Zusammenfassung
- Definition:Brustschmerzen, die nicht vom Herzen ausgehen.
- Häufigkeit:Häufigkeit des Symptoms „Brustschmerz“ im allgemeinmedizinischen Bereich ca. 0,7–2,7 %.
- Symptome und Befunde:Abhängig von der Ätiologie des nicht-kardialen Brustschmerzes (vor allem Brustwandsyndrom, psychogen, respiratorischer Infekt, gastrointestinale Ursache).
- Diagnostik:Im hausärztlichen Rahmen je nach klinischem Verdacht ergänzend Rö-Thorax, Sonografie, Labor, EKG.
- Therapie:Abhängig von der Grunderkrankung kausale/symptomatische Therapie. Nach Ausschluss einer ernsthaften, akuten Erkrankung kann „abwartendes Offenhalten“ eine sinnvolle Option sein.
Red Flags und abwendbar gefährliche Verläufe1-2
Red Flags |
Abwendbar gefährlicher Verlauf |
Synkope Präsynkope bzw. Unwohlsein/Schwindelgefühl |
kardiogener Schock, Kammerflimmern, Herz-Kreislaufstillstand, akutes Koronarsyndrom, Myokardinfarkt, Lungenembolie, Aortendissektion, Spannungspneumothorax (->Advanced Life Support) |
Neurologisches Defizit
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zerebrale Minderperfusion, kardiogener Schock, Kammerflimmern, Herz-Kreislauf-Stillstand (-> Advanced Life Support) |
Retrosternaler Schmerz und Ausstrahlung in:
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akutes Koronarsyndrom, Myokardinfarkt, Aortendissektion, Lungenembolie, Cholangitis, Pankreatitis |
Schwitzen, blasse feuchte Haut |
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Akute Dyspnoe |
Lungenembolie, Lungenödem, Spannungspneumothorax, Pneumothorax, Pneumonie |
Atemabhängige Thoraxschmerzen |
Lungenembolie, Pneumothorax, Pleuraempyem |
Nausea/Erbrechen |
akutes Koronarsyndrom, Myokardinfarkt, schlagartiger Beginn nach heftigem Erbrechen: Ösophagusruptur |
Herzklopfen, Herzrasen, Tachykardie |
Lungenembolie, gefährliche Rhythmusstörung |
Risikofaktoren für eine thromboembolische Erkrankung (perioperativ, Schwangerschaft, Immobilität) |
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Bekannte kardiovaskuläre Risikofaktoren, bekannte vaskuläre Erkrankung (z. B. PAVK) |
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Vorgeschichte mit Thoraxschmerzen (in Ruhe, bei Belastung) |
koronare Herzerkrankung, rezidivierende Lungenembolien: |
Hämoptoe |
Lungenembolie, Pneumonie, Infarktpneumonie, Bronchialkarzinom |
Fieber > 38,5 °C, Husten, Pleuritis |
Allgemeine Informationen
Definition
- Brustschmerzen, die nicht vom Herzen ausgehen.
- Die arbiträre Einteilung von Brustschmerzen in „kardial“ vs. „nicht-kardial“ beruht vor allem darauf, dass kardiovaskuläre Ursachen eines Brustschmerzes potenziell unmittelbar lebensbedrohlich sind (ACS, Lungenembolie, Aortendissektion), während dies bei nicht-kardialer Ätiologie selten der Fall ist
- Die Abgrenzung eines nicht-kardialen von einem kardialen Brustschmerz ist häufig herausfordernd.3-4
Häufigkeit
- Häufigkeit des Symptoms „Brustschmerz“ im allgemeinmedizinischen Bereich ca. 0,7–2,7 %5
- kardial ca. 10–15 %
- nicht-kardial ca. 80–85 %
- Häufigste Ursachen eines nicht-kardialen Brustschmerzes im hausärztlichen Bereich sind:5
- Brustwandsyndrom (46 %)
- psychogene Störungen (10 %)
- respiratorische Infekte (8 %)
- gastroösophageale Beschwerden (6 %).
- Die Häufigkeitsverteilung in der Hausarztpraxis unterscheidet sich somit deutlich von Notaufnahmen.6-7
Ätiologie und Pathogenese
- Die Ätiologien eines nicht-kardialen Brustschmerzes können in Abhängigkeit von der Relevanz für die Hausarztpraxis klassifiziert werden:
Hohe Relevanz für die Hausarztpraxis5
- Brustwandsyndrom8
- Psychogene Störungen (depressive Störungen, somatoforme Störungen, Angststörungen)
- Respiratorische Infekte
- Ösophageale/gastrointestinale Ursachen (Refluxkrankheit, ösophageale Motilitätsstörungen, viszerale Hypersensitivität)
Geringere Relevanz für die Hausarztpraxis5
- COPD/Asthma
- Cholezystitis
- Gastritis
- Peptische Ulkuskrankheit
Sehr geringe Relevanz für die Hausarztpraxis5
- Pneumothorax
- Seltene muskuloskelettale Ursachen, z. B. Psoriasisarthritis
- Malignome des Mediastinums
- Malignome der Lunge
- Malignome des Verdauungstraktes
- Ösophagusruptur
- Lungenabszess
- Medikamenteninduzierter Brustschmerz (z. B. durch Triptane)
- Sichelzellanämie
- Zwerchfellhernie
ICPC-2
- K24 Angst vor Herzerkrankung
- K27 Angst vor anderer Erkrankung
ICD-10
- R07 Hals- und Brustschmerzen
- R07.1 Brustschmerzen bei der Atmung
- R07.3 Sonstige Brustschmerzen
- R07.4 Brustschmerzen, nicht näher bezeichnet
Differenzialdiagnosen (kardialer Brustschmerz)
- Chronisches Koronarsyndrom (stabile KHK)
- Akutes Koronarsyndrom
- Perikarditis
- Myokarditis
- Tako-Tsubo-Syndrom
- Kardiomyopathien (z. B. hypertrophe Kardiomyopathie)
- Herzklappenerkrankungen (Aortenklappenstenose, Mitralklappenstenose)
- Lungenembolie
- Aortendissektion
Diagnostisches Vorgehen durch die Hausärzt*innen
- Die DEGAM empfiehlt ein dreistufiges Vorgehen bei Brustschmerz:5
Evaluation nicht-kardialer Ursachen für Brustschmerz
- Wenn keine vital bedrohliche Situation vorliegt und ein ACS/CCS als Ursache für den Brustschmerz unwahrscheinlich ist, sollte die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer häufigen nicht-kardialen Ursache evaluiert werden.
Brustwandsyndrom5
- Ein Brustwandsyndrom ist die häufigste Ursache für Brustschmerz in der Hausarztpraxis.
- Kriterien, die für Brustwandsyndrom sprechen:
- lokalisierte Muskelverspannung
- stechender Schmerz
- durch Palpation reproduzierbar.
- Kriterien, die gegen Brustwandsyndrom sprechen:
Psychogene Ursachen5
- Ergeben sich Hinweise für eine der folgenden Störungen?
- Hinweise für Angststörung
- Angst-/Panikattacken
- unklare körperliche Symptome (Tachykardie, Schwindel, Luftnot)
- Nervosität, Ängstlichkeit oder Anspannung
- „Nicht in der Lage sein, Sorgen zu stoppen oder zu kontrollieren.“
- Hinweise für depressive Störung
- Stimmung: niedergeschlagen, depressiv oder hoffnungslos
- Anhedonie: Kein/wenig Interesse oder Freude an Dingen, die früher Spaß gemacht haben.
- Hinweise für somatoforme Störung – wiederholte Konsultationen wegen
- unspezifischer Beschwerden und
- bei bereits mehrfach ausgeschlossenen somatischen Ursachen.
Respiratorischer Infekt – Beurteilung der Wahrscheinlichkeit anhand folgender Kriterien5
- Kriterien, die für einen respiratorischen Infekt sprechen:
- Krankheitsdauer unter 24 Stunden (Pneumonie)
- trockener Husten (Pneumonie)
- Durchfall (Pneumonie)
- Temperatur ≥ 38 °C (Pneumonie)
- zäh- oder dünnflüssiger Auswurf (Bronchitis)
- atemabhängige Brustschmerzen (Bronchitis, Pleuritis)
- Rasselgeräusche (Bronchitis)
- Heiserkeit (Tracheitis)
- retrosternales Brennen (Tracheitis)
- Pleurareiben (Pleuritis)
- gedämpfter Klopfschall (Pleuraerguss).
- Kriterien, die gegen einen respiratorischen Infekt sprechen:
- normaler Auskultationsbefund der Lunge (hinsichtlich Pneumonie).
Ösophageale/gastrointestiale Ursachen – Beurteilung der Wahrscheinlichkeit anhand folgender Kriterien5
- Kriterien, die für eine ösophageale/gastrointestinale Ursache sprechen:
- Schmerz abhängig von Nahrungsaufnahme
- Schmerz auslösbar durch Schlucken
- Übelkeit und Erbrechen
- Besserung auf Antazidaeinnahme
- retrosternaler brennender Schmerz/Sodbrennen.
- Kriterien, die gegen eine ösophageale/gastrointestinale Ursache sprechen:
- bewegungsabhängiger Schmerz
- belastungsabhängiger Schmerz
- atemabhängiger Schmerz.
- Alarmzeichen
- klinische Zeichen einer gastrointestinalen Blutung/unklare Anämie
- Alter > 55 Jahre und neu aufgetretene Beschwerden
- Dysphagie
- unklarer Gewichtsverlust
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
- In Abhängigkeit vom klinischen Verdacht evtl. ergänzend:
Indikationen zur Überweisung/Klinikeinweisung
- Bei Alarmsymptomen Überweisung an Spezialist*innen bzw. stationäre Einweisung5
Maßnahmen in der hausärztlichen Praxis
- Bei ausreichender Wahrscheinlichkeit für eine Diagnose kausale/symptomatische Therapie, ansonsten „abwartendes Offenhalten“ und Verlaufskontrollen5
Bei V. a. Brustwandsyndrom
- Siehe Artikel Brustwandsyndrom.
- Symptombezogene Therapie und Verlaufskontrolle5
Bei V. a. psychogene Ursache
- Psychotherapeutische Interventionen können hilfreich sein.10-11
- eher zögerliche Inanspruchnahme sowohl von Ärzt*innen als auch Patient*innen12
- Bei diagnostischer Unsicherheit Überweisung an Fachärzt*in für Psychiatrie5
Bei V. a. respiratorischen Infekt
- Evtl. ergänzend Rö-Thorax5
- Nachweis/Ausschluss einer Infektion mit SARS-CoV2 (COVID-19)
- Für die Indikation zur Krankenhauseinweisung ist der Allgemeinzustand der Patient*innen maßgeblich.5
- z. B. CRB-65-Index ergänzt um individuelle Beurteilung bei V. a. Pneumonie
- CRP-Bestimmung nur von mäßigem prädiktivem Wert und nicht empfohlen5
Bei V. a. gastrointestinale Ursache
- Bei V. a. Reflux (Sodbrennen als Hauptsymptom) kann ein PPI-Test durchgeführt werden.5
- kurzzeitige Gabe eines hochdosierten Protonenpumpenhemmers (z. B. 40–80 mg Omeprazol über 2–4 Wochen)5
- bei deutlicher Besserung der Beschwerden pathologischer Reflux als Ursache des Brustschmerzes wahrscheinlich
Verlauf und Prognose
- Verlauf und Prognose werden durch die Grunderkrankung bestimmt.
- Bei unspezifischen Beschwerden sind aufklärende Gespräche wichtig zur Vermeidung von Überdiagnostik und Chronifizierung.
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Quellen
Leitlinien
- Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Brustschmerz. AWMF-Leitlinie Nr. 053-023. S3, Stand 2011. www.awmf.org
- American College of Cardiology/American Heart Association joint committee: Guideline for the Evaluation and Diagnosis of Chest Pain, Stand 2021. www.ahajournals.org
Literatur
- Schaufelberger M, Meer A, Furger P, Derkx H et al. Red Flags - Expertenkonsens - Alarmsymptome der Medizin. Neuhausen am Rheinfall, Schweiz: Editions D&F, 2018.
- Fleischmann T. Fälle Klinische Notfallmedizin - Die 100 wichtigsten Diagnosen. München, Deutschland: Elsevier, 2018.
- McConaghy J, Sharma M, Patel H. Acute Chest Pain in Adults: Outpatient Evaluation. Am Fam Physician 2020; 102: 721-727. www.aafp.org
- Frieling T. Non-Cardiac Chest Pain. Visc Med 2018; 34: 92-96. doi:10.1159/000486440 DOI
- Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Brustschmerz. AWMF-Leitlinie Nr. 053-023. S3, Stand 2011. www.awmf.org
- Bruno R, Donner-Banzhoff N, Söllner W, et al. The interdisciplinary management of acute chest pain. Dtsch Arztebl Int 2015; 112:768-780. doi:10.3238/arztebl.2015.0768 DOI
- Wertli M, Dangma T, Müller S, et al. Non-cardiac chest pain patients in the emergency department: Do physicians have a plan how to diagnose and treat them? A retrospective study. PLoS One 2019; 14: e0211615. doi:10.1371/journal. pone.0211615 pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- Bösner S, Becker A, Hani M, et al. Chest wall syndrome in primary care patients with chest pain: presentation, associated features, and diagnosis. Fam Pract 2010; 27: 363-9. PubMed
- American College of Cardiology/American Heart Association joint committee: Guideline for the Evaluation and Diagnosis of Chest Pain, Stand 2021. www.ahajournals.org
- Kisely S, Campbell L, Yelland M, et al. Psychological interventions for symptomatic management of non‐specific chest pain in patients with normal coronary anatomy. Cochrane Database of Systematic Reviews 2015; 6: CD004101. doi:10.1002/14651858.CD004101.pub5 DOI
- Schroeder S, Schmid S, Martin A. Krankheitsrepräsentationen bei nicht-kardialem Brustschmerz – eine verhaltensmedizinische Kurzintervention. Verhaltenstherapie 2013; 23: 234-242. doi:10.1159/000356428 DOI
- Glombiewski J, Rief W, Bösner S, et al. The Course of Nonspecific Chest Pain in Primary Care. Arch Intern Med 2010; 170: 251-255. doi:10.1001/archinternmed.2009.474 DOI
Autor*innen
- Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).