Die Corona-Pandemie führt dazu, dass Zulassungs- und Gesundheitsbehörden unter erheblichem Druck stehen. Die Weltbevölkerung braucht dringend ein wirksames Mittel und eine Impfung gegen COVID-19, am besten beides so schnell wie möglich. Die Hoffnung, dass bei Verfügbarkeit von Impfstoff und Therapie weltweit Lockdowns und wirtschaftliche Einschränkungen beendet werden können, erfordert schnelle Entscheidungen. Die Pharmaindustrie sieht hier einen unvorstellbar großen Markt für Medikamente und Impfstoffe. Für die Wissenschaftler*innen in der Impf- und Wirkstoffentwicklung bestehen nicht nur massive finanzielle Anreize. Wer hier den Durchbruch schafft, bekommt internationale Aufmerksamkeit nicht nur in der Fachwelt. Möglicherweise winkt am Ende der Nobelpreis.
Ein Beispiel dafür, wohin uns Hektik, Panik und Gier führen können, ist Remdesivir, das mittlerweile in der Living Guideline der WHO zur Therapie von COVID-19 nicht mehr empfohlen wird. Dabei hat die Geschichte, zumindest für den Hersteller Gilead, so vielversprechend begonnen. Gleich zu Beginn der Pandemie, als es noch wenige COVID-19-Fälle in den USA gab, gelang es der Firma, Remdesivir bei der FDA als Orphan Drug anzumelden, also als Medikament gegen sehr seltene Erkrankungen. Dies bedeutet unter anderem eine völlig freie Preisgestaltung und eine jahrelange Marktexklusivität. Negative Publicity führte dazu, dass Gilead den Orphan-Drug-Status für Remdesivir widerrufen ließ.
In der zunächst nicht vollständig publizierten „Zulassungsstudie“ zeigte sich bereits der fehlende Einfluss von Remdesivir auf Endpunkte wie Mortalität und Beatmungsdauer bei hospitalisierten COVID-19-Patient*innen. Dass Remdesivir die Krankheitsdauer in dieser Studie um wenige Tage reduzierte, reichte der FDA für eine Notfallzulassung in den USA. Der Preis für eine Behandlung wurde vom Hersteller auf $ 2340 pro Person festgelegt. Die USA unter Präsident Trump sicherten sich einen Großteil der Produktionsmenge von Remdesivir. Im Juli erhielt das Medikament eine bedingte Zulassung in der EU. Dummerweise liefern weitere Studienergebnisse, unter anderem die SOLIDARITY-Studie, keine Belege für eine relevante Wirksamkeit von Remdesivir. Die WHO hat aus diesen Ergebnissen und den hohen Kosten des Medikaments ihre Konsequenz gezogen. In der neuen interdisziplinären Leitlinie zur stationären Therapie von COVID-19 werden die Ergebnisse der SOLIDARITY-Studie allerdings als vorläufig angesehen und nicht berücksichtigt. Deswegen geben die Leitlinienautor*innen für die Anwendung von Remdesivir eine „Kann"-Empfehlung.
Im Thema der Woche 45 habe ich unterschiedliche Konzepte bei der Entwicklung von Impfstoffen gegen COVID-19 vorgestellt. Inzwischen haben einzelne Impfstoffhersteller in Pressemitteilungen eine hohe Wirksamkeit ihrer Impfstoffe bekannt gegeben. Die EU und Deutschland haben daraufhin viele Millionen Dosen dieser Impfstoffe vorbestellt. Bestimmt hier auch wieder eine Mischung aus Gier und öffentlichem Druck die Entscheidungen?
Die Autor*innen des Arzneimittelbriefs haben detaillierte Informationen zu den Impfstoffen der Firmen BioNTech und AstraZeneca zusammengetragen. Der von der Firma BioNTech hergestellte Impfstoff ist ein mRNA-Impfstoff. Hier kodiert mittels Nanolipiden in die Zellen eingeschleuste RNA ein virales Antigen. Die RNA wird in den Zielzellen außerhalb des Zellkerns an den Ribosomen abgelesen. Der Impfstoff muss bei –70 °C aufbewahrt werden. Im Kühlschrank ist er nur wenige Tage haltbar. Der Impfstoff der Firma AstraZeneca ist ein Vektor-Impfstoff. Er basiert auf einem modifizierten Schimpansen-DNA-Adenovirus (Lebendimpfung). Integrationsmechanismen beziehen bei DNA-Vektorviren auch den Zellkern mit ein und führen über eine virale Genexpression zur Synthese des viralen Antigens. Dieser Impfstoff kann im Kühlschrank aufbewahrt werden.
Über die Dauer der Immunität, die Infektiosität von geimpften Personen bei einer Ansteckung mit SARS-CoV-2 oder langfristige Nebenwirkungen sind keine Aussagen möglich. Angehörige von Risikogruppen, also ältere Personen und solche mit Vorerkrankungen waren laut Arzneimittelbrief in beiden Studien nicht eingeschlossen. Beide Impfstoffe führten in der klinischen Phase I/II zu lokalen und systemischen Nebenwirkungen, die beim Impfstoff von BioNtec einen kleineren Anteil und im Falle von AstraSeneca einen Großteil der Proband*innen betrafen, z. B. Schmerzen an der Einstichstelle, andauernde Müdigkeit, Kopfschmerzen und Muskelschmerzen. Während der Phase III des Impfstoffs von AstraZeneca kam es bei zwei Proband*innen zu einer transversen Myelitis.
Trotz allen Zeitdrucks ist es wichtig, auch bei der Zulassung von Impfstoffen gegen COVID-19 gewissenhaft vorzugehen. Die Besonderheiten bei verkürzten Zulassungsverfahren und bisher nicht untersuchte Wirksamkeits- und Sicherheitsaspekte sowie Langzeitnebenwirkungen sollen offen diskutiert werden.
Marlies Karsch, Chefredakteurin
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