BBB MK 19.10.2020 umfassend überarbeitet, aktuelle Lit.
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Revision at 15.03.2013 12:10:29:
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Distale Radiusfraktur
Handgelenksfraktur
Fraktur des Handsgelenks
Fractura radii
Fractura partis distalis radii
Colles-Fraktur
Smith-Fraktur
Reversed-Barton-Fraktur
Barton-Fraktur
Chauffeur-Fraktur
Absprengung des Processus styloideus
AO-Typ A1
punch fracture
Zusammenfassung
Definition:Eine Fraktur des distalen Radius, meist infolge eines Sturzes auf den gestreckten Arm.
Häufigkeit:Die häufigste Fraktur des Menschen.
Symptome:Es bestehen akute Schmerzen und eine sichtbare Schwellung, häufig auch eine Fehlstellung des Handgelenks.
Untersuchung:Inspektion, Palpation, Funktionsprüfung und Dokumentation von peripherer Durchblutung, Motorik und Sensibilität.
Diagnostik:Die Diagnose wird durch eine Röntgenuntersuchung gesichert.
Therapie:Bei stabilen Frakturen erfolgt die Therapie konservativ mit einem Gipsverband, bei instabilen Frakturen operativ.
Allgemeine Informationen
Definition
Eine distale Fraktur des Radius liegt vor, wenn die Frakturstelle bis 3 cm proximal des radiokarpalen Gelenks gelegen ist.1
Die distale Radiusfraktur ist die häufigste Fraktur des Menschen.2
Es wird zwischen instabilen und stabilen Frakturen unterschieden, wobei instabile Frakturen in der Regel operativ versorgt werden müssen.
Häufigkeit
Diese Art von Fraktur macht bei älteren Menschen 1/3 aller Frakturen aus und tritt bei älteren Frauen am häufigsten auf.3
Neben den überwiegend älteren, weiblichen Patient*innen tritt die Fraktur auch seltener durch Mittel- oder Hochrasanztraumata bei männlichen, jungen Erwachsenen auf.2
Das Verhältnis von extra- zu intraartikulären Frakturen beträgt 3:1.1
Ätiologie und Pathogenese
Frakturlokalisation und Frakturtyp hängen im Wesentlichen von der Position des Handgelenkes während des Sturzes und dem Alter der Patient*innen ab.1
Patient*innen < 40 Jahre: meist Hochenergie-Traumen
Stürze und Verkehrsunfälle
Geschlechterverteilung: etwa gleich mit einem leichten Übergewicht der Männer
> 50 % disloziert, 2/3 betreffen das radioulnare oder radiokarpale Gelenk
Patient*innen > 40 Jahre: Niedrigenergie-Traumen
Bagatelltraumen, z. B. Fall aus dem Stand
Geschlechterverteilung: deutlich mehr Frauen als Männer (Risiko 6,2 x höher)
Die Stellung des Handgelenkes, die Aufprallenergie und die Knochenqualität zum Zeitpunkt der Gewalteinwirkung haben Auswirkung auf die Frakturform.
Handgelenk extendiert und proniert
„Colles-Fraktur“
häufigste Fraktur
dorsal dislozierte Radiusfraktur
Handgelenk flektiert und supiniert
„Smith-Fraktur“
palmar dislozierte Radiusfraktur
Handgelenk extendiert und proniert, Mittel- oder Hochrasanztrauma (meist junge Patient*innen), flacher Eintrittswinkel
„Barton-Fraktur“
Abscherfraktur mit dorsalem Gelenkfragment
Handgelenk flektiert und supiniert, Mittel- oder Hochrasanztrauma (meist junge Patient*innen), flacher Eintrittswinkel
„Reversed-Barton-Fraktur“
Abscherfraktur mit palmarem Gelenkfragment
Handgelenk hyperextendiert und proniert, Hochrasanztrauma (meist junge Patient*innen), steiler Eintrittswinkel, axiale Krafteinwirkung der Handwurzel auf den Radius
Die Patient*innen berichten in der Regel von einem Sturz, den sie – häufig mit ausgestrecktem Arm – abgefangen haben, und in dessen Folge sofort Schmerzen im Handgelenk aufgetreten sind.
Eine Beurteilung der Durchblutung, Motorik und Sensibilität ist obligat.
Bei der häufigsten Frakturform, der „Colles-Fraktur“ bei extendiertem Handgelenk, kommt es typischerweise zur Fourchette(Gabel)-Fehlstellung mit Dislokation des distalen Radiusfragments nach dorsal.
Ist das Radiusfragment nach radial verkippt, spricht man von der Bajonett-Fehlstellung.
Der klinische Ausschluss eines Karpaltunnelsyndroms sollte bei allen Patient*innen erfolgen.
Häufig besteht bei den meist weiblichen, älteren Patient*innen ein latentes Karpaltunnelsyndrom, das durch eine Dislokation des Radius oder ein Frakturhämatom akutsymptomatisch werden kann.
Die Indikation zur Karpaltunnelspaltung sollte in diesem Fall großzügig gestellt werden.
Bei höhergradigem Knochen- und Weichteilschaden ist ein Kompartmentausschluss notwendig.
Die Indikation zur Dünnschicht-CT-Untersuchung des Handgelenkes, insbesondere bei Verdacht auf eine intraartikuläre Fraktur, sollte zur besseren Planung der Therapie großzügig gestellt werden.
Die 3-dimensionale CT-Darstellung hat sich bei komplexen, intraartikulären Frakturen zur Planung der Fixierung einzelner Fragmente bewährt.
Die Arthro-CT kann beim Auffinden von karpalen Bandverletzungen hilfreich sein.
Indikationen zur Überweisung
Bei klinischem Verdacht sollten die Patient*innen zum Röntgen und ggf. zur Reposition, Gipsbehandlung oder Operation an Spezialist*innen überwiesen werden.
Arbeitsunfall
In Deutschland muss bei allen Arbeitsunfällen, bei Unfällen auf dem Weg von und zur Arbeit sowie bei Unfällen in Zusammenhang mit Studium, Schule und Kindergarten sowie allen anderen gesetzlich versicherten Tätigkeiten eine Unfallmeldung durch den Arbeitgeber erfolgen, wenn der Unfall eine Arbeitsunfähigkeit von mehr als 3 Kalendertagen oder den Tod zur Folge hat.
Diese Patient*innen müssen in Deutschland zum Durchgangsarztverfahren zugelassenen Ärzt*innen vorgestellt werden.
Therapie
Therapieziele
Schmerzen lindern.
Gute Reposition der Fraktur und Heilung in optimaler Position
Hand- und Handgelenkfunktion wiederherstellen.
Sekundärkomplikationen verhindern.
Allgemeines zur Therapie
Die Wahl des Behandlungsverfahrens wird beeinflusst durch:1
Frakturtyp
Begleiterkrankungen
biologisches Alter
Allgemeinzustand der Patient*innen (körperlich und mental)
Funktionsanspruch der Patient*innen und deren Bedürfnisse.
Die Therapie erfolgt entweder konservativ mit Reposition und Gipsbehandlung oder operativ.
Basisnaher Abbruch des Proc. styloideus ulnae und/oder dislozierte Trümmerfraktur
Radioulnare Dissoziation
Tendenz zur Redislokalisation nach Reposition
Dorsalkippung des peripheren Fragmentes > 20 Grad im lateralen Strahlengang
Palmarkippung des peripheren Fragmentes > 20 Grad
Relative Ulnaverlängerung > 4 mm
Radiale Inklination im a. p. Strahlengang (Radiusgelenkwinkel normal ca. 25 Grad) < 10 Grad, dorsaler und palmarer Frontalwinkel haben eine Differenz von 7 Grad.
Das Handgelenk wird in einer dorsalen Gipsschiene oder einem zirkulären Gipsverband, der aufgeschnitten wird, um der Schwellung ausreichend Platz zu geben, in Funktionsstellung ruhiggestellt.
Indikationen
stabile extraartikuläre Fraktur
nicht oder minimal dislozierte intraartikuläre Fraktur
lokale oder allgemeine Kontraindikation für eine operative Versorgung
Die Reposition kann in Bruchspalt- oder Plexusanästhesie im Aushang mit darauffolgender Ruhigstellung für 4–6 Wochen erfolgen.
Gemäß der biologischen Antwort erfolgt zunächst eine Resorption in der Frakturzone, die ihren Höhepunkt um den 8.–10. Tag nach dem Unfall erreicht.
Dies ist somit die „kritische" Phase der sekundären Dislokation nach primär stabiler Frakturreposition.
Frakturen mit geschlossenem 2-Grad- und 3-Grad-Weichteilschaden
2 Grad und 3 Grad offene Frakturen
traumatische N.-medianus-Kompression
begleitende Gefäß- und/oder Nervenverletzungen
erfolglose konservative Repositions- und Retentionsversuche
dislozierte Smith-Frakturen
akute Durchblutungsstörungen nach Reposition
komplexe Begleitverletzungen des Handgelenkes und der Handwurzel
Die Wahl des Operationsverfahrens ist abhängig von dem Allgemeinzustand der Patient*innen, der Knochenqualität, geschlossenen oder offenen Weichteilläsionen, Begleitverletzungen, der Motivation/Compliance der Patient*innen und der erwarteten funktionellen Belastung.1
Mittlerweile haben sich in vielen Fällen die offene Reposition und Osteosynthese mit einer palmaren winkelstabilen Platte durchgesetzt.2
Bei ungünstiger Plattenlage ist eine frühzeitige Metallentfernung nach Frakturkonsolidierung sinnvoll.
Beinhaltet wie bei der konservativen Behandlung die Hochlagerung der verletzten Extremität und Kühlung.
Frühzeitige Beübung der Fingergelenke durch Streckung und vollständigen Faustschluss sind wichtig, um Funktionsstörungen der Hand zu vermeiden.
Die Gipsruhigstellung ist abhängig vom gewählten Verfahren, aber in der Regel auch bei übungsstabilen Plattenosteosynthesen für 1–2 Wochen indiziert.
Bei Patient*innen mit unkompliziertem Verlauf wird keine routinemäßige Ergo- oder Physiotherapie empfohlen.
Es liegen keine ausreichenden Belege vor, um bestimmte Maßnahmen in der Rehabilitationsphase empfehlen zu können.4
Prävention
Bei älteren Patient*innen sollten individuell Maßnahmen zur Vorbeugung von Stürzen und osteoporosebedingten Frakturen in Betracht gezogen werden.5
z. B. dem Wetter angepasstes Schuhwerk und Gehhilfen und altersgerechte Wohnungseinrichtung1
Bei sportlich aktiven Patient*innen lässt sich das Risiko zukünftiger Frakturen durch das Tragen von Handprotektoren bei entsprechenden Freizeit- und Sportaktivitäten senken.
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
Bei den meisten Patient*innen wird durch eine angemessene Behandlung eine vollständige Genesung erzielt, während und nach der Therapie können jedoch Komplikationen auftreten.
Am häufigsten bei Patient*innen im hohen Alter und bei Patient*innen, bei denen in den ersten Tagen nach dem Anlegen des Gipsverbands starke Schmerzen auftreten.
posttraumatische Arthrose
dauerhafte Bewegungseinschränkungen und Schmerzen
Implantatversagen (Bruch, Lockerung)
Wochen bis Monate nach der Heilung der Handgelenksfraktur kann es zu einer Ruptur der Sehne des M. extensor pollicis longus kommen.
Infolge einer Verkürzung des Radius und einer radialen Verschiebung kann der distale Teil der Ulna stärker hervortreten, was zu Bewegungseinschränkungen und Rotationsbeschwerden führen kann.
Bei Kindern können Verletzungen der Wachstumsfugen in seltenen Fällen zu einer progredienten Fehlstellung führen.
Die Prognose ist bei den meisten, insbesondere den stabilen Frakturen günstig, abhängig vom Frakturtyp.
Nach konservativer Therapie werden Beschwerden und posttraumatische Arthrosen insbesondere bei dorsaler Einstauchung, Verkürzung des Radius und nicht behandelten Bandverletzungen gesehen.
Eine gute Funktion ist auch bei nicht-anatomischer Stellung und deutlicher Deformität im Röntgenbild bei Patient*innen > 60 Jahre mit limitierten funktionellen Anforderungen möglich.
Ältere Patient*innen adaptieren sich besser an die verbliebene Deformität des Radius und die daraus folgende Funktionseinschränkung mit Ausnahme der Unterarmdrehung.
Verlaufskontrolle
Während der Frakturbehandlung erfolgen die Kontrolluntersuchungen im Krankenhaus/in der Facharztpraxis.
„Patient*in mit Gips hat immer recht!“
Bei Beschwerden im Zweifel Gips immer entfernen und neu anlegen.
Nach Ende der Therapie und während der Rehabilitation übernehmen die Hausärzt*innen in der Regel die Verlaufskontrolle.
Einige Wochen nach der Entfernung des Gipsverbands sollte es zu Fortschritten im Hinblick auf die Funktion und die Schmerzen gekommen sein. Ist dies nicht der Fall, kann eine Überweisung zur operierenden Einrichtung zur Reevaluation indiziert sein.
Die Funktion sollte am Tag nach der Reposition/dem Anlegen des Gipsverbandes untersucht werden.
Röntgenaufnahmen sollten nach Maßgabe der behandelnden Spezialist*innen angefertigt werden.
Patienteninformationen
Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?
In den ersten Tagen sollte die Hand hochgehalten und die Finger viel bewegt werden.
Es ist auf Anzeichen dafür zu achten, dass der Gipsverband zu eng wird. Dies führt zu Schmerzen und einer Schwellung in den Fingern. In einem solchen Fall sollte erneut eine ärztliche Untersuchung durchgeführt und der Gips gelockert werden.
Es ist wichtig, dass die Finger während der Gipsbehandlung viel bewegt werden und dass die Hand nach der Entfernung des Gipsverbands aktiv eingesetzt wird.
Sensible Innervation der rechten Hand (Quelle: Wikimedia Commons)
Bajonett-Stellung mit Abkippung des Handgelenks nach radial
Radiusfraktur, eingegipst: Fraktur (Pfeil) durch den distalen Radius mit leichter Abkippung des distalen Segments nach dorsal (Fourchette-Stellung); links: Aufnahme von der Seite; rechts: Aufnahme von vorn.
Radiusfraktur, seitliche Aufnahme: Fraktur (Pfeil) durch den distalen Radius mit Abkippung des distalen Fragments nach dorsal
Grünholzfraktur: Fraktur (1 und 2) des distalen Radius mit leichter Abkippung des distalen Fragments (1 und 2) nach dorsal; Knochen ist gebogen, aber nicht vollständig frakturiert
Interne Fixation einer distalen Radiusfraktur mit Platten und Kirschner-Drähten
Radius- und Ulnafraktur
Colles-Fraktur, Handgelenksbruch
Quellen
Leitlinien
Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie. Distale Radiusfraktur. AWMF-Leitlinie Nr. 012-015. S2e, Stand 2015. www.awmf.org
Literatur
Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie. Distale Radiusfraktur. AWMF-Leitlinie Nr. 012-015, Stand 2015. awmf.org
Unglaub F, Langer MF, Hohendorff B, et al. Distale Radiusfraktur. Der Orthopäde 2017; 1: 93-109. www.springermedizin.de
Krishnan J. Distal radius fractures in adults. Orthopedics 2002; 25: 175-9. PubMed
Handoll HHG, Elliott J. Rehabilitation for distal radial fractures in adults. Cochrane Database of Systematic Reviews 2015, Issue 9. Art. No.: CD003324. DOI: 10.1002/14651858.CD003324.pub3. DOI
Nelson DL. Distal radius fractures. Medscape, last updated Jun 24, 2020. emedicine.medscape.com
Autor*innen
Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Frankfurt a. M.
Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).