Wahrscheinlich muss man in einer der sehr teuren Großstädte tätig sein, um mit diesem Problem konfrontiert zu sein: Patienten, oft aus Ostereuropa, die berufstätig sind, oft sogar krankenversichert, die sich aber in einer Stadt wie München keine Wohnung leisten können und schon gar keinen Mietvertrag bekommen würden. Sie leben auf der Straße, schlafen in Parks oder unter der sprichwörtlichen Brücke und gehen morgens zur Arbeit, oft bei einer Reinigungsfirma oder auf dem Bau. Bei zwei Hospitationen bei der Hilfsorganisation Ärzte der Welt in München, die Arbeits- und Armutsmigranten ohne Krankenversicherung versorgt, habe ich zum ersten Mal bewusst wahrgenommen, dass es eine solche Parallelgesellschaft gibt.
Was bedeutet das für die Hausarztpraxis? Diejenigen Betroffenen, die das Glück haben, doch irgendwie krankenversichert zu sein, können sich in Hausarztpraxen behandeln lassen. Diese Patienten haben mit den üblichen Obdachlosen in der Stadt wenig gemeinsam: Sie erscheinen angesichts ihrer Lebensumstände oft sehr gepflegt und geben aus Scham auch nicht ohne weiteres zu, dass sie wohnungslos sind. Als Arzt ist es aber wichtig, über die Lebensumstände von Patienten Bescheid zu wissen. Diese Patienten haben nur eingeschränkten Zugang zu Sanitäranlagen und erschwerte Bedingungen, um sich und ihre Kleider sauber zu halten. Viele nehmen in der heißen Zeit einfach ein Bad in der Isar. Was tun also, wenn in solchen Situationen Krankheiten wie Skabies oder ein Kopflausbefall auftreten? Kann man das wieder loswerden ohne Waschmaschine? Die Patienten haben natürlich auch keine Kochmöglichkeit und ernähren sich dementsprechend schlecht, das heißt von abgepackten Billiglebensmitteln. Übergewicht, Diabetes mellitus Typ II oder Bluthochdruck sind keine Seltenheit und ohne einigermaßen geregelte Lebensumstände schwer zu behandeln.
Auch andere chronische Erkrankungen, wie Asthma, COPD oder auch chronische Wunden (z. B. Ulcus cruris) sind schwerer zu versorgen. Hinzu kommt die große psychische Belastung, die solche Lebensumstände bedeuten. Obwohl es den Betroffenen schwerfällt, darüber zu sprechen, und auch häufig die Sprachbarriere hinzukommt: Depression, Angst, PTBS oder gar Psychosen können auftreten und durch Alkoholmissbrauch noch verschlimmert werden. Was kann man als Hausarzt hier tun? Genau hinsehen, nachfragen, empathisch sein und den Patienten Lösungen und Behandlungsformen anbieten, die unter ihren Lebensbedingungen auch praktisch durchführbar sind.
Marlies Karsch, Chefredakteurin
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