Der neueste Aufreger aus dem Hause Spahn

Der Bundestag hat am 07.11.2019 das Digitale-Versorgung-Gesetz (DGV) beschlossen, das vom Bundesgesundheitsministerium unter Jens Spahn zur Abstimmung vorgelegt wurde. Offensichtlich um eine vorherige öffentliche Diskussion zu umgehen, wurde dabei über einen stillschweigend eingefügten § 303 mitentschieden, der datenschutzrechtlich einiges an Sprengkraft zu bieten hat.

In diesem Passus wird festgelegt, dass die Gesundheitsdaten von den 73 Millionen gesetzlich Krankenversicherten an den GKV-Spitzenverband übermittelt werden müssen, der sie dann an ein „Forschungsdatenzentrum“ weiterleitet. Die Daten werden hierfür pseudonymisiert. Hier geht es also um sensible Informationen z. B. zu psychiatrischen Erkrankungen wie Psychosen, sexuell übertragbaren Erkrankungen wie Gonorrhö, unerfülltem Kinderwunsch, sexueller Dysfunktion oder HIV-Infektionen. Die Daten werden dann zu Forschungszwecken einer Reihe von im Gesetzentwurf genannten „Nutzungsberechtigten“ zur Verfügung gestellt: z. B. „den Hochschulen, öffentlich geförderten außeruniversitären Forschungseinrichtungen und sonstigen Einrichtungen mit der Aufgabe unabhängiger wissenschaftlicher Forschung“ sowie IQWiG, G-BA, Selbsthilfeorganisationen, DKG, Ärztekammern und vielen mehr. Weder eine Löschung der gesammelten Daten, noch eine Widerspruchsmöglichkeit der Versicherten, noch eine individuelle Zustimmungsmöglichkeit sind im Gesetzesentwurf vorgesehen.

Kein Wunder, dass Ärzte- und Patientenorganisationen sowie Datenschutzexperten hier Widerspruch anmelden und erhebliche Sicherheitsbedenken äußern. Jeder, der ein bisschen Ahnung von Datenspeicherung hat, weiß, dass eine Pseudonymisierung relativ leicht „geknackt“ werden kann und dass eine zentrale Datenspeicherung im Vergleich zu einer dezentralen Speicherung unsicherer ist. Was passiert, wenn unsere Daten in die falschen Hände geraten? Könnten unsere Daten missbraucht werden, etwa wenn sich unser politisches System ändert? Könnte es beispielsweise dazu kommen, dass zukünftig Raucher, Adipöse, unsportliche Menschen oder Leute, die viel Alkohol trinken, sanktioniert werden oder dass Menschen nach ihrer Arbeitsfähigkeit beurteilt werden? Jedem, der diese Überlegungen besser nachvollziehen möchte, empfehle ich die Lektüre des Buches „Corpus delicti - Ein Prozess“ von Juli Zeh.

Die oben genannten Überlegungen und Befürchtungen sind möglicherweise „typisch deutsch" und in unserer Vergangenheit mit zwei totalitären politischen Systemen im vorigen Jahrhundert begründet. In anderen Ländern, besonders in Skandinavien, herrscht weniger Misstrauen. Eine wissenschaftliche Auswertung zentral gespeicherter Gesundheitsdaten ist dort gang und gäbe. Auch wir profitieren von den Ergebnissen der dänischen Registerstudie zu Influenzaimpfung bei Herzinsuffizienz, von den Daten des dänischen Nationalen Diabetes-Registers zu Typ-2-Diabetes oder der großen schwedischen Kohortenstudie zum Screening von Aortenaneurysmen.

Dennoch bleibt ein ungutes Gefühl. Der Gesetzesentwurf ist schlecht durchdacht. Ob vor der Erstellung ein wissenschaftlicher Vergleich der Datensicherheitssysteme in anderen Ländern durchgeführt wurde, ist nicht bekannt. Der deutsche Gesundheitsmarkt ist wesentlich größer als der skandinavische. Die Versuchung für einen Missbrauch der Daten somit auch viel stärker. Der Bundestag hat das gesamte Gesetz inklusive § 303 ohne Änderung durchgewunken. Es bleibt zu hoffen, dass hier dennoch das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.

Marlies Karsch, Chefredakteurin

 

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