Panikstörung

Zusammenfassung

  • Definition:Die Panikstörung ist durch wiederkehrende, plötzlich und unerwartet einsetzende Anfälle intensiver Angst (Panik) gekennzeichnet. Liegt als Grunderkrankung eine Agoraphobie vor, dann kommt dazu die Furcht, das Haus zu verlassen, sich in großen Menschenmengen oder auf öffentlichen Plätzen aufzuhalten u. Ä.
  • Inzidenz:Die Lebenszeitprävalenz beträgt 1–5 %, bei Frauen wird die Diagnose doppelt so häufig gestellt wie bei Männern.
  • Symptome:Anfälle, bei denen die Betroffenen eine plötzlich einsetzende Angst empfinden, begleitet von unspezifischen Angstsymptomen wie Palpitationen, Thoraxschmerz, Erstickungsgefühle, Schwindel oder Entfremdungsgefühlen.
  • Befunde:Körperliche Untersuchung, Basislabor und EKG sind unauffällig. Die Betroffenen vermeiden potenziell angstauslösende Situationen.
  • Diagnostik:Evtl. psychometrische Tests, z. B. zur Abgrenzung gegenüber anderen Angststörungen.
  • Therapie:Die kognitive Verhaltenstherapie stellt die am besten untersuchte und nachweislich auch längerfristig wirksame Therapieform dar. Auch psychodynamische Verfahren kommen ggf. infrage. Antidepressiva können ebenfalls von Nutzen sein, vor allem in Kombination mit einer Psychotherapie. Unterstützend ist Ausdauersport zu empfehlen.

Allgemeine Informationen

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet basiert der gesamte Abschnitt auf den S3-Leitlinien Behandlung von Angststörungen.1
  • Näheres zur Klassifikation von Angststörungen siehe Artikel Angst.

Definition

Panikstörung (ICD-10 F41.0)2

  • Wesentliches Kennzeichen einer Panikstörung nach ICD-10: „Wiederkehrende schwere Angstattacken (Panik), die sich nicht auf eine spezifische Situation oder besondere Umstände beschränken und deshalb auch nicht vorhersehbar sind.“
    • Wie bei anderen Angststörungen zählen zu den wesentlichen Symptomen:
    • Oft entsteht sekundär auch die Furcht zu sterben, vor Kontrollverlust oder die Angst, wahnsinnig zu werden.
    • Die Panikstörung soll nicht als Hauptdiagnose verwendet werden, wenn die betroffene Person bei Beginn der Panikattacken an einer depressiven Störung leidet. Unter diesen Umständen sind die Panikattacken wahrscheinlich sekundäre Folge der Depression.

Agoraphobie mit Panikstörung (ICD-10 F40.01)2

  • Die Agoraphobie – mit oder ohne Panikstörung – wird im ICD-10 den phobischen Störungen (siehe Artikel Angst) zugeordnet. Kennzeichnend für die Agoraphobie ist die Furcht,
    • das Haus zu verlassen.
    • Geschäfte zu betreten.
    • in Menschenmengen und auf öffentlichen Plätzen zu sein.
    • alleine mit Bahn, Bus oder Flugzeug zu reisen.
  • Eine zusätzliche Panikstörung kommt als häufiges Merkmal bei gegenwärtigen oder zurückliegenden Episoden vor.
  • Depressive und zwanghafte Symptome sowie soziale Phobien sind als zusätzliche Merkmale gleichfalls häufig vorhanden.
  • Die Vermeidung der phobischen Situation steht oft im Vordergrund, und manche Betroffene erleben nur wenig Angst, da sie die phobischen Situationen meiden können.

Häufigkeit

  • Prävalenz
    • 12-Monats-Prävalenz: 2 %3
    • Da sich Menschen mit Angststörungen häufig davor scheuen, sich in psychotherapeutische Behandlung zu begeben und die somatischen Symptome oft fehlgedeutet werden, wird die Prävalenz vermutlich unterschätzt.
  • Alter und Geschlecht
    • Der Zeitpunkt der Erstdiagnose zeigte in epidemiologischen Studien eine große Varianz über verschiedene Altersgruppen, mit einem Häufigkeitsgipfel zwischen 30 und 50 Jahren und einer mit höherem Alter allmählich abnehmenden Inzidenz.
      • In der 2014 publizierten „Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland“ (DEGS1) betrug die 12-Monats-Prävalenz in der Altersgruppe der 18- bis 34-Jährigen 1,5 %, bei 35- bis 49-Jährigen 2,9 %, bei 50- bis 64-Jährigen 2,5 % und bei 65- bis 79-Jährigen 0,8 %.3
      • In einer spanischen Studie aus dem Jahr 2018 war die Prävalenz bei den 40- bis 49-Jährigen am höchsten. Sie lag in dieser Altersgruppe bei 3,3 %.4
      • Laut einer 2013 publizierte Metaanalyse zur Epidemiologie von Angsterkrankungen bei über 50-Jährigen in westlichen Industrienationen beträgt die geschätzte Punktprävalenz der Panikstörung in dieser Altersgruppe 0,88 % (95 % KI: 0,76–0,99 %) und die Lebenszeitprävalenz 2,63 % (95 % KI: 2,43–2,84 %).5
    • Bei Frauen wird die Diagnose etwa doppelt so häufig gestellt wie bei Männern.

Komorbidität

Ätiologie und Pathogenese

  • Vermutlich durch ein komplexes Wechselspiel von
    • genetischen Faktoren, die sich in neurobiologischen Veränderungen zu manifestieren scheinen.
    • psychosozialen Faktoren.
  • Die Panikstörung tritt häufiger bei Menschen auf, deren nahe Verwandte ebenfalls betroffen sind.
  • Es scheint eine erhöhte Reaktivität des autonomen Nervensystems vorzuliegen.
  • Es gibt verschiedene psychologische Erklärungsmodelle zur Entstehung der Panikstörung. Ein Modell aus den Kognitions- und Verhaltenswissenschaften z. B. geht davon aus, dass die Betroffenen harmlose Körperempfindungen als gefährlich fehlinterpretieren. Dies führt zu verstärkten Körperempfindungen und Katastrophengedanken, wodurch sich ein Teufelskreis in Bewegung setzt.
  • Panikattacken können auch durch äußerlich zugeführte Substanzen (Koffein) oder organische Prozesse (Hypoglykämie) ausgelöst werden.
  • Eine Panikstörung tritt häufig in Verbindung mit weiteren psychischen Erkrankungen wie Depressionen und anderen Angststörungen auf. Die Hälfte der von einer Panikstörung Betroffenen erkrankt an Depressionen, und die Hälfte der von Depressionen Betroffenen entwickelt im Laufe ihres Lebens eine Panikstörung.
  • Rund 80 % der von Panikstörung Betroffenen berichten von belastenden Ereignissen innerhalb der letzten 12 Monate.

Lerntheoretisches Modell

  • Panikattacken und die Panikstörungen stellen eine „Angst vor der Angst“ dar.
  • In diesem Modell ist das Angsterleben mit körperlichen Empfindungen wie Schwindel, Ohnmachtsgefühle, Herzklopfen, Atemnot oder Schmerzen in der Brust verbunden.
  • Diese körperlichen Empfindungen werden als Ausdruck einer drohenden Katastrophe interpretiert: „Ich werde ohnmächtig, erleide einen Herzinfarkt, kann nicht mehr atmen.“
  • Dies führt dazu, dass die Wahrnehmung für Körperempfindungen verstärkt und das sympathische Nervensystem in erhöhte Bereitschaft versetzt wird, was wiederum stärkere körperliche Empfindungen bedingt und die Angst verstärkt: Eine Panikattacke entsteht.

Disponierende Faktoren

ICPC-2

  • P74 Angststörung

ICD-10

  • Nach ICD-10-GM Version 20212
    • F41 Andere Angststörungen
      • F41.0 Panikstörung (episodisch paroxysmale Angst)
    • F40 Phobische Störungen
      • F40.0 Agoraphobie
      • F40.00 Ohne Angabe einer Panikstörung
      • F40.01 Mit Panikstörung

Diagnostik

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet basiert der gesamte Abschnitt auf diesen Referenzen.1,6

Leitlinie: Erkennen von Panikstörungen1

  • Angststörungen werden oft nicht erkannt.
    • Betroffene klagen eher über Schmerzen, Schlafstörungen oder andere somatische Beschwerden als über Angst als Leitsymptom.
  • Daher erscheint es sinnvoll, bei Personen mit Verdacht auf eine Panikstörung folgende kurze Fragen zu stellen:
    • Haben Sie plötzliche Anfälle, bei denen Sie in Angst und Schrecken versetzt werden, und bei denen Sie unter Symptomen wie Herzrasen, Zittern, Schwitzen, Luftnot oder Todesangst leiden?
    • Haben Sie in den folgenden Situationen Angst oder Beklemmungsgefühle: Menschenmengen, enge Räume, öffentliche Verkehrsmittel? Vermeiden Sie solche Situationen aus Angst?

Diagnostische Kriterien

  • Kriterien nach ICD-10 (siehe Abschnitt Definition)
  • Eine Panikstörung liegt vor, wenn wiederkehrende, unerwartete Panikattacken mit anschließender anhaltender Besorgnis auftreten und mindestens 1 Monat lang anhalten.
  • Wiederkehrende Anfälle von plötzlicher Angst (Panik)
    • begleitet von somatischen Beschwerden z. B.:
    • psychische Begleitsymptome z. B.:
      • Unsicherheit-, Ohnmachts- oder Benommenheitsgefühle, Entfremdungsgefühle (Gefühl, dass Dinge unwirklich sind, wie im Traum oder dass man selbst „nicht richtig da“ ist), Angst zu sterben, die Kontrolle zu verlieren oder verrückt zu werden.
  • Die Attacke steht in keiner Beziehung zu besonderen Situationen oder objektiven Gefahren, sie erscheint unerklärlich.
  • Die Attacke tritt plötzlich auf, erreicht innerhalb von etwa 10 Minuten das Maximum und vergeht in der Regel nach einigen Minuten, praktisch immer nach maximal 2 Stunden.
    • Die Anwesenheit einer behandelnden Person scheint sich beruhigend auszuwirken.
  • Die betroffene Person fühlt sich zwischen den Attacken gesund.
  • Betroffene entwickeln häufig eine Erwartungsangst und neigen dazu, Orte oder Situationen zu meiden, die mit früheren Panikattacken assoziiert werden (phobische Züge).
    • Auslöser weiterer Panikattacken können die Sorge um die möglichen Folgen von Panikattacken, eine deutliche Verhaltensänderung in Verbindung mit den Attacken oder die Vermeidung von Situationen sein, in denen man befürchtet, dass eine Panikattacke auftreten kann.
  • Langfristig kann sich so neben der Panikstörung eine Agoraphobie entwickeln.
  • Hoher Leidensdruck
    • Menschen mit Panikstörung nehmen häufig wegen somatischer Symptome ärztliche Hilfe in Anspruch und leiden unter einem eingeschränkten Sozial- und Berufsleben sowie reduzierter Lebensqualität.

Agoraphobie mit Panikstörung

  • Kriterien nach ICD-10 (siehe Abschnitt Definition)
  • Bei der Agoraphobie mit Panikstörung tritt zu den beschriebenen Panikattacken die Angst vor Orten hinzu, an denen im Falle des Auftretens einer Panikattacke eine Flucht schwer möglich wäre oder peinliches Aufsehen erregen würde.
  • Am häufigsten treten Angstanfälle in Menschenmengen, öffentlichen Verkehrsmitteln oder in engen Räumen (z. B. Fahrstühlen) auf.
  • Angst vor dem Alleinsein ist ebenfalls häufig.
  • Die Anwesenheit von Begleitpersonen reduziert die Angst.

Differenzialdiagnosen

  • Weitere Differenzialdiagnosen und Näheres zur Differenzialdiagnostik der Angst siehe Artikel Angst.
  • Andere Angststörungen
    • Bei der sozialen Phobie treten Panikattacken häufig in Verbindung mit sozialer Exposition auf, jedoch nicht unerwartet und mit weniger starkem Fokus auf die körperlichen Symptome, die bei der Panikstörung katastrophisierende Gedanken maßgeblich vorantreiben.
    • Bei der generalisierten Angststörung können sich Ängste in Bezug auf zukünftige Ereignisse zu Panikattacken steigern, die jedoch ebenfalls nicht unerwartet auftreten.
      • Das Beck Anxiety Inventory unterscheidet zwischen Panikstörung und generalisierter Angststörung.7
      • Näheres zur Verwendung von Angstskalen bei der Abgrenzung verschiedener Angststörungen siehe Artikel Angst.
    • Auch im Rahmen von Zwangsstörungen, der posttraumatischen Belastungsstörung und spezifischen Phobien können Panikattacken als Teil der Grunderkrankung auftreten, ohne Ausdruck einer Panikstörung zu sein.
  • Depressionen, insbesondere die agitierte Depression
  • Persönlichkeitsstörungen
  • Somatische Störungen, z. B.:
  • Panik mit und ohne Agoraphobie
    • In einigen Fällen tritt die Agoraphobie als Folgeerkrankung der Panikstörung auf, was viele Betroffene jedoch nicht bestätigen können.
    • Es ist daher umstritten, ob es notwendig ist, zwischen einer Panikstörung mit und einer Panikstörung ohne Agoraphobie zu unterscheiden (die medikamentöse Therapie ist identisch, während psychotherapeutisch leichte Variationen möglich sind).
  • Andere Phobien
    • Können ebenfalls schwierig von der Panikstörung abzugrenzen sein, falls in hohem Maße Vermeidungsverhalten auftritt.

Anamnese

Panikstörung

  • Aufgreiffrage:
    • Haben Sie plötzliche Anfälle mit Herzrasen, Zittern, Schwitzen, Luftnot oder Todesangst?
  • Die Betroffenen geben häufig selbst eine treffende Beschreibung ihrer Beschwerden.
  • Es ist typisch, dass die Attacken nach wenigen Minuten abklingen und von den Betroffenen und ihrer Umgebung als Symptome von Asthma, Herzerkrankungen oder anderen schweren körperlichen Erkrankungen interpretiert werden.
  • Die Attacken treten häufig ein- bis mehrmals wöchentlich auf und können die alltäglichen Aktivitäten und die Arbeit der Betroffenen beeinträchtigen.
  • Die Erkrankung wird von vielen Menschen als lähmend empfunden und ist von häufigen Krankmeldungen, stationären Aufenthalten oder Untersuchungen begleitet.
  • Es ist wichtig, dass eine Panikstörung an dieser Stelle nicht „somatisiert“, sondern diagnostiziert und entsprechend therapiert wird.
  • Schließlich entwickeln die Patient*innen in der Regel auch eine Erwartungsangst, eine steigende Angst vor erneuten Panikattacken.
  • Wenn die Betroffenen ihre Panikattacken über 1 oder 2 Wochen dokumentieren (Tagebuch führen) und die Signale vor einer Panikattacke beobachten, zeigen sich häufig bestimmte Gedanken und Gefühle von Anspannung und Unbehagen, die der eigentlichen Panikattacke vorausgehen (dies kann in der Therapie genutzt werden).

Agoraphobie

  • Aufgreiffragen:
    • Haben Sie in den folgenden Situationen Angst oder Beklemmungsgefühle:
      • Menschenmengen?
      • Enge Räume?
      • Öffentliche Verkehrsmittel?
    • Vermeiden Sie solche Situationen aus Angst?
  • Angst vor Orten, an denen im Falle des Auftretens einer Panikattacke oder anderem Kontrollverlust eine Flucht schwer möglich ist oder peinliches Aufsehen erregen würde.
    • z. B. Menschenmengen, Bus, Bahn, Kino, Kaufhaus, enge Räume, öffentliche Plätze oder beim Reisen
  • Häufig Folge von früheren Panikattacken
  • Häufig Angst vor dem Alleinsein
    • Vermeidungsverhalten führt zu sozialem Rückzug.
  • Manchmal werden körperliche Symptome (z. B. Durchfall) als Begründung für das Vermeidungsverhalten vorgeschoben.

Screening/Case Finding

  • Kann in einigen Fällen indiziert sein. Die folgenden zwei Fragen haben hinsichtlich der Erkennung einer Panikstörung eine Sensitivität von 90 %, während die Spezifität nur bei 25–60 % liegt:
    1. Haben Sie innerhalb der letzten 6 Monate einen Anfall erlebt, bei dem Sie sich plötzlich ängstlich oder sehr unwohl fühlten?
    2. Haben Sie innerhalb der letzten 6 Monate einen Anfall erlebt, bei dem das Herz scheinbar grundlos schneller zu schlagen begann, Sie sich schwindelig fühlten oder Schwierigkeiten beim Atmen hatten?
  • Das PHQ (Patient Health Questionnaire, Gesundheitsfragebogen für Patient*innen und Kurzanleitung zur Auswertung) ist ein von den Betroffenen auszufüllendes Formular, das mit einem Modul zur Panik verbunden ist.
    • Hat sich mit einer Sensitivität von 81 % und einer Spezifität von 99 % als gut einsetzbar erwiesen.7
    • aufbauend auf DSM-IV (ähnliche Diagnosekriterien wie beim ICD-10)
  • Näheres zum Einsatz von Fragebögen in der Differenzialdiagnostik von Angststörungen siehe Artikel Angst.

Klinische Untersuchung

  • Charakteristisch ist ein schwerer Angstzustand (der in der Regel abklingt, wenn der Kontakt zur behandelnden Person hergestellt wird), häufig von zahlreichen somatischen Symptomen begleitet.
  • So wenig Untersuchungen wie möglich und so viel wie nötig, um organische Erkrankungen auszuschließen.
    • Es ist empfehlenswert, Formulierungen wie „wir können nichts feststellen“ oder „psychisch bedingt“ zu meiden und stattdessen auf den aktuellen Befund hinzuweisen und darzulegen, dass es sich um einen Angstanfall handelt. Eine detaillierte Beschreibung des Vorgangs, der Hinweis darauf, dass die Beschwerden zwar unangenehm, aber völlig ungefährlich sind, und das Aufzeigen möglicher Therapiemethoden sind ebenfalls sinnvoll.

Basisdiagnostik zum Ausschluss einer organischen Ursache der Beschwerden

  • Körperliche Untersuchung
    • Blutdruckmessung, Auskultation von Herz und Lunge sowie Tastuntersuchung von Bauch und Muskulatur sind sinnvoll und wichtig, u. a. auch, um der betroffenen Person ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln.
  • Labor
  • EKG mit Rhythmusstreifen
  • Ggf. Lungenfunktion
  • Ggf. kranielle Bildgebung (MRT, CT)
  • Ggf. EEG
  • Ggf. ergänzende Untersuchungen, Näheres siehe Artikel Angst.

Indikationen zur Überweisung/Klinikeinweisung

  • Die Hausarztpraxis ist oft die erste und sehr wichtige Anlaufstelle für Menschen mit Angststörungen.
    • In der Regel ist eine Überweisung zu psychologischen oder ärztlichen Psychotherapeut*innen angezeigt, da diese über das entsprechende Wissen für eine weitergehende Exploration der Symptome und eine gezielte Behandlung verfügen.
  • Voraussetzungen für eine Behandlung in der Hausarztpraxis
    • Patient*innen mit leichter oder mittelschwerer Angststörung
    • problemorientierte Diagnostik möglicher somatischer und psychischer Erkrankungen
    • auf Wunsch der Betroffenen
    • fachliche Befähigung der Hausärzt*innen
  • Überweisung zur Psychotherapie
    • nach spätestens 6 Wochen bei nicht ausreichender Besserung
    • Wenn die Störung zu erheblichen Funktionseinschränkungen oder Behinderungen im täglichen Leben führt.
    • auf Wunsch der Betroffenen
  • Überweisung zu einer Fachärztin/einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie
    • unzureichendes Ansprechen auf die empfohlenen Standardmedikamente
      • Reservemedikamente wie Duloxetin, Moclobemid und Buspiron gehören nach Auffassung der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM), Arbeitsgruppe Angststörungen, zum Kompetenzbereich von Spezialist*innen.6
  • Mögliche Indikationen für eine stationäre oder teilstationäre Behandlung
    • Suizidalität
    • ausgeschöpfte oder nicht verfügbare ambulante Behandlungsmaßnahmen
    • besonders schwere Symptomatik, z. B. ausgeprägtes Vermeidungsverhalten
    • Ko- und Multimorbidität
    • belastendes soziales Umfeld, z. B. eskalierende Konflikte in Paarbeziehung oder Familie

Checkliste zur Überweisung 

Angst

  • Zweck der Überweisung
    • Untersuchung? Therapie? Sonstiges?
  • Anamnese
    • Dauer? Anhaltende Angst oder Anfälle? Entwicklung? Progression?
    • Art der Angst: Generalisierte Angststörung, Panikstörung, phobische Störung? Beschreiben Sie die Symptome bei Anfällen. Ist die Angst an eine Situation, einen Ort, eine Person, ein Objekt gebunden?
    • Andere relevante Krankheiten? Familiäre Disposition?
    • Folgen: Inwiefern führt die Angst zu Problemen im Alltag, bei der Arbeit, sozial, in der Familie, Sonstiges?
  • Klinische Untersuchung
    • Allgemeinzustand und Organstatus
    • ggf. Ergebnisse von Fragebögen
  • Apparative Diagnostik, bei den meisten Patient*innen ausreichend:

Behandlungsindikationen

  • Vollbild einer Angststörung – oder –
    • mittlerer bis schwerer Leidensdruck
    • psychosoziale Einschränkungen
    • mögliche Komplikationen, z. B. Suchterkrankung.

Therapie

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet basiert der gesamte Abschnitt auf diesen Referenzen.1,6

Therapieziele

  • Angst und Vermeidungsverhalten reduzieren.
  • Einer Weiterentwicklung und Generalisierung des Krankheitsbildes mit weiteren Angstsymptomen (Agoraphobie, Depressionen) vorbeugen.
  • Lebensqualität verbessern.
  • Rückfallwahrscheinlichkeit reduzieren.
  • Einschränkung der Bewegungsfähigkeit bessern.
  • Soziale Integration verbessern.
  • Berufliche Leistungsfähigkeit wiederherstellen.

Leitlinie: Behandlung von Panikstörungen1

  • Menschen mit Panikstörung /Agoraphobie soll angeboten werden:
    • Psychotherapie
    • Pharmakotherapie.
  • Dabei sollen nach einer geeigneten Aufklärung die Präferenzen der betroffenen Person berücksichtigt werden.
  • Im Informationsgespräch sollen insbesondere folgende Aspekte eine Rolle spielen:
    • Wirkeintritt
    • Nachhaltigkeit
    • unerwünschte Wirkungen
    • Verfügbarkeit.
  • In Fällen, in denen eine Psycho- und Pharmakotherapie nicht ausreichend wirksam war, soll die jeweils andere Therapieform angeboten werden oder kann eine Kombination von Psychotherapie und Pharmakotherapie angeboten werden.
    • Wirksamkeitsnachweise existieren für die Kombination von kognitiver Verhaltenstherapie (KVT) mit SSRI oder Imipramin.
    • Patient*innen mit einer Panikstörung/Agoraphobie sollte eine psychodynamische Psychotherapie angeboten werden, wenn sich eine KVT nicht als wirksam erwiesen hat, nicht verfügbar ist oder wenn eine diesbezügliche Präferenz der betroffenen Person besteht.
  • Menschen mit einer Panikstörung/Agoraphobie kann Sport (Ausdauertraining) als ergänzende Maßnahme zu anderen Standardtherapien empfohlen werden.
  • Betroffene und Angehörige sollen über Selbsthilfe- und Angehörigengruppen informiert und ggf. zur Teilnahme motiviert werden.
  • Folgende Medikamente sollen angeboten werden:*
    • SSRI (Citalopram, Escitalopram, Paroxetin oder Sertralin)
    • SNRI (Venlafaxin)
    • Clomipramin (TZA), wenn SSRI oder der SNRI Venlafaxin nicht wirksam waren oder nicht vertragen wurden.

* Näheres zu Verträglichkeit, Sicherheit und Interaktionspotenzial der genannten Wirkstoffklassen siehe Artikel Depression.

Allgemeines zur Therapie

  • Kognitive Verhaltenstherapie (KVT)8
    • Ist die Therapieform, deren Wirksamkeit bei Panikstörungen am besten belegt ist.
    • Zielt u. a. darauf ab, die dysfunktionalen Überzeugungen zu ändern, die der Panikstörung zugrunde liegen.
    • Den bislang nur in begrenztem Umfang verfügbaren Langzeitdaten zufolge scheint die KVT oft auch im Langzeitverlauf eine nachhaltige Wirkung zu erzielen.
      • In den Monaten nach Ende der KVT lassen die Effekte nach, bleiben jedoch auf einem hohen Niveau.
    • Kann allein angewandt werden, jedoch ist möglicherweise eine Kombination aus kognitiver Therapie und medikamentösen Therapie mit Antidepressiva die wirkungsvollste, kurzzeitige Therapiemethode.
  • Expositionstherapie
    • Werden angstauslösende Stimuli in hohem Maße vermieden, ist die Durchführung einer Expositionstherapie sinnvoll.
    • Gezielte Exposition gegenüber Angststimuli ist oft Bestandteil der KVT von Panikstörungen.
    • Die Wirksamkeit von Virtuelle-Realität-Expositionstherapien ist unzureichend belegt (Stand September 2021). Diese sollten daher nicht angeboten werden.
  • Entspannung und Mindfulness
    • Gezielte Übungen der Entspannung und Mindfulness („Achtsamkeit“) sind in neuere Formen der KVT integriert.
    • Studien zu Entspannungsverfahren (z. B. autogenes Training oder progressive Muskelrelaxation) allein in der Behandlung von Panikstörungen kamen zu widersprüchlichen Ergebnissen.
  • Psychodynamische Therapie
    • Sollte angeboten werden, wenn sich eine KVT nicht als wirksam erwiesen hat, nicht verfügbar ist oder wenn eine diesbezügliche Präferenz der betroffenen Person nach entsprechender Aufklärung besteht.
    • Die wenigen Studien, die es zur Behandlung von Menschen mit Panikstörungen gibt, lassen keine abschließende Beurteilung der Wirksamkeit zu.
  • Medikamentöse Therapie
    • Ist wirksam bei Panikattacken, die Rezidivraten nach dem Absetzen sind jedoch hoch (Ia).
    • SSRI, SNRI und TZA sind in Bezug auf die Wirksamkeit als gleichwertig einzustufen.
    • Zu MAO-Hemmern liegen keine ausreichenden Daten vor.
    • Die medikamentöse Therapie sollte nach Möglichkeit mit Psychotherapie kombiniert werden.

Psychotherapie

  • Voraussetzung für den Behandlungserfolg ist die Entwicklung einer tragfähigen therapeutischen Beziehung.
  • Psychotherapie setzt auf Seite der Betroffenen einen wesentlichen Anteil von Eigeninitiative voraus.
  • Es ist im Rahmen der Gespräche mit einer Psychotherapeutin/einem Psychotherapeuten auch möglich, zunächst einige kognitive Strategien zu erlernen.
    • Nicht immer ist eine länger dauernde Psychotherapie notwendig.
    • Die Therapiedauer sollte entsprechend der Krankheitsschwere, Komorbidität und der psychosozialen Rahmenbedingungen individuell geplant werden.

Kognitive Verhaltenstherapie

  • Soll bei agoraphobischem Vermeidungsverhalten Expositionselemente enthalten.
    • einschließlich Expositionsübungen in therapeutischer Begleitung
  • Als Gruppen- oder Einzeltherapie
    • Wenn sie als Einzeltherapie nicht zur Verfügung steht, sollte sie als Gruppentherapie angeboten werden.
  • Elemente der kognitiven Verhaltenstherapie bei Panikstörungen
    • Psychoedukation
      • Informationsvermittlung über das Störungsbild
      • Häufig auftretende Sorgen und körperliche Ausdrucksformen der Angst werden besprochen.
      • geeignete Selbsthilfematerialien
    • interozeptive Exposition
      • Provokation von Körpersymptomen im Rahmen der Therapiesitzung, z. B. durch Hyperventilation, Luft anhalten, sich auf einem Drehstuhl schnell um die eigene Achse drehen.
    • Abbau von Absicherungsverhalten
      • Zum Beispiel Abstand nehmen von weiteren EKG bei unauffälligen Voruntersuchungen.
    • Rückfallprophylaxe
      • Einüben von Kognitionen, mit denen zukünftigen Panikattacken begegnet werden soll.
  • Elemente der kognitiven Verhaltenstherapie bei Agoraphobie
    • kognitive Vorbereitung
      • Sollte vor Exposition erfolgen, um Überforderung und Therapieabbruch zu vermeiden.
      • Störungsmodell erarbeiten.
      • Die betroffene Person lernt, die befürchteten von den realistischen Verläufen der Angst angesichts der auslösenden Situationen zu unterscheiden.
      • Informationen zur Wirkungsweise und Wirksamkeit der Behandlung
      • Es wird ausführlich besprochen, was die Exposition der betroffenen Person abverlangt.
    • Exposition
      • In-vivo-Exposition, z. B. zur Stoßzeit U-Bahn fahren.
      • Flooding: Lang, oft über mehrere Stunden anhaltende Exposition gegenüber einer von Anfang an sehr angstbesetzten Situation.
      • gestufte In-vivo-Exposition: Beginn mit nur wenig angstbesetzten Situationen, danach langsame Steigerung der Intensität
      • Verzicht auf Vermeidungsverhalten
      • Imaginative Konfrontation: Die betroffene Person stellt sich die angstauslösende Situation vor. Kommt Angst auf, wird die Imagination abgebrochen und ein Entspannungsverfahren angewandt.
    • Rückfallprophylaxe
      • Die betroffene Person macht sich darauf gefasst, dass Panikattacken auch nach erfolgreicher Expositionstherapie auftreten können, wenn auch mit verminderter Angstreaktion.

Psychodynamische Psychotherapie

  • Folgende psychodynamische Verfahren sind Bestandteil des GKV-Leistungskatalogs:
    • analytische Psychotherapie
      • 2–3 Sitzungen pro Woche, bis zu 3 Jahre Gesamtdauer
      • Bearbeitung aktueller Konfliktthemen
      • Überwindung neurotischer Objekt- und Selbstrepräsentanzen
      • Bearbeitung dysfunktionaler Überzeugungen
      • Entwicklung von Strategien zur Problemlösung und Affektregulierung
    • tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie
      • 1 Sitzung pro Woche, Gesamtdauer bis zu 2 Jahren
      • fokussierte Bearbeitung von aktuellen interpersonellen Konflikten und ihrer Symptombildung
    • Fokaltherapie (Kurztherapie)
      • Behandlung wird stark auf die Bearbeitung eines Fokus begrenzt.
    • psychodynamische Gruppentherapie
      • psychoanalytisch-interaktionell: Interaktionen der Gruppenteilnehmer*innen im Fokus
      • Tiefenpsychologisch fundiert: Lernen, Beziehungen trotz Beziehungskonflikten zu sichern.
      • Analytisch: Bezieht gesamte Psychodynamik ein, wie unbewusste infantile Phantasien in einem Prozess wechselnder Regressionstiefe.
  • Elemente der psychodynamischen Psychotherapie bei Panikstörungen
    • Unbewusste Bedeutung der Paniksymptome erkunden.
    • Individuelle Konflikte der behandelten Person und die damit verbundenen Angstquellen aufdecken.
    • Vulnerabilität für die Entwicklung einer Panikstörung, z. B. aufgrund aktueller oder früherer Beziehungskonflikte, bearbeiten.
    • Probleme mit Trennung und Unabhängigkeit thematisieren.

Medikamentöse Therapie

  • In vielen Fällen ist keine medikamentöse Therapie notwendig.

Antidepressiva

  • Bei Personen mit häufigen oder schweren Angstanfällen oder mit begleitenden Depressionen ist die Wirksamkeit der Antidepressivaklassen SSRI, SNRI und TZA hinreichend dokumentiert (Ia).
  • Aufgrund ihres Sicherheitsprofils sind SSRI oder der SNRI Venlafaxin zu bevorzugen (Ia/A).
  • Zu empfehlen sind dabei folgende Wirkstoffe (Ia/A):
    • Citalopram 20–40 mg: Mit einer Dosierung von 10 mg beginnen, nach 1 Woche Erhöhung auf 20 mg, die durchschnittliche Dosis liegt im Bereich von 20–30 mg tgl.
    • Escitalopram 10–20 mg: Mit einer Dosierung von 5 mg beginnen, nach 1 Woche Erhöhung auf 10 mg.
    • Paroxetin 20–50 mg: Mit einer Dosierung von 20 mg beginnen. Allmähliche Steigerung in 10-mg-Schritten.
    • Sertralin 50–150 mg: 25 mg tgl. in der ersten Woche, dann auf 50 mg tgl. erhöhen; bei mangelnder Wirksamkeit evtl. Dosis weiter steigern.
    • Venlafaxin 75–225 mg: Anfangsdosis 2 x 37,5 mg/Tag, ggf. Dosiserhöhungen im Abstand von ≥ 2 Wochen. Falls eine schnellere Dosissteigerung aufgrund einer schweren Symptomatik erforderlich ist, sollten die Abstände mindestens 4 Tage betragen.
  • Wenn diese Medikamente nicht wirksam waren oder nicht vertragen wurden, sollte das TZA Clomipramin angeboten werden (Ia/B).
    • Clomipramin 75–225 mg: Behandlungsbeginn mit 75 mg, ggf. auch mit 37,5 mg; abhängig von der Verträglichkeit und innerhalb von mindestens 1 Woche ggf. weitere Steigerung auf 150 mg
    • Bei älteren Betroffenen sollten TZA wegen des erhöhten Risikos für klassenspezifische Nebenwirkungen, z. B. anticholinerge und kardiovaskuläre Effekte, und für Arzneimittelinteraktionen mit Vorsicht verordnet werden. Weitere Informationen zur Antidepressivaverordnung bei älteren Menschen im Artikel Depression im Alter.
  • Patientinnen im konzeptionsfähigen Alter sollen über mögliche Risiken durch bestimmte Medikamente in Schwangerschaft und Stillzeit hingewiesen werden.
  • Rezidivprophylaxe: Therapie nach Möglichkeit für mindestens 1 Jahr nach Remission fortsetzen.9

Nicht empfohlene Medikamente

  • Benzodiazepine
    • Sie sind aufgrund des Abhängigkeitsrisikos und wegen möglicher Nebenwirkungen wie Schläfrigkeit und Konzentrationsstörungen nicht zu empfehlen.
    • In Kombination mit Antidepressiva können sie kurzzeitig ein schnelleres Ansprechen auf die Therapie als Antidepressiva allein bewirken.
    • In Ausnahmefällen (z. B. schwere kardiale Erkrankungen, Kontraindikationen für Standardmedikamente, palliative Situation, Suizidalität) können Benzodiazepine unter sorgfältiger Risiko-Nutzen-Abwägung zeitlich befristet angewendet werden.
      • Die Behandlung sollte in der Regel nur für wenige Wochen durchgeführt werden.
      • Nach längerer Behandlung sollten Benzodiazepine sehr langsam (ggf. über mehrere Wochen) ausgeschlichen werden.
      • Dosierungsbeispiel: Lorazepam 1–2,5 mg im akuten Angstanfall
      • nicht mehr als eine N1-Verordnung oder einzelne Tabletten
      • Begrenzte Verschreibungsdauer zu Beginn kommunizieren.
      • Rezepte persönlich aushändigen.
  • Buspiron 
    • ein 5 HT1A-Agonist
    • bei Panikstörung nicht wirksamer als Placebo und weniger wirksam als das TZA Imipramin
  • Moclobemid
    • reversibler MAO-Hemmer (RIMA)
    • inkonsistente Ergebnisse zur Wirksamkeit bei Panikstörung
    • in Deutschland für diese Indikation nicht zugelassen
  • Cannabinoide
    • Eine von der BKK Mobil Oil unterstützte, an der Universität Bremen erarbeitete Expertise (Neufassung März 2021) kommt nach umfassender Sichtung der Datenlage zur Einschätzung, dass Angststörungen unter die „möglichen Indikationen“ für den therapeutischen Einsatz von Cannabinoiden fallen.10
    • Diese Einschätzung stützt sich auf:
      • Studien an Schmerzpatient*innen, bei denen Angstsymptome unter den Cannabis-Präparaten Dronabinol, Nabilon oder Nabiximols (Näheres siehe Artikel Cannabinoid-haltige Arzneimittel) zurückgingen.11 
      • Eine kleine Studie, an der 24 von sozialer Phobie Betroffene teilnahmen. Diese erhielten randomisiert entweder Cannabidiol (CBD, Näheres siehe Artikel Cannabinoid-haltige Arzneimittel) oder Placebo. Im daraufhin durchgeführten Provokationstest, bei dem die Patient*innen eine Rede halten mussten, zeigten die mit CBD Behandelten niedrigere Angstwerte als die der Placebogruppe.12Der potenzielle therapeutische Nutzen von Cannabinoiden bei Panikstörungen ist jedoch weiterhin unklar.
    • CBD ist im Vergleich zu den infrage kommenden Antidepressiva besser verträglich und mit einem niedrigeren Risiko für Arzneimittelinteraktionen assoziiert. Ob das bei ausgewählten Personen einen Behandlungsversuch mit CBD rechtfertigt, ist kontrovers.10
  • Weitere Medikamente mit unzureichenden oder inkonsistenten Wirksamkeitsdaten (Stand September 2021)1
    • Reboxetin (Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer, NaRI)
    • Mirtazapin (Noradrenerges und spezifisch serotonerges Antidepressivum, NaSSA)
    • Antikonvulsiva (Valproat, Gabapentin)
    • Inositol (intrazellulärer Second-Messenger-Präkursor)
    • Bupropion (Noradrenalin-Dopamin-Wiederaufnahmehemmer, NDRI).
  • Die Pharmakotherapie soll nach Eintreten der Remission noch 6–12 Monate fortgeführt werden.
  • Die Dauer kann verlängert werden:
    • Wenn die Symptomatik nach einem Absetzversuch wieder auftritt.
    • bei besonders schwerem Krankheitsverlauf
    • Bei anamnestischen Hinweisen, dass eine lange Behandlung notwendig ist.
    • In der selben Dosierung, wie sie in der Akuttherapie erfolgreich war.

Weitere Therapien

Ausdauertraining

  • Es gibt vorläufige Hinweise darauf, dass Ausdauertraining bei Panikstörungen wirksam sein könnte. Das bedarf der Überprüfung in weiteren Studien.
  • Es ist Expertenkonsens, dass Ausdauertraining, z. B. 3-mal pro Woche 5 km Joggen, als Ergänzung zu anderen Standardtherapien empfohlen werden kann.

Symptomtagebuch

  • Viele Betroffene profitieren von einem Symptomtagebuch, was in einigen Fällen dazu beitragen kann, dass der Umgang mit den Panikattacken leichter fällt.
  • Im Rahmen der Psychotherapie kann es dazu dienen, den zeitlichen Verlauf von auslösenden Situationen und den Angstreaktionen der betroffenen Person näher zu explorieren.

Praktische Ratschläge zum Verhalten bei einer Panikattacke

  • Ggf. in eine Tüte atmen bei Hyperventilation.
  • Sich an die im Rahmen der KVT erlernten Kognitionen erinnern.
  • Entspannungstechniken anwenden.

Nichttherapeutenbasierte verhaltenstherapeutische Interventionen

  • Dazu zählt z. B. die Selbstbehandlung mithilfe von Büchern (Bibliotherapie), Audiomedien, computer- oder intergestützte KVT-Varianten.
  • Die Wirksamkeit solcher Verfahren ist unzureichend belegt.1,13
  • In Deutschland dürfen solche Verfahren ohne den Kontakt zu Therapeut*innen nicht angeboten werden.
  • KVT-basierte Internetinterventionen können aber zur Überbrückung bis zum Therapiebeginn oder therapiebegleitend als Anleitung zur Selbsthilfe dienen.1

Alternative Medizin

  • Für die meisten Methoden der alternativen Medizin mangelt es an Nachweisen für die Wirksamkeit bei Angstzuständen (Ia).
  • Es gibt einige Hinweise darauf, dass Akupunktur, Massage (nur bei Kindern), Tanz- und Bewegungstherapie, Meditation und Musiktherapie sinnvoll sein können.
  • Für pflanzliche Arzneimittel (zu Cannabinoiden s. o.) und die Homöopathie fehlt der Wirksamkeitsnachweis.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet basiert der gesamte Abschnitt auf diesen Referenzen.1,6

Verlauf

  • Die Intensität der Symptome kann erheblich variieren. So kommen Perioden ohne Panikattacken oder mit leichteren Attacken und nur wenigen Symptomen vor.
  • Bei ca. 20 % der Betroffenen verläuft die Erkrankung chronisch.

Komplikationen

  • Es besteht ein erhöhtes Risiko für Alkohol- und/oder Medikamentenmissbrauch, um die Angst zu bewältigen; dies verschlimmert schließlich den Zustand.
    • In welcher Reihenfolge die Elemente der qualifizierten Entzugsbehandlung und der Behandlung der Panikstörung erfolgen sollten, und welche Medikamente dabei zur Prävention von Entzugssymptomen eingesetzt werden können, ist kontrovers. Die verstärkten Angstsymptome im Rahmen der Ausnüchterung, dem „Tag danach“, sind ein weiterer Grund, die Entgiftung im Rahmen einer qualifizierten Entzugsbehandlung an einem geeigneten Zentrum durchzuführen.
  • Das Suizidrisiko ist erhöht, besonders bei Betroffenen, die an Depressionen leiden.

Prognose

  • Mit Psychotherapie ist die Prognose relativ gut, mit wenigen Rezidiven.
    • Ein Therapieeffekt ist nach 4–8 Wochen zu erwarten, ein vollständiges Ansprechen häufig nach 8–12 Wochen. Bleibt nach 6–8 Wochen die Wirkung aus, ist eine Neubewertung der Diagnose und eine Therapieänderung zu empfehlen.
    • Rund 3/4 der Behandelten sind nach 3–4 Monaten frei von Panikattacken und knapp die Hälfte bleibt auch die folgenden 2 Jahre symptomfrei.
  • Mit medikamentöser Therapie ist das Ergebnis ebenfalls gut, die Rezidivrate nach Beendigung der Therapie ist jedoch hoch, selbst wenn sie langfristig durchgeführt wurde.
  • Bei gleichzeitigen schweren Depressionen, Agoraphobie und Persönlichkeitsstörungen ist das Risiko für eine Chronifizierung von Panikattacken und Angstsymptomen hoch.
  • Suizid
    • Bis zu 1/5 der von Panikstörung Betroffenen verüben mindestens einmal einen Suizidversuch (die meisten nach der ersten Panikattacke).
    • Obwohl die meisten dieser Suizidversuche mit „weichen“ Methoden durchgeführt werden und nicht zum Tod führen, ist das Risiko für suizidales Verhalten bei Menschen mit Panikstörung ähnlich ausgeprägt wie bei anderen schweren psychischen Störungen. Die Lebenserwartung dieser Personen ist verglichen mit der Normalbevölkerung leicht reduziert.

Verlaufskontrolle

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet basiert der gesamte Abschnitt auf diesen Referenzen.1,6
  • Die meisten von einer Panikstörung Betroffenen können hausärztlich weiterbehandelt werden, benötigen jedoch regelmäßige Konsultationen, um sich sicher zu fühlen.
  • Einige Betroffene benötigen phasenweise eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.
    • Um die Rehabilitation nicht zu gefährden, sollten längere AU-Zeiten vermieden werden.
    • Ggf. ist aber eine stationäre oder teilstationäre Psychotherapie mit anschließenden Rehabilitations- und Wiedereingliederungsmaßnahmen angezeigt (siehe auch Abschnitt Indikationen zur Überweisung/Klinikeinweisung).
  • Rezidiv
    • Etwa 1/3 aller von einer Panikstörung Betroffenen erlebt innerhalb von 2 Jahren nach Therapieende ein Rezidiv.
      • Die Rezidivrate nach einer abgeschlossenen Psychotherapie scheint niedriger zu sein als nach einer alleinigen medikamentösen Behandlung.
    • Für die Betroffenen ist entscheidend, nicht in alte Gewohnheiten wie Vermeidungsverhalten und Katastrophen-Denken zurückzufallen.
    • Bei Bedarf sollten sie rechtzeitig wieder therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen. Möglicherweise ist eine Art „Auffrischung“ der Therapieinhalte und evtl. eine medikamentöse Therapie angemessen.
    • Nach 2 oder mehr Rezidiven ist möglicherweise eine langfristige medikamentöse Therapie indiziert.

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Weitere Informationen

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM). Behandlung von Angststörungen. AWMF-Leitlinie Nr. 051-028. S3, Stand 2021. www.awmf.org

Literatur

  1. Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM). Behandlung von Angststörungen. AWMF-Leitlinie Nr. 051-028. S3, Stand 2021 www.awmf.org
  2. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI): ICD-10-GM Version 2021. Stand 18.09.2020 www.dimdi.de
  3. Jacobi F, Hofler M, Strehle J, et al. Psychische Störungen in der Allgemeinbevölkerung Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland und ihr Zusatzmodul Psychische Gesundheit (DEGS1-MH). Nervenarzt 2014;85(1): 77-87. link.springer.com
  4. Olaya B, Moneta MV, Miret M, Ayuso-Mateos JL, Haro JM. Epidemiology of panic attacks, panic disorder and the moderating role of age: Results from a population-based study. J Affect Disord 2018; 241: 627-633. PMID: 30172214 PubMed
  5. Volkert J, Schulz H, Härter M, Wlodarczyk O, Andreas S. The prevalence of mental disorders in older people in Western countries - a meta-analysis. Ageing Res Rev 2013; 12: 339-53. PMID: 23000171 PubMed
  6. Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Hausärztliche Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Angst. DEGAM-Praxisempfehlung, Stand 10/2016. www.degam.de
  7. Herr NR, Williams JW Jr, Benjamin S, et al. Does this patient have generalized anxiety or panic disorder?: The Rational Clinical Examination systematic review. JAMA. 2014;312(1):78-84. doi: 10.1001/jama.2014.5950 DOI
  8. Imai H, Tajika A, Chen P, Pompoli A, Furukawa TA. Psychological therapies versus pharmacological interventions for panic disorder with or without agoraphobia in adults. Cochrane Database of Systematic Reviews 2016; Issue 10. Art: No.: CD011170. www.ncbi.nlm.nih.gov
  9. Batelaan NM, Bosman RC, Muntingh A et al. Risk of relapse after antidepressant discontinuation in anxietydisorders, obsessive-compulsive disorder, and post-traumatic stress disorder: systematic review and meta-analysis of relapse prevention trials. BMJ 2017; 358: 3927 PMID: 28903922 PubMed
  10. Glaeske G, Muth L (Hrsg.): Cannabis-Report 2020. Bremen 2021. www.socium.uni-bremen.de
  11. Whiting PF, Wolff RF, Deshpande S et al. Cannabinoids for medical use: A systematic review and meta-analysis. JAMA 2015; 313: 2456–73. PMID: 26103030 PubMed
  12. Bergamaschi MM, Queiroz RHC, Chagas MHN et al. Cannabidiol reduces the anxiety induced by simulated public speaking in treatment-nave social phobia patients. Neuropsychopharmacology 2011; 36: 1219–26. PMID: 21307846 PubMed
  13. Olthuis JV, Watt MC, Bailey K, Hayden JA, Stewart SH. Therapist-supported Internet cognitive behavioural therapy for anxiety disorders in adults. Cochrane Database of Systematic Reviews 2016; Issue 3. Art: No.: CD011565. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov

Autor*innen

  • Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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