Es gibt Diagnosen, die in verschiedenen Ländern unterschiedlich oft gestellt werden, also „ländertypisch" sein können. Dann gibt es Diagnosen, für die in unterschiedlichen Ländern unterschiedliche Definitionen existieren. Diese Unschärfen können dazu führen, dass die Existenz solcher Krankheitsentitäten als solche angezweifelt wird und von „Modediagnosen" die Rede ist. Beispiele für solche umstrittenen Krankheitsbilder sind Burnout und das CFS (Chronic Fatigue Syndrome). Wir haben hier einen neuen Artikel Burnout verfasst und einen alten Artikel CFS auf der Basis der neuen DEGAM-Leitlinie Müdigkeit komplett überarbeitet, um die Krankheitsbilder im Sinne hierzulande akzeptierter Krankheitsauffassungen darzustellen.
Patienten, die von sich selbst vermuten, an einem Burnout zu leiden, sind keine Seltenheit in der Hausarztpraxis. Oft geht es um einen psychischen aber auch physischen Erschöpfungszustand in Zusammenhang mit der Berufstätigkeit. In einigen Fällen wird auch von Mobbing am Arbeitsplatz berichtet. Für Burnout existiert keine eigenständige Definition, die Grenze zur Depression ist fließend. Prinzipiell aber kämpfen Burnout-Patienten, im Gegensatz zu depressiven Patienten, gegen grundsätzlich lösbare Probleme. Eine andere wichtige Differenzialdiagnose kann eine posttraumatische Belastungsstörung sein, die sich jedoch auf ein spezifizierbares Trauma und nicht auf die allgemeine Lebenssituation bezieht. Eine definitionsgemäß vorübergehende akute Belastungsreaktion als Reaktion auf eine außergewöhnliche psychische oder physische Belastung ist ebenfalls nicht mit einem Burnout gleichzusetzen. Aufgrund der strittigen Krankheitsdefinition gibt es nur wenige valide Therapiestudien und -empfehlungen zum Burnout.
Eher selten wird die Diagnose CFS in deutschen Hausarztpraxen gestellt. Auch im Bewusstsein der Allgemeinbevölkerung spielt dieses Syndrom eine untergeordnete Rolle. Es existieren verschiedene Klassifikationen, die sich in den diagnostischen Kriterien unterscheiden. Es handelt sich um eine Ausschlussdiagnose. Das CFS ist nicht mit allgemeiner Müdigkeit und Abgeschlagenheit gleichzusetzen. Zur Diagnosestellung ist unter anderem ein definierter Beginn der Symptomatik, Bestehen der Symptome seit > 6 Monaten und eine Beeinträchtigung in verschiedenen Lebensbereichen erforderlich. Außerdem werden je nach Definition Zusatzsymptome gefordert: orthostatische Beschwerden, muskuloskelettale Schmerzen, nicht erholsamer Schlaf, neurokognitive Störungen und immunologische Abweichungen. Abhängig von der Symptomatik sollten verschiedene Differenzialdiagnosen in Betracht gezogen werden, u.a. Schlafapnoe, Narkolepsie, Depression, Demenz und somatoforme Störungen. Auch die Therapie des CFS ist teilweise umstritten. Es kommen u.a. kognitiv-behaviorale Verfahren und moderate körperliche Aktivität in Frage.
Marlies Karsch, Chefredakteurin
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