Auf die Frage, ob und wann bei einer akuten Appendizitis chirurgisch oder konservativ vorgegangen werden soll, gibt es keine wirklich eindeutige Antwort. Hierzu möchte ich Ihnen einen Fall schildern: Eine 45-jährige Patientin kommt mit akuten Unterbauchschmerzen in die Notaufnahme. Die herbeigerufenen Ärztinnen, eine ÄiW und ihre Oberärztin, stellen die Verdachtsdiagnose einer akuten Appendizitis. Die Patientin wird etwas vorwurfsvoll gefragt, warum sie denn nicht früher gekommen sei. Beide Ärztinnen empfehlen der Patientin in drängendem Ton eine sofortige Operation. Die Patientin fühlt sich überrumpelt und unter Druck gesetzt. Sie sagt den beiden Ärztinnen, dass sie Angst habe und nicht operiert werden möchte. Sie fragt, ob es denn keine andere Lösung gibt, zum Beispiel Antibiotika? Daraufhin lassen die Ärztinnen den Sohn der Patientin, der im Teenageralter ist, aus dem Warteraum holen und sagen ihm: „Bringen Sie doch bitte Ihre Mutter zur Vernunft.“ Gegenüber der Patientin fallen Begriffe wie „uneinsichtig“ und „stur“. Am Ende verlässt die Patientin unter Kopfschütteln der Ärztinnen die Notaufnahme mit einem Rezept für ein orales Antibiotikum, nachdem Sie den üblichen Satz unterschrieben hat, sie handle „gegen ärztlichen Rat“. Sie nimmt die Tabletten verordnungsgemäß ein und ist nach zwei Tagen völlig beschwerdefrei. Im Nachhinein fragt sie mich nach meiner Meinung zu der Geschichte.
Was ist also von diesem Fallbeispiel zu halten? Um die aktuelle Evidenz zu den verschiedenen Therapieoptionen übersichtlich darzustellen, haben wir unseren Artikel Appendizitis grundlegend überarbeitet. Da es derzeit keine deutsche Leitlinie zu diesem Thema gibt, wurden internationale Leitlinien und eine Einschätzung des arznei-telegramms berücksichtigt.
Nach wie vor ist eine laparoskopische Appendektomie innerhalb von maximal 24 Stunden die Therapie der ersten Wahl. Für eine Empfehlung einer konservativen Therapie mit Antibiotika ist die Evidenz unzureichend. Falls eine Operation nicht gewünscht wird oder wegen Vorerkrankungen nicht durchführbar ist, kann nach Aufklärung über Rezidivgefahr und das Risiko für ein Übersehen von Komplikationen oder malignen Erkrankungen der Appendix eine rein medikamentöse Therapie zum Einsatz kommen. Ein solches Vorgehen kommt allerdings nur bei ausgewählten Patient*innen mit unkomplizierter Appendizitis und ohne Kotsteine infrage. Als unkompliziert wird eine Appendizitis ohne Abszess, Gangrän, Perforation, Phlegmone oder purulente freie Flüssigkeit definiert. Deswegen ist zunächst eine Bildgebung mittels Sonografie und bei unklarem Befund mit CT erforderlich. Bei Schwangeren mit Appendizitis wird von einem konservativen Vorgehen abgeraten. Die Antibiotikagabe soll initial intravenös erfolgen und im Verlauf je nach klinischem Bild auf eine orale Therapie umgestellt werden. Patient*innen sollen bei Therapiebeginn stationär überwacht werden. Sollten in der COVID-19-Pandemie Operationskapazitäten eingeschränkt sein, könnte eine konservative Appendizitisbehandlung nach Einschätzung internationaler Leitlinien doch vermehrt notwendig sein und ein akzeptables Vorgehen darstellen.
Wie sind nun das Vorgehen der Ärztinnen und die Selbsteinschätzung der Patientin im oben geschilderten Beispiel einzuordnen? Die beiden Ärztinnen in der Notaufnahme haben bestenfalls sehr ungeschickt kommuniziert. Die aktuelle Evidenz zur Behandlung einer Appendizitis war ihnen offenbar nicht geläufig. Dass ihre Abteilung an einem chirurgischen Eingriff mehr verdient als beim Überwachen einer konservativ behandelten Patientin, könnte ebenfalls eine Rolle gespielt haben. Die Patientin hat, obwohl selbst nicht „vom Fach“, die Situation eigentlich ganz richtig eingeschätzt. Eine Appendizitis kann sehr wohl auch konservativ behandelt werden, obgleich eine initial orale Antibiotikatherapie ohne Überwachung nicht empfohlen ist und doch recht gewagt war. Sie hatte also auch ziemlich großes Glück. Damit so ein günstiger Verlauf bei einer akuten Appendizitis nicht nur Glücksache ist, ist mehr und bessere Evidenz in Form von kontrollierten klinischen Studien zu diesem Thema erforderlich.
Marlies Karsch, Chefredakteurin
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