Vor einigen Tagen hielt ich eine Sprechstunde bei der Anlaufstelle open.med der NGO „Ärzte der Welt" in München ab. In dieser Anlaufstelle werden Patientinnen und Patienten ärztlich beraten und behandelt, die nicht krankenversichert sind. Das betrifft Deutsche und EU-Bürger ohne Krankenversicherung, Wohnungslose oder Personen ohne geregelten Aufenthalt. Dabei habe ich mitbekommen, dass es für diese Patientengruppe sehr schwierig ist, im Verdachtsfall einen Test auf SARS-CoV-2 zu bekommen. Die Kostenübernahme für den Test ist eigentlich im Infektionsschutzgesetz festgelegt: Die Kosten sollen vom Gesundheitsamt übernommen werden. In der Realität ist es sehr schwierig, im Falle eines Falles einen Ansprechpartner beim Gesundheitsamt oder unter 116 117 zu erreichen. SARS-CoV-2-Teststellen können Patienten mit COVID-19-Verdacht bei einer fehlenden Versicherungskarte nur testen, wenn die Betroffenen die Kosten selbst zahlen können. Andere Abrechnungswege sind bei der derzeitigen Belastung zu aufwändig und daher nicht möglich.
Die Hilfesuchenden, die sich an open.med wenden, sind oft wohnungslos und übernachten in Notunterkünften der Stadt München, die sie tagsüber verlassen müssen. Andere leben zu mehreren in beengten Verhältnissen, unter manchmal schlechten hygienischen Bedingungen. Für diese Personengruppen ist es sehr schwierig, Hygieneempfehlungen zu befolgen, in Quarantäne zu bleiben oder sich zu isolieren. Wenige einzelne Fälle könnten wohl in der Münchner Notunterkunft isoliert werden. Im Infektionsschutzgesetz sind keine Informationen und Anleitungen zu finden, wie bei Personen ohne Krankenversicherung die Finanzierung von Tests und die weitere ambulante Versorgung bei COVID-19-Verdachtsfällen und -Erkrankten zu erfolgen hat. Von Seiten der Gesundheitsbehörden Handlungsempfehlungen zu bekommen, dauert angesichts der dringlichen Lage vielerorts zu lange. Ein Kostenträger für die Notfallversorgung und eventuell erforderliche stationäre Behandlung ist nicht klar benannt. In der Pressemeldung von „Ärzte der Welt" wird auf genau diese Probleme hingewiesen, und ihr Direktor fordert „einen diskriminierungsfreien Zugang zu Tests und Behandlungen für alle. Dazu gehören eine unkomplizierte Kostenübernahme, die Bereitstellung von Krankenwohnungen für Obdachlose und die Sicherstellung einer bedarfsgerechten Sprachmittlung.“
Letzte Woche wurden von Seiten von Regierung und Behörden bisher nie dagewesene Maßnahmen zur Verlangsamung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 ergriffen. Das öffentliche, soziale, kulturelle Leben und der Reiseverkehr wurden stark eingeschränkt. Die Bundesregierung stellt aufgrund der zu erwartenden wirtschaftlichen Verluste Hilfen in Milliardenhöhe für Unternehmen bereit. Man müsste annehmen, dass bei solchen Beträgen 1 oder 2 Millionen Euro für einen Notfallfond für Bedürftige zu erübrigen wären. Dass bundesweit Tafeln und Hilfsorganisationen ihre Arbeit einstellen, weckt im Gegenteil die Befürchtung, dass sich die Lage armer Menschen in diesem Land in dieser Krisensituation noch verschlechtern wird.
Weiterhin gilt die Strategie der Eindämmung (Containment): Verdachtsfälle sollen getestet werden und in Quarantäne auf ihre Testergebnisse warten. Nachweislich Erkrankte werden entweder zu Hause oder, bei schwerer Erkrankung, in Kliniken isoliert. Wenn die Schwächsten und Ärmsten in unserer Gesellschaft aber von der Erfassung von SARS-CoV-Infektionen, wirksamen Infektionsschutzmaßnahmen und einer angemessenen Therapie ausgeschlossen werden, dann ist das nicht nur ethisch gesehen traurig, sondern unterwandert auch sämtliche Infektionsschutzbemühungen.
Marlies Karsch, Chefredakteurin
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