Hausärzte, die den Großteil ihrer Zeit der Versorgung von Patienten widmen und nicht auch noch die Zeit für wissenschaftliche Recherchen haben, brauchen für ärztliches Handeln im Sinne einer evidenzbasierten Medizin (EbM) zuverlässige Informationsquellen und Nachschlagewerke. Laut Cochrane Deutschland bedeutet EbM in der Praxis die „Integration individueller klinischer Expertise mit der bestverfügbaren externen Evidenz aus systematischer Forschung“. Doch was ist die „bestverfügbare“ externe Evidenz? Es besteht ein allgemeiner Konsens, dass diese aus methodisch hochwertiger klinischer Forschung gewonnen werden kann und das nur ohne Beeinflussung wissenschaftlicher Ergebnisse aufgrund kommerzieller Interessen. Zur Einschätzung klinischer Studien kann unser Artikel Therapie und Validität beitragen.
In den letzten Wochen haben verschiedene Nachrichten zu Unsicherheit bei der Beurteilung externer Evidenz beigetragen. Es gab Streitigkeiten und Personalveränderungen in der Leitung von Cochrane International. Im Zentrum der Ereignisse steht ein Review zur HPV-Impfung, der zum Teil heftig kritisiert wurde. Es wurden Interessenskonflikte mit der Pharmaindustrie unterstellt. Details sind für Außenstehende schwer verständlich. Aber was ist jetzt mit der HPV-Impfung, die neuerdings von der STIKO auch für Jungen empfohlen wird? Ob Sie vor Zervixkarzinomen schützt, kann zum derzeitigen Zeitpunkt sowieso nicht beantwortet werden. Aber es scheint wohl einen Schutz gegen Präkanzerosen und Kondylome zu geben. Sollen wir die Impfung nun unseren Patienten empfehlen und auch unsere Kinder damit impfen oder lieber nicht? Leider verunsichern solche Vorgänge diejenigen, die geglaubt haben, die bestverfügbare Evidenz sei zumindest bei Cochrane zu finden.
Die Skandale um „Fake Science“-Journals und Kongresse zeigten, dass es möglich ist, kompletten Unsinn und gefälschte Studien zu publizieren und so den Anschein von Wissenschaftlichkeit zu erwecken. Die Diskussion hat große Aufmerksamkeit in den Medien erhalten. „Fake Science“-Publikationen können ihren Weg in die Öffentlichkeit finden und dort Verunsicherung auslösen. Für ein kritisches medizinisches Fachpublikum dürften diese Publikationen aber kaum eine Rolle spielen.
Schwerwiegender sind die Informationen aus dem Arzneiverordnungsreport 2018 zum Hochpreistrend bei Arzneimitteln. Hier ist zu sehen, wie groß die Gewinne sind, die mit neu auf den Markt gebrachten patengeschützten Medikamenten erzielt werden können. Es stehen massive finanzielle Interessen hinter der Entwicklung neuer Pharmaka gegen beispielsweise MS, Hepatitis C oder auch Rheuma und Psoriasis. Wenn die Gewinnmargen im mehrstelligen Milliardenbereich liegen, wie groß ist dann die Bereitschaft, alles dafür zu tun, dass die betreffenden Medikamente in wissenschaftlichen Publikationen gut dastehen?
Um den Weg durch den undurchsichtigen Dschungel von Publikationen zu finden, Interessenskonflikte zu erkennen und zu benennen und Evidenz für Ärzte brauchbar darzustellen, müssen wir ständig wachsam bleiben, alles kritisch hinterfragen und natürlich gut mit verlässlichen Partnern aus Wissenschaft und Praxis zusammenarbeiten.
Marlies Karsch, Chefredakteurin
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