Creme oder Vaginalsuppositorien
    • während der ersten 3 Wochen: 1-mal tgl. 1 vaginales Zäpfchen oder Creme mittels Applikator
    • ab der 4. Woche: Erhaltungstherapie von 2-mal wöchentlich
  • Estradiol als Vaginaltabletten oder Vaginalring
    • Estradiol Vaginaltabletten 0,025 mg: während der ersten 2 Wochen: 1-mal tgl. 1 Vaginaltablette tief in die Scheide einführen; ab der 3. Woche: Erhaltungstherapie 2-mal wöchentlich eine Vaginaltablette
    • Estradiol Vaginalring
      • Wird während 3 Monaten kontinuierlich getragen und anschließend durch einen neuen Ring ersetzt.
      • Empfiehlt sich z. B. bei mangelhafter Compliance oder Schwierigkeiten der lokalen Applikation von Suppositorien oder Cremes.
  • Kontraindikationen
    • Endometriumhyperplasie
    • Blutungen aus der Scheide unklarere Genese
    • Thrombose
    • Lungenembolie
    • schwere Nierenfunktionsstörung
    • Überempfindlichkeit gegenüber dem Wirkstoff oder einem der sonstigen Bestandteile des Arzneimittels
    • Tumoren, deren Wachstum durch Zufuhr von Östrogenen angeregt wird, u. a. EndometriumkarzinomMammakarzinom.
      • Da die Behandlung der atrophischen Kolpitis mit niedrig dosierten lokalen Östrogenen in der Erhaltungsdosis keine oder nur sehr geringe systemische Wirkung hat, wird diskutiert, ob vaginale Östrogene auch bei Patientinnen mit urogenitalen Beschwerden nach Mammakarzinom oder Endometriumkarzinom eingesetzt werden dürfen.
      • In mehreren Studien fanden sich keine Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für Endometriumkarzinome und kein erhöhtes Rezidivrisiko bei Mammakarzinom-Patientinnen durch die lokale Östrogentherapie, die abschließende Bewertung steht noch aus.
  • Nebenwirkungen
    • lokale Schleimhautreaktionen
      • Nach der Anwendung beschreiben viele Frauen ein unangenehmes lokales Brennen, insbesondere nach der Zäpfchenapplikation.
      • Dies ist meist in den ersten Therapiewochen am stärksten und nimmt danach ab. Die Patientin sollte darüber aufgeklärt werden, um die Compliance zu erhöhen.
      • Bei Beschwerdepersistenz kann ein anderes Präparat (z. B. Wechsel von Zäpfchen auf Salbe) versucht werden.
      • Evtl. bessere Verträglichkeit, wenn das Zäpfchen vor Applikation 10 min in Wasser eingelegt wird (keine Studien vorhanden).
    • endometriale Hyperplasie (selten)
  • Dosierung
    • Die Dosierungshinweise sind Anhaltspunkte. Bei weniger ausgeprägten Beschwerden können die Applikationsintervalle sowohl primär als auch in der längerfristigen Anwendung erhöht werden.
  • Therapiedauer
    • Wegen der hohen Rezidivrate nach dem Absetzen ist in vielen Fällen eine Dauerbehandlung angezeigt.
    • Die lokalen Präparate haben sich auch in der Langzeitanwendung als sehr gut verträglich erwiesen.

Systemische Behandlung

  • Eine systemische Therapie zur Behandlung der atrophischen Kolpitis alleine ist nicht indiziert.
  • Zu den Indikationen einer postmenopausalen Hormonersatztherapie siehe Artikel Klimakterium.
  • Frauen, die bereits Östrogenpräparate einnehmen, können dennoch eine zusätzliche lokale Behandlung zur Linderung ihrer Beschwerden benötigen.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der Abschnitt auf diesen Referenzen.1-2,4

Verlauf

  • Es kann 4–6 Wochen dauern, bis unter der lokalen Behandlung eine deutliche Besserung erreicht ist und bis zu 9 Monate bis zur Normalisierung des Vaginalgewebes.

Komplikationen

  • Erregerbedingte Kolpitiden aufgrund von Sekundärinfektionen mit Bakterien, Pilzen oder Parasiten
  • Dyspareunie

Prognose

  • Nach Ansprechen auf die Behandlung gut
  • Hohe Rezidivrate nach Absetzen der Therapie

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG). Peri- und Postmenopause – Diagnostik und Interventionen. AWMF-Leitlinie Nr. 015-062. S3, Stand 2020. www.awmf.org

Literatur

  1. Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG). Peri- und Postmenopause – Diagnostik und Interventionen. AWMF-Leitlinie Nr. 015-062. S3, Stand 2020. register.awmf.org
  2. National Institute for Health and Care Excellence (NICE). Menopause: diagnosis and management. NICE guideline NG23, published: 12 November 2015, last updated: 05 December 2019. www.nice.org.uk
  3. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI). ICD-10-GM Version 2023, Stand 16.09.2022. www.dimdi.de
  4. Illanes DS. Vaginitis. BMJ BestPractice. Last reviewed: 18 Jan 2023, last updated: 24 Feb 2022. bestpractice.bmj.com
  5. Lethaby A, Ayeleke RO, Roberts H. Local oestrogen for vaginal atrophy in postmenopausal women. Cochrane Database Syst Rev 2016 Aug 31. pmid:27577677 PubMed

Autor*innen

  • Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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