Das Thema COVID-19 beherrscht sämtliche Medien und erscheint auch in den Köpfen der Menschen als derzeit drängendstes Problem. Die Berichterstattung und die Reaktionen darauf schwanken zwischen Gelassenheit und Panik. Die Angaben sind teilweise widersprüchlich und verwirrend. Beispielsweise sagt unser Gesundheitsminister, wir hätten die Lage im Griff. Dem widersprechen Berichte über Materialknappheit bei der Schutzausrüstung in Arztpraxen oder über organisatorisches Chaos. In unzähligen „Einzelfällen" ist es zu Versorgungs- und diagnostischen Lücken gekommen: Die Nummer 116117 war vielerorts nicht erreichbar, Gesundheitsämter wiesen Betroffene ab, ebenso Ärzte, die aufgrund fehlender Schutzausrüstung keine Tests durchführen konnten. Tägliche Berichte über hunderte Menschen, die unter Quarantäne stehen, haben die Öffentlichkeit verunsichert. Viele Leute haben Angst davor, allein oder mit Ihrer Familie als Verdachtsfälle in häusliche Quarantäne oder bei SARS-CoV-1-Nachweis in zweiwöchige Isolation in einer Klinik zu müssen. Die Hamsterkäufe an Lebensmitteln wurden allgemein belächelt und kritisiert. Aber dass das Bedürfnis besteht, vorsichtshalber Vorräte für eine zweiwöchige Quarantäne in der Wohnung zu haben, ist schon auch irgendwie nachvollziehbar.
Die Strategie des RKI und der Gesundheitsbehörden, die den vielen Abstrichen und Quarantäneanordnungen zugrunde liegt, scheint der breiten Öffentlichkeit nicht gut erklärt worden zu sein: So lange die meisten COVID-19-Fälle lokal begrenzt in einzelnen Infektionsclustern oder nach Aufenthalt in einem Risikogebiet auftreten, wird eine Strategie der Eindämmung verfolgt (Containment). Es wird also versucht, einzelne Infektionen so früh wie möglich zu erkennen, Infektionsketten zu unterbrechen und Kontaktpersonen in Quarantäne unterzubringen. Mit diesem Vorgehen soll die Ausbreitung des Virus verlangsamt und Zeit gewonnen werden, damit sich das Gesundheitssystem vorbereiten kann, um z. B. Schutzmaßnahmen für gefährdete Gruppen vorzubereiten und ggf. antivirale Medikamente und Impfstoffe zu entwickeln. Falls eine weitere Ausbreitung des Virus nicht mehr aufgehalten werden kann, fokussiert sich die Bekämpfungsstrategie stärker auf den Schutz vulnerabler Gruppen (Protection). Ist dies bei zunehmender Ausbreitung nicht mehr möglich, konzentrieren sich die Schutzmaßnahmen auf die Minderung der Folgen, um z. B. eine Überlastung der Versorgungssysteme zu vermeiden (Mitigation).
Es gibt viele offene Fragen, das öffentliche Leben und auch die konkrete hausärztliche Arbeit betreffend: Viele Hausärzte berichteten über Materialknappheit, fehlende Schutzausrüstung oder Engpass bei Desinfektionsmitteln. Der Empfehlung, dass Abstriche in der Hausarztpraxis zu erfolgen haben, stehen der Eigenschutz des Praxispersonals und auch arbeitsrechtliche Verpflichtungen entgegen. Praxisinhaber sind für die Sicherheit ihrer Angestellten verantwortlich. Außerdem würde eine Abstrichentnahme ohne Schutzausrüstung dazu führen, dass Praxen aufgrund von Quarantänebestimmungen geschlossen würden. Die Empfehlung der DEGAM lautet hierzu, dass Praxen ohne Schutzausrüstung keine Abstriche durchführen sollen. Es wird diskutiert, die Hygienestandards zu lockern, um damit die Diagnostik in den Hausarztpraxen sicherzustellen. Auch ein Selbsttest betroffener Patienten wurde vorgeschlagen. An mehreren Klinikstandorten gibt es bereits „Coronazelte", in denen Betroffenen ohne Kontakt zu anderen Patienten schnell getestet werden können. Inzwischen soll es für Apotheker erlaubt werden, Desinfektionsmittel selbst herzustellen, um hier eine Versorgung zu gewährleisten.
Für viele alltägliche Fragestellungen gibt es noch keine eindeutige Antwort: Dürfen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen rechtssicher nach Telefonkontakt ausgestellt werden? Soll man den Patienten empfehlen Urlaubsreisen abzusagen? Werden Schulen landesweit geschlossen? Dürfen Eltern betroffener Kinder dann zu Hause bleiben? Welche Veranstaltungen werden abgesagt? Die nächsten Wochen werden hoffentlich mehr Klarheit, bessere organisatorische Lösungen und etwas weniger ungerichteten Aktionismus bringen.
Marlies Karsch, Chefredakteurin
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