Femur-Retrotorsion

Zusammenfassung

  • Definition:Verdrehung des Femurs zwischen dem Schenkelhals und dem Schaft nach hinten (physiologisch ist leichte Torsion nach vorne).
  • Häufigkeit:Seltene Ursache des Außengangs.
  • Symptome:Im Kindesalter meist asymptomatischer Außengang, im Jugendalter oft Hüftimpingement-Symptomatik (Schmerzen bei Flexion und Innenrotation in der Hüfte).
  • Befunde:Typischerweise Außengang nach lateral gerichteten Fußspitzen und Patellae.
  • Diagnostik:Klinische Untersuchung. Bildgebung (Röntgen, Sonografie, MRT) zur exakten Bestimmung des Torsionswinkels und ggf. OP-Planung.
  • Therapie:Im Kindesalter abwartendes Beobachten. Bei symptomatischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen Rotationsosteotomie, um Hüftarthrose zu verhindern.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Synonyme: Coxa retrotorta, Charlie-Chaplin-Füße1
  • Verdrehung des Femurs zwischen dem Schenkelhals und dem Schaft nach hinten2
    • physiologisch leichte Antetorsion
  • Die Coxa retrotorta tritt meist in Kombination mit einem abgeflachten Schenkelhals (Coxa vara) auf.3
  • Die femorale Retrotorsion stellt für das Hüftgelenk ein Präarthroserisiko
    dar und erhöht das Risiko für ein femoroazetabuläres Impingement und eine Epiphyseolysis capitis femoris.4
    • engmaschige Kontrolle und ggf. Behandlung notwendig
  • Siehe auch Artikel Außengang.

Häufigkeit

  • Der Außengang ist deutlich seltener als der Innengang.
  • Coxa retrotorta ist nur eine von mehreren Ursachen für Außengang.

Klinische Anatomie

  • Die Normwerte der femoralen Antetorsion verändern sich über das Wachstum bis in einen Normbereich des Erwachsenen von 10–25 Grad.4
  • Bei der Coxa retrotorta stehen Patella und Fußspitzen in der Regel nach lateral.
    • Ausnahme bei z. B. gleichzeitig ausgeprägter tibialer Torsion nach medial
  • Die Kombination einer Coxa retrotorta mit einer Coxa vara bedingt die Aufhebung der Fähigkeit zur Innenrotation im Hüftgelenk und bei endgradiger Flexion der Hüfte einen ventralen Kontakt des Schenkelhalses mit dem vorderen Pfannenrand (femoroazetabuläres Impingement).

Ätiologie und Pathogenese

  • Coxa retrotorta kann bedingt sein durch:3
    • angeborene Fehlbildung, meist idiopathisch
    • epiphysäre Wachstumsstörung (z. B. M. PerthesEpiphyseolysis capitis
      femoris)
    • Stoffwechselerkrankung (Rachitis, renale Osteopathie, Phosphatdiabetes)
    • septische Koxitis (postinfektiös)
    • fehlverheilte Fraktur (posttraumatisch).

ICPC-2

  • L98 Erworbene Deformität Extremität

ICD-10

  • Q65.9 Angeborene Deformität der Hüfte, nicht näher bezeichnet

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Typischer klinischer Befund, ergänzt durch Bildgebung (Röntgen, Sonografie und ggf. MRT-Torsionsmessung)3

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Meist erster Konsultationsgrund: Kind beginnt zu laufen und hat stark nach außen rotierte Füße („Charlie-Chaplin-Füße“) mit „watschelndem“ Gang.
  • Die Erkrankung kann sichtbar werden, bevor das Kind zu gehen beginnt, wenn es mit stark auswärts routinierten Füßen steht.
  • Meist werden Kinder mit einer Coxa vara et retrotorta erst in der
    Adoleszenz symptomatisch.3
    • Die betroffenen Jugendlichen kompensieren das Impingement (siehe Abschnitt Klinische Anatomie) mithilfe einer zwanghaften Abduktion und Außenrotation der Hüfte (breitbasiges Gangbild).

Klinische Untersuchung

  • Das Kind läuft im Außengang.
  • Die Patella zeigt in laterale Richtung.
    • Anzeichen dafür, dass die Ursache im Oberschenkel lokalisiert ist.
    • Siehe auch Artikel Außengang.
  • Klinisch wird die Femurtorsion wie auch Beweglichkeit des Hüftgelenks in Bauchlage mit gestreckter Hüfte und 90 Grad flektiertem Kniegelenk geprüft.4
    • Das Ausmaß der Hüftrotation lässt indirekt auf die Femurtorsion schließen: Außenrotation erhöht und Innenrotation nahezu aufgehoben.
  • Zur direkten Antetorsionsbestimmung wird die Hüfte jeweils so weit rotiert, bis der Trochanter major maximal lateralisiert palpiert werden kann.4
    • Das Ausmaß der Torsion entspricht dem Winkel des flektierten Unterschenkels zur Senkrechten.
    • Bei Retrotorsion steht Unterschenkel also innenrotiert.

Diagnostik bei Spezialist*innen

  • Bildgebung zur Bestimmung des Torsionswinkels
    • Röntgen4
      • Beckenübersicht und Beckenaufnahme nach Dunn und Rippstein
    • Sonografie3
      • navigierte ultraschallgestützte Rotationsbestimmung
      • sehr präzise, aber hoher apparativer Aufwand
    • MRT-basierte Torsionsmessung3
      • zur exakten Bestimmung, insbesondere zur Indikationsstellung einer
        operativen Korrektur
  • Instrumentelle Ganganalyse4
    • Analyse der funktionellen Auswirkungen auf das Gangbild
    • Kann im Gegensatz zur radiologischen Diagnostik dynamische Auffälligkeiten erfassen.
    • Besteht aus: 
      • Videoanalyse frontal und seitlich
      • Elektromyografie
      • Pedografie
      • Darstellung des Gangzyklus in der Frontal-, Sagittal- und Transversalebene.

Indikationen zur Überweisung

  • Im Kindesalter abwartendes Prozedere möglich
  • Bei klinisch apparenter Coxa retrotorta in der Adoleszenz und/oder Beschwerden (klassischerweise Impingement-Symptomatik) Überweisung an (Kinder-)Orthopäd*in

Therapie

Therapieziele

Allgemeines zur Therapie

  • Die femorale Retrotorsion stellt ein Präarthroserisiko dar.4
  • Da die femorale Torsion konservativ (u. a. Einlagen, Physiotherapie) nicht beeinflusst werden kann, kann eine Korrektur nur chirurgisch durch eine Rotationsosteotomie erfolgen.4

Rotationsosteotomie

  • Indikation4
    • Bei Hüftimpingement-Symptomatik (schmerzhafter Kontakt zwischen Schenkelhals und Pfannenrand bei Flexion und Innenrotation)
    • verursacht längerfristig Schäden an Labrum und Gelenkknorpel
  • Durchführung
    • Osteotomie des Femurs und Einstellung des Knochens auf physiologische Torsion
    • Fixierung des Femurs in dieser Position mittels Osteosynthese

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Deformität wird in der Regel im jugendlichen oder jungen Erwachsenenalter mit Hüftimpingement-Symptomatik auffällig.4

Komplikationen

Prognose

  • Bei neurologisch gesunden Patient*innen finden sich in der Literatur sehr wenige Verlaufsbeobachtungen, und diese beziehen sich meist auf Patient*innen nach Wachstumsabschluss.4
  • Insbesondere bei Kindern mit syndromaler Erkrankung ist die Deformität unbehandelt fast immer progredient und kann zum Verlust der Steh- und Gehfähigkeit führen.3

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Literatur

  1. Scherl SA. Common lower extremity problems in children. Pediatr Rev 2004; 25:52. PubMed
  2. Schäfer C, Döderlein L. Pädiatrie. Kapitel Hüftgelenkerkrankungen. Berlin: Springer, 2020. link.springer.com
  3. Thielemann F, Postler A, Druschel C, et al. Fehlstellungen der Hüfte. Monatsschrift Kinderheilkunde 2020; 168: 892-901. link.springer.com
  4. Grisch D, Dreher T. Torsionen und Torsionsentwicklung der unteren Extremität. Der Orthopäde 2019; 48: 523-30. link.springer.com

Autor*innen

  • Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Münster
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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