Makrozytose

Allgemeine Informationen

Definition

  • Als Makrozytose bezeichnet man eine Vergrößerung der Erythrozyten über den Normwert hinaus. Diese Erythrozyten bezeichnet man als Makrozyten.
  • Von einer Makrozytose spricht man, wenn die Erythrozyten ein mittleres korpuskuläres Volumen (MCV) von mehr als 100 fl (Femtoliter) bei nahezu normaler Hämoglobinkonzentration aufweisen.1
  • Die Hämoglobinkonzentration kann auch vermindert sein, dann spricht man von einer makrozytären Anämie.
  • Ursachen und Vorkommen der Makrozytose sind je nach Population unterschiedlich.2-4
  • Auch wenn die Makrozytose häufig mit einer Anämie assoziiert wird, ist Hypothyreose die häufigste Ursache bei älteren Personen.1,4

Häufigkeit

  • Es wird von einer Prävalenz von etwa 3 % in der Allgemeinbevölkerung ausgegangen.5

Pathophysiologie

  • Die Ursachen einer Makrozytose können grob in megaloblastäre und nicht megaloblastäre Ursachen eingeteilt werden.2,5
  • Die Mechanismen, die zu einer Makrozytose führen, sind nicht vollständig bekannt, und die Unterscheidung zwischen megaloblastären und nicht megaloblastären Mechanismen kann etwas willkürlich erscheinen. Vorerst liefert sie jedoch ein hilfreiches Konzept zur Unterscheidung der wichtigsten Ursachen einer Makrozytose.
  • Megaloblastäre Prozesse
    • Sind gekennzeichnet durch peripheren Blutausstrich mit Makro-Ovalozyten und hypersegmentierten Neutrophilen, die bei nicht megaloblastären, makrozytischen Prozessen nicht vorhanden sind.
    • Die Vorläuferzellen der Erythrozyten (Retikulozyten) sind größer als reife Erythrozyten, weil Folsäure- und Vitamin-B12-Mangel zu Defekten der RNA- und DNA-Synthese führen. Dies wiederum sorgt für erhöhte Homocystein- und Serum-Methylmalonsäure.6
  • Nicht megaloblastäre Prozesse
    • Es liegen runde Makrozyten oder Makroretikulozyten vor.
    • Es gibt viele unterschiedliche Mechanismen als Ursache.

Diagnostische Überlegungen

Diagnostische Strategie

  • Liegt eine Anämie vor?
  • Wie groß ist das MCV (das mittlere korpuskuläre Volumen)?
  • Retikulozyten erhöht?
    • Makrozytose bei erhöhten Retikolozyten deutet auf Blutverlust oder Hämolyse.7
  • Wie ist der Allgemeinzustand der Patientin/des Patienten?

ICPC-2

  • B99 Blut-/Lymph-/Milzerkrankung, andere

ICD-10

  • D75.8 Sonstige näher bezeichnete Krankheiten des Blutes und der blutbildenden Organe
  • R71 Veränderung der Erythrozyten

Differenzialdiagnosen

Megaloblastäre Makrozytose

Vitamin-B12-Mangel

  • Bei einer perniziösen Anämie führt der Verlust von Parietalzellen im Magen zu einer reduzierten Ausscheidung des Intrinsic-Factors und dadurch zu einer reduzierten Aufnahme von Vitamin B12.
  • Eine perniziöse Anämie entsteht am häufigsten durch eine autoimmune atrophische Gastritis. Seltenere Ursachen sind Helicobacter-pylori-Gastritis oder das Zollinger-Ellison-Syndrom.
  • Es können Parästhesien als Folge einer peripheren Neuropathie, einer strengen veganen Ernährung, sozialer Vernachlässigung oder durch heftige Diarrhöen vorliegen.
  • Bei der körperlichen Untersuchung lassen sich Ataxie, eine reduzierte Propriozeption und eine gestörte Vibrationsempfindung nachweisen. Es können ebenfalls eine Stomatitis oder Glossitis vorliegen.
  • Nur 10 % der Patienten mit Vitamin-B12-Mangel sind anämisch.10

Folsäuremangel

  • Oft durch Mangelernährung oder Resorptionsstörung ausgelöst. Zudem besteht bei 35 % der Patienten mit Alkoholismus und makrozytärer Anämie ein Folsäuremangel.11-12
  • Einzelne Medikamente können zu Folsäuremangel führen: Methotrexat, 5-Fluorouracil, Hydroxyharnstoff, Trimethoprim/Sulfamethoxazol, Phenytoin.13 Andere können die Resorption beeinträchtigen: Metformin, Cholestyramin.14
  • Die Bestimmung der Serum-Folsäure ist unzuverlässiger als die Bestimmung des Folsäuregehalts der Erythrozyten.15

HIV-Medikation

  • Die Therapie einer HIV-Infektion mit Reverse-Transkriptase-Inhibitoren kann zu einer Makrozytose führen, da sie die DNA-Produktion beeinflusst, wodurch megaloblastäre Veränderungen ausgelöst werden können.
  • Bei den meisten Patienten, die mit diesen Medikamenten behandelt werden, liegt eine Makrozytose ohne Anämie vor. Eine Therapie ist nicht erforderlich.16

Retikulozytose

  • Ein akuter oder chronischer Blutverlust kann zu einer Retikulozytose führen.
  • Liegen hämatologische Erkrankungen in der Familie vor, z. B. Sichelzellanämie, hereditäre Sphärozytose, Glukose-6-phosphat-Dehydrogenase-Mangel?
  • Bei Ausdauerläufern kann eine Makrozytose als Folge einer Hämolyse auftreten.17
  • Bei einer Hämolyse kann es zur Hepatosplenomegalie oder anderen körperlichen Manifestationen kommen.
  • Im Blutausstrich sind hämolysierte Erythrozyten nachweisbar.

Andere Ursachen

  • Atrophische Gastritis
  • Enterale Malabsorption
  • Antiepileptika – bei Folsäuremangel
  • Primäre Knochenmarkstörungen
  • Stickoxid-Missbrauch (Lachgas)
    • inaktiviertes Vitamin B1218
  • Erbliche Störungen

Nicht megaloblastäre Makrozytose

Alkoholmissbrauch

  • Ist nicht selten die Ursache einer Makrozytose.
  • Dabei ist die Makrozytose häufiger auf die toxische Wirkung des Alkohols als sekundär auf den durch den Alkoholismus bedingten Folsäuremangel zurückzuführen.
  • Alkoholabstinenz führt zu einer schnellen Normalisierung des MCV.11

Knochenmarksdysfunktion

  • Myeloproliferative Störungen sind bei älteren Personen häufigere Ursachen für Makrozytosen und Anämie als bei Jüngeren.
  • Obwohl sich die zugrunde liegenden Ursachen bereits anhand eines peripheren Blutausstrichs vermuten lassen, erfordert die Diagnosestellung auch eine Knochenmarkbiopsie.

Andere Ursachen

Ursachen für Fehldiagnosen

  • Kälteagglutinine
    • Die Erythrozyten ballen sich zusammen, sodass sie im Blutbild vergrößert erscheinen.20
  • Hyperglykämie
    • Hyperglykämisches Blut ist höher konzentriert, und wenn man es zur Bestimmung des MCV verdünnt, schwellen die Zellen überdurchschnittlich an, was zu einem falsch erhöhten Befund führt.21
  • Ausgeprägte Leukozytose
    • Kann zur Überschätzung der Zellgröße führen.22

Anamnese

Wichtige Fragen

  • Familiäre Erkrankungen, z. B. Sichelzellanämie?
  • Stärkere Blutungen?
  • Adäquate Ernährung? Veganer?
  • Andere chronische Erkrankungen?
  • Alkoholproblem?
  • Regelmäßige Medikamente?

Klinische Untersuchung

Allgemeines

  • Allgemeine klinische Untersuchung

Spezielle Untersuchungen

  • Neurologische Ausfälle (perniziöse Anämie)
    • Ataxie?
    • Propriozeption?
    • Vibrationsempfinden?

Ergänzende Untersuchungen

In der Hausarztpraxis

  • Blutuntersuchungen
  • Bei der automatischen Differenzialzählung der Erythrozyten wird offenbar häufiger eine Makrozytose vermutet als bei manueller Zählung.1
  • Bei älteren Personen auf mögliche Hypothyreose achten.

Beim Spezialisten

  • Knochenmarkaspirat?

Maßnahmen und Empfehlungen

Indikationen zur Überweisung

  • Bei unklarer Diagnose

Quellen

Leitlinien

  • Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie. Anämiediagnostik im Kindesalter. AWMF-Leitlinie Nr. 025-027. S1, Stand 2018. www.awmf.org

 

Literatur

  1. Kaferle J, Strzoda CE. Evaluation of macrocytosis. Am Fam Physician 2009; 79: 203-8. www.aafp.org
  2. Savage DG, Ogundipe A, Allen RH, Stabler SP, Lindenbaum J. Etiology and diagnostic evaluation of macrocytosis. Am J Med Sci 2000; 319: 343-52. PubMed
  3. Mahmoud MY, Lugon M, Anderson CC. Unexplained macrocytosis in elderly patients. Age Ageing 1996; 25: 310-2. PubMed
  4. Colon-Otero G, Menke D, Hook CC. A practical approach to the differential diagnosis and evaluation of the adult patient with macrocytic anemia. Med Clin North Am 1992; 76: 581-97. PubMed
  5. Seppä K, Heinilä K, Sillanaukee P, Saarni M. Evaluation of macrocytosis by general practitioners. J Stud Alcohol 1996; 57: 97-100. PubMed
  6. Savage DG, Lindenbaum J, Stabler SP, Allen RH. Sensitivity of serum methylmalonic acid and total homocysteine determinations for diagnosing cobalamin and folate deficiencies. Am J Med 1994; 96: 239-46. PubMed
  7. Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie. Anämiediagnostik im Kindesalter. AWMF-Leitlinie Nr. 025-027. S1, Stand 2018. www.awmf.org
  8. Seppä K, Laippala P, Saarni M. Macrocytosis as a consequence of alcohol abuse among patients in general practice. Alcohol Clin Exp Res 1991; 15: 871-6. PubMed
  9. Kaptan K, Beyan C, Ural AU, et al. Helicobacter pylori-is it a novel causative agent in Vitamin B12 deficiency? Arch Intern Med 2000; 160: 1349-53. PubMed
  10. Chui CH, Lau FY, Wong R, et al. Vitamin B12 deficiency-need for a new guideline. Nutrition 2001; 17: 917-20. PubMed
  11. Maruyama S, Hirayama C, Yamamoto S, et al. Red blood cell status in alcoholic and non-alcoholic liver disease. J Lab Clin Med 2001; 138: 332-7. PubMed
  12. Suh JR, Herbig AK, Stover PJ. New perspectives on folate catabolism. Annu Rev Nutr 2001; 21: 255-82. PubMed
  13. Moran RG, Keyomarsi K. Biochemical rationale for the synergism of 5-fluorouracil and folinic acid. NCI Monogr 1987; 5: 159-63. PubMed
  14. Ortiz Z, Shea B, Suarez Almazor M, Moher D, Wells G, Tugwell P. Folic acid and folinic acid for reducing side effects in patients receiving methotrexate for rheumatoid arthritis. Cochrane Database Syst Rev, issue 2, 2000. The Cochrane Library
  15. Phekoo K, Williams Y, Schey SA, Andrews VE, Dudley JM, Hoffbrand AV. Folate assays: serum or red cell? J R Coll Physicians Lond 1997; 31: 291-5. PubMed
  16. Geené D, Sudre P, Anwar D, Goehring C, Saaïdia A, Hirschel B. Causes of macrocytosis in HIV-infected patients not treated with zidovudine. Swiss HIV Cohort Study. J Infect 2000; 40: 160-3. PubMed
  17. Dang CV. Runner's anemia. JAMA 2001; 286: 714-6. Journal of the American Medical Association
  18. Miller MA, Martinez V, McCarthy R, Patel MM. Nitrous oxide "whippit" abuse presenting as clinical B12 deficiency and ataxia. Am J Emerg Med 2004; 22: 124. American Journal of Emergency Medicine
  19. Siegenthaler Walter. Siegenthalers Differenzialdiagnosen, Makrozytose Differenzialdiagnosen, Tabelle 13.4. Thieme Verlag: , 2005. www.thieme-connect.de
  20. Gloster ES, Strauss RA. More on spurious red blood cell parameters. Am J Clin Pathol 1985; 84: 775-6. PubMed
  21. van Duijnhoven HL, Treskes M. Marked interference of hyperglycemia in measurements of mean (red) cell volume by Technicon H analyzers. Clin Chem 1996; 42: 76-80. PubMed
  22. Francis DA, Francis JL, Roath OS. Improved assessment of haemoglobin and red cell indices in blood samples with high white cell counts. Med Lab Sci 1985; 42: 285-6. PubMed
  23. Chui CH, Lau FY, Wong R, et al. Vitamin B12 deficiency-need for a new guideline. Nutrition 2001; 17: 917-20. PubMed

Autoren

  • Heidrun Bahle, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, München
  • Terje Johannessen, professor i allmennmedisin, Institutt for samfunnsmedisinske fag, Norges teknisk-naturvitenskapelige universitet, Trondheim
  • Honar Cherif, överläkare, Hematologkliniken, Akademiska sjukhuset, Uppsala (Medibas)

Links

Autoren

Ehemalige Autoren

Updates

Gallery

Snomed

Click to edit