Patienten mit irgendwie diffusen chronischen gastrointestinalen Beschwerden, Diarrhö oder Obstipation sind häufig in der Hausarztpraxis. Oft waren sie schon bei mehreren Ärzten und haben die Diagnose „Reizdarm“ bekommen, aber keine Empfehlung, wie es weitergehen soll. Hier müssen wir behutsam vorgehen. Die einen müssen vor einem Zuviel an Diagnostik geschützt werden, die anderen brauchen gerade eine vernünftige Abklärung ihrer Beschwerden. Deswegen sind die bereits erhobenen Befunde, abhängig von der Anamnese, auf diagnostischen Nutzen und Vollständigkeit zu überprüfen.
Ist endoskopisch ein pathologischer Befund nachweisbar, sind die Diagnose und das weitere Vorgehen meist klar. So kann beispielsweise eine Ulkuskrankheit, eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung (M. Crohn, Colitis ulcerosa), eine Divertikelkrankheit, eine Zöliakie oder gar ein kolorektales Karzinom festgestellt werden. Alle diese Krankheitsbilder können sich klinisch zunächst wie ein Reizdarmsyndrom manifestieren.
Ist endoskopisch kein eindeutiger Befund festzustellen, wird es für die Patienten schon schwieriger. Oft wird, gerade von Seiten der Gastroenterologen, schnell die Diagnose „funktionelle Beschwerden“ gestellt und der Patient fühlt sich in die „somatoforme“ Ecke gedrängt. In der Regel wird ihm mit dieser Diagnose nicht geholfen und auch kein sinnvolles Behandlungskonzept mitgegeben. Dass an diesem Punkt viele Ursachen chronischer gastrointestinaler Beschwerden noch nicht einmal angedacht sind, treibt die Betroffenen auch zum Doctor-Hopping. Hier müssen wir sensibel reagieren.
Besonders bei älteren Patienten mit Diarrhö sollte auch an eine mikroskopische Kolitis gedacht werden. Wenn Durchfall, Schmerzen und Meteorismus im Vordergrund stehen, kann eine Laktoseintoleranz und/oder eine Fruktosemalabsorption vorliegen. Beides sind häufige und sehr gut behandel- und kontrollierbare Ursachen für chronische gastrointestinale Beschwerden, die keinesfalls übersehen werden sollten, bevor der Begriff „Reizdarm“ fällt. Auch an eine Histaminintoleranz oder eine bakterielle Dünndarmfehlbesiedelung sollte gedacht werden.
Sind gastrointestinale oder auch systemische Erkrankungen ausgeschlossen und liegt der Verdacht auf ein Reizdarmsyndrom nahe, ist es eine hausärztliche Aufgabe, den Patienten über die Harmlosigkeit der Beschwerden zu informieren, ihn bezüglich unnötiger wiederholter Diagnostik zu beraten und ihn über sinnvolle Verhaltensmodifikationen und symptomatische Therapien zu informieren.
Marlies Karsch, Chefredakteurin
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