Affektanfälle (Affektkrämpfe)

Zusammenfassung

  • Definition:Reize (Schmerz oder Wut) bei Kindern können zu verstärktem Schreien führen, wodurch schließlich eine Apnoe eintreten und eine kurzzeitige Bewusstlosigkeit eintreten kann. Die Anfälle werden in zyanotische, blasse und gemischte Anfälle unterteilt; eine familiäre Anamnese liegt in 25 % der Fälle vor.
  • Häufigkeit:Die Prävalenz wird mit 3–4 % angegeben. Beginnt am häufigsten im Alter zwischen 6 und 18 Monaten, meist vor dem 2. Lebensjahr.
  • Symptome:Der zyanotische Affektkrampf ist gekennzeichnet durch lang anhaltendes Schreien, der blasse Affektanfall durch minimales vorausgehendes Schreien. Weitere Symptome umfassen Bewusstlosigkeit und Erschöpfung, evtl. begleitet von Krämpfen von einigen Sekunden.
  • Befunde:Besonders nach blassem Affektkrampf kann es nach einem Anfall zu Müdigkeit kommen. Ansonsten meist unauffällige klinische Untersuchung.
  • Diagnostik:Ein EEG und/oder ein EKG können bei Unklarheit hinsichtlich der Diagnose durchgeführt werden.
  • Therapie:Information der Eltern und Vermeidung bekannter, auslösender Ursachen. Behandlung von Grunderkrankungen (z. B. Hyperthyreose, Eisenmangelanämie).

Allgemeine Informationen

  • Der gesamte Abschnitt beruht, sofern nicht anders gekennzeichnet, auf diesen Referenzen.1-3

Definition

  • Affektkrämpfe sind gutartige, wiederkehrende Anfälle, bei denen ein Stimulus (Schmerz oder Wut) zum Schreien führt, das sich bei Kindern bis zur Apnoe steigern und eine kurzzeitige Bewusstlosigkeit auslösen kann.
  • Affektkrämpfe sind eine der häufigsten nichtepileptischen Anfallsformen im frühen Kindesalter.3
  • Es besteht ein hohes Risiko, die Anfälle fälschlich als Epilepsien zu klassifizieren.
  • Die Anfälle sind für die Eltern belastend, da sie einen lebensbedrohlichen Eindruck machen.
  • Unterscheidung von 3 Formen:
    • zyanotische (blaue) Affektkrämpfe (60 %)
    • blasse Affektkrämpfe (20 %)
    • gemischte Affektkrämpfe (20 %).

Häufigkeit

  • Die Prävalenz von schweren Anfällen wird mit 3–4 % angegeben.
  • Die Anfälle beginnen häufig im Alter zwischen 6 und 18 Monaten, meist vor dem 2. Lebensjahr und erreichen ihren Höhepunkt im Alter zwischen 1 und 2 Jahren.
  • Häufig spontanes Verschwinden im Schulalter
  • Es gibt große Unterschiede bei Häufigkeit und Anzahl der Anfälle.
  • Es bestehen keine geschlechtsspezifischen Unterschiede.

Ätiologie und Pathogenese

  • Zyanotische Affektkrämpfe (Breath Holding Spells)
    • ausgelöst durch Wut, Frustration oder Schmerzen
  • Blasse Affektkrämpfe (Pallid Infantile Syncope, Reflex Anoxic Seizures)
    • Werden typischerweise nach leichten Sturztraumen, bei Erschrecken, Angst oder Schmerzen beobachtet.
    • Lösen eine vasovagal bedingte Bradykardie oder eine kurzzeitige Asystolie aus.
  • Gemischte Affektkrämpfe
    • Mischung aus zyanotischen und blassen Affektkrämpfen

Pathophysiologie

  • Obwohl die Anfälle durch identifizierbare Stimuli ausgelöst werden, sind sie unwillkürlich.
  • Nach ca. 5-sekündiger Unterbrechung des Blutflusses zum Gehirn (Anoxie) verlieren die Patient*innen das Bewusstsein und können tonische Streckkrämpfe, manchmal auch klonische Anfälle, erleiden.
  • Offenbar scheint ein Zusammenhang zwischen Affektkrämpfen und einer Anämie möglich zu sein.2,4-5
  • Kinder mit Affektkrämpfen weisen möglicherweise Störungen des autonomen Nervensystems auf.

Prädisponierende Faktoren

ICPC-2

  • N08 Abnorme unwillkürliche Bewegungen

ICD-10

  • R06 Störungen der Atmung
    • R06.88 Sonstige und nicht näher bezeichnete Störungen der Atmung
  • R56.8 Sonstige und nicht näher bezeichnete Krämpfe
    • Inkl.: Anfall o.n.A., Krampfanfall o.n.A.

Diagnostik

  • Der Abschnitt beruht, sofern nicht anders gekennzeichnet, auf diesen Referenzen.1-3

Diagnostische Kriterien

  • Die Diagnostik erfolgt klinisch und aufgrund der charakteristischen Anfälle und Auslösefaktoren.
  • Da die diagnostischen Triggerfaktoren nicht immer offensichtlich sind, können die Anfälle als Epilepsie missgedeutet werden.
  • In der Regel ist keine weitergehende Diagnostik notwendig.

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Zyanotische Affektkrämpfe (Breath Holding Spells)
    • ausgelöst durch Wut, Frustration oder Schmerzen
    • Kind schreit sich in Rage, kurzzeitige Respirationspause in der Expirationsphase (bis zu 30 sec) mit Zyanose, manchmal mit Bewusstlosigkeit und Erschöpfung sowie evtl. Krämpfen von einigen Sekunden Dauer.
      • Vor Eintreten der Ohnmacht hält das Kind den Atem an.
    • Der gesamte Anfall dauert meist weniger als 1 min.
    • Kind nimmt in der Regel die volle Aktivität innerhalb von wenigen Minuten wieder auf.
  • Blasse Affektkrämpfe (Pallid Infantile Syncope, Reflex Anoxic Seizures)
    • typischerweise nach leichten Sturztraumen, bei Erschrecken, Angst oder Schmerzen
    • minimaler Initialschrei, dann vasovagal bedingte Bradykardie oder kurze Asystolie
      • Kind wird ohnmächtig, bevor der Atem aussetzt.
    • Kind blass, bewusstlos, schlaff oder hyperextendiert; möglicherweise Krämpfe mit einer Dauer von wenigen Sekunden und postiktale Müdigkeit
      • Kind verliert nach einem einzigen tiefen Atemzug oder nach einem kurzen Schrei das Bewusstsein.
      • kein langer Apnoezeitraum (anders als bei zyanotischen Anfällen)
    • Anfälle dauern in der Regel 10–30 sec.
  • Gemischte Affektkrämpfe
    • Einige Kinder weisen sowohl zyanotische als auch blasse Formen von Affektanfällen auf.
  • Häufigkeit der Anfälle
    • Kann von Kind zu Kind variieren.
    • Bei einzelnen Kindern können es mehrere Anfälle pro Tag bis zu einigen Anfällen im Jahr sein.

Fremdanamnese (Eltern)

  • Was geschah vor dem Anfall/Krampf?
  • Schrie das Kind?
  • Welche Farbe hatte das Kind vor und während der Episode?
  • War das Kind nach der Episode erschöpft?
  • Gibt es weitere ähnliche Fälle in der Familie?

Klinische Untersuchung

  • Normalbefunde außerhalb eines Anfalls
  • Evtl. Blässe (Anämie-Hinweis)
  • Evtl. Tachykardie (Anämie-Hinweis)
  • Evtl. Herzrhythmusstörungen (Sick-Sinus?)

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

Diagnostik bei Spezialist*innen

  • EEG
    • Indikationsstellung durch Neurolog*in zum Ausschluss einer Epilepsie.
    • EEG zeigt bei Affektkrämpfen physiologische Verhältnisse zwischen den Anfällen, kann aber während der Anfälle ein charakteristisches Slow-Flat-Slow-Muster (Zeichen einer zerebralen Anoxie) als Ausdruck wechselnder zerebraler Perfusion und neuronaler Aktivität aufweisen.
    • Es besteht ein großes Risiko, zufällige EEG-Veränderungen nachzuweisen, die keiner Behandlung bedürfen!
  • EKG
    • in der Regel nicht erforderlich
    • Bei Verdacht auf Herzrhythmusstörungen, insbesondere bei blassen Affektkrämpfen, kann ein EKG erwogen werden.
  • Bei schwerwiegenden Anfällen evtl. HNO-ärztliche Vorstellung
    • Veränderte Atemmuster während des Schlafes und Beschwerdelinderung durch eine Adenotonsillektomie sind in seltenen Fällen möglich.6

Indikationen zur Überweisung

  • Bei Unsicherheit, ob es sich um eine Epilepsie handelt.
  • Bei sehr häufig auftretenden Anfällen

Therapie

  • Der Abschnitt beruht, sofern nicht anders gekennzeichnet, auf diesen Referenzen.1-3

Therapieziele

  • Aufklärung und Informationen vermitteln.
  • Verhaltensstrategien erläutern.
  • Evtl. Behandlung von Eisenmangel

Allgemeines zur Therapie

  • Information
    • In den meisten Fällen ist dies die einzige notwendige Behandlung.
    • Anfälle sind harmlos.
    • Eltern beruhigen.
    • Mehr Information führt zu weniger Anfällen.
  • Eine Eisentherapie scheint wirksam zu sein.

Empfehlungen für Patient*innen/Eltern

  • Stressreduktion durch das Wissen, dass die Anfälle ungefährlich sind.
  • Die Eltern informieren, dass die Anfälle unwillkürlich sind, aber dass sie positiv verstärkt werden können.
    • klare nachvollziehbare Erziehungsregeln
    • ausreichendes Eingehen auf kindliche Bedürfnisse
    • Kognitive Überforderung des Kindes vermeiden.
  • Kind beobachten, bis es wieder zu sich kommt: „Tun Sie während der Anfälle so wenig wie möglich.“
    • Kontrollieren, ob das Kind atmet und die Atemwege frei sind.
    • Evtl. Kind in die stabile Seitenlage bringen.

Medikamentöse Therapie

  • Keine standardmäßige medikamentöse Therapie
  • Eisensubstitution4,7
    • individualisierte Dosis
    • Gabe über 8–16 Wochen mit Eisensulfat 5–6 mg/kg/tgl. wird empfohlen.
    • Die Wirkung ist wahrscheinlich dann am besten, wenn eine gesicherte Eisenmangelanämie vorliegt.
    • Kann jedoch auch bei Kindern ohne Anämie oder mit Hämoglobin im unteren Normbereich wirksam sein.4
    • Verbessert wahrscheinlich auch die autonome Dysregulation.
  • Piracetam
    • Antiepileptikum
    • Hat sich als wirksam erwiesen, sollte jedoch nur in schweren, eisenresistenten Fällen angewendet werden.
    • Verordnung durch Pädiater*in, Neurolog*in, Psychiater*in
  • Verschiedene weitere Ansätze stellen bisher keine standardisierte Therapie dar: Anticholinergika, Fluoxetin, Melatonin.2

Verlauf, Komplikationen und Prognose

  • Der folgende Abschnitt basiert, sofern nicht anders gekennzeichnet, auf diesen Referenzen.1,3

Verlauf

  • Die Anfälle beginnen häufig im Alter zwischen 6 und 18 Monaten, meist vor dem 2. Lebensjahr und verschwinden in der Regel spontan spätestens im Schulalter.

Komplikationen

  • Theoretisch möglich sind Verletzungen im Rahmen von Stürzen während des Anfalls.

Prognose

  • Affektkrämpfe sind mitunter komplex und bedürfen einer interdisziplinären Zusammenarbeit (Allgemeinmedizin, Neurologie, Psychiatrie, Pädiatrie).8
  • Die Prognose ist im Allgemeinen gut.
  • Die Langzeitprognose ist unvollständig untersucht.
  • Bisher gibt es keine Hinweise darauf, dass die kurzzeitigen Anoxieepisoden zu Hirnschäden führen.
  • Es gibt kein erhöhtes Risiko für eine spätere Epilepsie.
  • Familiäre Häufung ist relativ typisch.5

Informationen für Eltern

  • Affektkrämpfe sind in der Regel harmlos.
  • Den Anfällen so wenig Beachtung wie möglich schenken, Ruhe bewahren.
  • Kinder beobachten, bis sie wieder bei vollem Bewusstsein sind.
  • Kinder nicht anheben oder schütteln.
  • Evtl. Patient*innen in die stabile Seitenlage bringen und prüfen, ob sich der Brustkorb hebt.
    • Mit dem Handrücken fühlen, ob Patient*in atmet.

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Literatur

  1. Bode, H. et al. Psychosomatische Grundversorgung in der Pädiatrie. 2016. DOI: 10.1055/b-0035-128859. www.thieme-connect.de. www.thieme-connect.de
  2. Leung AKC, Leung AAM, Wong AHC, Hon KL. Breath-Holding Spells in Pediatrics: A Narrative Review of the Current Evidence. Curr Pediatr Rev. 2019;15(1):22-29. doi: 10.2174/1573396314666181113094047. PMID: 30421679; PMCID: PMC6696822. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov. www.ncbi.nlm.nih.gov
  3. Nguyen TT, Kaplan PW, Wilfong A. Nonepileptic paroxysmal disorders in infancy. 2014. somepomed.org. somepomed.org
  4. Zehetner AA, Orr N, Buckmaster A, Williams K, Wheeler DM. Iron supplementation for breath-holding attacks in children. Cochrane Database of Systematic Reviews 2010, Issue 5. Art. No.: CD008132. DOI: 10.1002/14651858.CD008132.pub2 DOI
  5. Olsen AL, Mathiasen R, Rasmussen NH et. al. Long-term prognosis for children with breath-holding spells. Dan Med Bull 2010; 57: A4217. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  6. Guilleminault C, Huang YS, Chan A et. al. Cyanotic breath-holding spells in children respond to adenotonsillectomy for sleep-disordered breathing. J Sleep Res 2007; 16: 406-13. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov. onlinelibrary.wiley.com
  7. Bjerring B, Debes NM. [Breath-holding spells in children]. Ugeskr Laeger. 2020 Nov 30;182(49):V07200504. Danish. PMID: 33280646. pubmed.ncbi.nlm.nih.go. ugeskriftet.dk
  8. Johnson KA, Macfarlane MD, Looi JC. Affective disorders and functional (non-epileptic) seizures in persons with epilepsy. Australas Psychiatry. 2016 Dec;24(6):526-528. doi: 10.1177/1039856216654395. Epub 2016 Jun 21. PMID: 27329644. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov. journals.sagepub.com

Autor*innen

  • Moritz Paar, Dr. med., Facharzt für Allgemeinmedizin, Münster
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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