Derzeit laufen Studien zum COVID-19-Impfstoff der Firma BioNTech an Kindern. Eine Zulassung in der EU für Kinder ab 12 Jahren gibt es derzeit noch nicht. Sie wird im Juni erwartet. Unser Gesundheitsminister Jens Spahn hat angekündigt, allen Kindern über 12 Jahren „im September ein Impfangebot machen“ zu können. Laut seiner Einschätzung „ist das am Ende auch eine Frage, ob der Schulbetrieb nach den Sommerferien wieder anlaufen kann“. Bayerns Gesundheitsminister und Vorsitzender der Gesundheitsministerkonferenz Klaus Holetschek ist sogar der Meinung, „Impfungen für die 12- bis 18-Jährigen sind der Schlüssel zu einem geregelten Schulunterricht und zu mehr Sicherheit in der Freizeit.“
Außerdem hat die Gesundheitsministerkonferenz (GMK) die Priorisierung und die Altersbegrenzung für die Impfstoffe der Firmen AstraZeneca und Johnson&Johnson aufgehoben. Die GMK genehmigt auch eine Verkürzung des von der STIKO empfohlenen Impfintervalls beim AstraZeneca-Impfstoff von 12 auf 4 Wochen. Eine dadurch bedingte Verminderung des Impfschutzes von 82 % bei 12 Wochen Impfabstand auf 50 % bei 4 Wochen Impfabstand wird dabei einfach in Kauf genommen. Die STIKO appelliert in einer Pressemeldung dafür, die Priorisierung nicht aufzuheben und erst die Millionen über 60-Jährigen Personen zu Impfen, die bisher trotz Impfwilligkeit noch keine Impfung bekommen konnten.
Was ist da eigentlich los? Hintergrund der Entscheidungen der Gesundheitsminister*innen ist sicherlich der gesellschaftliche Druck, der durch die neuen Erleichterungen für Geimpfte und Genesene entsteht. Die Menschen sind völlig entnervt von den pandemiebedingten Einschränkungen und wollen verständlicherweise in den Biergarten, ins Restaurant, Shoppen und in den Urlaub fahren. Schon jetzt sind Ungeimpfte und Familien mit ungeimpften Kindern in manchen Urlaubsregionen nicht willkommen. Deshalb sind viele bereit, sich mal schnell mit dem unbeliebten AstraZeneca-Impfstoff impfen zu lassen, aber nur, wenn das Intervall bis zur Anerkennung als „geimpft“ nicht insgesamt 14 Wochen lang ist, was weit in die Sommerferien hineinreichen würde. Auch Kindern und Jugendlichen werden verlockende neue Freiheiten und eine Aufhebung der Kontaktbeschränkungen nach einer Impfung in Aussicht gestellt.
Sollen Kinder und Jugendliche nun wirklich mit einem per Notfallzulassung vor relativ kurzer Zeit zugelassenen Impfstoff ohne Daten zu Langzeitfolgen geimpft werden? Da es bei Kindern kaum schwere COVID-Verläufe gibt, ein großer Teil der Infektionen asymptomatisch verläuft und wenn, dann nur sehr leichte Symptome auftreten, besteht für die Kinder und Jugendlichen selbst keine medizinische Indikation für eine Impfung. Zur Häufigkeit von Long-COVID bei Kindern und Jugendlichen gibt es trotz zahlreicher dramatischer Presseberichte bislang keine zuverlässigen Daten, die eine Impfindikation begründen. Die Komplikation MIS-C tritt eher bei Kindern unter 12 Jahren auf, für die noch keine Impfung geplant ist. Die relativ häufigen Nebenwirkungen der Impfung wie Armschmerzen, COVID-Arm, Fieber, Kopfschmerzen, Krankheitsgefühl und andauernde Müdigkeit wiegen bei dieser Altersgruppe womöglich schwerer als die harmlosen Symptome einer Infektion. Anders ist es natürlich bei Kindern mit einem erhöhten Risiko für einen schweren Verlauf durch eine Grunderkrankung. Hier ist eine Impfung sinnvoll und wird sicher sehnsüchtig erwartet.
Als Argument für eine Impfung von Kindern und Jugendlichen wird gerne die Herdenimmunität bemüht. Bisher war oft die Rede davon, dass bei COVID-19 eine Herdenimmunität von 70 % ausreichend sei. Genauere Daten, ob das so wirklich richtig ist, fehlen. Weil sich aber über 80 % der Bevölkerung gerne impfen lassen würden und ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung bereits mit SARS-CoV-2 infiziert war, könnte Herdenimmunität auch ohne die 12- bis 18-Jährigen erreicht werden. Da die Gesundheitsministerkonferenz per Handstreich auf 30 % Impfschutz durch die AstraZeneca-Impfung und somit auf einen erheblichen Teil der Herdenimmunität bei jüngeren berufstätigen Personen in diesem Land verzichten kann, erscheint es direkt unlauter, die Verantwortung für eine offenbar doch nicht ganz so wichtige Herdenimmunität den Kindern und Jugendlichen aufzubürden. Auch der Schutz von Risikogruppen durch geimpfte Kinder ist angesichts der Tatsache, dass Angehörige von Risikogruppen sich selbst impfen lassen können, kein überzeugendes Argument. Die Hoffnung, mit der Impfung von Kindern und Jugendlichen COVID-19 in Deutschland auszurotten, wird sich ebenfalls nicht erfüllen, solange ein Großteil der Weltbevölkerung keinen Zugang zu einer Impfung hat und weltweit neue Mutationen entstehen.
Es bleibt zu hoffen, dass im Verlauf des Sommers kein zu starker Druck auf ungeimpfte Kinder und Jugendliche und ihre Eltern ausgeübt wird und Schulbesuch, Urlaub mit den Eltern und Freizeitaktivitäten auch ohne Impfnachweis ermöglicht werden. Schulöffnung, Aufhebung von Kontaktbeschränkungen und wiedergewonnene Freiheiten sind jedenfalls weiterhin keine medizinischen Indikationen für eine Impfung.
Marlies Karsch, Chefredakteurin
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