Zusammenfassung
- Definition:Bei der erhöhten Femur-Antetorsion ist das Collum femoris im Verhältnis zur transkondylären Achse des Femurs stärker nach vorne verdreht. Auch eine Vorfußadduktion und eine mediale Tibiatorsion können zu einem Innengang führen.
- Häufigkeit:Im Wachstumsalter sind 13 % der Kinder betroffen. Beginnt normalerweise im Alter von 3‒4 Jahren. Häufig bilateral und meist bei Mädchen.
- Symptome:Innengang.
- Befunde:Im Stehen zeigt die Patella in mediale Richtung. Beim Gehen zeigen Patella und Vorderfuß nach innen.
- Diagnostik:Röntgen Hüftgelenk.
- Therapie:Die meisten Rotationsvarianten bilden sich zurück, wenn das Kind wächst und sich entwickelt.
Allgemeine Informationen
Definition
- Bei der erhöhten Femur-Antetorsion ist das Collum femoris im Verhältnis zur transkondylären Achse des Femurs stärker einwärts gedreht als normal, was dazu führt, dass das gesamte Bein nach innen gedreht gehalten werden muss, damit das Caput femoris zentral im Azetabulum liegt.1
- Ist vor der medialen Tibiatorsion und Vorfußadduktion die häufigste Ursachen für einen Innengang bei Kindern.2
- Diese Rotationsvarianten finden sich bei gesunden Kindern und dauern selten bis ins junge Erwachsenenalter an. Selbst wenn sie fortbestehen, verursacht der Innengang selten eine Dysfunktion.
- Siehe auch Artikel Einwärtsgang und Auswärtsgang.
Häufigkeit
- Im Wachstumsalter sind 13 % der Kinder betroffen.3
- Häufigste Ursache für den Einwärtsgang2
- Tritt in der Regel bilateral und häufiger bei Mädchen als bei Jungen auf.4
- Beginnt meist im Alter von 3‒4 Jahren und kommt physiologisch bis zum Alter von 7 Jahren vor.
- Rückbildung der Einwärtsdrehung in der Regel in 2 Wachstumsschüben (6.–8. Lebensjahr, Pubertät)3
- Der Innengang kommt häufiger vor als der Außengang.5
Klinische Anatomie
- Die Rotationsstellung der unteren Extremitäten wird bestimmt durch die Position des Fußes, die Rotation der Tibia relativ zur transkondylären Achse des Femurs (Tibiatorsion) und die Rotation des Collum femoris relativ zur transkondylären Achse des Femurs (Femur-Antetorsion).
Ätiologie und Pathogenese
Normale anatomische Rotationsvarianten
- Oft ist eine erbliche Komponente vorhanden.3
- Innengang und Außengang gehören zu den häufigsten anatomischen Veränderungen im Muskel-Skelett-Apparat und sind häufig Grund für eine (unnötige) Überweisung an einen Facharzt.6
- 80–90 % der verstärkten Femur-Anterosionen korrigieren sich bis zum Jugendalter spontan.3,7
- Die Rotation der unteren Extremitäten lässt sich auf die intrauterine Position des Kindes zurückführen: Die Hüften sind flektiert und nach außen rotiert, während Tibia und Füße medial rotiert sind.8
- Ein Innengang ist in der Regel nicht mit Schmerzen verbunden und stört nicht die Entwicklung der Stabilität beim Gehen, auch wenn Kinder mit Innengang häufiger stolpern als andere Kinder, vor allem wenn sie müde sind.4
Ursachen für den Innengang
- Die häufigsten Ursachen für den Innengang sind in Fuß (Vorfußadduktion), Bein (mediale Tibiatorsion) und Hüfte lokalisiert (erhöhte Femur-Antetorsion).
- Diese Ursachen können auch in Kombination vorkommen, was die Ausprägung des Innengangs erhöht.
- Erhöhte Femur-Antetorsion
- Bei der erhöhten Femur-Antetorsion ist das Collum femoris im Verhältnis zur transkondylären Achse des Femurs stärker einwärts gedreht als normal, was dazu führt, dass das gesamte Bein nach innen gedreht gehalten werden muss, damit das Caput femoris zentral im Azetabulum liegt.
- In der Folge sind Füße/Zehen des Kindes beim Laufen einwärts gedreht.5
- Die Erkrankung wird in der Regel im Alter von 3‒6 Jahren diagnostiziert.
- Die Femur-Antetorsion kann bis in ein Alter von 5‒6 Jahren zunehmen und dann schrittweise zurückgehen.3
- Die erhöhte Femur-Antetorsion ist nicht mit Schmerzen verbunden.
- Zerebralparese
- Aufgrund eines Verlustes der selektiven Muskelkontrolle kann es zu Torsionsdeformitäten kommen.9
Prädisponierende Faktoren
- Familiäre Disposition
ICPC-2
- L82 Angeb. Anomalie muskuloskelet.
ICD-10
- M21.8 Coxa antetorta
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Typischer klinischer Befund
- Ausschluss pathologischer Ursachen
- Pathologisch sind z. B. Klumpfuß, Hüftdysplasie oder neuromuskuläre Ursachen (infantile Zerebralparese, Muskeldystrophie, Spina bifida)10
Differenzialdiagnosen
- Vorfußadduktion
- Mediale Tibiatorsion
- Seltenere Ursachen
Anamnese
- Innengang
- Sorge der Eltern über das Aussehen von Beinen oder Füßen, merkwürdiger Gang, ungleichmäßiger Verschleiß der Schuhe, gebogene Beine11
- Das Kind kann ein wenig ungeschickt erscheinen und stolpert gelegentlich, weil die Beine übereinander geraten.4
- Erhöhte Femur-Antetorsion
- Das Kind möchte häufig in einer „W-Position“ sitzen, einem sog. umgekehrten Schneidersitz, die Unterschenkel auf der Außenseite des Oberschenkels platziert, das Gesäß dazwischen auf dem Boden.
- Die Erkrankung wird meist nicht vor einem Alter von 3 Jahren festgestellt und tritt am häufigsten zwischen 4 und 6 Jahren auf, dann geht sie zurück.3
- Während des gesamten Wachstums des Kindes wird die Fehlstellung korrigiert.
Anamnestische Fragen
- Geburt, ggf. prämatur: Bewerten Sie die Möglichkeit einer Zerebralparese.
- Meilensteine in der Entwicklung verzögert? Denken Sie an eine Zerebralparese.
- Auftreten von Innengang in der Familie: familiäre Disposition für mediale Tibiatorsion und erhöhte Femur-Antetorsion?
- Wann haben die Eltern die Asymmetrie festgestellt?
- bei der Geburt: Vorfußadduktion
- Als das Kind anfing zu laufen: mediale Tibiatorsion.
- nach 3 Jahren: Femur-Antetorsion
- Einseitiger Innengang? Denken Sie an Zerebralparese, Klumpfuß.
- Schmerz und Hinken? Denken Sie an pathologische Ursachen.
Klinische Untersuchung
- Allgemeine Vorgehensweise
- Ausschluss pathologischer Ursachen
- Stellen Sie fest, wo in der Extremität die Rotation lokalisiert ist:
- größere Antetorsion im Femur
- Es kommt zu einer stark erhöhten Innenrotation des Hüftgelenks, normalen Abduktion und evtl. verringerten Außenrotation. Die Rotation wird vorzugsweise in Bauchlage mit flektierten Knien und den Fußspitzen als Zeigern überprüft. Typisch sind eine Innenrotation bis 90 Grad und eingeschränkte Außenrotation.3
- Rotation im Unterschenkel
- Die Beurteilung erfolgt am besten, wenn das Kind auf einer Bank sitzt und die Beine hängen lässt: Die Knie zeigen nach vorn, aber die Füße zeigen nach innen.
- Vorfußadduktion
- Inspektion des Fußes in Bauchlage zeigt eine bogigen lateralen Fußrand.
- Untersuchung des Sprunggelenks
- zum Ausschluss eines Klumpfußes
- Untersuchung des Hüftgelenks
- zum Ausschluss einer Hüftgelenksdysplasie.
- größere Antetorsion im Femur
- Innengang
- Der Gang kann leicht ungeschickt wirken.
- Hinkt das Kind? Verdacht auf Pathologie
- Untersuchen Sie das Kind im Stehen, im Gehen und in der Bauchlage.
- ggf. neurologische Untersuchung bei Verdacht auf Zerebralparese
- Erhöhte Femur-Antetorsion
- Im Stehen zeigt die Patella nach innen.
- Beim Gehen zeigen Patella und Vorderfuß nach innen.
- Erhöhte mediale Rotation des Hüftgelenks, bis zu 90 Grad, die laterale Rotation ist eingeschränkt.
- Das Kind sitzt am liebsten in einer W-Position.
Diagnostik beim Spezialisten
- Röntgen Hüftgelenk
- ausnahmsweise bei Schmerzen oder einem abweichenden Status
Indikationen zur Überweisung
- Bei persistierender Fehlstellung nach Wachstumsabschluss; wenn die Veränderungen sehr ausgeprägt sind und das Kind Probleme im Alltag hat, evtl. früher.
Checkliste zur Überweisung
Innen- und Außengang
- Zweck der Überweisung
- Diagnostik? Therapie? Sonstiges?
- Siehe oben: Gibt es eine Grundlage für die Überweisung?
- Anamnese
- Entwicklung/Progression?
- Beschreiben Sie die Krankheit. Verdacht auf zugrunde liegende Fehlbildung? Ist der Gang beeinträchtigt? Hüftgelenksdysplasie in der Familie?
- Hat das Kind Schmerzen? Humpelt es?
- Andere relevante Krankheiten? Andere Entwicklungsstörungen?
- Klinische Untersuchung
- Untersuchen Sie den Gang des Kindes. Verdacht auf neuromuskuläre Erkrankungen?
- Wo ist die Rotation lokalisiert? Fuß, Schienbein, Hüfte, evtl. in Kombination?
- Ergänzende Untersuchungen
- in der Regel nicht erforderlich
- ggf. Röntgen des Hüftgelenk bei Verdacht auf eine angeborene Hüftgelenksdysplasie
Therapie
Therapieziel
- Akzeptable Stellung der Beine/Füße nach Beendigung des Wachstums
Allgemeines zur Therapie
- Die meisten Rotationsvarianten bilden sich zurück, wenn das Kind wächst und sich entwickelt.12
- Aufklärung der Eltern, dass es sich um eine normale Entwicklungsvariante handelt.
- Erhöhte Femur-Antetorsion
- Bei 80–90 % der Fälle kommt es im späten Kindesalter zu einem spontanen Rückgang.4
- Orthetische Maßnahmen sind nicht effektiv.3
- Bei der Femur-Antetorsion handelt es sich um eine benigne Erkrankung, und bei einer Operation kommt es häufig zu Komplikationen.4
- Eine operative Korrektur ist nach dem Wachstum so gut wie nie nötig. In einer Studie mit 202 Kindern mit Einwärtsgang war bei keinem im Verlauf eine Operation indiziert.2
Empfehlungen für Patienten
- Nicht erforderlich
- Einige empfehlen, dass das Kind nicht im sog. umgekehrten Schneidersitz sitzen soll, doch dies scheint sich kaum auszuwirken.
Weitere Therapien
- Nichtoperative Behandlungen sind ineffektiv.4,13
- Erkrankungen, die für eine Operation sprechen (femorale Derotationsosteotomie):3,13-14
- Wachstumsabschluss
- ein reeller Antetorsionswinkel von > 40 Grad und deutliche klinische, nicht anderweitig zu erklärende Beschwerden (Knie-, Leisten-, Kreuzschmerzen, häufige Stürze)
- Die Familie ist mit den mit dem Eingriff verbundenen Risiken einverstanden.
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Die Erkrankung wird meist nicht vor einem Alter von 3 Jahren festgestellt und tritt am häufigsten zwischen 4 und 6 Jahren auf, dann geht sie zurück.
- Es gibt keine Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für eine Coxarthrose.3
Komplikationen
- Es gibt keine anderen Schmerzerkrankungen oder Verletzungen infolge einer Überbeanspruchung, die sicher mit einer erhöhten femoralen Antetorsion in Zusammenhang gebracht werden können.
Prognose
- Gut
Verlaufskontrolle
- Entdramatisieren, beruhigen.
- Routinekontrollen sind nicht indiziert.
- Bei andauerndem deutlichen Innengang im Jugendalter und Symptomatik Überweisung an Facharzt
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Quellen
Literatur
- Rerucha CM, Dickison C, Baird DC. Lower extremity abnormalities in children. Am Fam Physician 2017; 96; 226-33 American Family Physician
- Blackmur JP, Murray AW. Do children who in-toe need to be referred to an orthopaedic clinic?. J Pediatr Orthop B 2010; 19(5): 415-7. www.ncbi.nlm.nih.gov
- Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie. Idiopathische Coxa antetorta. AWMF-Leitlinie 033/003. Stand 2002. www.leitliniensekretariat.de
- Jones S, Khandekar S, Tolessa E. Normal Variants of the Lower Limbs in Pediatric Orthopedics. International Journal of Clinical Medicine 2013; 4: 12-17. DOI: 10.4236/ijcm.2013.47A2004 DOI
- Sass P, Hassan G. Lower extremity abnormalities in children. Am Fam Physician 2003; 68(3): 461-8. www.ncbi.nlm.nih.gov
- Faulks S, Brown K, Birch JG. Spectrum of Diagnosis and Disposition of Patients Referred to a Pediatric Orthopaedic Center for a Diagnosis of Intoeing. J Pediatr Orthop 2017; 37(7): e432-e435. www.ncbi.nlm.nih.gov
- Stockman JA. Do children who in-toe need to be referred to an orthopaedic clinic?. Yearbook of Pediatrics 2012; 1: 333-5. DOI: 10.1016/j.yped.2011.03.008 DOI
- LeDamany P. La torsion du tibia, normal, pathologique, experimentale. J Anat Physiol 1909; 45: 598. PubMed
- Rethlefsen SA, Healy BS, Wren TA, et al. Causes of intoeing gait in children with cerebral palsy. J Bone Joint Surg Am. 2006;88:2175-2180. PubMed
- Surgical Advisory Panel, American Academy of Pediatrics. Referral to pediatric surgical specialists. Pediatrics 2014; 33: 350-6. www.ncbi.nlm.nih.gov
- Briggs RG, Carlson WO. The management of intoeing: a review. S D J Med 1990; 43(2): 13-6. www.ncbi.nlm.nih.gov
- Mooney JF III. Lower extremity rotational and angular issues in children. Pediatr Clin North Am. 2014;61(6):1175–1183. www.ncbi.nlm.nih.gov
- Davids JR, Davis RB. Tibial torsion: significance and measurement. Gait Posture. 2007;26:169-171. PubMed
- Davids JR, Davis RB, Jameson LC, et al. Surgical management of persistent intoeing gait due to increased internal tibial torsion in children. J Pediatr Orthop. J Pediatr Orthop. 2014;34:467-473. PubMed
Autoren
- Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Orthopädie und Unfallchirurgie, Münster
- Terje Johannessen, professor i allmennmedisin, Institutt for samfunnsmedisinske fag, Norges teknisk-naturvitenskapelige universitet, Trondheim
- Carl Johan Tiderius, docent och överläkare, Barnortopediska enheten, Ortopediska kliniken, Skånes universitetssjukhus (Medibas)