Transfusionsreaktionen

Allgemeine Informationen

Definition

  • Symptome und Reaktionen unterschiedlichen Ausmaßes, die im Zusammenhang mit einer Transfusion von Blut und Blutprodukten auftreten können.

Häufigkeit

  • 2018 wurden dem Paul-Ehrlich-Institut 612 Verdachtsfälle einer schwerwiegenden unerwünschten Transfusionsreaktion gemeldet, für 395 der Fälle wurde ein kausaler Zusammenhang mit der Gabe von Blutkomponenten bestätigt.1 
  • Zwischen 1997–2018 konnten 126 Todesfälle auf die Gabe von Blutkomponenten zurückgeführt werden, im Jahr 2018 waren es 2 Todesfälle.1
  • Die häufigsten akuten Reaktionen sind Fieber, Schüttelfrost und Urtikaria.2
  • Die häufigsten schwerwiegenden Reaktionen sind: 
    • akute allergische/anaphylaktische Transfusionsreaktion (ATR)
    • transfusionsassoziierte Volumenüberladung (TACO)
    • hämolytische Transfusionsreaktion (HTR)
    • Fehltransfusionen.

Diagnostische Überlegungen

  • Es werden akute von verzögerten sowie immunologisch von nichtimmunologisch ausgelösten Transfusionsreaktionen unterschieden.3
  • Es kann schwierig sein, Transfusionsreaktionen von der Grunderkrankung abzugrenzen.
  • Hauptrisiko bei der Transfusion von Blutprodukten ist die Verwechslung.4

ICPC-2

  • A87 Komplikationen bei medizinischer Behandlung

ICD-10

  • T80.9 Nicht näher bezeichnete Komplikation nach Infusion, Transfusion oder Injektion zu therapeutischen Zwecken
  • Y57 Unerwünschte Nebenwirkungen bei therapeutischer Anwendung von Arzneimitteln und Drogen
  • Y62 Zwischenfälle als Folge von unzulänglichen aseptischen Kautelen bei chirurgischem Eingriff oder medizinischer Behandlung
    • Y62.1 Bei Infusion oder Transfusion
  • Y63 Zwischenfälle als Folge von Dosierungsfehlern bei chirurgischem Eingriff oder medizinischer Behandlung 
    • Y63.0 Verabreichung einer exzessiven Menge Blut oder sonstiger Flüssigkeit bei Transfusion oder Infusion 
  • Y65 Sonstige Zwischenfälle bei chirurgischem Eingriff oder medizinischer Behandlung
    • Y65.0 Inkompatibles Blut bei Transfusion  

Differenzialdiagnosen

Akute Transfusionsreaktionen

Akute intravasale hämolytische Transfusionsreaktion (AHTR)2

  • Natürlich vorkommende Antikörper der empfangenden Person reagieren mit den Antigenen der spendenden, wodurch es unmittelbar zur Komplementaktivierung und intravasalen Hämolyse kommt.
    • Die häufigste Ursache ist die AB0-Unverträglichkeit durch Verwechslung von Blutproben und/oder Blutpräparaten.
    • Eine weitere Ursache ist die Transfusion hämolytischer Erythrozytenkonzentrate (durch falsche Lagerung oder unsachgemäßer Erwärmung der Produkte).
  • Die Symptome treten meist innerhalb der ersten 5–15 min nach Transfusionsbeginn auf.
  • Symptome
    • Schmerzen an der Injektionsstelle
    • Fieber und Schüttelfrost
    • Übelkeit
    • Brustschmerzen und Engegefühl
    • Dyspnoe
    • Unruhe, Angst
    • rötlicher Urin
    • oligurisches akutes Nierenversagen (bei schwerer Hämoglobinurie)
    • Schockzustand (in sehr schweren Fällen)
      • Hautblässe, kalter Schweiß, Dyspnoe, Hypotonie und ggf. Kreislaufversagen
    • In Narkose können Blutdruckabfall, diffuse Blutungen und Oligurie die einzigen Zeichen einer hämolytischen Transfusionsreaktion sein.
  • Labor
  • Therapie
    • Sofortiges Abbrechen der laufenden Transfusion!
    • Zugang offen halten!
    • Überwachung der Vitalfunktionen
      • Puls, Blutdruck und Atmung
    • Identitätskontrolle Patient*in
      • Hat die Person die richtige Blutkonserve erhalten, ist eine Verwechslung ausgeschlossen?
      • Wiederholung des AB0-Identitätstest (Bedside-Test)
    • Kontakt mit der Blutbank aufnehmen.
      • neue Blutprobe zur Kompatibilitätskontrolle
      • Blutkonserve mit ausgefülltem Meldeformular zur Transfusionsreaktion an die Blutbank schicken.
      • Vermeidung einer weiteren Überkreuz-Verwechslung
    • reichlich intravenöse Flüssigkeitszufuhr
      • Wichtig, um eine gute Diurese aufrechtzuerhalten.
    • symptomatische Behandlung
      • abhängig vom Zustand der Betroffenen
    • Keine weiteren Transfusionen,
      • bis die Blutbank die Reaktion untersucht und neue Transfusionsempfehlungen gegeben hat.
    • evtl. Gabe von Immunglobulinen

Febrile nichthämolytische Transfusionsreaktion ((FNHTR)

  • Durch Freisetzung von Zellinhaltsstoffen aus Leukozyten kann es während oder innerhalb von 4 Stunden nach Transfusion zu Fieber und Schüttelfrost, begleitet von Kopfschmerzen und Übelkeit kommen.
  • Die febrile nichthämolytische Transfusionsreaktion verläuft in der Regel selbstlimitierend, evtl. Behandlung mit Antipyretika.
  • Eine Abgrenzung zur hämolytischen Transfusionsreaktion kann schwierig sein, im Zweifel Transfusion unterbrechen, venösen Zugang offenhalten, Überprüfen der ABO-Kompatibilität, Transfusion weiterer Blutkomponentenerst nach Klärung der Ätiologie.2

Akute allergische/anaphylaktische Transfusionsreaktion (ATR)

  • Die akute allergische/anaphylaktische Transfusionsreaktion ist die häufigste schwerwiegende Transfusionsreaktion.
  • Während oder innerhalb 4 Stunden nach Transfusion kann es zu mukokutanen Symptomen kommen, die meist nicht schwerwiegend sind und auf eine symptomatische Behandlung mit Antihistaminika und/oder Glukokortikoiden ansprechen.2
    • makulopapulöses (morbilliformes) Exanthem
    • Juckreiz
    • Urtikaria
    • lokalisiertes Angioödem
    • Ödem der Lippen, Zunge und Uvula
    • periorbitaler Juckreiz, Erythem und Ödem
    • konjuktivales Ödem
  • Es kann aber auch zu einer akuten, generalisierten und dann auch lebensbedrohlichen Hypersensitivitätsreaktion (Anaphylaxie) kommen.

Transfusionsreaktion durch bakterielle Kontamination 

  • Ist die zu transfundierende Komponente durch Bakterien kontaminiert, kann es zu einer bakteriellen Infektion bis hin zur Sepsis kommen.
  • Symptome sind ebenfalls Fieber, Schüttelfrost, Erbrechen und/oder Diarrhö, ausgeprägte Hypotonie und Tachykardie.
  • Bei Verdacht auf eine transfusionsbedingte Sepsis
    • Ausstrich aus dem Blutpräparat mit Gramfärbung
    • Blutkulturen
    • empirische anitibiotische Breitspektrumbehandlung mit einer oder mehrerer Substanzen so früh wie möglich intravenös, später nach Antibiogramm
    • Sepsisbehandlung einleiten.

Transfusionsassoziierte akute Lungeninsuffizienz (TRALI)

  • Leukozytenreaktive Antikörper können die Mikrozirkulation der Lunge verlegen und zum Lungenödem bzw. Lungenversagen führen.2
  • Klinische Risikofaktoren sind: 
  • Symptome
    • akute Atemnot
    • Hypoxämie
    • Lungeninfiltraten im Thorax-Röntgenbild
    • selten Hypotonie oder Fieber
  • Therapie
    • Sofortiges Abbrechen der laufenden Transfusion!
    • Venenzugang offen halten!
    • Bis zu 70 % der Patient*innen werden beatmungspflichtig.2

Transfusionsassoziierte Volumenüberlastung (TACO)

  • Eine zu rasche Transfusionsgeschwindigkeit kann zur Überlastung des Kreislaufs führen.
    • Im weiteren Verlauf kann sich ein Lungenödem entwickeln.
  • Risikofaktoren sind: 
  • Durch langsame Transfusion wird dieses Risiko verringert.
  • Therapie
    • Abbruch der Transfusion
    • Patient*innen in eine aufrechte Position bringen.
    • Sauerstoffgabe
    • Diuretikum

Hypothermie

  • Bei schneller Substitution von 50 % des Blutvolumens kann es zu einer gefährlichen Absenkung der Körpertemperatur bis auf 32 °C kommen.

Hyperkaliämie

  • Bei hohen Transfusionsvolumina oder schneller Transfusionsgeschwindigkeit kann es insbesondere bei Patient*innen mit primär erhöhtem Kaliumspiegel zu einer Hyperkaliämie kommen.

Hypokalzämie (Citratintoxikation)

  • Eine Hypokalzämie kann bei rascher Transfusion (Transfusionsgeschwindigkeit > 50 ml/min) von Plasma oder Vollblut auftreten, besonders ausgeprägt bei Fresh Frozen Plasma (FFP).4
  • Symptome
    • Blutdruckabfall
    • verlängertes QT-Intervall 
    • Arrythmien
  • Therapie
    • intravenöse Gabe von Kalziumchlorid oder -glukonat (zur raschen Korrektur der Hypokalzämie)

Hyperhämolytische Transfusionsreaktion (HHTR)

  • Seltener Abfall des Hb-Werts nach der Transfusion, auch später als 7 Tage nach der Transfusion möglich.
  • Häufiger bei Hämoglobinopathien (1–19 % bei Patient*innen mit Sichelzellanämie)2
  • Therapie mit oralen Kortikosteroiden, schwere Formen mit i. v. Immunglobulin, i. v. Methylprednisolon, Rituximab oder Plasmaaustausch

Hypotensive Transfusionsreaktion (HAT)

  • Selten kommt es im Rahmen einer Transfusion durch Vasodilatation zu einem deutlichen Blutdruckabfall.

Verzögerte Transfusionsreaktionen

Transfusionsassoziierte Infektionen

  • Obwohl aufgrund moderner Untersuchungsmethoden beim Spender und Transfusionsblut das Risiko einer Infektionsübertragung sehr gering ist, können grundsätzlich Viren und andere Mikroorganismen über Blutpräparate übertragen werden.
  • Durch die Virusinaktivierung bei Plasmaprodukten wird die Übertragung von behüllten Viren verhindert.
  • Zu den Erregern, die durch Blutpräparate übertragen werden können, zählen:
  • Die Symptomatik besteht im Auftreten von infektionsspezifischen Krankheitszeichen nach Ablauf der Inkubationszeit (zeitlicher Zusammenhang von Transfusion und Erkrankungsbeginn).2

Verzögerte hämolytische Transfusionsreaktion (DHTR)

  • Eine Hämolyse aufgrund von Antikörperbildung kann auch als verzögerte Reaktion (bis zu 14 Tage oder mehr) nach einer Transfusion auftreten.
  • Insbesondere, wenn im Vorfeld bei früheren Transfusionen bereits Antikörper gebildet wurden, kann es zu einer verspäteten Hämolyse kommen.
    • Sind irreguläre Antikörper nachzuweisen, hat eine Aufklärung und Beratung der Betroffenen sowie eine Eintragung in einen Notfallpass zu erfolgen, dies muss lebenslang bei allen künftigen Transfusionen berücksichtigt werden.5

Transfusionsassoziierte Graft-versus-Host-Krankheit (ta-GvHD)

  • Die ta-GvHD ist eine Alloreaktion, die durch T-Lymphozyten im Spenderblut verursacht wird und sich gegen die Zellen des Empfängers (in der Regel immundefizient) richtet.
  • 4–30 Tage nach Transfusion kommt es zu:
    • Fieber
    • einem makulopapulösen Erythem
    • generalisierter Erythrodermie mit Blasenbildung
    • Übelkeit, Erbrechen
    • massiven Durchfällen
    • cholestatischer Hepatitis
    • Lymphadenopathie und Panzytopenie.2
  • Eine sehr seltene, meist letal endende Reaktion.
  • Eine Bestrahlung der Blutkomponenten mit 30 Gy vermindert das Risiko.

Eisenüberladung, sekundäre Hämochromatose

  • Bei hohem Transfusionsbedarf  kann es zu einer Eisenüberladung des Körpers kommen.

Posttransfusionelle Purpura

  • Schwere, sehr seltene, antikörperinduzierte Thrombozytopenie, die bei alloimmunisierten Patient*innen 5–9 Tage nach der Transfusion eines thrombozytenhaltigen Blutpräparates  auftritt.
  • Meist bei Frauen im mittleren oder höheren Lebensalter mit Schwangerschaft oder Transfusion als Immunisierungsereignis in der Anamnese
  • Therapie
    • Transfusion eines kompatiblen Thrombozytenkonzentrats bei schwerer Blutungsneigung

Anamnese

  • Zeitpunkt der Transfusion
  • Begleiterkrankungen 
  • Vorhergegangene Transfusionen mit oder ohne unerwünschte Reaktionen
  • Begleitsymptome
    • Unwohlsein
    • Schmerzen
    • Dyspnoe
    • Oligurie
    • Hautveränderungen

Klinische Untersuchung

Ergänzende Untersuchungen

  • Erneuter AB0-Identitätstest (Bedside-Test)
  • Labor
  • Urin
    • Hämoglobinurie?
  • Blutkultur
    • bei Verdacht auf transfusionsbedingte Sepsis
  • O2-Sättigung
  • Röntgenthorax
    • bei Verdacht auf TRALI
    • ggf. Messung des zentralen Venendrucks zum Ausschluss einer Volumenüberlastung (TACO)

Maßnahmen und Empfehlungen

Indikationen zur Krankenhauseinweisung

  • Die meisten Transfusionsreaktionen treten im Krankenhaus bei stationären Patient*innen auf.
    • In hämatoonkologischen Praxen wird aber auch ambulant transfundiert, dann ggf. Klinikeinweisung bei V. a. Transfusionsreaktion.
  • Auch bei verspätet auftretenden Transfusionsreaktionen kann eine symptomorientierte Überwachung stationär notwendig sein.

Allgemeine Maßnahmen

  • Abbrechen der Transfusion je nach Schwere und Art der Symptomatik
  • Offenhalten des venösen Zugangs
  • Symptomatische Therapie
  • Transfusion weiterer Blutkomponenten erst nach Klärung der Ätiologie
  • Erneuter AB0-Identitätstest (Bedside-Test)

Meldepflicht

  • Unerwünschte Ereignisse müssen dokumentiert werden, es besteht eine Aufbewahrungsfrist von 15 Jahren.5
  • Nach dem Transfusionsgesetz besteht eine Meldeverpflichtung für Nebenwirkungen einer Transfusion.3 
  • Zunächst haben die behandelnden Ärzt*innen den Transfusionsverantwortlichen oder die sonst nach dem QS-System der Einrichtung der Krankenversorgung zu unterrichtenden Personen zu informieren.5
    • Je nach Schwere der Reaktion erfolgt auch Meldung an die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft.
    • Schwerwiegende unerwünschte Transfusionsreaktionen sowie schwerwiegende Zwischenfälle werden an das PEI gemeldet (Meldeformular).
    • Darüber hinaus gibt es noch die Meldepflicht nach dem Infektionsschutzgesetz (nur bei Infektionsübertragung).
  • Einsendung an die Blutbank 
    • Blutprobe zur Untersuchung der Transfusionsreaktion
    • Blutkonserve (mit restlichem Inhalt) und
    • ausgefülltes Meldeformular mit Informationen über die Transfusionsreaktion
    • Vermeidung einer weiteren Überkreuz-Verwechslung

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie. Polytrauma/Schwerverletzten-Behandlung. AWMF-Leitlinie Nr. 012-019. S3, Stand 2016 (in Überarbeitung). www.awmf.org
  • Bundesärztekammer. Querschnitts-Leitlinie (BÄK) zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten. Stand 2020. www.bundesaerztekammer.de
  • Bundesärztekammer. Richtlinien zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen zur Anwendung von Blutprodukten (Hämotherapie). Stand 2017. www.bundesaerztekammer.de

Literatur

  1. Funk MB, Heiden M, Müller S, et al. 2020. Hämovigilanz-Bericht des Paul-Ehrlich-Instituts 2018: Auswertung der Meldungen von Reaktionen und Zwischenfällen nach § 63i AMG www.pei.de
  2. Bundesärztekammer. Querschnittsleitlinie (BÄK) zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten, überarbeitete und aktualisierte Ausgabe 2020. www.bundesaerztekammer.de
  3. Müller M, Geisen C, Zacharowski K, Tonn T, Seifried E. Transfusion von Erythrozyten­konzentraten. Dtsch Arztebl Int 2015; 112: 29-30. www.aerzteblatt.de
  4. Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie. Polytrauma/Schwerverletzten-Behandlung. AWMF-Leitlinie Nr. 012-019, Stand 2016 (in Überarbeitung). www.awmf.org
  5. Bundesärztekammer. Richtlinien zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen zur Anwendung von Blutprodukten (Hämotherapie) 2017, www.bundesaerztekammer.de

Autor*innen

  • Monika Lenz, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Neustadt am Rübenberge
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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