Vergiftungen durch Pflanzen

Zusammenfassung

  • Definition:Vergiftung durch unbeabsichtigte oder beabsichtigte Aufnahme giftiger Pflanzen oder Pflanzenteile.
  • Häufigkeit:Im Gemeinsamen Giftinformationszentrum (GGIZ) Erfurt bezogen sich zwischen 2011 und 2020 15 % aller Anfragen zu Kindern auf Pflanzen (bei Erwachsenen 2,3 %).
  • Symptome:Abhängig von Pflanzenart, Menge und Art der Aufnahme, Alter und Begleiterkrankungen. Häufig sind gastrointestinale Symptome. Es kann abhängig von der Pflanzenart z. B. zu einem anticholinergen Syndrom, Herzrhythmusstörungen, Bewusstseinstrübungen, Schmerzen, Hautausschlag, Muskelkrämpfen, Krampfanfällen und/oder Multiorganversagen kommen.
  • Befunde:Sehr variabel, abhängig von der Art und Schwere der Vergiftung.
  • Diagnostik:Genaue Anamnese zum Hergang der Vergiftung, Asservierung von Pflanzenteilen, körperliche Untersuchung, Laboruntersuchungen. Rücksprache mit Giftinformationszentrum (GIZ).
  • Therapie:Sicherung der Vitalfunktionen, wenn möglich orale Flüssigkeitszufuhr, Verabreichung von Aktivkohle. Weiteres Vorgehen in Absprache mit GIZ, ggf. Klinikeinweisung in Notarztbegleitung, Antidote nur in bestimmten Fällen verfügbar.

Giftnotrufzentralen

Ort

Region

Telefon

Website

Berlin

B, BRA

030 19240

giftnotruf.charite.de

Bonn

NRW

0228 19240

www.gizbonn.de

Erfurt

MV, SAC, SAN, THÜ

0361 730730

www.ggiz-erfurt.de

Freiburg

BW

0761 19240

www.uniklinik-freiburg.de/giftberatung.html

Göttingen

HB, HH, NDS, SHO

0551 19240

www.giz-nord.de

Mainz

RLP, HES

06131 19240

www.giftinfo.uni-mainz.de

München

BAY

089 19240

http://www.toxinfo.med.tum.de/node/380

Wien

A

+43 1 4064343

https://goeg.at/Vergiftungsinformation

Zürich

CH

145 (in CH), +41 44 2515151

https://toxinfo.ch

Allgemeine Informationen

Definition

  • Vergiftung durch in der Regel unbeabsichtige oder beabsichtigte orale Aufnahme giftiger Pflanzen oder Pflanzenteile, z. B. Früchte, Beeren, Blätter, Stängel und Wurzeln1-2
    • Auch eine Vergiftung durch Haut- oder Augenkontakt sowie inhalativ (Rauchen) ist möglich.
    • Giftige Pflanzenteile können auch in konzentrierten Extrakten, gekauten Samen oder in Form von Tees aufgenommen werden.

Häufigkeit

  • Anfragen zu Pflanzenvergiftungen häufig in Giftinformationszentren (GIZ)1
    • Im Gemeinsamen Giftinformationszentrum (GGIZ) Erfurt 2011–2020: 15 % aller Anfragen zu Kindern bezogen sich auf Pflanzen (bei Erwachsenen 2,3 %).
    • Kinder von 1–6 Jahren sind besonders gegenüber fruchtartigen Strukturen exponiert (z. B. Beeren, Kapseln, Schoten, Steinfrüchte).
  • Lebensbedrohliche Pflanzenvergiftungen sind in Deutschland relativ selten.1
    • Kinder nehmen meist nur geringe Mengen auf.3
    • Erwachsene, die falsch indentifizierte Pflanzen sammeln oder daraus Tees oder Extrakte zubereiten, nehmen manchmal große bis sehr große Mengen auf.2

Ätiologie und Pathogenese

Ätiologie

  • Versehentliche Ingestion durch Kleinkinder, beim Spielen durch größere Kinder oder bei Erwachsenen durch Verwechslungen, Selbstbehandlung oder in suizidaler Absicht4
    • giftige Pflanzen in Privatgärten, in der Umgebung von Kitas und Schulen
  • Giftpflanzen, zu denen es im GGIZ häufige Anfragen bzw. schwere Vergiftungsfälle gab (Risikokategorie 2–3, RK):1
Eisenhut (Aconitum spec.), RK3, giftigste Pflanze Europas3
  • Relevante Inhaltsstoffe: Aconitin, Mesaconitin, Hypaconitin, Lycaconitin
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Eisenhut (Quelle: Wikimedia https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Aconitum-napellus_4435.jpg)
Tollkirsche (Atropa belladonna), RK3
  • Relevante Inhaltsstoffe: L-Hyoscyamin, Atropin, Scopolamin, Atropam
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Tollkirsche (Quelle: Wikimedia https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Flickr_-_don_macauley_-_Deadly_Nightshade.jpg)
Engelstrompete (Brugmansia spec.), RK3
  • Relevante Inhaltsstoffe: Scopolamin, L-Hyoscyamin, Atropin
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Engelstrompete (Quelle: Wikimedia https://commons.wikimedia.org/wiki/File:AngelTrumpet_Mounts_Asit.jpg)
Wasserschierling (Cicuta virosa), RK3
  • Relevante Inhaltsstoffe: Cicutin, Aethusin, Cicutol
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Wasserschierling (Quelle: Wikimedia https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Cicuta_virosa_002.JPG)
Herbstzeitlose (Colchicum autumnale), RK3
  • Relevante Inhaltsstoffe: Colchicin
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Herbstzeitlose (Quelle: Wikimedia https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Colchicum_autumnale_ENBLA03.jpeg)
Gefleckter Schierling (Conium maculatum), RK3
  • Relevante Inhaltsstoffe: Coniin, γ-Conicein
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Gefleckter Schierling (Quelle: Wikimedia https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Conium_maculatum_Kiev2.JPG)
Stechapfel (Datura stramonium), RK3
  • Relevante Inhaltsstoffe: L-Hyoscyamin, Atropin, Scopolamin
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Stechapfel (Quelle: Wikimedia https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Datura_stramonium_002.JPG)
Schwarzes Bilsenkraut (Hyoscyamus niger), RK3
  • Relevante Inhaltsstoffe: Scopolamin, L-Hyoscyamin, Atropin
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Schwarzes Bilsenkraut (Quelle: Wikimedia https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hyoscyamus_niger,_Solanaceae.jpg)
Wunderbaum (Ricinus communis), RK3
  • Relevante Inhaltsstoffe: Ricin, Ricinin
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Wunderbaum (Quelle: Wikimedia https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Castor_Oil_Plant_-_Flickr_-_treegrow.jpg)
Germer (Veratrum spec.) RK3
  • Relevante Inhaltsstoffe: Protoveratrine, Jervin, Germerin
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Weißer Germer (Veratrum album) (Quelle: Wikimedia https://commons.wikimedia.org/wiki/File:VERATRUM_ALBUM_-_GENTO_-_IB-962_(Veladre).jpg)
Fingerhut (Digitalis spec.), RK2
  • Relevante Inhaltsstoffe: Digoxin, Digitoxin, Gitoxin, Lanatosid C
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Roter Fingerhut (Digitalis purpurea) (Quelle: Wikimedia https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Digitalis_purpurea_003.JPG)
Europäische Eibe (Taxus baccata), RK2
  • Relevante Inhaltsstoffe: Taxin A, B, C, Taxole, Taxane, Baccatine, cyanogene Glykoside
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Europäische Eibe (Quelle: Wikimedia https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Yew_Berries.jpg)
Weitere relevante Giftpflanzen3
  • Seidelbast (Daphne mezerum)
    • alle Pflanzenteile sehr giftig
    • relevante Inhaltsstoffe: Daphnetoxin, Mezerein
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Seidelbast (Quelle: Wikimedia https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Daphne_mezereum_003.JPG)
  • Maiglöckchen (Convallaria majalis)
    • alle Pflanzenteile sehr giftig, Verwechslungsgefahr mit Bärlauch
    • relevante Inhaltsstoffe: Convallotoxin, Convallamarin, Convallosid, Lokundjosid, digitalisähnliche Wirkung
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Maiglöckchen (Quelle: Wikimedia https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Lily_of_the_valley_777.jpg)
Weitere Giftpflanzen unter: 

Pathogenese

  • Das Vergiftungsrisiko hängt von vielen Faktoren ab.1
    • Die Menge der Inhaltsstoffe kann je nach Pflanzenteil stark schwanken.
      • z. B. höchste Giftkonzentration bei Tollkirsche in den Früchten, bei Herbstzeitlose in den Samen, bei der Eibe in den Nadeln, bei Germer in den Wurzeln
    • Ingestionsmenge
    • Kaugrad
    • Alter (Kinder und ältere Personen besonders vulnerabel)
    • Begleiterkrankungen (z. B. chronische Nieren- oder Leberfunktionsstörungen)
    • Enzymausstattung (z. B. Cytocromstatus der Leber)
    • Aufnahmewege (z. B. oral, inhalativ, dermal, okulär)
    • Expositionsdauer (chronisch oder akut)
  • Folgen einer Intoxikation mit Pflanzen können u. a. sein:2
    • gastrointestinale Symptome, wie Koliken, Erbrechen und/oder Diarrhö
      • bei bestimmten Pflanzenarten durch direkte Irritation von Mukosa oder erhöhten Vagotonus
      • bei Aufnahme von cholinerg wirksamen Alkaloiden Diarrhö durch direkte Stimulation von Muskarinrezeptoren 
      • auch osmotische Wirkung möglich
        • z. B. bei Aufnahme von Mistelteilen, Stechpalme, Wunderbaum
    • Status epilepticus
      • z. B. durch Cicutoxin in Schierling
    • kardiale Reizleitungsstörungen, Tachykardie
      • Wirkung von Herzglykosiden bei Vergiftung durch Fingerhutbestandteile
      • ventrikuläre Arrhythmien durch Taxine in Eibenbestandteilen oder durch Acotinin im Blauen Eisenhut
    • Halluzinationen
      • z. B. durch Tollkirsche
    • Knochenmarksdepression
      • durch Colchizin in der Herbstzeitlose und Rizin im Wunderbaum
    • Leberschaden/Leberversagen
      • Aufnahme hepatotoxischer Alkaloide oder anderer Hepatotoxine, z. B. aus Jakobs-Kreuzkraut
      • Lebernekrosen durch Vergiftung mit Wunderbaumteilen
    • Multiorganversagen
      • z. B. durch Intoxikation mit Schierling, Eibe, Tollkirsche, Herbstzeitlose

Disponierende Faktoren

  • Kleinkinder, die ihre Umgebung durch In-den-Mund-Stecken von Dingen erkunden.
  • Verwechslung mit essbaren Pflanzen (z. B. Maiglöckchen vs. Bärlauch) oder Heilpflanzen

ICPC-2

  • A86 Toxischer Effekt nichtmed. Substanz

ICD-10

  • T65.9 Toxische Wirkung einer nicht näher bezeichneten Substanz
    • Inkl.: Vergiftung o.n.A.
  • T62.- Toxische Wirkung sonstiger schädlicher Substanzen, die mit der Nahrung aufgenommen wurden
    • T62.1 Verzehrte Beeren
    • T62.2 Sonstige verzehrte Pflanze(n) oder Teil(e) davon

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Anamnese, Pflanzenteile (z. B. bei Kindern oder bewusstlosen Personen in der Mundhöhle), typische Symptome
  • Beurteilung durch Fachpersonal, Botaniker*innen, Giftnotruf1
    • Die fragliche Pflanze sollte möglichst genau identifiziert werden.2

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Der folgende Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1-2,5
  • Häufig ist die Fremdanamnese entscheidend.
  • Welche Pflanzenteile von welchen Pflanzenarten wurden aufgenommen?
    • Wurde geschluckt oder nur gekaut und ausgespuckt?
  • Wie viel? Wann? Wie und warum?
    • Wieviel wurde verschluckt?
    • Waren die Pflanzenteile zubereitet? Extrakt, Tee?
    • Wurden Pflanzenteile geraucht/inhaliert?
  • Sind weitere Personen betroffen? Wenn ja, wie?
  • Leitsymptome, Syndrome (Toxidrome)
  • Vorerkrankungen
  • Medikation
  • Suizidhinweise (Abschiedsbrief)
  • Auffindesituation

Typische Symptome einer syndromatischen Vergiftung (Toxidrom)

  • Anticholinerges Syndrom bei Tropanalkaloid-Intoxikation (z. B. Atropin, Scopolamin)1,3
    • Tachykardie, Hyperthermie, Tachypnoe, Mydriasis, warme/trockene Haut, trockene Schleimhäute, Harnverhalt, Tremor, Darmatonie, Agitation, Halluzinationen
    • meist nur Teilsymptome vorhanden

Klinische Untersuchung

  • Der folgende Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
  • Körpertemperatur, Hautveränderungen
  • Mund-/Rachenraum 
    • Pflanzenreste
    • Erbrochenes
    • Speichelfluss
    • Schleimhautzustand
  • Lunge
    • Atemgeruch
    • Atemfrequenz
    • Auskultation
    • Sauerstoffsättigung (SaO2)
  • Kreislauf
    • Puls
    • Blutdruck
    • kapilläre Rezirkulation
  • Neurologischer Status
    • Vigilanz (GCS)
    • Agitiertheit, Halluzinationen
    • Pupillengröße, Pupillenreaktion, Sehstörungen
    • Hörstörungen
    • Motorik, Tonus, Reflexe
    • Krampfanfälle
  • Abdomen
    • Palpation, Auskultation
    • Stuhl- oder Urinabgang?

Beurteilung des Schweregrads der Intoxikation

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis bzw. in der Klinik

  • Der folgende Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1-2
  • Labor
    • Blutbild, Glukose, Elektrolyte, Blutgasanalyse, Kreatinin, Harnstoff, CK, Myoglobin, GPT, GOT, GGT, Quick, PTT
    • ggf. Schwangerschaftstest
    • Ggf. Digoxin-Immunassays bei Vergiftung mit pflanzlichen Herzglykosiden (kann qualitative Hinweise liefern); fehlender Nachweis schließt Herglykosidvergiftung nicht aus.
  • Gewinnung von Untersuchungsmaterial: Asservierung von Blut, Urin und Erbrochenem
  • EKG
    • 12-Kanal-EKG bei Vergiftungen durch kardiotoxische Pflanzen wie Eisenhut, Fingerhut, Europäische Eibe, Herbstzeitlose)
      • Rhythmusstörungen, Blockbilder, verbreiterte QRS-Komplexe, verlängerte QT-Zeit 
    • mindestens 24-stündiges EKG-Monitoring bei Ingestion kardiotoxischer Pflanzen

Identifikation der fraglichen Pflanze

Indikationen zur Überweisung (Klinikeinweisung)

  • Kontaktaufnahme mit GIZ auch bei symptomlosen Patient*innen und nach Ingestion geringer Pflanzenmengen1
  • Notfallmäßiger Transport von gefährdeten oder potenziell gefährdeten Personen in ärztlicher Begleitung in Notaufnahme/Klinik1 

Therapie

Therapieziele

  • Giftelimination
  • Sicherung von Vitalfunktionen
  • Behandlung von Vergiftungserscheinungen, ggf. Antidotverabreichung

Allgemeines zur Therapie

  • Der folgende Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1-2
  • Wurden laut GIZ sicher ungiftige oder nur wenig giftige Pflanzenzeile oder sicher ungefährliche Mengen aufgenommen, sind in der Regel keine weiteren Maßnahmen erforderlich.
  • Asymptomatische Betroffene nach Ingestion potenziell toxischer Pflanzenteile sollen für mehrere Stunden überwacht werden.
  • Die meisten Betroffenen nach einer Ingestion möglicher Giftpflanzen werden symptomatisch behandelt.
  • Antidote sind normalerweise nur bei Digoxin- oder Anticholinergika-enthaltenden Pflanzen verfügbar.
  • Übersicht über Giftpflanzen mit hoher Anfragehäufigkeit im GGIZ Erfurt, mit häufigen Symptomen und Therapieoptionen

Erstmaßnahmen bei oralen Pflanzenvergiftungen

  • Der folgende Abschnitt basiert auf dieser Referenz1
  • Sicherung der Vitalfunktionen (siehe Advanced Life Support bei Kindern und bei Erwachsenen)
  • Rücksprache mit GIZ, v. a. bei unklarer Gefährdungslage
  • Ggf. primäre Giftelimination durch Aktivkohleapplikation
  • Wenn verfügbar: Gabe von Antidot in Absprache mit GIZ
  • Pflanze bzw. Pflanzenteile zur Identifikation asservieren, alternativ Fotodokumentation möglichst vieler Pflanzenteile.
  • Blut-, Urinproben und Erbrochenes asservieren (für Analytik/Forensik).

Empfehlungen für Patient*innen

  • Der folgende Abschnitt basiert auf diesen Referenzen 1,5
  • Kein Erbrechen auslösen, bzw. kein Salzwasser verabreichen.
  • Weitere Giftaufnahme stoppen (z. B. Pflanzenteile aus dem Mund entfernen).
  • Wache Person: Wasser, Saft oder Tee trinken lassen (keine Milch!).
  • Bewusstlose Person: Anweisungen der Rettungsleitstelle befolgen (siehe Basic Life Support bei Kindern und bei Erwachsenen)
  • GIZ anrufen, ggf. Hausarztpraxis kontaktieren, Empfehlungen befolgen.
  • Pflanze bzw. Pflanzenteile zur Identifikation asservieren, am besten einen ganzen Zweig; alternativ Fotodokumentation möglichst vieler Pflanzenteile.

Medikamentöse Behandlung

  • Aktivkohle1
    • Gabe von Aktivkohle ist bereits bei mittelschweren oder unklaren/unbekannten Vergiftungen empfohlen (nicht bei erhöhtem Aspirationsrisiko).
    • Bei leichten Intoxikationen (PSS 0–1) nur in Ausnahmefällen: Wenn unmittelbar verfügbar und wenn Auftreten von Vergiftungssymptomen dadurch verhindert werden kann.
    • großzügige Indikationsstellung bei hochtoxischen (z. B. Wunderbaum, Eisenhut), schwer verdaulichen (z. B. Eibennadeln) oder anticholinerg wirkenden Giftpflanzen (z. B. Tollkirsche, Engelstrompete)
    • möglichst früh, am besten innerhalb von 30–60 min nach Ingestion, zusammen mit reichlich Flüssigkeit
      • verlängerte, späte oder wiederholte Gaben bei Vergiftung durch Pflanzeninhaltsstoffe mit ausgeprägtem entero-hepatischen und/oder entero-enterischen Kreislauf ggf. noch wirksam (z. B. bei Colchizin oder Diritalis-Glykoside)
    • primäre Giftelimination durch Aktivkohleapplikation
      • Dosierung: 10- bis 40-facher Überschuss zur Noxe oder 0,5–1 g/kg Körpergewicht bei Kindern bzw. 50 g bei Erwachsenen oral (ggf. via Magensonde)
      • max. kumulative Dosis bei Erwachsenen: 300 g
    • Kontraindikationen
      • Bewusstseinstrübung bei ungesicherten Atemwegen
      • rezidivierendes Erbrechen
      • Non-Compliance
      • Blutungen (z. B. bei Rizin-Intoxikationen)
      • Verletzungen des Gastrointestinaltraktes
  • Laxanzien-Kombinationen1
    • nicht empfohlen
  • Colestyramin1 
    • Kann bei lipophilen Noxen (z. B. Digitalis-Glykoside) die Resorption hemmen.
    • Aktivkohle ist zu bevorzugen.

Antidote

  • Der folgende Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
  • Nur für wenige Pflanzengifte verfügbar:
    • Physostigmin
      • gegen die anticholinerge Wirkung von Tropanalkaloiden
      • besonders indiziert bei Delir
      • bei Vergiftung mit z. B. Engelstrompete, Stechapfel, Tollkirsche
    • Digitalis-Antikörper (Anti-Digoxin-Fab-Fragmente)
      • Einzelfallberichte zur Wirksamkeit bei Vergiftung mit pflanzlichen Herzglykosiden aus dem Fingerhut (Digoxin, Digitoxin, Digitoxigenin)
      • nicht wirksam gegen Herzglykosid Convallatoxin aus Maiglöckchen
      • Wirkung gegen Taxin (Eibe) unklar

Behandlung in der Klinik

  • Allgemein1
    • Flüssigkeits- und Elektrolytbilanzierung
    • Schmerztherapie
    • Spasmolyse
    • ggf. kontrollierte Beatmung bei Atemdepression (z. B. bei Eiben- oder Schierlingsvergiftung)
  • Primäre Giftelimination1
  • Nur schwache Evidenz für folgende Therapieverfahren, RCT fehlen.
    • Applikation von Aktivkohle (s. o.)
    • Magenspülung oder endoskopische Bergung von Pflanzenresten
      • Keine Belege, die eine routinemäßige Magenspülung rechtfertigen.
      • effektiver Einsatz bei vitaler Bedrohung
      • Kann auch > 60 min nach Ingestion empfohlen werden (z. B. bei Eibennadeln).
  • Sekundäre Giftelimination1
    • Hämodialyse
      • auch zur Elimination von Myoglobin bei Rhabdomyolyse (z. B. gefleckter Schierling) und
      • von Laktat bei konsekutiver Laktatazidose
    • hochdosierte intravenöse Lipidemulsion als individueller Therapieversuch bei lipophilen kardiotoxischen Wirkstoffen mit hohem Verteilungsvolumen (z. B. Taxin B)

Prävention

  • Aufklärung und Information über Giftpflanzen
  • Keine Giftpflanzen im Garten, besonders wenn Kleinkinder zum Haushalt gehören.
  • Beim Kauf von Pflanzen über Giftigkeit informieren z. B. unter www.botanikus.de.5
    • Giftige Pflanzen aus der Reichweite von Kindern entfernen.
    • Giftige Pflanzen Kindern zeigen und erklären.
  • Genaue Identifikation von Pflanzen, bevor sie verzehrt werden (z. B. charakteristischer Geruch von Bärlauch im vgl. zu Maiglöckchen).

Verlauf, Komplikationen und Prognose

  • Abhängig von verschiedenen Einflussvariablen wie Ingestionsmenge, Alter, eingenommenen Pflanzenteilen und Pflanzenart1
  • Abklärung von Suizidalität

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Weitere Informationen

Quellen

Literatur

  1. Wendt S, Lübbert C, Begemann K, Prasa D, Franke H: Poisoning by plants. Dtsch Arztebl Int 2022; 119: 317–24. DOI: 10.3238/arztebl.m2022.0124. www.aerzteblatt.de
  2. BMJ Best Practice. Common toxic plant ingestions. Stand 12.04.2022. (letzter Zugriff am 12.05.2022) bestpractice.bmj.com
  3. Bastigkeit M, Böhm R. Giftpflanzen lauern überall - Intoxikationen erkennen und behandeln. retten! 2013; 4: 250-7. www.thieme.de
  4. DGUV Information 202-023. Giftpflanzen - Beschauen, nicht kauen! November 2006 www.unfallkasse-nrw.de
  5. Charité. Giftnotruf der Charité. Vergiftungen durch Pflanzen. (letzter Zugriff am 12.05.2022) giftnotruf.charite.de

Autorin

  • Marlies Karsch-Völk, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin

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