Placenta accreta

Zusammenfassung

  • Definition:Verwachsung der Plazenta mit der Gebärmuttermuskulatur.
  • Häufigkeit:Tritt Schätzungen zufolge bei ca. 1 von 500 Geburten bis 1 von 2.500 Geburten auf.
  • Symptome:Charakteristisch sind reichliche, unkontrollierte Blutungen unmittelbar nach der Entbindung, wenn sich der Mutterkuchen vom Endometrium lösen sollte.
  • Befunde:Oftmals kein auffälliger klinischer Befund bei der routinemäßigen klinischen Untersuchung vor der Geburt.
  • Diagnose:Transvaginaler Ultraschall.
  • Behandlung:Intensivtherapie im Zusammenhang mit der Geburt, wenn die Diagnose nicht im Vorfeld gestellt wurde, andernfalls elektive Sectio oder Hysterektomie.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Bei der Placenta accreta ist die Plazenta mit der Gebärmuttermuskulatur verwachsen, da es zu einem unzureichendem Wachstumsstop der Plazentazotten kommt. 
  • Die abnorme Haftung kann in drei Stufen eingeteilt werden:
    • Placenta accreta: Die Ablösungsschicht, die Dezidua basalis, fehlt. Die Zotten haften am Myometrium.
    • Placenta increta: Die Zotten wachsen in das Myometrium ein.
    • Placenta percreta: Die Zotten wachsen durch das Myometrium hindurch, gelegentlich bis zur Serosa (die die Außenseite des Uterus umgibt):
      • Es kann zu Einwachsungen in benachbarte Organe, meist in die Harnblase, kommen.

Häufigkeit

  • In den USA beträgt die Häufigkeit Schätzungen zufolge ca. 1 von 500 Geburten bis 1 von 2.500 Geburten.1
  • Die Inzidenz nimmt aufgrund der steigenden Zahl an Kaiserschnitten zu. In den 1990er-Jahren war sie mehr als zehnmal höher als in den 1950er-Jahren.
  • Man schätzt, dass eine Placenta accreta bei 10–25 % der Frauen auftritt, die in der Vergangenheit per Kaiserschnitt entbunden haben, und bei denen in der aktuellen Schwangerschaft Placenta praevia diagnostiziert wurde.

Ätiologie und Pathogenese

  • Plazentazotten wachsen durch das Endometrium hindurch.
  • Das Geschehen wird vor allem in Bereichen beobachtet, in denen das Endometrium nach früheren chirurgischen Eingriffen beeinträchtigt ist, meist im Narbengewebe nach einer Sectio.
  • Man geht davon aus, dass bei auffälligem oder dünnem Endometrium und herabgesetzter Durchblutung im Narbengewebe abnorme Verwachsungen begünstigt werden.

Prädisponierende Faktoren

  • Kaiserschnittentbindung in der Vergangenheit.
    • Mit der Anzahl an Kaiserschnitten steigt die Häufigkeit von Placenta accreta:2
      • Beim ersten Kaiserschnitt: 0,24 %
      • Beim zweiten Kaiserschnitt: 0,31 %
      • Beim dritten Kaiserschnitt: 0,57 %
      • Beim vierten Kaiserschnitt: 2,13 %
    • Bei kurzen Abständen zwischen den Schwangerschaften und Kaiserschnittentbindung in der Vergangenheit ist das Risiko ebenfalls erhöht.
  • Placenta praevia
    • bei Patientinnen, die in der Vergangenheit per Sectio entbunden haben, ist mit einem besonders hohen Risiko behaftet.3
    • Placenta praevia wird bei 2 % nach einer Kaiserschnittentbindung in der Vergangenheit beobachtet.
    • Risiko für Placenta accreta bei gleichzeitigem Vorliegen von Placenta praevia:2
      • Beim ersten Kaiserschnitt: 3 %
      • Beim zweiten Kaiserschnitt: 11 %
      • Beim dritten Kaiserschnitt: 40 %
      • Beim vierten Kaiserschnitt: 60 %
  • Darüber hinaus gelten Tabakkonsum, Mehrlingsschwangerschaften, zunehmende Anzahl früherer Geburten und höheres Alter der Mutter als Risikofaktoren.4

ICPC-2

  • W84 Hochrisikoschwangerschaft

ICD-10

  • O43.20 Placenta accreta
  • O73.0 Retention der Plazenta ohne Blutung

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Die Diagnose der Placenta accreta mittels bildgebender Verfahren ist wenig zuverlässig.
  • Transvaginaler Ultraschall, farbkodierter Doppler-Ultraschall und MRT-Untersuchungen können diagnostischen Aufschluss geben, jedoch hat keines dieser Verfahren eine hohe diagnostische Genauigkeit und Validität in belastbaren wissenschaftlichen Studien gezeigt.
  • Gelegentlich wird die Diagnose erst durch die Untersuchung der Gebärmutter/Plazenta nach durchgeführter Hysterektomie im Zusammenhang mit der Entbindung gestellt.

Differenzialdiagnose

  • Andere Ursache für Plazentalösungsstörungen bzw. Plazentaretention
    • Wehenschwäche (Placenta adhaerens)

Anamnese

  • Charakteristisch sind reichliche, unkontrollierte Blutungen unmittelbar nach der Entbindung, wenn sich der Mutterkuchen vom Endometrium lösen sollte.
  • Bei Placenta percreta kann es durch Verwachsungen mit der Harnblase zu Hämaturie in der Schwangerschaft kommen.
  • Idealerweise wird das Geschehen sonografisch entdeckt, bevor Symptome auftreten.

Klinische Untersuchung

  • Zumeist kein Befund bei der routinemäßigen klinischen Untersuchung vor der Geburt.

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

  • Weitere Untersuchungen sind nicht erforderlich.

Weitere Untersuchungen

  • Die Diagnose kann mittels transvaginalen Ultraschalls gestellt werden.
    • Es wird eine Sensitivität von circa 80 % und eine Spezifität von 95 % für die Erkennung von Placenta accreta im Ultraschall angegeben:5
      • Das heißt, dass etwa zwei von zehn Fällen unerkannt bleiben.
    • Man kann davon ausgehen, dass die Sensitivität für Placenta accreta am niedrigsten und für Placenta percreta am höchsten ist.6
  • Die MRT kann weiteren Aufschluss geben.
  • Auch die Untersuchung mittels Farbdoppler kann wichtige Hinweise liefern.

Indikationen zur Überweisung

  • Bei Verdacht auf Placenta accreta.

Therapie

Therapieziel

  • Vorbeugung von Komplikationen während der Schwangerschaft und lebensbedrohlichen Blutungen im Zusammenhang mit der Entbindung.

Allgemeines zur Therapie

  • Intensivversorgung im Zusammenhang mit der Entbindung, sofern die Diagnose nicht im Vorfeld gestellt wurde.
  • Elektive Sectio und Hysterektomie, wenn die Diagnose vor der Entbindung gestellt wurde. In einigen Fällen ist es möglich, mithilfe von gefäßradiologischen Verfahren eine perioperative Embolisation der Blutgefäße vorzunehmen, die die Gebärmutter versorgen und auf diese Weise eine Hysterektomie zu umgehen.

Chirurgischer Eingriff

  • Eine geplante Sectio lange vor dem berechneten Geburtstermin ist die übliche Praxis. Welche Schwangerschaftswoche für die Entbindung gewählt wird, richtet sich nach Erfahrungswerten.7
  • Eine Forschergruppe war der Ansicht, dass Woche 34 der günstigste Zeitpunkt für eine Sectio bei Frauen mit Placenta accreta und gleichzeitig bestehender Placenta praevia ist:8
    • Kortisontherapie zur Förderung der Lungenreife in der 33. Schwangerschaftswoche.
  • Nicht selten wird ein Kaiserschnitt mit anschließender Hysterektomie innerhalb einer Operation vorgenommen, ohne dass die Plazenta sich von der Gebärmutter ablöst. Eine weitere Option ist die Embolisation von Arterien, die die Gebärmutter versorgen, noch während der Operation, sofern entsprechende Kompetenzen vorhanden sind.

Prävention

  • Vermeidung unnötig häufiger Kaiserschnitte als Entbindungsmethode.
  • Ultraschalluntersuchung während der Schwangerschaft:
    • Besondere Aufmerksamkeit ist bei Frauen mit Placenta praevia oder tief sitzender Plazenta geboten, die in der Vergangenheit per Kaiserschnitt entbunden haben.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Placenta accreta wird mit einem höheren Vorkommen von Frühgeburten und kleinen Neugeborenen (SGA) verknüpft.

Komplikationen

  • Eine Blutung im Zusammenhang mit der Entbindung kann einen schwerwiegenden und dramatischen Verlauf nehmen; im schlimmsten Fall kann sie zum Tod der Gebärenden führen.
  • Eine retrospektive Kohortenstudie aus den USA zeigte, dass Frauen, bei denen die Diagnose vor der Entbindung gestellt wurde, weniger Transfusionsbedarf hatten:6
    • Der Schwangerschaftsausgang in Bezug auf die Neugeborenen war in beiden Gruppen vergleichbar.

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patientin informieren?

  • Bei Nachweis einer Placenta accreta muss in den meisten Fällen die Entbindung mittels Sectio erfolgen; häufig muss die Gebärmutter im Rahmen des gleichen Eingriffs entfernt wird.
  • Die Prognose für Mutter und Kind ist günstig.

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Literatur

  1. Wu S, Kocherginsky M, Hibbard JU. Abnormal placentation: Twenty year analysis. Am J Obstet Gynecol 2005; 192: 1458. PubMed
  2. Silver RM, Landon MB, Rouse DJ, et al. Maternal morbidity associated with multiple repeat cesarean deliveries. Obstet Gynecol 2006; 107: 1226-32. PubMed
  3. Publications Committee, Society for Maternal-Fetal Medicine, Belfort MA. Placenta accreta. Am J Obstet Gynecol 2010; 203: 430-9. pmid:21055510. PubMed
  4. Oyelese Y, Smulian JC. Placenta previa, placenta accreta, and vasa previa. Obstet Gynecol 2006; 107: 927-41. PubMed
  5. Warshak CR, Eskander R, Kull AD, et al. Accuracy of ultrasonography and magnetic resonance imaging in the diagnosis of placenta accreta. Obstet Gynecol 2006; 108: 573. PubMed
  6. Warshak CR, Ramos GA, Eskander R, et al. Effect of predelivery diagnosis in 99 consecutive cases of placenta accreta. Obstet Gynecol 2010; 115: 65-9. PubMed
  7. Gholitabar M, Ullman R, James D, et al. Caesarian section: summary of updated NICE guidance. BMJ 2011; 343: d7108. BMJ (DOI)
  8. Robinson BK, Grobman WA. Effectiveness of timing strategies for delivery of individuals with placenta previa and accreta. Obstet Gynecol 2010; 116: 835-42. PubMed
  9. Wax JR, Seiler A, Horowitz S, Ingardia CJ. Inter-pregnancy interval as a risk factor for placenta accreta. Conn Med 2000; 64: 659-61. PubMed

Autoren

  • Julia Trifyllis. Dr. med. , Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, Münster/W
  • Maria Sennström, leitende klinische Fachärztin, Frauenklinik, Karolinska Universitätskrankenhaus
  • Kjell Åsmund Salvesen, leitender klinischer Facharzt, St. Olavs Hospital. Professor für Geburtshilfe und Gynäkologie, NTNU
  • Ingard Løge, Spezialist für Allgemeinmedizin, Redakteur NEL

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