Vorgehen bei somatoformen Störungen: weniger ist mehr
Bei Patienten, die sich mit Beschwerden in der Hausarztpraxis vorstellen, bei denen keine körperlichen Befunde vorliegen, die das Ausmaß der Beschwerden erklären können, besteht der Verdacht auf somatoforme Körperbeschwerden. Diese machen bis zu 20 % der Konsultationen beim Hausarzt aus. Meist ist der Leidensdruck hoch. Um somatische Erkrankungen auszuschließen, kann es zu überflüssiger Diagnostik und Therapiemaßnahmen kommen. Hier ist es schwer abzuwägen und das Nötige vom Unnötigen zu unterscheiden, um das Chronifizierungsrisiko nicht zu erhöhen.
Häufig werden beispielsweise Schmerzen berichtet, die sich nicht ausreichend erklären lassen und eine Schmerzmedikation gefordert, die oft nicht den gewünschten Effekt hat. In vielen Fällen werden Kopf- oder Rückenschmerzen angegeben. Auch eine Fibromyalgie kann in diesem Kontext vorliegen. Bei gastrointestinalen Beschwerden muss nach Ausschluss einer organischen Ursache, z.B. einer Kohlenhydratmalabsorption, an ein Reizdarmsyndrom gedacht werden. Auch bei einer chronischen Müdigkeit finden sich vielfach keine wegweisenden körperlichen Befunde. Als bedrohlich empfundene Symptome, wie Herzrasen, Schwindel und Schmerzen in der Brust, können naturgemäß zu besonders viel unnötiger Diagnostik führen, da gerade bei „Doctor-Hopping" der jeweils neu konsultierte Arzt eine ernste Grunderkrankung ausschließen muss. Daraus kann ein Teufelskreis entstehen, der zur einer Verschlechterung des Krankheitsbildes führt. Auch ein Globusgefühl, Dysästhesien, erektile Dysfunktion oder körperdysmorphe Störungen können als somatoforme Körperbeschwerden vorkommen.
Die Patienten fühlen sich verunsichert und oft unverstanden, was zu häufigen Arztbesuchen und Arztwechseln führt. Frustration bei der sehr oft erfolglosen Behandlung der Patienten kann auch auf ärztlicher Seite entstehen. Um das zu vermeiden, ist ein sensibles partizipatives Vorgehen erforderlich.
Marlies Karsch, Chefredakteurin
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