Diabetes, präexistenter in der Schwangerschaft

Zusammenfassung

  • Definition:Schwangerschaft bei präkonzeptionell bekanntem Typ-1- und Typ-2-Diabetes. In Abgrenzung dazu Gestationsdiabetes, der erstmalig in Schwangerschaft auftritt.
  • Häufigkeit:In Deutschland 7.580 Schwangerschaften mit präexistentem Diabetes im Jahr 2019.
  • Symptome:Hypo- und Hyperglykämiesymptome können wie entsprechend außerhalb der Schwangerschaft auftreten. Schwangerschaftserbrechen erschwert Blutzuckerregulation insbesondere in Frühschwangerschaft.
  • Befunde:Striktes Blutzuckermonitoring essenziell.
  • Diagnostik:Präkonzeptionell bekannter Diabetes mellitus.
  • Therapie:Medikamentöse Therapie mit Insulin. Begleitend Lifestyle-Modifikation mit Ernährungs- und Bewegungstherapie.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Schwangerschaft bei präkonzeptionell bekanntem Typ-1- und Typ-2-Diabetes1
    • Der Anteil Schwangerer mit Typ-2-Diabetes unter allen Schwangeren mit präexistentem Diabetes wird in Deutschland auf 10–30 % geschätzt.
  • In Abgrenzung dazu Gestationsdiabetes, der erstmalig in der Schwangerschaft auftritt und in der Regel mit Beendigung der Schwangerschaft verschwindet.

Häufigkeit

  • Prävalenz in Deutschland1
    • Im Jahr 2019 lag in 7.580 Fällen bei Schwangerschaften ein präexistenter Diabetes mellitus (Typ-1-, Typ-2-Diabetes) vor.
    • Dies entspricht einer relativen Häufigkeit von 1,01 % ohne relevante Änderung (relative Häufigkeit 0,89 bis 1,0 %) in den letzten 10 Jahren.
  • Große Neugeborene
    • Betroffene Mütter gebären große Kinder (> 4.000 g) in 15–45 % der Fälle.2
    • Korrelation zwischen Geburtsgewicht und Glukosespiegel der Mutter

Ätiologie und Pathogenese

Prädisponierende Faktoren

  • Diabetes generell
    • Vorkommen von Typ-1- oder Typ-2-Diabetes bei Eltern oder Geschwistern
    • Body Mass Index (BMI = Gewicht/Körpergröße2) höher als 27 kg/m2
  • Zur Pathogenese siehe weitere Informationen in den Artikeln zu Typ-1-Diabetes und Typ-2-Diabetes.

ICPC-2

  • W85 Schwangerschaftsdiabetes

ICD-10

  • O24 Diabetes mellitus in der Schwangerschaft
    • O24.0 Vorher bestehender Diabetes mellitus, Typ 1
    • O24.1 Vorher bestehender Diabetes mellitus, Typ 2

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Screening auf Schwangerschaftsdiabetes (Gestationsdiabetes) erfolgt nur bei bisher nicht bekanntem Diabetes.3
  • Bei präkonzeptionell bekanntem Diabetes soll kein oraler Glukosetoleranztest in der Schwangerschaft durchgeführt werden.

Differenzialdiagnosen 

  • Glukosurie ohne Diabetes
    • Glukosurie tritt physiologisch bei der Mehrzahl aller Schwangeren auf und ist deshalb ein unzuverlässiger Marker.

Anamnese

Klinische Untersuchung

  • Symptome einer Hypo- oder Hyperglykämie können entsprechend dem präkonzeptionell bekannten Diabetes auftreten.
  • Die Stoffwechseleinstellung kann sich in der Schwangerschaft aufgrund hormoneller Umstellungen als schwieriger erweisen, häufigere Blutzuckerkontrollen sind notwendig.

Diagnostik bei Spezialist*innen  

Keton-Bestimmung

  • Empfehlungen gemäß DDG3
  • Zur Regulierung der Gewichtszunahme bei adipösen Schwangeren ist evtl. eine moderate Kalorienrestriktion sinnvoll.
    • Kalorienreduktion von 30–33 % des Tagesenergiebedarfs bei Adipositas führt in der Regel zur Verbesserung der Blutglukosespiegel ohne Anstieg der freien Fettsäuren im Plasma oder einer Ketonämie.
  • Bei Kalorienreduktion regelmäßige Kontrollen des Morgenurins auf Ketonkörper
  • Ketonurie vermeiden und ggf. Kalorienmenge (mind. 1.600–1.800/d) bzw. Kohlenhydratanteil (mind. 175 g/d) anheben.

Sonografische Untersuchungen

  • Empfehlungen gemäß G-BA aus dem Jahr 20224
  • Über die regulären sonografischen Screening-Untersuchungen (je 1 Untersuchung in 8.–11. SSW, 18.–21. SSW und 28.–31. SSW) hinaus können weitere sonografische Untersuchungen zur Überwachung der Schwangerschaft angezeigt sein.
    • Grund: erhöhte Rate für Herzfehlbildungen und Neuralrohrdefekte
    • pränatale Ultraschalluntersuchung des Herzens des Fetus
      • Angeborene Herzfehlbildungen bei Feten diabetischer Mütter sind häufiger als bei Feten nichtdiabetischer Mütter (3,6 % gegenüber 1 %).5
      • Die pränatale Diagnostik verbessert die Prognose für Herzfehlbildungen beim Feten.
  • Biometrie3
    • in 2- bis 3-wöchigen Abständen
    • bei auffälligem Wachstumsverhalten (Makrosomie, intrauterine Wachstumsretardierung) in entsprechend kürzerem Intervall
      • Vor allem der Abdomenumfang ist ein wichtiger Parameter zur Erfassung einer diabetogenen Makrosomie.

Kardiotokografie(CTG)-Kontrollen

  • Bei diätetisch eingestellten Schwangeren erst mit Erreichen des Geburtstermines erforderlich
    • Eine wöchentliche CTG-Kontrolle ab 36+0 SSW mit auf die individuelle Situation angepasster Frequenz kann erwogen werden.3
  • Bei Insulintherapie und bei Schwangeren mit Typ-1-Diabetes mellitus1
    • ab 32. SSW
    • Frequenz auf die individuelle Situation angepasst

Indikationen zur Überweisung

  • Die Betreuung schwangerer Frauen erfolgt in der Regel in der gynäkologischen Praxis.
    • Parallel suchen viele Frauen jedoch auch ihre Hausarztpraxis auf, sodass das Wissen über Schwangerschaftsproblematiken von Nutzen ist.
  • Schwangere Patientinnen mit präexistentem Diabetes sollten interdisziplinär von gynäkologischen und diabetologischen Spezialist*innen betreut werden.

Therapie

Therapieziele

  • Komplikationen für Schwangere und Kind verhindern.

Stoffwechselziele allgemein

  • Die Stoffwechselziele sind bei Typ-1- oder Typ-2-Diabetes durch ein HbA1c von < 7 %, idealerweise < 6,5 % definiert. Diese Werte sollen unbedingt bereits bei Kinderwunsch erreicht werden, während der Schwangerschaft soll der HbA1c-Wert nach Möglichkeit im Referenzbereich für Gesunde der jeweils lokal verwendeten Labormethode liegen.1
    • Das Risiko für Spontanaborte und fetale Fehlbildungen korreliert mit der Qualität der Stoffwechseleinstellung zum Zeitpunkt der Konzeption.
  • Die Qualität der Blutglukose-Selbstmessung durch die Schwangere regelmäßig mit gerätespezifischen Kontrolllösungen oder Laborvergleichsmessungen überprüfen.

Blutglukosezielwerte

S2e-Leitlinie: Diabetes in der Schwangerschaft1

  • Blutglukose-Selbstmessungen sind zumindest als 6-Punkte-Tagesprofile (direkt vor und 1 Stunde nach den Hauptmahlzeiten), vor dem Schlafengehen (ca. 22–23 Uhr) sowie gelegentlich nächtlich zwischen 2 und 4 Uhr und zusätzlich bei Unsicherheiten, wie z. B. bei hypoglykämischen Symptomen indiziert.
  • Blutglukose-Zielwerte während der Schwangerschaft
    • nüchtern und präprandial: 65–95 mg/dl (3,8–5,2 mmol/l)
    • 1 Stunde nach Beginn der Mahlzeit: ≤ 140 mg/dl (≤ 7,7 mmol/l)
    • 2 Stunden nach Beginn der Mahlzeit: ≤ 120 mg/dl (≤ 6,6 mmol/l)
    • Bei Nutzung eines CGMS (kontinuierliches Glukosemonitoring) sollte bei schwangeren Frauen mit Typ-1-Diabetes eine TIR (Time-in-Range: 63–140 mg/dl [3,5–7,7 mmol/l]) der Sensorglukose von mindestens > 70 % angestrebt werden.

Allgemeines zur Therapie

  • Empfehlungen gemäß DDG1
  • Sofern diätetische Maßnahmen nicht mehr ausreichen, um die Blutglukose suffizient zu kontrollieren, ist eine Behandlung mit Insulin eine effektive und nebenwirkungsarme Möglichkeit und Therapie der Wahl.
    • Die Verwendung der derzeit verfügbaren oralen Antidiabetika stellt einen Off-Lable-Use dar und ist damit in nahezu allen Fällen obsolet.
  • Für Frauen mit Diabetes mellitus sind das Erreichen und die Aufrechterhaltung einer möglichst normoglykämischen Stoffwechsellage vor und während der Gravidität bis zur Geburt entscheidend.
    • Dazu muss die Insulintherapie laufend an die wechselnden Erfordernisse aufgrund einschneidender Veränderungen im Glukosestoffwechsel im Schwangerschaftsverlauf angepasst werden.
    • Der Insulinbedarf steigt ab dem 2./3. Trimenon um 50–100 %, bei adipösen Patientinnen mit Typ-2-Diabetes ist oft ein noch größerer Anstieg zu erwarten.

Medikamentöse Therapie

S2e-Leitlinie: Diabetes in der Schwangerschaft1

Optimale Insulinstrategie

  • Als optimale Therapie gelten die ICT/funktionelle Insulintherapie oder die kontinuierliche subkutane Insulininfusion (CSII, „Pumpentherapie“).
  • Beide Therapieformen sind bei entsprechender Schulung als gleichwertig bezüglich der Schwangerschaftsergebnisse einzustufen, wesentlich sind eine perfekte Handhabung und im Zielbereich liegende Blutglukosewerte.

Wahl des Insulinpräparates

  • Zur Therapie von Schwangeren mit präexistentem Typ-1- oder Typ-2-Diabetes sollen Humaninsuline (Normalinsulin, Humaninsuline mit Verzögerungsprinzip) oder Insulinanaloga (kurzwirksame, langwirksame) eingesetzt werden.
  • Werden strenge Therapieziele angestrebt, sollte der Einsatz kurzwirksamer und langwirksamer Insulinanaloga erwogen werden, da im Vergleich zu Normalinsulinen mit Vorteilen hinsichtlich HbA1c-Absenkung und einem geringeren Risiko für Hypoglykämien zu rechnen ist.
  • Schwangere, die auf die kurzwirksamen Insulinanaloga oder auf die langwirksamen Insulinanaloge Insulin eingestellt sind, sollten diese nach entsprechender Aufklärung über die Stoffwechselziele weiterverwenden, da gegenüber Humaninsulinen keine Nachteile bekannt geworden sind.
  • Intensivierte konventionelle Insulintherapie (ICT)1
    • definiert als Gabe von mindestens 3 Insulininjektionen pro Tag
    • gekennzeichnet durch eine Substitution von basalem Insulinbedarf mit langwirkendem Basalinsulin und prandialem Insulinbedarf mit kurzwirksamem Bolusinsulin zu den Mahlzeiten (Basal-Bolus-Prinzip)
  • Kontinuierliche subkutane Insulininfusion (CSII)
    • Die Insulinpumpe (Katheter im Unterhautfettgewebe) gibt regelmäßig kleine Mengen schnell wirksames Insulin ab.
    • zusätzlicher Bolus zu Mahlzeiten oder bei Bedarf per Knopfdruck

Orale Antidiabetika

  • Zunehmende Erforschung von oralen Antidiabetika in der Schwangerschaft
  • Metformin ist bislang am meisten untersucht.
    • kurzfristige Komplikationen für Mutter oder Kind bisher nicht gefunden6

    • Langzeitwirkungen nach Exposition in utero nicht bekannt, jedoch sind weitere Studien erforderlich, bevor Metformin empfohlen werden kann.6
    • Ist mit Insulin in Bezug auf die glykämische Kontrolle vergleichbar7-9 und könnte eine Alternative sein – allein oder zusätzlich zu Insulin.10
  • Sowohl Embryotox als auch Leitlinie der DDG empfehlen aktuell keinen Einsatz von oralen Antidiabetika.1,11

Nutzen der konsequenten Diabetes-Therapie

  • Eine strenge glykämische Kontrolle ist wichtig zur Vermeidung von Komplikationen bei Mutter und Kind.12
  • Kontinuierliche Glukosemessung während der Schwangerschaft führt zu besserer Diabeteseinstellung mit geringeren HbA1c-Werten in den Wochen 32–36 (HbA1c 5,8 % gegenüber 6,4 %) und deutlicher Risikoreduktion für Makrosomie beim Kind (OR 0,36).13

Folsäure- und Jodprophylaxe 

  • Empfehlungen gemäß DDG1
  • Eine Folsäure-Einnahme (mindestens 0,4 mg/d, bei anamnestisch vorbekanntem Neuralrohrdefekt 4,0 mg/d) soll 3 Monate vor Absetzung der Kontrazeption bis zum Abschluss des ersten Trimenons erfolgen.
  • Substitution von Jod bei Frauen mit Typ-1-Diabetes und Kinderwunsch in der präkonzeptionellen Phase und in der Schwangerschaft soll wie bei stoffwechselgesunden Frauen erfolgen (100–200 μg/d).

Aspirin-Gabe

S2e-Leitlinie: Diabetes in der Schwangerschaft1

  • Da bei Diabetes mellitus ein erhöhtes Präeklampsie-Risiko besteht, soll jede Patientin individuell über eine ASS-Gabe beraten werden.
  • Die Indikationsstellung zur Gabe von Aspirin zur Prophylaxe der Präeklampsie kann auch bei Frauen mit Diabetes risikoadaptiert über ein Präeklampsie-Screening erfolgen oder eine generelle Empfehlung ausgesprochen werden.
  • Bei Diabetes und Nephropathie sollte jedoch ASS allen Schwangeren empfohlen werden.
  • Wenn bei Frauen mit Diabetes ein unauffälliges Präeklampsie-Screening vorliegt, kann auf eine routinemäßige Aspirin-Therapie verzichtet werden.
  • Wenn bei Frauen mit Diabetes eine Gabe von Aspirin zur Prophylaxe einer Präeklampsie erfolgt, soll diese vor der 16+0 SSW begonnen werden, mit 150 mg/d bis zur 35+0 SSW erfolgen und dann abgesetzt werden.

Nichtmedikamentöse Therapie

  • Bei schwangeren Patientinnen mit präexistentem Diabetes als Begleitung einer Insulintherapie
  • Grundlage der Therapie
  • Ernährungsempfehlungen3
    • empfohlene Nährstoffverteilung
      • Kohlenhydrate: 40–50 %
      • Protein: 20 %
      • Fett: 30–35 %
    • Bevorzugung von Lebensmitteln mit hohem Ballaststoffanteil und niedrigem glykämischen Index
      • Vermeidung insbesondere zuckerhaltiger Getränke14
    • Nahrungsaufnahme auf 5–6 Mahlzeiten pro Tag einschließlich einer Spätmahlzeit aufteilen.
    • Moderate Kalorienrestriktion bei übergewichtigen Schwangeren ggf. sinnvoll, Hungerketose soll jedoch vermieden werden.
  • Körperliche Bewegung3
    • bei fehlenden Kontraindikationen
    • aerobes Ausdauertraining leichter bis mittlerer Intensität oder Krafttraining
    • einfachste Art: zügiges Spazierengehen
      • mindestens 30 min
      • mindestens 3 x wöchentlich
  • Körpergewicht3
    • Gewichtszunahme innerhalb der folgenden Grenzen anstreben (präkonzeptioneller BMI, Gewichtszunahme pro Woche 2. und 3. Trimenon und Gewichtszunahme gesamt in der Schwangerschaft):
      • BMI < 18,5: 0,5–0,6 kg/Woche und 12,5–18 kg/gesamt
      • BMI 18,5–24,9: 0,4–0,5 kg/Woche und 11,5–16 kg/gesamt
      • BMI 25–29,9: 0,2–0,3 kg/Woche und 7–11,5 kg/gesamt
      • BMI ≥ 30: 0,2–0,3 kg/Woche und 5–9 kg/gesamt.
    • Bei Adipositas kann die Gewichtszunahme auch darunterliegen.

Weitere Therapien

  • Eine frühzeitige Entbindung ist angezeigt bei instabilem oder schlecht eingestelltem Diabetes sowie bei Wachstumsretardierung des Fetus.
  • Primäre Sectio bei Schätzgewicht > 4.500 g soll erwogen werden.1
  • Tokolyse, wenn erforderlich, mit Oxytocinantagonisten (Atosiban)1
    • Eine orale Tokolyse mit Beta-Sympathikomimetika ist obsolet.
      • Grund: als Nebenwirkung Anstieg der mütterlichen Blutglukose

Entbindung

  • Wahl der Entbindungsklinik1,15
    • Entbindung in einer Klinik mit besonderer diabetologischer Erfahrung und angeschlossener Neonatalogie
    • Schwangere mit insulintherapiertem Diabetes: Entbindung richtlinienkonform in einem Perinatalzentrum LEVEL 1 oder 2

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Während des 2. und 3. Trimenons steigt der Insulinbedarf deutlich an und fällt nach der Entbindung stark ab.
    • Engmaschige Dosisanpassungen sind notwendig.1

Komplikationen

Beratung bei Schwangerschaft

  • Die DDG empfiehlt folgende Beratung bei Schwangeren mit präexistentem Diabetes:1
    • Patientinnen mit bekanntem Diabetes mellitus (Typ-1, Typ-2) sollen über das mit hohem HbA1c bei Konzeption assoziierte erhöhte Risiko für fetale Fehlbildungen unterschiedlichster Art aufgeklärt werden.
    • Es soll darauf hingewiesen werden, dass das Risiko im Wesentlichen mit der perikonzeptionellen Stoffwechseleinstellung korreliert und daher eine möglichst normnahe Stoffwechseleinstellung angestrebt werden soll.

Komplikationen für das Kind

Leitlinie: Betreuung von Neugeborenen diabetischer Mütter15

Diabetische Embryopathie

  • Diabetische Stoffwechsellage während der Organogenese erhöht die Rate von Fehlbildungen (diabetische Embryopathie).
    • Das Fehlbildungsrisiko steigt linear mit dem Ausmaß perikonzeptioneller Hyperglykämien.
  • Das Fehlbildungsmuster der diabetischen Embryopathie ist unspezifisch (Neuralrohrdefekte, konotrunkale Herzfehler, Omphalozelen, Skelettanomalien, Fehlbildungen der Nieren und ableitenden Harnwege), nur bei einigen sehr seltenen Fehlbildungen (kaudales Regressionssyndrom, Small-Left-Colon-Syndrom) kann eine Assoziation mit dem mütterlichen Diabetes als charakteristisch gelten.
  • Während bei prägravidem Diabetes mellitus eine deutlich erhöhte Fehlbildungsrate zu verzeichnen ist, ist diese bei Schwangeren mit Gestationsdiabetes allenfalls geringfügig erhöht.

Diabetische Fetopathie

  • Mütterliche Hyperglykämien in der 2. Schwangerschaftshälfte führen zu Symptomen einer diabetischen Fetopathie.
  • Das Ausmaß der Symptome korreliert mit der mütterlichen Stoffwechsellage; selbst grenzwertig erhöhte Blutglukosekonzentrationen können mit einem erhöhten Risiko für Makrosomie, Hypoglykämie und Hyperbilirubinämie einhergehen.
  • Neugeborene von Patientinnen mit Diabetes, die einer Insulinbehandlung bedürfen, weisen höhere Raten postnataler Hypoglykämien auf als Neugeborene, deren Mütter nur diätetisch behandelt werden mussten.
  • In Abhängigkeit von der Stoffwechseleinstellung steigen Raten von Frühgeburt, intrauterinem Fruchttod, Makrosomie und daraus resultierenden Geburtskomplikationen (Asphyxie, Schulterdystokie, Plexusparesen, Knochenfrakturen).
  • Die quantitativ bedeutsamsten Komplikationen nach diabetischer Stoffwechsellage in der Schwangerschaft stellen Hypoglykämien des Neugeborenen dar.

Folgen neonataler Hypoglykämien

  • Nach schweren symptomatischen neonatalen Hypoglykämien sind permanente Schäden im Marklager und der grauen Substanz des ZNS beschrieben.
  • Hieraus können später zentrale Sehstörungen, Zerebralparesen, psychomotorische Entwicklungsdefizite und Epilepsien resultieren.

Komplikationen für die Mutter

  • Obstetrische Komplikationen
    • Spontanabort
    • schwangerschaftsinduzierte Hypertonie und Präeklampsie
    • Polyhydramnion
    • Frühgeburt
    • höhere Wahrscheinlichkeit für:
      • Geburtseinleitung
      • Makrosomien
      • Sectiones
      • Schulterdystokie
      • Dammriss Grad 3 und 4
      • schwere (transfusionspflichtige) postpartale Blutung.
  • Diabetische Krisen
  • Vaskuläre Schäden und Organschäden
    • Herz, Nieren, Retina, periphere Gefäße
  • Neurologische Komplikationen
    • periphere und autonome Neuropathie (z. B. gastrointestinale Störungen)
  • Erhöhtes Risiko für:

Prognose

  • Patientinnen mit präexistentem Diabetes sind Hochrisiko-Schwangere und bedürfen engmaschiger, interdisziplinärer Betreuung.11
  • Durch leitliniengerechte Blutglukoseeinstellung können fetale und mütterliche Risiken deutlich reduziert werden.14

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Leitlinien

  • Gemeinsamer Bundesausschuss. Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die ärztliche Betreuung während der Schwangerschaft und nach der Entbindung („Mutterschafts-Richtlinien“), Stand 2022. www.g-ba.de
  • Deutsche Diabetes Gesellschaft. Diabetes in der Schwangerschaft. AWMF-Leitlinie Nr. 057-023. S2e, Stand 2021. www.awmf.org 
  • Deutsche Diabetes-Gesellschaft (DDG). Gestationsdiabetes mellitus (GDM), Diagnostik, Therapie und Nachsorge. AWMF-Leitlinie Nr. 057-008. S3, Stand 2018. www.awmf.org
  • Gesellschaft für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin e. V. (GNPI). Betreuung von Neugeborenen diabetischer Mütter. AWMF-Leitlinie Nr. 024-006. S2k, Stand 2017. www.awmf.org

Literatur

  1. Deutsche Diabetes Gesellschaft. Diabetes in der Schwangerschaft. AWMF-Leitlinie Nr. 057-023. Stand 2021. www.awmf.org
  2. Metzger BE, Lowe LP, Dyer AR, for the HAPO Study Cooperative Research Group. Hyperglycemia and adverse pregnancy outcomes. N Engl J Med 2008; 358: 1991–2002. www.ncbi.nlm.nih.gov
  3. Deutsche Diabetes-Gesellschaft (DDG). Gestationsdiabetes mellitus (GDM), Diagnostik, Therapie und Nachsorge. AWMF-Leitlinie Nr. 057-008. Stand 2018. www.awmf.org
  4. Gemeinsamer Bundesausschuss. Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die ärztliche Betreuung während der Schwangerschaft und nach der Entbindung ("Mutterschafts-Richtlinien"). Stand 2022. www.g-ba.de
  5. Wren C, Birrell G, Hawthorne G. Cardiovascular malformations in infants of diabetic mothers. Heart 2003; 89: 1217-20. www.ncbi.nlm.nih.gov
  6. Butalia S, Gutierrez L, Lodha A, Aitken E, Zakariasen A, Donovan L. Short- and long-term outcomes of metformin compared with insulin alone in pregnancy: a systematic review and meta-analysis. Diabet Med 2016. doi:10.1111/dme.13150. onlinelibrary.wiley.com
  7. Juan Gui, Qing Liu, and Ling Feng. Metformin vs Insulin in the Management of Gestational Diabetes: A Meta-Analysis. PLoS One. 2013 ;8(5):e64585. PMID: 23724063. PubMed
  8. Su DF, Wang XY. Metformin vs insulin in the management of gestational diabetes: a systematic review and meta-analysis. Diabetes Res Clin Pract. 2014;104(3):353-7. PMID: 24768511. PubMed
  9. Balsells M, García-Patterson A, Solà I, et al. Glibenclamide, metfomin, and insulin for the treatment of gestational diabetes: a systematic review and meta-analysis. BMJ 2015; 350: h102. doi:10.1136/bmj.h102 DOI
  10. Rowan JA, Hague WM, Gao W, et al. Metformin versus Insulin for the Treatment of Gestational Diabetes. N Engl J Med 2008; 358: 2003-15. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  11. Embryotox - Pharmakovigilanz - und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie der Charité-Universitätsmedizin Berlin. Diabetes mellitus (letzter Zugriff 13.06.2021). www.embryotox.de
  12. Middleton P, Crowther CA, Simmonds L. Different intensities of glycaemic control for pregnant women with pre-existing diabetes. Cochrane Database Syst Rev 2012 Aug 15; 8: CD008540. Cochrane (DOI)
  13. Murphy HR, Rayman G, Lewis K et al. Effectiveness of continous glucose monitoring in pregnant women with diabetes: randomised clinical trial. BMJ 2008; 337: a1680. BMJ (DOI)
  14. Hummel M. Diabetes und Schwangerschaft: Was alles zu beachten ist. Dtsch Arztebl 2014; 111(20): 12. www.aerzteblatt.de
  15. Gesellschaft für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin e. V. (GNPI). Betreuung Neugeborener diabetischer Mütter. AWMF-Leitlinie Nr. 024-006. S2k, Stand 2017. www.awmf.org
  16. Eidem I, Vangen S, Hanssen KF, et al. Perinatal and infant mortality in term and preterm births among women with type 1 diabetes. Diabetologia 2011; 54: 2771-8. www.ncbi.nlm.nih.gov

Autor*innen

  • Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Frankfurt a. M.
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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