Die bundesweiten Kontaktbeschränkungen dienen der Eindämmung der SARS-CoV-2-Pandemie und sind sehr wahrscheinlich eine sinnvolle und notwendige Maßnahme zum Infektionsschutz. Es gibt Stimmen, die das für übertrieben halten und solche, die sagen, das alles komme viel zu spät. Wer Recht hat, kann wirklich sicher erst nach der Pandemie eingeschätzt werden. Aber auf diese Beschränkungen zu verzichten, kann sich derzeit kein betroffenes Land leisten. Die Kontaktbeschränkungen verlangen den Menschen viel ab und können nicht nur mit wirtschaftlichem Schaden, sondern auch mit gesundheitlichen und psychischen Folgen einhergehen. Deshalb ist es jetzt besonders wichtig, zu überlegen, wie jeder einzelne von uns dazu beitragen kann, dass die Folgen, im Großen wie im Kleinen, erträglicher und überschaubarer werden.
Das Kontaktverbot mit älteren Menschen, Verwandten wie Nachbarn und Freunden, kann zu Einsamkeit, Isolierung, aber auch mangelnder Versorgung mit Lebensmitteln führen. Oft wohnt die Familie weiter entfernt und kann keine Einkäufe erledigen. Nicht alle älteren Mitmenschen sind so technisch versiert, dass sie sich Hilfe über Internetportale für Nachbarschaftshilfe, wie quarantänehelden.org und nebenan.de holen können. Obwohl sich diejenigen, denen es gut geht und die im Moment beruflich nicht stark belastet sind, bei diesen Portalen als Helfer anmelden können, ist auch direkte Kommunikation gefragt. Jeder von uns kann älteren Personen in der Nachbarschaft beispielsweise eine Postkarte mit Telefonnummer und einem Angebot zur Hilfe im Alltag in den Briefkasten werfen.
Um ältere Verwandte und Freunde vor Vereinsamung zu schützen, kann man Videotelefonate durchführen. Ein Blickkontakt mit Nachbarn, Freunden, Kindern und Enkeln macht das Ausbleiben von persönlichen Besuchen möglicherweise etwas leichter. Hierzu kann man auch bei älteren PCs und technischen Schwierigkeiten über Fernwartung entsprechende Einstellungen vornehmen.
Der Stress durch Isolation durch die Ausgangssperre hat in Wuhan zu einer Zunahme psychischer Erkrankungen geführt. Auch häusliche Gewalt hat dort zugenommen, vor allem gegen Frauen und Kinder. Auch in Deutschland muss laut Familienministerin Giffey mit einer Zunahme der häuslichen Gewalt gerechnet werden, die gerade durch Isolation und finanzielle Sorgen verstärkt werden kann. Weiterhin soll die Hotline nummergegenkummer.de für Kinder, Jugendliche und Eltern besetzt bleiben, weitere Hotlineangebote ausgebaut, das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ aufrechterhalten werden und Frauenhäuser offen bleiben. Zusätzlich sollen bedürftige Familien ab dem 01.04. einen Zuschlag zum Kindergeld bekommen können (bis 185 € pro Monat). Wichtig ist es natürlich auch, als Ärzte aufmerksam zu bleiben und bei Verdacht auf Kindesmisshandlung oder Gewalt an Frauen entsprechend zu reagieren (siehe unser Kapitel Kindesmisshandlung).
Durch Einsamkeit, Isolation und realer Angst vor materieller Not und wirtschaftlichem Absturz können bereits bestehende psychische Probleme verschlechtern oder auch ganz neu entstehen, beispielsweise Depression, Panikstörung, Schlafstörungen, somatoforme Störungen oder auch Suchterkrankungen wie Alkoholismus. Dies wurde in einer Untersuchung in Zusammenarbeit mit dem BMBF in China gezeigt. Dort wurden unter anderem Hotlines mit psychologisch geschultem Personal eingerichtet. In Deutschland sind sozialpsychiatrische Dienste und psychologische Krisendienste weiterhin erreichbar und lokal über Stadt- oder Gemeindeseiten aufzufinden.
Als Nachbarn, Freunde, Familienmitglieder und Ärzte sollten wir mit gefährdeten Personen in unserem Umfeld oder unter unseren Patienten in Kontakt bleiben und immer wieder nachfragen, wie es geht. Es gibt viele kreative lokale Initiativen zur Kontaktpflege in der Ausgangsbeschränkung, zur Unterstützung von Kleinunternehmen oder gastronomischer Betriebe. Hören Sie sich um, man kann vieles tun!
Marlies Karsch, Chefredakteurin
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