Das viel gekaufte phytotherapeutische Mischpräparat Iberogast®, das unter anderem zur Anwendung bei funktioneller Dyspepsie und Reizdarm zugelassen ist, steht aufgrund seines Schöllkrautgehaltes im Verdacht, hepatotoxisch zu sein. Nach mehreren Fallberichten über zum Teil tödliches Leberversagen im Zusammenhang mit der Einnahme von Iberogast® waren die Hersteller schon 2008 vom BfArM aufgefordert worden, entsprechende Warnhinweise in ihre Produktinformation aufzunehmen.
Erst nach einem Todesfall aufgrund von Leberversagen 2018 im zeitlichen Zusammenhang mit der Einnahme des Pflanzenpräparates führte der jetzige Hersteller, die Firma Bayer, 10 Jahre später als gefordert, Anwendungsbeschränkungen im Beipackzettel auf: bekannte Lebererkrankung, weitere Anwendung potenziell leberschädigender Medikamente und Schwangerschaft und Stillzeit. Nach vierwöchiger Einnahme sollten die Leberwerte kontrolliert werden und bei klinischen Zeichen einer Lebererkrankung die Einnahme beendet und ein Arzt aufgesucht werden. Diese Hinweise laufen teilweise ins Leere: Da Iberogast® rezeptfrei ist, erfolgt die Einnahme in den meisten Fällen ohne ärztliche Beratung oder eine Leberwertkontrolle. Ob eine frühere Nennung der Warnhinweise zumindest den Todesfall 2018 verhindert hätte, ist schwer zu beantworten und wird derzeit von der Staatsanwaltschaft Köln geprüft.
Warum der Hersteller von Iberogast® nicht einfach schon längst eine Schöllkraut-freie Variante seines Produkts auf den Markt gebracht, Patienten geschützt und sich Negativschlagzeilen erspart hat, ist nicht wirklich nachvollziehbar. Klar ist, hier geht es um viel Geld. Laut AKdÄ hat der jetzige Hersteller Bayer von 2013 bis 2018 mit Iberogast® geschätzte Gewinne im dreistelligen Millionenbereich gemacht.
Schöllkraut (Chelidium maius) ist in vielen Phytotherapie-Präparaten und auch Zubereitungen aus dem Bereich der Traditionellen Chinesischen Medizin enthalten. Dass es aufgrund seines Alkaloidgehalts potenziell lebertoxisch ist, ist seit Jahren bekannt. Deswegen wurden 2008 Medikamente, die 2,5 mg oder mehr Alkaloide pro Tagesdosis enthalten, vom Markt genommen. Iberogast® liegt mit 0,3 mg Alkaloiden pro empfohlener Tagesdosis unter diesem Wert. Wegen schwachem Nutzennachweis und negativer Nutzen-Risiko-Bewertung auch bei funktioneller Dyspepsie wird die Anwendung von Iberogast® weder von der AKdÄ noch von der EMA empfohlen.
Die Verordnung oder Empfehlung solcher phytotherapeutischer Mischpräparate in Praxen und Apotheken geschieht ja auch nicht aufgrund der hervorragenden Wirksamkeitsnachweise, sondern aus Verlegenheit, weil es beispielsweise gegen Reizmagen und Reizdarm keine wirklich brauchbaren Therapien gibt, und aus der irrigen Annahme heraus, dass „was Pflanzliches“ ja nicht schaden könne. Dass Pflanzenwirkstoffe nicht nur „natürlich“, sondern durchaus schädlich sein können, legt ja schon der Gedanke an den Fingerhut, den Blauen Eisenhut oder die Tollkirsche nahe. Auch andere Phytotherapie-Wirkstoffe, wie z. B. Pelargoniumextrakt, stehen im Verdacht, hepatotoxisch zu sein. Weiterführende Informationen hierzu finden Sie in unserem Artikel Leberschäden durch Medikamente.
Was immer wieder vergessen wird: So wie Medikamente auf pflanzlicher Basis nicht harmloser sind, weil sie „natürlich“ sind, so gehören auch Phytotherapie- und Homöopathika-Hersteller nicht zu einer „lieberen“ Sparte der Pharmaindustrie, nur weil sie mit „Naturprodukten“ arbeiten. Hier stehen ganz klar finanzielle Interessen von Konzernen im Vordergrund. Das Verhalten der Firma Bayer im Zusammenhang mit Iberogast® und auch das Vorgehen der Firma Hevert gegenüber Homöopathie-Kritikern machen das mehr als deutlich.
Marlies Karsch, Chefredakteurin
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