Vibrio-vulnificus-Infektion

Zusammenfassung

  • Definition:Wundinfektion mit dem Bakterium Vibrio vulnificus, die zur Sepsis fortschreiten kann, ggf. primäre Sepsis.
  • Häufigkeit:Aus Deutschland wurden in den letzten Jahren einige wenige Fälle gemeldet, alle aus Regionen der Nord- und Ostsee.
  • Symptome:Nach dem Schlucken von Meerwasser oder dem Verzehr von Fisch/Schalentieren kann die Erkrankung mit lokal im Mund-Rachen-Raum oder auf der Haut auftretenden Wunden oder Entzündungen ausbrechen.
  • Befunde:Makulopapuläre Läsionen an Rumpf oder Extremitäten, ggf. Bullae mit lokalen Nekrosen. Evtl. septisches Bild.
  • Diagnostik:Entzündungsparameter, Bakterienkultur, ggf. Bilddiagnostik des geschädigten Gewebes.
  • Therapie:Antibiotika, intravenös.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Infektion mit Vibrio vulnificus. Die Bakterienart ist mit  Vibrio cholerae verwandt und gehört zu den Nicht-Cholera-Vibrionen.1-2
  • Führt entweder zu einer Wundinfektion, die zu einer Sepsis fortschreiten kann, oder zu einer primären Sepsis.

Häufigkeit

  • Aus Deutschland wurden in den letzten Jahren einige wenige Fälle gemeldet, alle aus Regionen der Nord- und Ostsee.2
    • Von 2001–2011 wurden 11 Fälle von Wundinfektionen in Deutschland bekannt, wahrscheinlich höhere Dunkelziffer.
  • Relativ hohes Vorkommen in Dänemark, einige Fälle in Schweden; 2010 wurden 30 Fälle einer Vibrio-Infektion gemeldet.3-5
  • Die meisten aus den USA gemeldeten Fälle gehen auf den Verzehr roher Austern aus dem Golf von Mexiko im Sommer zurück.6-7
  • In rund 25 % der Fälle lag eine offene Wunde vor, über die der Erreger mit warmem Meerwasser in den Körper gelangt ist.1

Ätiologie und Pathogenese

  • Das Bakterium lebt in Salz- und Brackwasser, zum Anzüchten wird eine Temperatur über 17 °C benötigt.
    • Es vermehrt sich am besten bei Temperaturen über 20 °C.
  • Mit Verschmutzung oder fäkaler Verunreinigung steht das Aufkommen des Erregers nicht in Verbindung.
  • Das Vorhandensein von Vibrio vulnificus im Meerwasser hat keinen Einfluss auf dessen Geschmack, Aussehen oder Geruch.
  • Durch das Schlucken von Salzwasser oder den Verzehr von Schalentieren gelangt das Bakterium in den Darm. Alle aus Schweden gemeldeten Fälle sind zu Zeiten aufgetreten, in denen die Wassertemperatur über 20 °C lag.
  • Vibrio vulnificus
    • gramnegatives, bewegliches, gekrümmtes Bakterium
    • extrem invasiv
    • hohe Letalität bei immunsupprimierten Patient*innen selbst bei schneller Diagnosestellung und aggressiver Therapie6,8

Prädisponierende Faktoren

  • Temperatur des Meerwassers > 17–20 °C
  • Nicht geheilte Wunde
  • Offene Wunden
  • Frische Tättowierung
  • Verspeisen von Austern oder anderen Schalentieren, die nicht ausreichend wärmebehandelt sind.9
  • Besonders gefährdet sind Patient*innen mit geschwächtem Immunsystem.8

ICPC-2

  • A78 Infektiöse Erkrankung NNB, andere

ICD-10

  • A41 Sonstige Sepsis

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Infektionskrankheit mit 2 unterschiedlichen Erscheinungsformen:
    1. Ausbildung einer primären Sepsis (ausgehend vom Magen-Darm-Trakt)
    2. Wundbildung an Haut oder Schleimhaut mit ggf. folgender Ausbildung einer Sepsis.
  • Nachweis von Vibrio vulnificus in Wundmaterial oder Blutkultur

Differenzialdiagnose

Anamnese

  • Die Inkubationszeit beträgt in der Regel 12–24 Stunden nach dem Schlucken von Meerwasser oder dem Verzehr von Schalentieren.
  • Die Erkrankung kann mit lokal im Mund-Rachen-Bereich oder auf der Haut auftretenden Wunden oder Infektionen ausbrechen.
    • z. B. Entzündung des äußeren Gehörgangs oder Erysipel
  • Symptome einer Sepsis können auf eine Wundinfektion folgen oder das erste Symptom darstellen. Häufig nimmt die Erkrankung einen sehr raschen und dramatischen Verlauf.
  • Selten treten Symptome einer Gastroenteritis auf.10

Primäre Sepsis

  • Typische Symptome sind Fieber, Diarrhö und Erbrechen.
  • Bei der Hälfte aller Patient*innen treten mentale Veränderungen auf.
  • Bei knapp 1/3 der Patient*innen liegt bei stationärer Aufnahme ein septischer Schock vor.10
  • Bei über der Hälfte der Patient*innen tritt innerhalb von 24 Stunden eine charakteristische Schädigung der Haut mit schwerer Phlegmone, Ekchymose und Blasenbildung auf.10-11
  • Der Verdacht auf eine Infektion mit Vibrio vulnificus liegt bei Sepsis und schweren Hautläsionen nahe.10-12

Primäre Wundinfektion

  • Es bildet sich eine schmerzhafte Phlegmone, die rasch fortschreitet.
  • Typisch sind lokal abgegrenzte Schwellungen mit hämorrhagischer Blasenbildung.
  • Symptome bei systemischen Infektion: Fieber und Schüttelfrost.10-11
  • Bei der Hälfte der Patient*innen kommt es zu einer Bakteriämie11-12, bei ca. 10 % zu einer Hypotonie und bei etwa 1/3 zu mentalen Veränderungen.

Klinische Untersuchung

Ergänzende Untersuchungen

  • Blutkulturen
  • Kulturen aus Wundmaterial
  • Blutuntersuchungen: Differenzialblutbild, CRP, BSGKreatinin13
  • Ultraschall, CT, MRT von befallenem Gewebe zeigen unspezifische Veränderungen wie Weichteilödeme und flüssigkeitsgefüllte Taschen.

Indikationen zur Krankenhauseinweisung

  • Bei einem Verdacht auf die Erkrankung sind Patient*innen unverzüglich stationär aufzunehmen.

Therapie

Allgemeines zur Therapie

  • Antibiotika und intensivmedizinische Betreuung
  • Häufig sind auch chirurgische Maßnahmen erforderlich.

Medikamentöse Therapie

  • Intravenöse Antibiotikagabe
  • In der Regel spricht das Bakterium auf Tetrazykline, Ciprofloxacin, Cephalosporine und Aminoglykoside an.
  • Aggressive Infusionstherapie und intensivmedizinische Überwachung sind erforderlich.
  • Leitlinienempfehlung: Doxycyclin 2 x 100 mg i. v. plus Ceftriaxon 1 x 1 g/d i. v.14

Weitere Therapien

  • Häufig sind chirurgisches Debridement und Drainage erforderlich, manchmal auch Amputation.15-17

Prävention

  • Patient*innen mit chronischen Erkrankungen, insbesondere der Leber und des Blutsystems, sollten nicht im Meer bei Wassertemperaturen über 20 °C baden und dieses nicht schlucken.
  • Personen mit offenen Wunden sollten den Kontakt mit warmem Meerwasser meiden.18
  • Schalentiere aus warmem Meerwasser sollten nur gekocht verzehrt werden.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Ein milder Verlauf ohne Sepsis ist bei immunkompetenten Patient*innen möglich. 
  • Innerhalb kurzer Zeit kann sich ein lebensbedrohlicher Zustand mit Auftreten einer Sepsis entwickeln.

Prognose

  • Letalität: 40–60 %
  • Rund 80 % der Todesfälle treten bei Patient*innen mit Erkrankungen der Leber ein.6
  • Wird die Diagnose erst nach 24–72 Stunden gestellt, verschlechtert sich die Prognose.1

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?

  • Angehörige von Risikogruppen sollten das Baden in Meer-/Brackwasser mit Temperaturen über 20 °C vermeiden.

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

RKI-Ratgeber

Leitlinien

  • Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie. Kalkulierte parenterale Initialtherapie bakterieller Erkrankungen bei Erwachsenen - Update 2018. S.175ff. AWMF-Leitlinie 082-006. Stand 2017. www.awmf.de

Literatur

  1. Bross MH, Soch K, Morales R, Mitchell RB. Vibrio vulnificus infection: diagnosis and treatment. Am Fam Physician 2007; 76: 539-44. PubMed
  2. Robert Koch Institut. Informationsbroschüre von RKI und VibrioNet zu Nicht-Cholera-Vibrionen. Berlin, 2012. (Zugriff 24.07.2018) www.vibrionet.de
  3. Dalsgaard I, Høi L, Siebeling RJ, Dalsgaard A.Indole-positive Vibrio vulnificus isolated from disease outbreaks on a Danish eel farm. Dis Aquat Organ. 1999 Feb 26;35(3):187-94 PubMed
  4. Collin B, Rehnstam-Holm AS.Occurrence and potential pathogenesis of Vibrio cholerae, Vibrio parahaemolyticus and Vibrio vulnificus on the South Coast of Sweden. FEMS Microbiol Ecol. 2011 Nov;78(2):306-13 PubMed
  5. Horseman MA, Surani S. A comprehensive review of Vibrio vulnificus: an important cause of severe sepsis and skin and soft-tissue infection. Int J Infect Dis. 2011 Mar;15(3):e157-66 PubMed
  6. Shapiro RL, Altekruse S, Hutwagner L, Bishop R, Hammond R, Wilson S, et al., for the Vibrio Working Group. The role of Gulf Coast oysters harvested in warmer months in Vibrio vulnificus infections in the United States, 1988-1996. J Infect Dis 1998; 178: 752-9. PubMed
  7. Centers for Disease Control and Prevention (CDC). Vibrio vulnificus infections associated with eating raw oysters-Los Angeles, 1996. MMWR Morb Mortal Wkly Rep 1996; 45: 621-4. PubMed
  8. Hsueh PR, Lin CY, Tang HJ, Lee HC, Liu JW, Liu YC, et al. Vibrio vulnificus in Taiwan. Emerg Infect Dis 2004; 10: 1363-8. PubMed
  9. Vugia DJ, Tabnak F, Newton AE, et al. Impact of 2003 State Regulation on Raw Oyster–associated Vibrio vulnificus Illnesses and Deaths, California, USA. Center for Disease Control and Prevention. Emergin Infectious Diseases 2013. wwwnc.cdc.gov
  10. Klontz KC, Lieb S, Schreiber M, Janowski HT, Baldy LM, Gunn RA. Syndromes of Vibrio vulnificus infections. Clinical and epidemiologic features in Florida cases, 1981-1987. Ann Intern Med 1988; 109: 318-23. Annals of Internal Medicine
  11. Chuang YC, Yuan CY, Liu CY, Lan CK, Huang AH. Vibrio vulnificus infection in Taiwan: report of 28 cases and review of clinical manifestations and treatment. Clin Infect Dis 1992; 15: 271-6. PubMed
  12. Hlady WG, Klontz KC. The epidemiology of Vibrio infections in Florida, 1981-1993. J Infect Dis 1996; 173: 1176-83. PubMed
  13. Lerstloompleephunt N, Tantawichien T, Sitprija V. Renal failure in Vibrio vulnificus infection. Ren Fail 2000; 22: 337-43. PubMed
  14. Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie. Kalkulierte parenterale Initialtherapie bakterieller Erkrankungen bei Erwachsenen - Update 2018. S.175ff. AWMF-Leitlinie 082-006. Stand 2017. www.awmf.org
  15. Majeski J, Majeski E. Necrotizing fasciitis: improved survival with early recognition by tissue biopsy and aggressive surgical treatment. South Med J 1997; 90: 1065-8. PubMed
  16. Halow KD, Harner RC, Fontenelle LJ. Primary skin infections secondary to Vibrio vulnificus: the role of operative intervention. J Am Coll Surg 1996; 183: 329-34. PubMed
  17. Bilton BD, Zibari GB, McMillan RW, Aultman DF, Dunn G, McDonald JC. Aggressive surgical management of necrotizing fasciitis serves to decrease mortality: a retrospective study. Am Surg 1998; 64: 397-400. PubMed
  18. Centers for Disease Control and Prevention (CDC). Vibrio illnesses after Hurricane Katrina-multiple states, August-September 2005. MMWR Morb Mortal Wkly Rep 2005; 54: 928-31. PubMed

Autor*innen

  • Marlies Karsch-Völk, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, München (Revision)
  • Nicola Herzig, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, Sandnes (Norwegen)

Frühere Autor*innen

  • Birgitta Evengård, professor och överläkare, Infektionskliniken, Norrlands Universitetssjukhus, Umeå
  • Ingard Løge, spesialist allmennmedisin, universitetslektor, institutt for sammfunsmedisinske fag, NTNU, redaktør NEL

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