Neue S1-Leitlinie Post-COVID/Long-COVID

Vor wenigen Wochen ist die interdisziplinäre S1-Leitlinie Post-COVID/Long-COVID erschienen. Auch die DEGAM ist an dieser Leitlinie beteiligt. Dass unter der Beteiligung von 14 Fachgesellschaften, der gesetzlichen Unfallversicherung und zwei Fatigue-Zentren eine Leitlinie auf S1-Niveau entstanden ist, macht deutlich, wie wenig konkrete Evidenz über Post- bzw. Long-COVID vorhanden ist und wie viele der Empfehlungen in dieser Leitlinie deshalb konsensbasiert sind. Wir haben diese Leitlinie in unserem Artikel COVID-19 berücksichtigt.

Nachdem hierzu bisher durchaus unterschiedliche Angaben zu lesen waren, legt die S1-Leitlinie folgende Definitionen fest: Beschwerden, die länger als vier Wochen nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 anhalten, werden als Long-COVID bezeichnet und Beschwerden, die mehr als 12 Wochen andauern, als Post-COVID. In ICD-10 wird der Code U.09.9 verwendet, wenn eine „andernorts klassifizierte Störung" im Zusammenhang mit einer vorausgegangenen COVID-19-Erkrankung besteht. Die Leitlinien-Autor*innen gehen von einer Häufigkeit von Long-COVID von bis zu 15 % aller COVID-Erkrankten aus. Häufige Beschwerden sind Fatigue, Luftnot und Einschränkungen der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit.

Entsprechend der Datenlage sind die interdisziplinären Empfehlungen in der Leitlinie allgemein und vage gehalten: Nach primärärztlicher Basisdiagnostik sollte zunächst ein abwartendes Vorgehen empfohlen werden. Bei Warnhinweisen in der Basisdiagnostik sowie einer Verschlechterung sollte eine vertiefende Diagnostik und/oder eine Überweisung an Oganspezialist*innen angeboten werden. Bei psychosomatischen Beschwerden in der Anamnese und bei hoher psychosozialer Belastung sollten Prinzipien der psychosomatischen Grundversorgung zur Verhinderung einer Chronifizierung angewandt werden. Weder durch einzelne Laborwerte noch ein „Panel" an Laborwerten kann ein Post-COVID-Syndrom positiv diagnostiziert oder wahrscheinlich gemacht werden. Gesicherte therapeutische Interventionen sind nicht bekannt. Eine therapeutische Vakzinierung kann vorerst nicht empfohlen werden. Bei anhaltenden, die Teilhabe am Alltags- und Berufsleben beeinträchtigenden Einschränkungen soll eine Rehabilitation erfolgen. Diese Empfehlung ist nach Beschwerden und jeweiligem Fachgebiet einzeln aufgeführt: bei Dyspnoe pneumologische Rehabilitation, bei neurologischen Einschränkungen eine neurologische Rehabilitation etc. So weit so allgemeingültig. Diese Empfehlungen entsprechen dem, was auch unter Einsatz des gesunden Menschenverstands in der Hausarztpraxis unternommen werden kann.

Innerhalb dieser Leitlinie geben die beteiligten Fachgesellschaften Empfehlungen für ihr jeweiliges Fachgebiet. Im allgemeinmedizinischen Abschnitt der Leitlinie wird empfohlen, die Therapie nach den Symptomen auszurichten. Im Rahmen der Basisdiagnostik werden die Messung der Vitalparameter inklusive Sauerstoffsättigung sowie die Bestimmung folgender Laborparameter empfohlen: BB, CRP, Nierenfunktionsparameter, Transaminasen, TSH und Urin-Stix. Bei geriatrischen Patient*innen wird eine regelmäßige Überprüfung der Vitalparameter empfohlen und bei Hinweisen auf eine Verschlechterung sollen u. a. Sauerstoffsättigung, D-Dimere, Blutbild sowie Kreatinin und Elektrolyte untersucht werden. Bei V. a. auf CFS solle an eine Praxis für Neurologie überwiesen werden. Bei Dyspnoe wird bei unauffälliger erweiterter Basisdiagnostik abwartendes Offenhalten empfohlen. Bei Verschlechterung, niedriger Sauerstoffsättigung, pathologischem Auskultationsbefund oder Hinweisen auf thromboembolische Ereignisse sollte „weiterführende Diagnostik erwogen" werden. Bei anhaltender Riech- oder Schmeckstörung und zusätzlichen neurologischen Begleitsymptomen sei eine spezialisierte Diagnostik „in Erwägung zu ziehen". Ebenso sollen bei ausgeprägten psychischen Beschwerden ohne Besserung eine psychosomatische oder psychiatrische Mitbehandlung „angeboten" werden.

Aufgrund der dürftigen Datenlage kann die Leitlinie derzeit keine konkreteren und weniger banalen Empfehlungen enthalten. Für die meisten Hausärzt*innen dürfte das Wissen beruhigend sein, dass das, was sie sowieso instinktiv bei Betroffenen mit Long-COVID/Post-COVID tun, der richtige Weg ist: Bei weniger starken Symptomen und Einschränkungen nach Ausschluss von abwendbar gefährlichen Verläufen eher abwarten und bei schwereren und langanhaltenden Einschränkungen und auffälligen oder alarmierenden Befunden weitere Diagnostik und Therapie oder Rehabilitation einleiten.

 

Marlies Karsch, Chefredakteurin

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