Dass am 08. März der Weltfrauentag stattgefunden hat, ist in der allgemeinen Aufregung über die Coronavirus-Epidemie und die wirtschaftliche Rezession nicht nur im öffentlichen Diskurs untergegangen, sondern auch räumlich in Online-Zeitschriften in untere Bereiche der Startseiten gerutscht. Die Themen Frauenrechte, Sexismus und Diskriminierung im Job spielen auch im Berufs- und Alltagsleben von uns Ärztinnen eine so große Rolle, dass ich dieses Thema hier aufgreifen möchte.
Es fängt schon im Studium an: Viele von uns haben erlebt, wie sie in Prüfungen von Professoren und Dozenten mit einem so süffisanten Unterton als „Frau Kollegin" angesprochen wurden, dass allen Anwesenden klar war, dass der Prüfer sie niemals kollegial ernst nehmen würde. Im Berufsleben wird es nicht besser. Männliche Kollegen werden bei der Stellenvergabe bevorzugt, da Frauen ja in der Wahrnehmung der Arbeitgeber ständig schwanger werden könnten. Ärztinnen (aber auch Ärzte) mit Kindern werden besonders in Kliniken schief angesehen, wenn sie in Teilzeit arbeiten möchten. Es kann aber auch umgekehrt kommen und Frauen in die Teilzeit gedrängt werden. Bei einer Arbeitsstelle mit knappen finanziellen Ressourcen wurde mir als einziger weiblicher Kollegin im Team die Stelle auf 50 % reduziert mit dem Argument, die männlichen Kollegen hätten „eine Familie zu ernähren". Da ich selbst zwei Kinder habe, kann das nur bedeuten, dass angenommen wurde, meine Berufstätigkeit diene bloß der Selbstverwirklichung. Viele von uns erleben Geschlechterdiskriminierung im Arbeitsalltag. „Toll, Frau Karsch, dass Sie auch bei der Fortbildung dabei sind, dann haben wir jemanden zum Kaffeekochen." Dieser mir gegenüber tatsächlich geäußerte Satz ist sicher nur ein Beispiel, und viele von Ihnen können eigene Geschichten erzählen. Dass ich mit Mitte Vierzig in einem Bewerbungsgespräch für eine Praxisstelle gefragt wurde, ob ich noch mehr Kinder wolle, ist auch schon fast normal.
In den Kliniken wird von den etablierten Vorgesetzten aus der Babyboomer-Generation ein Generationenwechsel bei den jungen Kolleginnen und Kollegen beklagt (aerzteblatt.de). Die „Jungen" stellten so unerhörte Forderungen wie Freizeitausgleich, Work-Life-Balance oder Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes. Diejenigen, die das jetzt mit Besorgnis sehen, haben sich in jungen Jahren komplett für ihren Beruf aufgeopfert und stören sich daran, dass die junge Generation nicht mehr dazu bereit ist. Dabei wird häufig ein Hauptaspekt nicht mitdiskutiert: Es ist nicht nur ein Generationenwechsel, sondern in erster Linie ein Rollenwechsel. Ein Großteil der Ärztegeneration, die jetzt ihre Facharztweiterbildung machen, ist weiblich. Sie wollen und müssen selbstverständlich neben der Ärztin auch noch andere Rollen erfüllen, z. B. die als Mutter und Familienmensch. Das macht Probleme, weil das ärztliche Arbeitsleben von den vielzitierten „alten weißen Männern" für Männer gestaltet wurde. Die Zeichen der Zeit wurden lange Zeit von eben diesen Männern ignoriert. Jetzt hinkt die Organisation in den Kliniken, aber auch in vielen Praxen, der Realität hinterher.
Dass immer weniger junge Allgemeinärztinnen eine Niederlassung in der eigenen Praxis anstreben, liegt ebenfalls daran, dass das System Hausarztpraxis von Männern geprägt wurde: von Männern, deren Ehefrau nicht berufstätig war, die Kinder großzog, den Haushalt machte und kostenlos in der Praxis mitarbeitete. Dass diese Organisationsform von jungen Ärztinnen nicht übernommen werden kann, führt auch dazu, dass viele Einzelpraxen keine Nachfolger mehr finden. Viele Allgemeinärztinnen mit Familie würden gerne als angestellte Fachärztinnen in einer Praxis arbeiten. Doch auch hier werden oft unbezahlte Überstunden, unbezahlte KV-Dienste und Übernahme aller Haus- und Pflegeheimbesuche erwartet. Wenn Ärztinnen unter geeigneten Bedingungen in ihrem Beruf glücklich sein sollen, muss sich in den Köpfen unserer männlichen Kollegen noch einiges ändern.
Marlies Karsch, Chefredakteurin
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