Jeder kennt das: Patienten werden nach akutem Koronarsyndrom aus der Klinik entlassen und kommen mit einem Entlassbrief mit zahlreichen neuen medikamentösen Therapieempfehlungen der Kardiologen in die Praxis. Auch Patienten mit koronarer Herzerkrankung, die von einer Kardiologie-Praxis mitbetreut werden, bringen oft Befundberichte mit umfangreichen neuen Medikamentenverordnungen mit. Jetzt könnte man diese Therapieempfehlungen einfach übernehmen und die begonnenen Therapien weiterführen. Das erspart einem das Nachdenken, Diskussionen mit den Patienten und Konflikte mit den Spezialisten-Kollegen. Oder man hat doch seine Zweifel und möchte die Therapievorschläge kritisch hinterfragen sowie hinsichtlich Evidenz überprüfen. Wo kann man da nachsehen? Genau, in der Nationalen Versorgungsleitlinie Chronische KHK (NVL KHK).
Hier sollten die gültigen Empfehlungen aufgeführt sein. Doch ausgerechnet hier gibt es Kontroversen, nämlich bei der Statintherapie. Die internistischen Fachgesellschaften folgen den ESC-Guidelines und empfehlen ein Titrieren der Statintherapie bis zur Erreichung eines LDL-Zielwertes unter 70 mg/dl. Die DEGAM und die US-amerikanischen Leitlinien hingegen raten in einem Sondervotum zu einer festen Hochdosis-Statintherapie, z. B. mit Atorvastatin 40–80 mg/d, ohne weitere Kontrolle des LDL-Wertes („Fire-and-forget“-Strategie). Soweit so unklar. Wer hat recht? Wenn man also den Empfehlungen der ESC nicht so gerne Glauben schenken möchte, weil sie in dem Ruf steht, stark mit der pharmazeutischen Industrie verbunden zu sein, kann man sich die Empfehlungen der DEGAM herauspicken und sich auf der sicheren Seite fühlen.
Befasst man sich aber genauer mit dem Thema und forscht etwas weiter, so findet man heraus, dass die Hochdosis-Statintherapie in der kardiovaskulären Sekundärprävention durchaus umstritten ist. So empfiehlt die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AKdÄ) eine Standard-Statintherapie mit Simvastatin 40 mg (auch „Fire-and-forget“). Die für die Hochdosis-Therapie gemäß NVL geeigneten Statine sind außerdem formal gar nicht bei manifesten Gefäßleiden zugelassen. Auch die Autoren des Arzneitelegramms sehen die Hochdosis-Statintheapie kritisch und empfehlen weiterhin eine Fixdosis-Statintherapie mit gut untersuchten Mitteln in gut untersuchten Dosierungen, also z. B. Simvastatin 40 mg.
Diese unterschiedlichen Empfehlungen werden in unserem Artikel Sekundärprävention von koronaren Erkrankungen ausführlich dargestellt. Aber hilft uns das weiter? An welche Empfehlung soll man sich halten, und was ist das Beste für unsere Patienten? Hier muss man abwägen. Eine Hochdosis-Therapie bringt auch mehr Nebenwirkungen mit sich als eine Standarddosis. Andererseits möchte man den Patienten keine wirksame Therapie vorenthalten. Abgesehen von der Beachtung von Kontraindikationen sind zunächst die individuellen Bedürfnisse und Wünsche der einzelnen Patienten zu berücksichtigen. Da die wenigsten von uns eine umfassende und offensichtlich unter Fachleuten umstrittene Evidenzlage selbständig auswerten und einschätzen können, ist die Entscheidung für eine bestimmte Variante der Statintherapie davon abhängig, welchen der beteiligten Kommissionen, Fachgesellschaften und Autoren man am meisten vertraut. Und das ist dann doch eine individuelle, eher nicht evidenzbasierte Entscheidung.
Marlies Karsch, Chefredakteurin
Frühere Themen:
- Muss die „Weißkittelhypertonie“ jetzt „Polohemdhochdruck“ heißen?
- Gastritis ist hierzulande eine Krankheit
- Lebensstiländerung ist machbar – dauerhafte Gewichtsabnahme nicht?
- F-Diagnosen und was man damit anrichten kann
- Krankschreibung via Handy – Entlastung oder Einladung zum Betrug?
- Hauptsache natürlich
- Bettwanzen und andere Urlaubsmitbringsel
- Prävention ungesunder Ernährung: Wir brauchen Regeln
- Von der Selbstoptimierung zur Selbstdiagnose
- Aktuelle Palliativmedizin
- Chronische Nierenkrankheit: Was ist neu?
- Homöopathie: Was ist schlecht am Placeboeffekt?
- Unsere Top 10
- Legale Suizidmedikamente: Würdiger Freitod oder doch Trend zum „sozialverträglichen Frühableben“?
- Ist die elektronische Patientenakte wirklich gut durchdacht?
- Ärztliche Beratung im Ramadan
- Hausärzte sind Spezialisten
- Fluorchinolone: Wie vielen Patienten haben wir damit geschadet?
- Adipositas ist nicht gleich Adipositas: Binge-Eating-Störung
- Darf ich mir meine Patienten aussuchen?
- Kostenlose Fortbildungen und Gratishäppchen - Haben wir das wirklich nötig?
- Facharztprüfung Allgemeinmedizin: Auf alle Fälle vorbereitet
- Arztberuf als Selbstschutzmaßnahme
- Das nötige Rüstzeug für eine Beratung zur Organspende
- Ist das „BG-lich“?
- Onkologische Notfälle
- Fakten zur Influenzasaison 2018/19
- Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution – kein Thema für Hausärzte?
- Orthopädie bei Kindern: Wer kennt sich da aus?
- Ist ein Arzt an Bord?
- Ärztliche Leitlinien: Viel hilft viel?
- Wollen wir wirklich eine Impfpflicht?
- Panikstörung: Das Chamäleon der Akutmedizin
- Was heißt hier kommerziell?
- Dünnes Eis: Freunde und Familienmitglieder als Patienten
- Digitale Hybris, intelligente Hilfe
- Weihnachten 2018: Darf man sich was wünschen?
- Rationale Antibiotikatherapie in der Hausarztpraxis
- Krank ins Büro?
- Red Flags und abwendbar gefährliche Verläufe
- Physiotherapie: Herausforderung Hilfsmittel-Verordnung
- Unabhängige Patienteninformationen?
- Iatrogene Krankheitsbilder – wenn die Arzneimitteltherapie krank macht
- Manchmal frustrierend: Schwindelabklärung in der Hausarztpraxis
- Geflüchtete als Patienten in der Hausarztpraxis
- Neue NVL Asthma: wichtige und neue Empfehlungen
- Was kann man noch glauben?
- Nicht ganz banal, aber fast schon alltäglich in der Hausarztpraxis: Erkrankungen bei Tropenrückkehrern
- Neue DEGAM-Leitlinie "Brennen beim Wasserlassen"
- STIKO-Impfempfehlungen: Was ändert sich?
- Warum die DEGAM für uns wichtig ist
- Eine Wissenschaft für sich: die Abrechnung in der Hausarztpraxis
- Sehstörungen: Was kann der Hausarzt tun?
- Für die meisten unsichtbar: die neue Wohnungslosigkeit
- Orale Antikoagulanzien: Was gibt es Neues?
- Zufällig auskultiertes Herzgeräusch – was nun?
- Immer noch ungerecht: Kindergesundheit in Deutschland
- Hitzewelle und Gesundheitsrisiken
- Deximed für die Facharztprüfung Allgemeinmedizin
- Fahrt Rad!
- Neue Leitlinie: Typ-1-Diabetes
- Ausbeutung von PJ-Studenten in Kliniken
- Sonografie in der Hausarztpraxis – Wir haben die Bilder dazu!
- Neues zu HPV
- Cannabis: Stand der Dinge
- Zytomegalie: Haben wir das auf dem Schirm?
- Fernbehandlung: Fluch und Segen der Telemedizin
- Neue DVO-Leitlinie Osteoporose
- Gewalt gegen Ärzte
- Alles gelb: Pollenalarm!
- Neues zu Asthma
- Der Wahnsinn: „Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz“ in Bayern
- Wartezeit auf Psychotherapie: 20 Wochen!
- Das Märchen von der Datensicherheit
- Mein Heilpraktiker ist aber anderer Meinung
- Schwangerschaftsabbrüche – Hilfe ohne Wertung
- Armut macht krank – auch hierzulande
- Erst einmal 112 rufen: Lebensbedrohliche Notfälle in der Hausarztpraxis
- „Da kann nichts passieren, ich fahre die Strecke jeden Tag“ – Beurteilung der Fahreignung
- Alles eine Frage der Definition: Burnout und CFS
- Endokrinologie in der Hausarztpraxis: Schilddrüsenerkrankungen
- Neue DEGAM-Leitlinie: Müdigkeit
- Können Teilzeitärztinnen „richtige“ Hausärzte sein?
- Warum gibt es den Männerschnupfen?
- Influenza: neue Impfempfehlung
- Interkulturelle Kommunikation – Vorsicht Fallstricke!
- Alkohol und sein Platz in unserer Gesellschaft
- Was bleibt, was sich ändert
- Weihnachten als gesundheitliche Herausforderung
- Haben wir die Zeit für Banalitäten?
- Alles Reizdarm
- Das rote Auge in der Hausarztpraxis
- Schlafstörungen: große Erwartungen an die Ärzte
- Gibt es ihn noch, den gesunden Menschen?
- Klimawandel: wir Ärzte sollten dazu etwas sagen
- Drogenkrise in den USA – Betrifft uns das?
- Mit Schnupfen in die Notaufnahme?
- Vorgehen bei somatoformen Störungen: weniger ist mehr
- Häufiger Zufallsbefund: Anämie
- Die neue Leitlinie zum Harnwegsinfekt lässt Fragen offen
- Hausärzte können Palliativmedizin
- Nicht unsere Baustelle? Gynäkologie in der Hausarztpraxis
- Impfempfehlungen der STIKO – Was ist neu?
- EKG-Befunde, wie sie in der Praxis aussehen
- Warum erlaubt Deutschland als letztes EU-Land Außenwerbung für Tabakprodukte?
- Cannabinoide, revisited
- Ärztliche Schweigepflicht – Wann muss, wann darf man eine Ausnahme machen?
- Highlights aus Babybecken, Sandkasten und Kita
- Hautinfektionen – Haben Sie die Bilder dazu im Kopf?
- Hausärztliche Beratung zur kardiovaskulären Prävention – die neue DEGAM-Leitlinie
- Neue Leitlinie: Geriatrisches Assesssment in der Hausarztpraxis
- Bei Kopfschmerz an die Differenzialdiagnosen denken!
- Quartäre Prävention und Vermeidung von Überdiagnostik
- HIV und AIDS: daran denken!
- NVL Kreuzschmerz: Was ist neu?
- Oft nicht ganz eindeutig: Dermatologie in der Hausarztpraxis
- Beratung vor der Reise
- Sommerliche Notfälle in der Hausarztpraxis
- Auch wenn es schwerfällt: Let's talk about sex
- Allgemeinmedizin attraktiver machen – wie geht das?
- Unsere globale Verantwortung: Antibiotikaresistenzen
- Nicht jedermanns Sache: Traumatologie in der Hausarztpraxis und beim Notarzteinsatz
- Off-Label-Use – Was ist zu beachten?
- Mobbing von Schülern und gesundheitliche Folgen
- Demenzdiagnostik in in der Hausarztpraxis
- Wissen, was man tut, und warum
- Der „Mausarm“ und andere Schulter-Arm-Probleme
- iFOBT statt Serienbriefchen
- Achtung Pollenflug
- Nackenschmerzen – ein Wunschkonzert?
- Kollege Dr. House
- TSH – Krankheitsdefinition aus dem Labor?
- Impfpräventable Krankheitsbilder – es gibt sie noch
- Cannabinoide auf Rezept
- Ohrenprobleme
- Die Altenheimvisite
- Wenn der Alltag krank macht
- Ärzte als Patienten
- Gute Vorsätze für das neue Jahr
- There is no free lunch
- Influenza – die Saison ist eröffnet
- Depressionsbehandlung – eine typische Aufgabe des Hausarztes?
- Vitamin D – ein Alleskönner?
- Erkältungszeit
- Evidenzbasierte Medizin aus Norwegen