Seit Monaten haben unterschiedliche politische Lager und Akteure über das einzig richtige Vorgehen zur Erhöhung der Organspendenrate in Deutschland gestritten. Im Thema der Woche 2019-W13 „Das nötige Rüstzeug für eine Beratung zur Organspende" und in unserem Artikel Beratung über Organtransplantation sind die unterschiedlichen Ansichten ausführlich dargestellt. Aufgrund der Entscheidung des Bundestags vergangene Woche für die Zustimmungslösung ist das Thema wieder aktuell. Ob die Entscheidung für eine Zustimmungs- oder Widerspruchslösung wirklich das Allheilmittel gegen die geringen Transplantationszahlen in Deutschland sein wird, ist unklar. Die Ergebnisse einer Studie in Kidney International von 2019 zu einem Vergleich von 35 OECD-Ländern besagen, dass es keine Unterschiede in der Zahl der gespendeten Organe zwischen Ländern mit Widerspruchslösung und solchen mit Zustimmungslösung gibt.
Abgesehen davon, dass die Kämpfer für die „doppelte Widerspruchslösung“ diese Studienergebnisse bei ihrer Argumentation offensichtlich ignoriert haben, haben sie auch keine anderen Gründe für die geringe Bereitschaft zur Organspende in Deutschland in Betracht gezogen. Dass die Zahl der Organspenden in Deutschland ganz offensichtlich nach den Organspendenskandalen seit 2010 gesunken ist und das nun fehlende Vertrauen in der Bevölkerung eine wesentliche Ursache für die fehlende Bereitschaft zur Organspende sein könnte, wurde nicht wirklich thematisiert.
Eine am 14.01.2020 wiederholte Ausstrahlung einer Dokumentation von „Quarks“ auf ARD alpha (vom 04.05.20219) zu diesem Thema brachte einige interessante Aspekte zu diesem Thema in Erinnerung. Gründe für geringe Transplantationsraten in Deutschland können laut einer Untersuchung in Zusammenarbeit mit der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) auch Organisationsversagen und Überlastung der Ärzte in potenziellen Entnahmekliniken sein. So wurden zahlreiche potenzielle Organspender und Fälle von Hirntod aufgrund von Arbeitsüberlastung des Klinikpersonals nicht erkannt. Manche Ärzte gaben an, dass sie bei Vorliegen einer Patientenverfügung verunsichert waren, die besagte, dass die Behandlung abgebrochen werden soll, wenn eine Genesung oder ein selbständiges Weiterleben nicht mehr möglich ist. Die Kollegen gingen dann davon aus, dass damit bei einem Hirntod lebensverlängernde Maßnahmen zum Erhalt eventueller Spenderorgane ausgeschlossen sind, und beendeten die Therapie. Hier müssen eventuelle Missverständnisse im Dialog mit Angehörigen ausgeräumt werden. Viele Ärzte gaben zu, dass es ihnen einfach zu schwerfalle, das Thema Organspende im Falle eines Falles mit Angehörigen anzusprechen und dass sie deswegen davon Abstand nahmen.
Die Novelle des Transplantationsgesetzes von 2019 soll genau hier entgegenwirken. Entnahmekliniken werden besser vergütet, Zuständigkeiten festgelegt, Transplantationsbeauftragte vollständig freigestellt und eine bundesweite neurologische Rufbereitschaft zur Hirntodfeststellung eingerichtet. Aber gegen den allgemeinen Ärztemangel, die Arbeitsüberlastung in den Kliniken und das dadurch bedingte Fehlen erfahrener Ärzte in vielen Klinikabteilungen kann mit diesem Gesetz vermutlich auch nichts ausgerichtet werden. Was die Bundestagsentscheidung von letzter Woche letztlich ändert, bleibt abzuwarten.
Marlies Karsch, Chefredakteurin
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