Ein deutsches Unternehmen bietet Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AU) ohne Arzt-Patienten-Kontakt via WhatsApp an. Man beantwortet online einige Fragen. Die Antworten werden an einen Arzt weitergeleitet, der dann bei passenden Angaben eine AU-Bescheinigung für maximal drei Tage ausstellt. So, wie es auf der Homepage der Firma dargestellt ist, erhalten die Patienten eine korrekt aussehende Bescheinigung auf dem gültigen gelben Formular für GKV-Patienten. Laut spiegel.de kann man bei der Eingabe der Symptome so lange herumprobieren, bis sie für eine AU ausreichend sind. Bei Alarmsymptomen, wie z. B. hohem Fieber, wird man aufgefordert, einen Arzt aufzusuchen, und erhält keine AU. Über diesen Anbieter sind pro Jahr maximal zwei AUs für je maximal 3 Tage möglich.
Fast reflexhaft kommt mein innerer Aufschrei, wenn ich so etwas höre: Was? Ein Arzt-Patienten-Kontakt kann durch WhatsApp ersetzt werden? Das kann ja wohl nicht wahr sein! Außerdem kann man da ja betrügen! Wer sagt denn, dass die Angaben, die die Patienten machen, richtig sind? Doch wenn ich ehrlich bin, flaut meine Entrüstung schnell ab. Wie ist es denn in der Praxis? Auch hier hatte ich manchmal das Gefühl, dass Patienten, die mir erzählten, dass sie eine „ganz schlimme“ Gastroenteritis hätten, erstaunlich frisch aussahen. Was soll ich als Hausärztin dann sagen? „Glaube ich nicht“? Auch hier stelle ich eine AU aus.
Es ist aber so, dass Patienten, die eigentlich keine ärztliche Hilfe, sondern nur eine AU brauchen, an schlimmen Tagen die Wartezimmer in deutschen Hausarztpraxen regelrecht überlaufen. Patienten mit banalen Erkrankungen, die man einfach nur auskurieren muss (z. B. Erkältungskrankheit) oder solche mit wiederkehrenden Beschwerden, für die die Behandlung bereits abgesprochen ist (z. B. Migräne oder Kreuzschmerz) kommen ohne uns klar. Wenn diese Patienten nicht in die Praxis kommen müssten, und ohne Arzt-Patienten-Kontakt eine AU bekommen könnten, hätten wir endlich mehr Zeit für die Patienten, die uns wirklich brauchen. Ein gut geregeltes Online-Tool könnte tatsächlich eine gute Lösung sein. So eine Möglichkeit sollte man aber nicht privaten Unternehmen überlassen. Hier brauchen wir ein offizielles Angebot, beispielsweise in Zusammenarbeit mit der Kassenärztlichen Vereinigung und den GKVen. Vermutlich ist der volkswirtschaftliche Schaden, der durch einzelne „Blaumacher“ entsteht, geringer als die Kosten im Gesundheitssystem, die durch millionenfache Arztbesuche aus bürokratischen Gründen verursacht werden. Geschickte „Blaumacher“, die die richtigen Symptome für eine AU nennen können, gibt es „offline“ genauso wie online.
Das Online-Angebot für AUs sollte nur ein zusätzliches Angebot sein. Patienten sollten sich nicht genötigt fühlen, es zu nutzen. Außerdem muss es genügend Sicherheit bieten, um diejenigen Patienten zu identifizieren, die tatsächlich ärztliche Hilfe benötigen. Wäre hier eine telefonische Beratungshotlinie hilfreich? Auf jeden Fall sollten Alarmsymptome erfasst werden. Vielleicht kann man hier auch von anderen Ländern, z. B. der Schweiz, lernen. Laut DAK-Daten nehmen die Krankschreibungen aufgrund von psychischen Erkrankungen zu. Häufige Diagnosen sind Depression, Burnout, Anpassungsstörungen oder Angststörungen. Diese Patienten brauchen unseren Rat und unsere Hilfe und deswegen selbstverständlich direkten Kontakt mit uns in der Praxis. Sie sollten sich keinesfalls durch eine elektronische Eingabemaske abgefertigt fühlen. Egal, wie ein Online-Angebot für Krankschreibungen aussehen wird, die Fürsorge für die Patienten geht vor, und die Hausärzte müssen die ersten Ansprechpartner bleiben.
Marlies Karsch, Chefredakteurin
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