Anthrax (Milzbrand)

Zusammenfassung

  • Definition:Infektion der Haut oder Lunge durch das Bakterium Bacillus anthracis.
  • Häufigkeit:Tritt in Deutschland äußerst selten auf; es kann aber unter Drogenabhängigen zu lokal begrenzte Ausbrüche kommen.
  • Symptome:Bei der Hautinfektion (95 %) ist die Bildung von Vesikeln und Wunden sowie eines schwarzen Schorfs (Eschar) das am häufigsten auftretende Symptom. Das Einatmen der Bakterien führt zu einer Infektion der Lunge, die sich als Husten, Dyspnoe und Sepsis manifestiert.
  • Befunde:Typische, mit Schorf bedeckte Wunden der Haut; bei Infektion der Lunge häufig dramatischer Verlauf mit Atembeschwerden und Sepsis.
  • Diagnose:Nachweis des Bakteriums im Wundsekret oder in Körperflüssigkeiten.
  • Behandlung:Die Hautinfektion ist in der Regel harmlos, wird aber mit Antibiotika behandelt. Der Lungenmilzbrand zeigt häufig einen schweren Verlauf und macht eine stationäre intensivmedizinische Behandlung erforderlich.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Anthrax, im Volksmund auch als Milzbrand bezeichnet, wird durch das sporenbildende Bakterium Bacillus anthracis verursacht.
  • Beim Tier:
    • An Anthrax erkranken in erster Linie größere Pflanzenfresser wie Schafe, Rinder, Pferde, Ziegen und Schweine.
    • Die Erkrankung tritt auch bei wild lebenden Tieren auf.
  • Beim Menschen:
    • Das Bakterium ist auf den Menschen übertragbar und kann in verschiedenen Formen auftreten:
      • Hautmilzbrand
      • Rachenmilzbrand
      • Lungenmilzbrand
      • Darmmilzbrand
    • Bei Ausbreitung kann sich eine Meningitis entwickeln.

Häufigkeit

  • Beim Menschen:
    • In Deutschland tritt die Erkrankung beim Menschen selten auf. 2014 wurde kein Fall gemeldet.1
    • Im Jahr 2012 wurden in Deutschland 4 Erkrankungen an Milzbrand bei i.v.-Heroinkonsumenten gemeldet, hierbei ein Fall mit tödlichem Ausgang.1
    • 2009 kam es unter Heroinabhängigen in Schottland zu einer lokal begrenzten Epidemie mit 14 diagnostizierten Fällen, von denen 7 zum Tode führten.2
    • In 95 % der beim Menschen auftretenden Fälle handelt es sich um Hautmilzbrand.
  • Beim Tier:
    • Beim Tier ist die Erkrankung in vielen Ländern nach wie vor verbreitet.
    • Die Erkrankung tritt am häufigsten in Afrika und Asien auf, kommt aber auch in Osteuropa, Australien und den USA vor.
    • In Deutschland kann es gelegentlich zu Ausbrüchen in Tierbeständen kommen: Der letzte wurde 2012 in Sachsen-Anhalt gemeldet, bei dem etwa 12 Kühe verstarben.

Ätiologie und Pathogenese

  • Bei der Erkrankung handelt es sich um eine Infektion mit dem Bakterium Bacillus anthracis, einem grampositiven, Sporen bildenden Stäbchenbakterium.
  • Die Mikrobe lässt sich leicht züchten, kann aber schwierig von anderen Bacillus-Arten (Stäbchenbakterien) zu unterscheiden sein.
  • Die Übertragung des Organismus auf den Menschen erfolgt mittels Inokulation durch verletzte Haut oder Schleimhaut oder durch Einatmen.
  • Die Ansteckung erfolgt direkt oder indirekt vom Tier auf den Menschen; eine Ansteckung von Mensch zu Mensch wurde bisher nicht dokumentiert.
  • Da sich mit dem Bakterium Tiere und über die Atemluft Menschen infizieren lassen, kann es im Rahmen einer kriegerischen oder terroristischen Handlung als biologischer Kampfstoff eingesetzt werden.

Ansteckung

  • Die meisten Menschen stecken sich durch den direkten Kontakt mit Knochen, Häuten, Fell/Wolle oder Kadavern (Fleisch) von Tieren an.
  • Der Verzehr von Fleisch von Tieren, die an Milzbrand erkrankt waren, kann Darmmilzbrand verursachen.
  • Da die Bakteriensporen in der Erde vermutlich viele Jahre lang überdauern, können sie für Tiere langfristig eine Gefahr darstellen.
  • Außerdem findet in der Erde möglicherweise auch eine Vermehrung der Sporen statt.
  • Wenn mit Sporen versetzter Staub von der Haut oder aus den Haaren aufgewirbelt wird, können die Sporen in die Luft gelangen und von Personen in der Nähe eingeatmet werden.
  • Unter besonderen Bedingungen wie z. B. einer Explosion oder einem Austritt in großer Höhe kann die Ansteckung mit Anthrax-Sporen wie beim Milzbrand-Unfall in Swerdlowsk 1979 über die Atemluft erfolgen.
  • In beiden Fällen führt die Ansteckung zum Lungenmilzbrand.
  • Die Injektion sporenhaltiger Stoffe in das Gewebe kann Injektionsmilzbrand verursachen.

Inkubationszeit

  • Bei Haut- und Lungenmilzbrand in der Regel zwei bis fünf Tage
  • Beim Darmmilzbrand drei bis sieben Tage
  • Der Beginn einer prophylaktischen Antibiotikagabe kann den Verlauf erheblich verlängern.
  • Das liegt daran, dass Antibiotika nur gegen vegetative Bakterien, nicht aber gegen Sporen wirken.

Prädisponierende Faktoren

  • In manchen Ländern ist Milzbrand eine seltene Berufskrankheit bei Landwirten, Tierärzten und Personen mit häufigem Kontakt zu Tieren oder tierischen Erzeugnissen wie Tierhäuten, Wolle oder Knochenmehl.
  • Drogenmissbrauch
  • Krieg und Terrorismus.

ICPC-2

  • A78 Infektiöse Erkrankung NNB, andere

ICD-10

  • A22 Anthrax (Milzbrand)
    • A22.0 Hautmilzbrand
    • A22.1 Lungenmilzbrand
    • A22.2 Darmmilzbrand
    • A22.7 Milzbrandsepsis
    • A22.8 Sonstige Formen des Milzbrandes
    • A22.9 Milzbrand, nicht näher bezeichnet
  • A28 Sonstige bakterielle Zoonosen, anderenorts nicht klassifiziert

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Nachweis des Bakteriums im Wundsekret, Eiter, Speichel, Blut oder Liquor
  • Der Nachweis des Bakteriums erfolgt durch mikroskopische Untersuchung und Zellkultur.

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Die Erkrankung tritt in der Regel bei Personen auf, die häufigen Kontakt zu Tieren haben (Schafe, Rinder, Pferde, Ziegen oder Schweine).
  • Im Zusammenhang mit kriegerischen oder terroristischen Handlungen kann der Erreger über die Luft übertragen werden.
  • Die Inkubationszeit beträgt in der Regel zwei bis fünf Tage.
  • Eventuell treten typische Hautausschläge oder Lungen- bzw. allgemeine Symptome auf.
  • Außer beim Hautmilzbrand zeigen die anderen Formen des Milzbrands einen schnellen Verlauf mit allgemeinen, grippeähnlichen Symptomen; Patienten entwickeln schnell Anzeichen für:
    • Septikämie
    • Schwere Toxämie
    • Blutgerinnungsstörungen
    • Schock
    • Multiorganversagen
    • Eventuell hämorrhagische Meningitis.

Hautmilzbrand

  • Wird durch direkten Kontakt mit kontaminiertem Material in vorhandenen Wunden oder Defekten der Haut ausgelöst.
  • Zunächst bildet sich eine leicht juckende Papel, die in ein schmerzloses Vesikel und schließlich in den typischen schwarzen, nekrotischen Schorf (Eschar) übergeht.
  • In der Folge können sich weitere Vesikel bilden.
  • Die Erkrankung geht mit wenigen Allgemeinsymptomen einher.

Darmmilzbrand

  • Wird durch den Verzehr kontaminierter Nahrungsmittel ausgelöst.
  • Manifestiert sich in unspezifischen lokalen Symptomen sowie häufig einer bald folgenden Dissemination und schweren Toxämie/Septikämie.

Lungenmilzbrand

  • Beim Einatmen von Staub, der mit Sporen versetzt ist, gelangen diese in die Alveolen.
  • Von dort aus werden sie zu den Mediastinallymphknoten transportiert, wo sie sich vermehren und zu einer hämorrhagischen, ödematösen Mediastinitis führen.
  • In der Regel treten Fieber, ein allgemeines Krankheitsgefühl, Kopfschmerzen, Atemnot und Husten auf.
  • In der Folge bildet sich eine schwere disseminierte Erkrankung aus.
  • Im frühen Stadium ist die Lunge erstaunlich wenig betroffen; im späteren Verlauf kommt es aber häufig zu einem hämorrhagischen Pleuraerguss.

Systemische Disseminierung

  • Alle Formen können zu einer disseminierten Erkrankung führen.
  • Im Verlauf kommt es zur schnellen Ausbildung von Bakteriämie, Sepsis und Toxämie.
  • Es kommt zur Blutungsneigung mit Hämorrhagien als Folge.
  • Die Ausbildung einer hämorrhagischen Meningitis ist möglich.

Klinische Untersuchung

Hautmilzbrand

  • Auf exponierten Hautflächen an Händen, Armen oder im Gesicht kann eine erythematöse Papel auftreten, die sich im weiteren Verlauf zu einem in der Mitte violetten oder schwarzen Vesikel entwickelt.
  • Die angrenzenden Bereiche sind von ödematöser und vesikulärer Beschaffenheit.
  • Im späten Stadium entwickelt sich die Läsion von der Mitte her zu einer Nekrose, die von schwarzem Schorf bedeckt ist (anthrax bedeutet schwarz):
    • Die Wunden sind nicht schmerzhaft.
    • Die meisten Fälle bleiben auf die Haut begrenzt und zeigen einen leichten Verlauf.
  • Eine Infektion der Haut verläuft in aller Regel ohne Ausbildung einer schweren Erkrankung und trocknet nach einer bis drei Wochen aus.
  • Ein allgemeines Krankheitsgefühl, Lymphadenopathie, Fieber, Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen können auftreten.
  • In seltenen Fällen:
    • Das Abfallen nekrotischen Gewebes kann zu einer hämatogenen Ausbreitung und Sepsis führen.
    • Auch die Ausbildung einer hämorrhagischen Meningitis ist möglich.

Lungenmilzbrand

  • Lungenbefund
  • Hohes Fieber, Sepsisbild
  • Blutungsneigung
  • Schnelle Verschlechterung des Allgemeinzustands.

Ergänzende Untersuchungen

  • Mikroskopie:
    • Nachweis grampositiver Stäbchen mit metachromatisch färbbarer Kapsel
    • Das Milzbrandbakterium ist nicht hämolytisch, unbeweglich, hat ellipsenförmige, subterminale Sporen und bildet Kapseln aus.
  • Kultur:
    • spricht fast immer auf Penicillin an.
  • Nachweis von Virulenzgenen.
  • Labor:

Weitere Untersuchungen

  • Röntgenthorax bei Lungenmilzbrand:
    • Keine Infiltrate.
    • Eventuell sind Pleuraflüssigkeit und ein verbreitertes Mediastinum feststellbar.

Wann ist eine Überweisung erforderlich?

  • Bei Verdacht auf die Erkrankung.

Therapie

Therapieziel

  • Ausheilung der Infektion.

Allgemeines zur Therapie

  • Antibiotika:
    • bei manifester Erkrankung
    • zur Postexpositionsprophylaxe.
  • Hautmilzbrand:
    • Vor der Manipulation und insbesondere Inzision von mit dem Milzbranderreger infizierter Haut wird gewarnt; diese kann zur schnellen Dissemination führen.

Medikamentöse Therapie

Bei manifester Erkrankung

  • In erster Linie wird Benzylpenicillin über zehn Tage verabreicht:
    • Injektion: Alle 4 Stunden 2 Mio. IE intravenös
      • bei Erwachsenen eventuell peroral: alle 7 Stunden 2 Mio. IE
      • bei Kindern unter 12 Jahren eventuell peroral: 4 x tägl. 50.000 IE/kg.
    • Bei Penicillinallergie können Ciprofloxacin und Doxycyclin verabreicht werden:
      • Ciprofloxacin 2 x tägl. 400 mg intravenös
      • eventuell Doxycyclin am 1. Tag 200 mg intravenös, dann 3 x tgl. 100 mg intravenös.
  • Bei leichten, lokal begrenzten Infektionen der Haut kann Tetracyclin verabreicht werden:
    • Tabletten 250 mg: Alle 7 Stunden 500 mg (2 Tabletten) peroral.

Prävention

  • Sorgfältige Überwachung von Tierbeständen
  • Es wurde ein neuer Impfstoff entwickelt, der gegen Toxin und Bakterium gleichermaßen wirken soll:
    • Die Ergebnisse sind vielversprechend3.
  • Ein weiterer Impfstoff wurde entwickelt4:
    • Dieser ist weniger wirksam und muss in sechs Dosen verabreicht werden:
      • drei Dosen alle zwei Wochen
      • drei Dosen alle sechs Monate
      • danach eine Boosterimpfung pro Jahr.
    • An neuen Impfstoffen wird geforscht.

Postexpositionsprophylaxe

  • Eine prophylaktische Antibiotikagabe ist unbedingt indiziert.
  • Erwachsene:
    • Ciprofloxacin 2 x täglich 500 mg über 60 Tage
    • Doxycyclin 2 x tägl. 100 mg über mindestens 42-60 Tage
    • Bei Verfügbarkeit eines Impfstoffs eventuell über zwei Wochen nach der dritten Impfdosis.
  • Eine prophylaktische Behandlung sollte in der Regel 60 Tage dauern, kann aber abgesetzt werden, wenn Patienten dem Milzbrandbakterium nachweislich nicht ausgesetzt waren.

Ermittlung der Ansteckungsquelle

  • Eine intensive Suche nach der Ansteckungsquelle ist erforderlich.

Behandlung kontaminierter Gegenstände

  • Im Gewebe erfolgt bei einer bestehenden Infektion keine Sporenbildung.
  • In Exkrementen, Sekreten, Kompressen, Blut u. Ä. können sich dagegen Sporen bilden.
  • Gegenstände und Flächen, die sichtbar mit Körperflüssigkeiten betroffener Patienten verunreinigt sind, sind zu verbrennen, in einem Autoklav zu behandeln oder mit einer zur Abtötung der Sporen geeigneten Lösung zu desinfizieren:
    • 10-prozentige hypochlorige Säure, 5-prozentiges Phenol oder 10- bis 30-prozentiges Formalin (entspricht 4–12 % Formaldehyd).
  • In anderen Fällen ist eine normale Reinigung ausreichend.
  • Tierärzte ergreifen bei Milzbrand sehr weitreichende Maßnahmen.

Impfung bei Reisen

  • Für Deutschland nicht aktuell.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Die Inkubationszeit beträgt zwei bis fünf Tage.
  • Bei Lungenmilzbrand beträgt die Inkubationszeit einen bis sechs Tage, wobei die Erkrankung innerhalb von zwei bis drei Tagen zu Lungenversagen führen kann.

Komplikationen

Prognose

  • Bei einem unbehandelten Lungenmilzbrand beträgt die Mortalität 95 %.
  • Auch bei einer adäquaten Behandlung ist die Mortalität hoch; dies gilt insbesondere für Lungenmilzbrand.

Patienteninformation

Patienteninformation in Deximed

Verlaufskontrolle

Planung

  • Die Erkrankung ist laut Infektionsschutzgesetz meldepflichtig. Alle Verdachtsfälle sind unverzüglich dem zuständigen Amtsarzt und dem Gesundheitsamt zu melden.

Quellen

Literatur

  1. Robert Koch Institut. Infektionsepidemiologisches Jahrbuch 2014, Berlin. (Zugriff 01.12.2015) www.rki.de
  2. Blystad H. Miltbrannutbrudd blant stoffmisbrukere i Skottland. MSIS-rapport 2010; 38:1.
  3. Rhie GE, Roehrl MH, Mourez M, Collier RJ, Mekalanos JJ, Wang JY. A dually active anthrax vaccine that confers protection against both bacilli and toxins. Proc Natl Acad Sci USA 2003; 100: 10925 - 30. PubMed
  4. Donegan S, Bellamy R, Gamble CL. Vaccines for preventing anthrax. Cochrane Database of Systematic Reviews 2009, Issue 2. Art. No.: CD006403. DOI: 10.1002/14651858.CD006403.pub2. DOI
  5. Ringertz SH, Høiby EA, Jensenius M, Mæhlen J, Caugant DA, Myklebust A, Fossum K. Injectional anthrax in a heroin skin-popper. Lancet 356: 1574-1575, 2000.

Autoren

  • Nicola Herzig, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, Sandnes (Norwegen)
  • Birgitta Evengård, professor och överläkare, Infektionskliniken, Norrlands Universitetssjukhus, Umeå
  • Signe Holta Ringertz, avdelningsöverläkare, professor, Bakteriologisk laboratorium, Aker sykehus och Universitetet i Tromsø
  • Ingard Løge, specialist i allmänmedicin, Inst. for samfunnsmedisinske fag, Norges teknisk-naturvitenskapelige universitet, Trondheim

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