In den letzten Wochen gab es auf mehreren Kanälen eine lebhafte Diskussion über die Frage, ob es legitim ist, wenn ein Hausarzt sich weigert, Impfgegner in seiner Praxis zu behandeln. Es ging um eine Impfgegnerin, die sich mit ihrem nachweislich an Keuchhusten erkrankten Kind in das Wartezimmer des Kollegen setzte, weil sie für sich selbst ein Antibiotikum gegen Keuchhusten wollte. Dabei nahm sie wissentlich in Kauf, dass sich die anderen wartenden Patienten ansteckten. Daraufhin wurde die Patientin der Praxis verwiesen. Dass ein Hausarzt die Gefährdung seiner Patienten durch die Gedankenlosigkeit anderer nicht hinnehmen will, erscheint nachvollziehbar.
Doch worum geht es hier wirklich? Neben der Sicherheit der Patienten geht es auch noch um die Frage, ob man sich die, oft anstrengenden, Diskussionen mit Impfgegnern antun muss. Aber eigentlich wird grundsätzlich diskutiert, ob Hausärzte akzeptieren müssen, dass Patienten ihrer Empfehlung und Expertise nicht folgen oder zu manchen Fragen des Lebens eine komplett abweichende Haltung haben.
Ich denke in diesem Zusammenhang an einen jungen Mann, der in Skinhead-Montur in einem Wartezimmer voller Patienten in einem multikulturell geprägten Stadtviertel in München saß und von den anderen Wartenden mit großen ängstlichen Augen angesehen wurde. Als ich den Patienten aufrief, war mir sein Äußeres schon zuwider. Als ich dann bei seinen Dauerdiagnosen „F60.2 Dissoziale Persönlichkeitsstörung“ las, wurde mir nicht wohler. Der Patient war eigentlich freundlich und hatte nur eine Erkältung, aber ich war froh, als er weg war. Danach stellte ich mir die Frage, ob ich solche Patienten in der Praxis haben möchte. Ich hatte mir vorgenommen, beim nächsten Mal zu sagen, er könne gerne wiederkommen, aber nicht in diesem Outfit. Glücklicherweise habe ich ihn nicht wiedergesehen. Es gab auch eine Impfgegnerin, die wiederholt abends mit ihrer Tochter in die Praxis kam, weil sie bei jedem Ausschlag Angst hatte, das Kind habe Röteln. Dabei wollte sie sich aber trotz dieser Angst nicht zu einer Impfung beraten lassen.
Müssen Hausärzte so etwas mitmachen? Ist das Vertrauen zwischen Ärzten und Patienten zerrüttet und folglich ein weiteres Arzt-Patienten-Verhältnis unmöglich, wenn das Verhalten unserer Patienten unseren Grundwerten nicht entspricht, wenn unser Rat nicht angenommen wird oder von uns verordnete Therapien nicht durchgeführt werden? Da gibt es all die Raucher, die trotz unserer Bemühungen weiterrauchen, die Übergewichtigen, die weiterhin keinen Sport treiben, die Alkoholiker, die trotz intensiver Unterstützung weiter trinken und alle anderen, die uns zwar zuhören, aber trotzdem ihren Lebensstil nicht ändern. Wir haben die Patienten, die von uns verordnete Medikamente nicht einnehmen, weil sie „den Beipackzettel gelesen“, „im Internet nachgesehen“ oder „mit der Nachbarin geredet“ und Angst bekommen haben. Wollen wir diese Patienten alle ablehnen? Wir müssen diese Patienten da abholen, wo sie stehen, manche Gespräche immer wieder führen und leider auch die Krankheiten behandeln, die Patienten nur haben, weil sie nicht auf unseren Rat gehört haben: Dazu gehören eben auch Pertussis, Masern, Mumps, Röteln, COPD, Typ-2-Diabetes und Fettleber.
Es gibt wirklich nur wenige Gründe, Patienten abzulehnen. Ein Grund wäre, dass Patienten die Sicherheit anderer Patienten gefährden und ein anderer, dass Patienten uns oder unsere Mitarbeiterinnen bedrohen oder angreifen. Ansonsten kann man einfach nur hoffen, dass sich Patienten, die gar keinen Rat annehmen wollen, sich irgendwann einmal von selbst eine andere Hausarztpraxis suchen.
Marlies Karsch, Chefredakteurin
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