Im September erschien der Arzneiverordnungs-Report 2020, eine gemeinsame Publikation verschiedener Autor*innen aus dem medizinischen und gesundheitsökonomischen Bereich. Er basiert auf Verordnungsdaten von Arzneimitteln für ambulante Patienten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Die Autor*innen des Arzneimittelbriefs haben sich dankenswerterweise die Mühe gemacht, das fast 900 Seiten starke Werk zu lesen und für ihre Leser*innen zusammenzufassen.
Der Report enthält viel Erwartbares, aber auch einige interessante Informationen zu Veränderungen auf dem deutschen Arzneimittelmarkt. Obwohl es zahlreiche Maßnahmen zur Kostenreduzierung gibt, wie z. B. Rabattverträge, sind die Ausgaben der GKV 2019 im Vergleich zum Jahr 2018 um 5,4 % auf über 43 Mrd. € gestiegen. Sie machen damit 17,2 % der gesamten Leistungsausgaben der GKV aus. Einen unverhältnismäßig großen Anteil an den Gesamtausgaben haben, wie immer, die Patentarzneimittel im Vergleich zu den patentfreien Arzneimitteln. Patentarzneimittel hatten nur einen Anteil von 6,7 % am Gesamtvolumen der Arzneimittelverordnungen, verursachten aber Kosten von über 21 Mrd. € (46,3 %) im Jahr 2019. Hier gibt es riesige Gewinnspannen für die pharmazeutische Industrie, und hier liegt auch die Erklärung für die für uns Ärzt*innen immer wieder so erstaunlich vehementen und dreisten Versuche, Einfluss auf unser Verordnungsverhalten zu nehmen. Einmischung der Pharmafirmen in Fortbildungsinhalte, Leitlinienerstellung, Gesundheitspolitik, Lerninhalte des Medizinstudiums und Zulassungsverfahren für Medikamente sind übliches Vorgehen. Bei diesen großen Geldsummen, die allein in Deutschland zu verdienen sind, wird erfolgreiche Einflussnahme offensichtlich reich belohnt.
Die Liste der umsatzstärksten Arzneimittel wird angeführt von Biologika. Durch die Einführung und die gestiegene Verordnung von Biosimilars konnten die Kosten für die Verordnung von Biologika erheblich, aber offenbar noch nicht ausreichend, gesenkt werden. Den zweiten und dritten Platz besetzen Onkologika und Immunsuppressiva. Dann folgen aber schon die hausärztlich relevanten Antithrombotika und die Antidiabetika mit Arzneimittelkosten von jeweils über 2,6 Mrd. €. Dass diese Kosten nicht durch Phenprocoumon und Metformin verursacht sind, dürfte allen klar sein. Diese Zahlen liefern eine Erklärung für die jetzt schon Jahre andauernden Diskussionen zur Empfehlung von NOAKs, Analoginsulinen und oralen Antidiabetika zwischen den verschiedenen Fachgesellschaften, der DEGAM und der AkdÄ. Auch hier stehen derart große finanzielle Interessen hinter vielen Publikationen und Empfehlungen, dass es eine schwierige Aufgabe ist, medizinisch wirklich nützliche Evidenz von versteckter Werbung, Korruption und Einflussnahme zu unterscheiden. Die DEGAM, aber auch das Arzneitelegramm, der Arzneimittelbrief und die AkdÄ haben sich hierbei immer wieder als „Stimmen der Vernunft" hervorgetan.
Es überrascht nicht, dass der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie keine „Kostenexplosion" bei den Arzneimittelverordnungskosten sieht. Er begründet steigende Kosten mit „benötigten Durchbrüchen in der Arzneimittelforschung". Wie jedes Jahr fehlt mir der Aufschrei in den Medien angesichts der Zahlen im Arzneiverordnungs-Report. Kann es sich unsere Gesellschaft also leisten, dass beispielsweise gerade im Bereich der Onkologie mit Wirkstoffen, die oft keine nennenswerte Prognoseverbesserung für die Betroffenen mit sich bringen, ziemlich unverhohlen das große Geld gemacht wird? Warum hier nicht stärker regulatorisch eingegriffen wird, bleibt für mich unklar.
Marlies Karsch, Chefredakteurin
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