Gelenkschmerzen, Steifigkeit oder Schwellung in mehreren Gelenken (Polyarthropathie)

Red Flags und abwendbar gefährliche Verläufe1-2

Red Flags

Abwendbar gefährlicher Verlauf

Fieber > 38,5 °C, Schüttelfrost, ggf. akuter Verwirrtheitszustand

Z. n. Gelenkpunktionen, Operationen (oft am Knie), operativer Gelenkersatz (Hüfte und Knie)

septische Arthritis

Trauma mit

  • neurologischem Defizit
  • Fehlstellung (inkl. Fraktur)
  • deformiertem Gelenk
  • insuffizienter Durchblutung (kalt, blass)
  • Gerinnungsstörung

Fraktur, Hämarthros, Gefäßverletzung, Nervenschädigung oder Nervenkompression

Entzündungszeichen:

  • Schmerzen
  • Rötung
  • Schwellung
  • Überwärmung
  • funktionelle Einschränkung

septische Arthritis, Osteomyelitis, Tumor, Polymyalgia rheumatica/Arteriitis temporalis (Schultergürtel, Beckenbereich, oft mit Fieber)

Bewegungseinschränkung, blockiertes Gelenk

Hämarthros, Hydrops, Osteochondrosis dissecans

Intravenöser Drogenabusus

septische Arthritis

Hämophilie

Hämarthros

Allgemeine Informationen

Definition

  • Schmerzen in 2–4 (Oligoarthropathie) oder ≥ 5 (Polyarthropathie) Gelenken3
  • Arthropathie: Gelenkerkrankung (Überbegriff)
  • Arthralgie: Gelenkschmerz
  • Arthritis: Gelenkentzündung

Häufigkeit

  • Beschwerden in mehreren Gelenken sind bei jungen Patient*innen selten, jedoch bei fortgeschrittenem Patientenalter ein häufiger Konsultationsgrund und meistens durch Arthrose hervorgerufen.

ICPC-2

  • L20 Gelenksymptomatik/-beschwerden NNB

ICD-10

  • M05‒M14 Entzündliche Polyarthropathien
  • M25.50 Gelenkschmerz: Mehrere Lokalisationen

Diagnostik

Diagnostische Überlegungen

  • Zur Eingrenzung der Differenzialdiagnosen Einteilung in:
    • akute vs. chronische sowie
    • entzündliche (= Arthritis) vs. nichtentzündliche Ursachen4
    • Überschneidungen sind hierbei möglich (siehe Abschnitt Differenzialdiagnosen).
  • Abgrenzung der selbstlimitierenden Erkrankungen von potenziell mutilierenden oder lebensbedrohlichen Erkrankungen stellt die differenzialdiagnostische Schwierigkeit dar.
    • Gerade bei jungen Patient*innen ist eine Polyarthropathie ungewöhnlich, und es sollte gewissenhaft nach dem Auslöser gesucht werden.
  • Die Differenzialdiagnostik sollte vor allem auf der Anamnese und der klinischen Untersuchung beruhen.4
    • Unbedachter „Screening-Einsatz“ von Laboruntersuchungen kann aufgrund von unspezifischen Laborparametern zu Fehldiagnosen führen.
    • Laboruntersuchungen sollten nur zur Bestätigung bzw. Ausschluss von klinischen Verdachtsdiagnosen genutzt werden.

Differenzialdiagnosen

  • Differenzialdiagnosen gemäß der nachfolgenden Referenz4

Akute Polyarthropathie

Chronische entzündliche Polyarthropathie

Chronische nichtentzündliche Polyarthropathie

  • Arthrose
  • Hämochromatose
  • Ochronose
    • Ablagerung von Homogentisinsäure-Polymeren im Gewebe, u. a. Haut und Knorpel
  • Amyloidose
  • Speicherkrankheiten
    • selten, aber insbesondere bei Kindern relevant

Anamnese

  • Beginn und Dauer der Gelenkschmerzen
    • akuter Beginn vs.
    • schleichender Beginn mit Schmerzen über Wochen bis Monate
  • Trauma? 
    • Auch bei lange vergangenem Trauma ist dieser Hinweis relevant in Bezug auf eine posttraumatische Arthrose, z. B. bei Kniegelenksdistorsion mit Bänderverletzung vor vielen Jahren.
  • Infekt/infektiöse Erkrankung in den letzten Wochen?
    • gastrointestinale oder urologische Beschwerden in der Vorgeschichte Anhalt für reaktive Arthritis
    • Infekt der oberen Atemwege als Hinweis auf postinfektiöse virale Arthralgien
  • Wann treten die Schmerzen auf?
    • Nacht- und Ruheschmerz als Hinweis auf entzündliche Genese
    • Anlaufschmerz bei Arthrose
    • Morgensteifigkeit und Schmerzen bei rheumatischen Erkrankungen
    • rezidivierende Episoden nach Alkohol- und Fleischgenuss z. B. Anhalt für Gicht
  • Betroffene Gelenke?
    • symmetrischer Befall der peripheren kleinen Gelenke Anhalt für rheumatische Erkrankung
    • Großzehe + große Gelenke Hinweis auf Gicht
    • wandernder Befall u. a. bei Gonokokken-Arthritis
  • Allgemeinsymptome?
  • Extraartikuläre Manifestationen
    • Hautveränderungen bei Psoriasisarthritis
    • gastrointestinale Beschwerden bei enteropathischen Arthropathien
  • Bekannte Grunderkrankungen?
  • Familienanamnese
  • Sexualanamnese
    • Sexuell übertragbare Erreger wie Chlamydien oder Gonokokken können rezidivierende Gelenkergüsse verursachen.
  • Reiseanamnese
    • Chronische Polyarthritiden sind durch exotische Erreger möglich, z. B. Chikungunya-Virusinfektion bei (Sub)Tropenreise.5
      • Chikungunya ins Deutsche übersetzt „gekrümmt Gehende*r“
    • Aufenthalt in Risikogebieten für Zecken als Anhalt für Lyme-Borreliose

Klinische Untersuchung

Allgemeines

  • Allgemeiner Gesundheitszustand
    • Anzeichen für Systemerkrankung bei Fieber, Abgeschlagenheit, Gewichtsverlust
  • Haut, Schleimhaut und Nägel
  • Allgemeine Gelenkuntersuchung
    • Betroffene Gelenke?
      • Periphere kleine Gelenke oder zentrale große Gelenke?
      • Symmetrischer Befall?
    • Geschwollen/verdickt, aber keine Entzündungszeichen?
      • Anhalt für chronische Arthropathie
      • z. B. Heberden-Knoten bei Fingerpolyarthrose
    • Gerötet, überwärmt, stark schmerzhaft?
      • Anhalt für akute Arthritis
    • Fehlstellungen der Gelenke als Hinweis auf chronische Arthropathie
    • Bewegungsumfang des Gelenks
    • Krepitationen
      • Anhalt für Knorpelschaden bei Arthrose

Ergänzende Untersuchungen

In der Hausarztpraxis

  • Nur bei Verdacht auf eine spezifische Erkrankung sollte eine entsprechende Labordiagnostik eingeleitet werden.
  • Nur bei diagnostischer Unsicherheit sollten zur Absicherung der Diagnose die Anti-CCP bestimmt werden.
  • Bei eindeutiger Konstellation bei den Kriterien der ACR/EULAR kann sogar ohne Laborwerte die Diagnose einer rheumatoiden Arthritis gestellt werden.
  • Angewendet werden sollte es bei Patient*innen:
    • mit mindestens einem geschwollenen Gelenk
    • bei denen die Gelenkschwellung nicht durch andere Ursachen erklärt sind.
  • Für die Diagnose RA müssen mindestens 6 Punkte vorliegen.

Bei Spezialist*innen

Maßnahmen und Empfehlungen

Indikationen zur Überweisung/Klinikeinweisung

  • Bei Polyarthropathie unklarer Genese und/oder fehlendem Ansprechen auf analgetische und antiphlogistische Therapie Überweisung an Spezialist*in
  • Bei „Red Flags“ Einweisung ins Krankenhaus

Therapie

Allgemeines zur Therapie

  • Bei fehlenden „Red Flags“ und keinem Anhalt auf eine Systemerkrankung kann eine probatorische analgetische und antiphlogistische Therapie mit NSAR erwogen werden.
    • z. B. Ibuprofen 600 mg 1–0–1 für 3–7 Tage
  • Nach Möglichkeit sollte die Ursache der Polyarthropathie herausgefunden und zielgerichtet behandelt werden.

Video

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Literatur

  1. Schaufelberger M, Meer A, Furger P, Derkx H et al.. Red Flags - Expertenkonsens - Alarmsymptome der Medizin. Neuhausen am Rheinfall, Schweiz: Editions D&F, 2018.
  2. Fleischmann T. Fälle Klinische Notfallmedizin - Die 100 wichtigsten Diagnosen. München, Deutschland: Elsevier, 2018.
  3. Richie AM, Francis ML. Diagnostic approach to polyarticular joint pain. Am Fam Physician 2003; 68: 1151-60. PubMed
  4. Baer AN. The Approach to the Painful Joint. Medscape, last updated May 10, 2021. emedicine.medscape.com
  5. Trawinski H, Krasselt M, Lübbert C. Chronische Chikungunya-Arthritis. Zeitschrift für Rheumatologie 2020; 79: 470-74. link.springer.com

Autor*innen

  • Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Allgemeinmedizin, Frankfurt
  • Günther Egidi, Dr. med., Arzt für Allgemeinmedizin, Bremen (Review)
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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