Für fertig ausgebildete Fachärzt*innen für Allgemeinmedizin gibt es zwei Alternativen, wie sie ihren Beruf in einer Hausarztpraxis ausüben können. Auf der einen Seite steht die Niederlassung in einer eigenen Praxis, Gemeinschaftspraxis oder Praxisgemeinschaft. Auf der anderen Seite besteht die Möglichkeit als angestellte Fachärzt*in in einer Hausarztpraxis zu arbeiten. Hier gibt es auch verschiedene Möglichkeiten: auf einem KV-Sitz angestellt zu sein oder als „Entlastungsassistent*in“ oder „Sicherstellungsassistent*in“.
Für viele junge Kolleg*innen ist eine Teilzeitarbeit attraktiv, entweder weil sie Familie haben oder weil sie noch eine andere Tätigkeit ausüben möchten, beispielsweise in Forschung und Lehre. Auch sind viele von den vielen Erzählungen von Regressen, Bürokratismus und stressiger Praxisverwaltung zunächst von einer Niederlassung abgeschreckt und möchten sich erst einmal als Angestellte ein Bild vom Praxisalltag machen. Deswegen besteht eine relativ hohe Nachfrage nach Stellen für angestellte Fachärzt*innen.
Wo aber gibt es gute Stellen für Fachärzt*innen für Allgemeinmedizin? Ich kann nur für München sprechen, und zumindest hier ist die Situation desolat. Aus den Erzählungen vieler Kolleg*innen, aber auch aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es sehr schwierig ist, eine Praxisstelle zu finden, wo man gerne arbeiten möchte. Absolut üblich ist es zumindest in München, dass Kolleg*innen angestellt werden, damit sie alle Hausbesuche, Pflegeheimvisiten und KV-Dienste der Praxis übernehmen. Mir wurde schon eine Stelle angeboten, bei der ich keinen einzigen Tag in der Woche in einem Sprechzimmer in der Praxis hätte arbeiten dürfen, sondern meine Zeit auf „Dauerhausbesuch“ verbracht hätte. Dabei ist es in dieser Stadt auch nicht ungewöhnlich, dass KV-Dienste der angestellten Ärzt*innen mit dem Gehalt abgegolten und nicht extra vergütet werden. Von einer Überstundenregelung, Weihnachtsgeld oder Fortbildungstagen brauchen wir gar nicht zu sprechen.
Es ist klar, dass die Probleme durch die generelle knappe Vergütung hausärztlicher Medizin bedingt sind. Viele Praxisinhaber*innen stehen stark unter Druck und haben wirklich ein Problem, für sich und angestellte Kolleg*innen ein angemessenes Einkommen zu erwirtschaften. Aber kollegiale Rücksichtnahme und Respekt dürfen niemals auf der Strecke bleiben. Eine Kollegin berichtet mir aktuell, dass sie in der Praxis, in der sie als Fachärztin für Allgemeinmedizin angestellt ist, dauerhaft mit Kameras durch den Arbeitgeber überwacht werde. Außerdem müsse sie seit März wegen der Pandemie in Kurzarbeit arbeiten, geleistete Überstunden würden einfach gestrichen. Neuerdings würden ihr keine FFP2-Masken zur mehr Verfügung gestellt, weil die laut Praxisinhaber zu teuer seien. In Situationen mit Personalmangel müsse sie außerdem zusätzlich die Aufgaben der MFAs übernehmen.
Das ist ein extremes Beispiel und hoffentlich eher ein Einzelfall. Wirklich erschreckend ist, dass die Kolleg*in diese Arbeitssituation schon seit langem aushält und sich nicht traut zu kündigen, weil es in München tatsächlich schwierig ist, eine wirklich bessere Praxisstelle zu finden. Es kann sein, dass die Jobs bei den netten und fairen Praxisinhaber*innen einfach dauerhaft besetzt sind und nur die schwarzen Schafe unter den Arbeitgeber*innen überhaupt Angestellte suchen, weil ihnen wieder einmal jemand davongelaufen ist.
Von Seiten von Praxisinhaber*innen habe ich vielfach gehört, dass es sich finanziell nicht lohne, einen KV-Sitz zu kaufen und eine*n Kollege*in darauf anzustellen. Die angestellten Fachärzt*innen dagegen sind oft so unglücklich mit ihrer Praxissituation, dass die Symptome von Burnout oder Depression zeigen. Die Allgemeinmedizin wird, wie an dieser Stelle schon oft genug gesagt, zunehmend weiblich. Gerade Ärzt*innen mit Familie streben ein Angestelltenverhältnis an. Die Niederlassung erscheint aber auch für viele männliche Kollegen nicht attraktiv. Um die Zukunft der Allgemeinmedizin zu sichern, muss es nicht nur erträgliche, sondern attraktive Praxisstellen für Allgemeinärzt*innen geben. Sonst suchen sich die jungen Kolleg*innen langfristig doch ein anderes Fachgebiet.
Marlies Karsch, Chefredakteurin
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