Kleinwuchs

Bei den meisten Menschen zeigt das Körperwachstum einen klassischen Verlauf. Einige wachsen nur wenig und haben eine eher geringe Körperendgröße. Hierfür gibt es zahlreiche mögliche Ursachen.

Was ist Kleinwuchs?

Definition

Kleinwuchs wird anhand von sog. Wachstumskurven bestimmt, die die durchschnittliche Körpergröße in einem bestimmten Alter für das jeweilige Geschlecht angeben. Bei den meisten Menschen zeigt das Körperwachstum einen klassischen Verlauf. Einige wachsen nur wenig und haben eine eher geringe Körperendgröße, andere wachsen stark und werden sehr groß. Die meisten Menschen weisen ein durchschnittliches Wachstum auf und befinden sich damit im Mittelfeld des Kurvenmodells. Um die verschiedenen Wachstumsmuster zu beschreiben, benutzt man Normkurven mit Standardabweichungen (engl. Standard Deviation, SD) oder sog. Perzentilen. Mithilfe der Wachstumskurven lässt sich beurteilen, ob Kinder oder Jugendliche eher klein oder groß für ihr Alter sind, zudem lässt sich die Körperendgröße schätzen:

  • Die mittlere Kurve gibt die durchschnittliche Größe aller Kinder im entsprechenden Alter an.
  • Der Wert +1 SD (+1 Standardabweichung) bedeutet, dass rund 16 % aller Kinder derselben Altersstufe größer sind; –1 SD bedeutet, dass rund 16 % kleiner sind.
  • Bei +/–2 SD sind es rund 3 % der Kinder im gleichen Alter, die noch größer bzw. kleiner sind.

Von Kleinwuchs spricht man in der Regel generell bei Werten unterhalb der 3. Perzentile (3 %) bzw. 2 Standardabweichungen. In der Praxis wird allerdings auch die Körpergröße der Eltern berücksichtigt: Sind beide Elternteile eher klein, ist es unwahrscheinlich, dass das Kind in seiner Entwicklung der mittleren Wachstumskurve folgt, sodass eine geringe Körpergröße in diesem Fall völlig normal sein kann. Nur bei etwa 5 % der kleinwüchsigen Kinder ist eine Erkrankung als Ursache nachweisbar.

Symptome

Die Körpergröße ist im Vergleich zum Durchschnitt der Bevölkerung gering. Evtl. liegen zusätzlich Symptome einer Grunderkrankung vor.

Ursachen

Häufige Ursachen

  • Verzögertes Wachstum und Pubertät
    • Wachstum und Pubertät verlaufen insgesamt normal, die biologische Reife ist allerdings verzögert. Dabei liegt das Knochenalter bei Eintritt in das übliche Pubertätsalter 2–4 Jahre zurück. Die Wachstumsgeschwindigkeit ist vermindert und die Pubertät tritt verzögert ein.
    • Häufig besteht eine erbliche Veranlagung.
    • Letztlich wird eine normale, den familiären Verhältnissen entsprechende Körperendgröße erreicht.
  • Familiärer Kleinwuchs
    • Familiär bedingter Kleinwuchs ist die häufigste Ursache für eine geringe Körpergröße.
    • Die Wachstumskurve verläuft zwar unterhalb der 3. Perzentile, aber stets parallel zu den normalen Wachstumskurven. Demnach handelt es sich bei familiärem Kleinwuchs nicht um eine Entwicklungsverzögerung. Auch der Eintritt in die Pubertät findet zum üblichen Zeitpunkt statt.
    • Die Körperendgröße fällt geringer aus. Bei Männern beträgt sie weniger als 163 cm, bei Frauen weniger als 150 cm.
    • Die Diagnose gilt erst als gesichert, wenn alle anderen Ursachen für Kleinwuchs ausgeschlossen sind.

Seltene Ursachen

  • Small for Gestational Age
    • Der Begriff Small for Gestational Age (SGA, zu klein für das Schwangerschaftsalter) bezeichnet Neugeborene, die gemessen an der Schwangerschaftsdauer zu klein oder zu leicht sind.
    • Bei 90 % dieser Kinder normalisiert sich die Körpergröße bis zum Alter von 2 Jahren.
  • Turner-Syndrom
    • Beruht auf vollständigem oder teilweisem Fehlen von einem der beiden X-Chromosomen bei Mädchen/Frauen.
    • Dies ist eine mögliche Ursache für Kleinwuchs bei Mädchen.
    • Säuglinge können auffällige Schwellungen im Nacken, an Händen und Füßen aufweisen.
    • Zeichen bei älteren Mädchen oder Frauen sind Kleinwuchs, niedriger Haaransatz im Nacken, hängende Augenlider, breite Brust mit weit voneinander entfernten Brustwarzen, viele Muttermale, kurze vierte Finger (Ringfinger) oder Zehen, Fehlbildung der Nägel, fehlende Brustentwicklung, seltene oder ausbleibende Menstruation.
  • Mangelnde Versorgung
    • Kleinwuchs kann durch psychische Faktoren und Mangelernährung entstehen.
  • Zöliakie (Glutenunverträglichkeit)
    • Die Erkrankung zeigt sich häufig bereits bei Kleinkindern, kann aber auch erst im Erwachsenenalter auftreten.
    • Verschiedene Getreidearten (Gluten) verursachen eine immunologische Störung im Dünndarm.
    • Typische Symptome sind ein voluminöser, übel riechender, fettglänzender Stuhl, Blähungen, Wachstumshemmung und Anzeichen für Ernährungsmangel bei Kindern.
    • Kinder weisen eine verminderte Gewichts- und Wachstumszunahme auf.
  • Laktoseintoleranz
    • Auch eine Laktoseunverträglichkeit kann zu Verdauungsstörungen mit Völlegefühl, Blähungen und Durchfall führen.
    • Sie wird auf einen Mangel des Enzyms Laktase in der Schleimhaut des Dünndarms zurückgeführt.
    • In Deutschland sind 15–20 % der Bevölkerung betroffen.
  • Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose)
    • Typische Symptome sind Antriebslosigkeit, Kälteintoleranz, Muskelschmerzen, erhöhter Schlafbedarf, Gewichtszunahme, Verstopfung, Schwindel, Missempfindungen, trockene Haut und Haare, Haarausfall, belegte Stimme.
    • Rund 1 % der Bevölkerung sind betroffen, überwiegend Mädchen/Frauen.
  • Hypophysenunterfunktion
    • Verschiedene Erkrankungen der Hirnanhangdrüse (Hypophyse) können zu einem Mangel an einem oder mehreren Hypophysenhormonen führen.
  • Wachstumshormonmangel
    • Kann auf Erkrankungen der Hypophyse oder bestimmten anderen Erkrankungen beruhen.
    • Abweichungen im Längenwachstum treten meist ab einem Alter von 2 Jahren auf.
  • Achondroplasie
    • Achondroplasie ist die häufigste Ursache für starken Kleinwuchs mit verkürzten Gliedmaßen („Kurzgliedrigkeit“).
    • Die Erkrankung beruht auf einer genetischen Mutation und kann weitere zahlreiche Organe betreffen.
  • Cushing-Syndrom
    • Das Cushing-Syndrom wird häufig durch eine längere Kortison-Behandlung ausgelöst, seltener ist ein Hypophysentumor die Ursache.
    • Typische Symptome sind Gewichtszunahme, Ermüdbarkeit, ausbleibende Menstruation, psychische Veränderungen (Depression), Zunahme des Unterhautfettgewebes in Gesicht und Nacken, Stammfettsucht, vermehrte Körperbehaarung bei Frauen, Hautblutungen und Bluthochdruck.
  • Allgemeinerkrankungen
  • Seltene angeborene Krankheiten
    • z. B. Prader-Willi-Syndrom, Noonan-Syndrom, Down-Syndrom

Häufigkeit

Kleinwuchs liegt laut Definition bei 3 % aller deutschen Kinder vor.

Untersuchungen

  • Die jeweilige Körpergröße sowie der Pubertätseintritt von Eltern und deren Geschwistern, Großeltern sowie von den eigenen Geschwistern ist für die Diagnose von familiärem Kleinwuchs von entscheidender Bedeutung.
  • Bei der ärztlichen Untersuchung wird nach Hinweisen für eine zugrunde liegende Erkrankung gesucht.
  • Körpergröße, Gewicht und Kopfumfang werden gemessen und mit der Wachstumskurve verglichen.
  • Mithilfe der folgenden Formel, bei der die Körpergröße der Eltern in die Berechnung einfließt, kann die zu erwartende Körperendgröße ermittelt werden. Allerdings beruhen die Zahlen auf statistischen Werten, weshalb es individuell auch zu starken Abweichungen kommen kann.
    • Junge: (Körpergröße des Vaters + Körpergröße der Mutter + 13 cm) / 2
    • Mädchen: (Körpergröße des Vaters – 13 cm + Körpergröße der Mutter) / 2
  • Bei Verdacht auf eine Grunderkrankung können Blutuntersuchungen sinnvoll sein.
  • Röntgenaufnahmen der Hand geben Aufschluss über das Knochenalter.

Behandlung

  • Eine mögliche Grunderkrankung sollte behandelt werden.
  • Bei nachgewiesenem Wachstumshormonmangel und bestimmten Erkrankungen können Wachstumshormone verschrieben werden.
  • Eine Mitbetreuung durch Kinderpsycholog*innen kann hilfreich sein, um den Umgang mit Kleinwuchs zu verbessern.

Prognose

Verlauf und Prognose hängen von der ursächlichen Erkrankung ab. Es kann zu psychischen Problemen und Schwierigkeiten mit dem sozialen Umfeld kommen.

Weitere Informationen

  • Kleinwuchs – Informationen für ärztliches Personal

Quellen

Literatur

  1. Netzwerk Hypophysen- und Nebennierenerkrankungen. Wachstumshormonmangel. Informationsbroschüre für Patienten. Fürth, Stand Oktober 2015 www.glandula-online.de
  2. Netzwerk Hypophysen- und Nebennierenerkrankungen. Information für Jugendliche und junge Erwachsene. Fürth, Stand 2022 www.glandula-online.de
  3. Bundesselbsthilfeverband Kleinwüchsiger Menschen. Kleinwuchs. Algermissen, 2007, Stand Oktober 2015 www.kleinwuchs.de
  4. Bundesverband Kleinwüchsige Menschen und ihre Familien. Formen des Kleinwuchses. Bremen, Stand 2015 bkmf.de

Autorin

  • Martina Bujard, Wissenschaftsjournalistin, Wiesbaden

Links

Autoren

Ehemalige Autoren

Updates

Gallery

Snomed

Click to edit

Literatur

Dieser Artikel basiert auf dem Fachartikel Kleinwuchs. Nachfolgend finden Sie die Literaturliste aus diesem Dokument.

  1. Deutsche Gesellschaft für Kinderendokrinologie und -diabetologie (DGKED) e. V. AWMF-Leitlinie Nr. 174-004. S1, Stand 2016 (abgelaufen). www.awmf.org
  2. Rogol AD. Diagnostic approach to children and adolescents with short stature. UpToDate, letztes Update: Nov 2021. Zugriffsdatum: 24.01.2022. www.uptodate.com
  3. Barstow C, Rerucha C. Evaluation of short and tall stature in children. Am Fam Physician 2015 Jul 1; 92(1): 43-50. pmid: 26132126 PubMed
  4. Richmond EJ, Rogol AD. The child with tall stature or abnormally rapid growth. UpToDate. Letzte Update: Nov 2021. Zugriffdatum: 24.01.2022. somepomed.org
  5. Tanner JM, Whitehouse RH, Takaishi M. Clinical longitudinal standards for height, weight, height velocity, weight velocity and stages of puberty. Arch Dis Child 1976; 51: 170. PubMed
  6. Cohen LE. Idiopathic short stature: a clinical review. JAMA 2014; 311(17): 1787–1796. pmid:24794372 PubMed
  7. Lee MM. Idiopathic short stature. N Engl J Med 2006; 354: 2576-82. PubMed
  8. Lashari SK, Korejo HB, Memon YM. To determine frequency of etiological factors in short statured patients presenting at an endocrine clinic of a tertiary care hospital. Pak J Med Sci 2014; 30(4): 858–861. www.ncbi.nlm.nih.gov. www.ncbi.nlm.nih.gov