Laut tagesschau.de müssen Patienten in Deutschland durchschnittlich 20 Wochen auf den Beginn einer ambulanten Psychotherapie warten. Das ist eine unerträglich lange Zeit für alle Patienten mit psychischen Problemen, die sich aufraffen, Hilfe zu suchen, und dann erst einmal vertröstet werden. Wo gehen diese Patienten in der Zwischenzeit hin? Ein großer Teil kommt erst einmal in die Hausarztpraxis. In all der Hektik des hausärztlichen Tagesgeschäfts gehört es zu unseren Aufgaben, bei Patienten mit beispielsweise einer mittelschweren Depression eine medikamentöse Behandlung einzuleiten und sie regelmäßig einzubestellen, obwohl eigentlich eine Psychotherapie gewünscht und indiziert ist. Oft erleben wir, dass die Depressionsbehandlung erfolgreich ist, der Patient sich wieder sehr gut fühlt und das lange, bevor der erste Termin beim Psychotherapeuten stattfindet.
Die durch die Terminengpässe der Psychotherapeuten entstehende Versorgungslücke wird so in vielen Fällen von den Hausärzten geschlossen. Dass sich Patienten mit somatoformen Beschwerden an uns wenden, ist ein typischer Teil der Hausarztmedizin und der psychosomatischen Grundversorgung. Aber wenn hier zum Beispiel eine Verhaltenstherapie erfolgen soll, können wir Betroffene nicht einfach weiter überweisen. Es besteht die Gefahr, dass ein mit dem Patienten gefundener Entschluss zum weiteren Vorgehen durch die lange Wartezeit einfach verpufft.
Auch Patienten mit Zwangsstörungen (Zwangsgedanken und Zwangshandlungen), Angst, sozialer Phobie oder generalisierter Angststörung kommen oft zuerst zum Hausarzt. Hier wäre ebenfalls eine psychotherapeutische Behandlung indiziert. Die Patienten haben manchmal die Möglichkeit, ein Erstgespräch beim Therapeuten zu führen, müssen aber dennoch auf den eigentlichen Therapiebeginn mehrere Monate warten. Eine Überweisung zum Psychiater ist nicht immer eine Alternative, weil auch hier die Wartezeiten teilweise sehr lang sind. Was tun wir also? Wenn eine stationäre Einweisung, wie z. B. bei akuter Schizophrenie oder Suizidalität, nicht in Frage kommt, müssen wir die Patienten regelmäßig zu Gesprächen einbestellen. Obwohl wir keine Psychotherapeuten sind, kann es unsere Aufgabe sein, für Patienten mit psychischen Problemen eine Anlaufstelle darzustellen, an die man sich, überbrückend bis zum Beginn einer eigentlichen Psychotherapie, vertrauensvoll wenden kann. Eine Dauerlösung kann das weder für die Patienten noch für die Hausärzte sein. Ob der politische Druck so groß wird, dass sich an der Versorgungssituation irgendetwas ändert, ist aber mehr als zweifelhaft.
Marlies Karsch, Chefredakteurin
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