Ab 01.10.2017 sind in der Hausarztpraxis neue Palliativziffern abrechnungsfähig, aber nur unter bestimmten Bedingungen, die sehr kontrovers diskutiert werden. Die Vereinbarung der KBV und des GKV-Spitzenverbands schreibt vor, dass die Abrechnung dieser Leistungen nur nach Genehmigung durch die Kassenärztlichen Vereinigungen möglich ist. Voraussetzung einer Genehmigung ist der Nachweis von neu zu erwerbenden Zusatzqualifikationen. Genau diese Forderungen lösen Unverständnis aus:
Die Versorgung sterbender Patienten, bisher genuine hausärztliche Aufgabe, soll nun an Bedingungen geknüpft sein. Dabei ist gerade der Hausarzt, der die Patienten in der Regel sehr gut kennt, besonders qualifiziert, beispielsweise eine Therapiebegrenzung anzuordnen.
Der Erwerb der erforderlichen Qualifikationen ist für Niedergelassene mit erheblichen Umständen verbunden. Vorgeschrieben sind eine zweiwöchige palliativmedizinische Hospitation z. B. bei einem SAPV-Team, ein 40-stündiger Weiterbildungskurs, der Erwerb von jährlich 8 Fortbildungspunkten in palliativmedizinischen Fortbildungen und der Nachweis, dass man in den letzten drei Jahren mindesten 15 Palliativpatienten betreut hat. Die Leistungen nach dieser Abrechnungsvereinbarung (mit Ausnahme der Beratung) können nicht erbracht werden, wenn der betroffene Patient von einem SAPV-Team betreut wird. Diese organisatorischen Hemmnisse könnten letztendlich dazu führen, dass schwerstkranke und sterbende Patienten nicht von ihrem vertrauten Hausarzt versorgt werden können, sondern in ihrer letzten Lebensphase auf für sie fremde Ärzte angewiesen sind.
Trotz jahrelanger Arzt-Patienten-Beziehung und „gelebter Anamnese" als klarer Vorteil einer hausärztlichen Versorgung auch am Ende des Lebens werden hier die bisherigen Versorgungsroutinen in Frage gestellt. Dass palliative Versorgung auch von unserer Seite ganz klar als ein Teil hausärztlicher Expertise angesehen wird, zeigen unsere zahlreichen Kapitel zum Thema „palliative Behandlung": Schmerz, Mangelernährung und Dehydratation, Delir, Übelkeit und Erbrechen, Angst, Depression, Dyspnoe, Obstipation und orale Beschwerden sowie Palliativversorgung in Pflegeeinrichtungen.
Marlies Karsch, Chefredakteurin
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