Die American Heart Association (AHA) hat in ihrer neuen Leitlinie die Grenzwerte für Hypertonus und erhöhten Blutdruck nach unten korrigiert. Somit soll jetzt ein arterieller Hypertonus Stufe 1 bereits bei Werten von 130–139/80–89 mmHg vorliegen. Bei Werten von 120–129/<80 mmHg sei laut AHA der Blutdruck erhöht. Über Nacht werden so weltweit Millionen Menschen zu Hypertonikern, die eben noch als gesund galten. Wenn die zunächst zu empfehlenden Lifestyle-Änderungen nicht greifen, werden antihypertensive Medikamente empfohlen. Wem nützt diese Änderung? Der Verdacht auf Disease Mongering liegt nahe.
In den letzten Jahren wurde bei einigen Krankheitsbildern die Anzahl erkrankter Personen durch Änderung von Krankheitsdefinitionen vergrößert. So wurde beispielsweise die Zahl der Menschen mit Typ-2-Diabetes schon vor Jahren durch Senkung der Grenzwerte drastisch erhöht. Wer noch nicht in diese Kategorie passt, hat jetzt möglicherweise einen Prädiabetes. Auch die Ausweitung der Grenzwerte für Schwangerschaftsdiabetes wurde heftig diskutiert. Durch die Senkung der Ziel- und Normwerte für Cholesterin und LDL wurde ebenfalls eine große Anzahl von Patienten generiert, die Statine einnehmen sollten (siehe Hyperlipidämie).
Eine andere Strategie zur Erhöhung der Anzahl behandlungspflichtiger Patienten ist auch sehr verbreitet: Durch Umdefinition physiologischer Vorgänge, wie zum Beispiel des Alterns, werden neue pathologische Zustände geschaffen. In der Diskussion war hier unter anderem die Andropause und die Indikation einer Testosteronsubstitution. Auch der breit angelegte Versuch, bei hippeligen Kindern schneller und einfacher die Diagnose ADHS zu stellen, ist bekannt.
Durch Ausweitung der Krankheitsdefinitionen werden neue Patientengruppen geschaffen, die allenfalls leichte Formen der Gesundheitsstörungen haben. Durch ihre Behandlung sollen Folgeerkrankungen vermieden werden. Aber werden dadurch nicht Ressourcen verbraucht, die eigentlich für die wirklich Kranken zur Verfügung stehen sollten? Und wird durch einen Blutdruck von 130/80 das kardiovaskuläre Risiko wirklich so stark erhöht, dass damit eine erhöhte Mortalität einhergeht? Das Leben an sich ist in jedem Fall tödlich. Ob hier der richtige Ansatzpunkt liegt, wenn es gilt, dagegen etwas zu unternehmen, ist mehr als fraglich.
Marlies Karsch, Chefredakteurin
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