Epiphysenlösung (Hüftkopflösung)

Die Epiphysenlösung des Hüftkopfs gehört bei Jugendlichen in der Pubertät zwar zu den häufigsten Erkrankungen des Hüftgelenks, tritt grundsätzlich aber relativ selten auf.

Was ist eine Epiphysenlösung?

In den Röhrenknochen von Beinen und Armen befinden sich Wachstumszonen, in denen das Längenwachstum der Knochen stattfindet. Der medizinische Fachbegriff dieser Wachstumszonen lautet Epiphysenfugen. Diese Zonen liegen kurz vor dem Endstück der Röhrenknochen und damit in der Nähe der Gelenke. Der Teil des Knochens, der sich zwischen Gelenk und Epiphysenfuge befindet, wird als Epiphyse bezeichnet. Im Hüftgelenk befindet sich eine Wachstumsfuge zwischen Hüftkopf und Schenkelhals. In diesem Bereich kann während der Pubertät die sog. Epiphysen- oder Hüftkopflösung auftreten. Dabei kommt es infolge einer Schwächung der Wachstumsfuge zum Abgleiten des Hüftkopfes (also der Epiphyse des Oberschenkelknochens) nach hinten und unten. Im Prinzip ähnelt dies einer Eiskugel, die von der Waffel rutscht. Der Hüftkopf bleibt dabei in der Gelenkpfanne. Um keine bleibenden Hüftbeschwerden zu riskieren, sollte eine Hüftkopflösung unverzüglich behandelt werden.

Die Hüftkopflösung gehört bei Jugendlichen in der Pubertät zwar zu den häufigsten Erkrankungen des Hüftgelenks, kommt grundsätzlich aber relativ selten vor. Die Erkrankung tritt bei etwa 2–10 von 100.000 Kindern pro Jahr auf. Jungen sind 2- bis 3-mal häufiger betroffen als Mädchen. Bei Jungen tritt die Hüftkopflösung meist im Alter von 8–16 Jahren auf, bei Mädchen im Alter von 9–14 Jahren. In 1 von 4 Fällen sind beide Hüftgelenke betroffen. Wenn nur ein Hüftgelenk betroffen ist, tritt die Erkrankung mit einer Wahrscheinlichkeit von 20–80 % zu einem späteren Zeitpunkt auch auf der anderen Seite auf. Bei übergewichtigen Kindern ist das Risiko einer Hüftkopflösung erhöht.

Ursache

Die Ursache der Erkrankung ist nicht abschließend geklärt. Bei bestimmten Faktoren ist jedoch davon auszugehen, dass sie eine Rolle spielen. Ein solcher Risikofaktor ist Übergewicht, da ein hohes Gewicht auch eine erhöhte mechanische Belastung der Wachstumsfuge mit sich bringt. Manchmal spielt auch die Erbanlage eine Rolle: In 5–10 % aller Fälle tritt die Erkrankung auch bei Verwandten auf.

In seltenen Fällen tritt die Erkrankung bei Kindern unter 10 Jahren auf: Hier kann die Ursache in einer Störung des Hormonhaushalts liegen. Bei diesen Kindern sind häufig beide Hüftgelenke betroffen.

Symptome

Meistens erstreckt sich der Krankheitsverlauf mit schrittweiser Verschlechterung über mehrere Wochen oder Monate. Ein anfänglich wahrgenommenes Unwohlsein geht nach und nach in Schmerzen über. In manchen Fällen treten die Schmerzen aber auch plötzlich auf. Der Ort der Schmerzempfindung kann leicht variieren, aber in der Regel klagen die Patienten über Schmerzen in der Hüfte, an der Innenseite der Oberschenkel und/oder im Knie. Manche Patienten berichten nur von Knieschmerzen: Hier ist es besonders wichtig, auch eine mögliche Erkrankung der Hüfte in Erwägung zu ziehen. Bei Kindern und Jugendlichen mit Knieschmerzen sollte grundsätzlich auch das Hüftgelenk ärztlich untersucht werden. Die Schmerzen nehmen unter Belastung zu. Im weiteren Verlauf beginnen die Patienten zu hinken, und die Beweglichkeit des Hüftgelenks lässt nach.

Diagnostik

Im frühen Stadium kann die Erkrankung leicht übersehen werden. Daher ist es wichtig, dass Ärzte und ggf. auch Eltern die Erkrankung in Erwägung ziehen, wenn Kinder oder Jugendliche in den relevanten Altersgruppen über Schmerzen in Hüfte, Leiste, Oberschenkel oder Knie klagen.

Bei der ärztlichen Untersuchung wird häufig festgestellt, dass ein oder beide Beine spontan leicht nach außen weisen. Das betroffene Bein kann etwas kürzer sein als das gesunde. Ein Test der Innenrotation des Hüftgelenks ergibt häufig, dass diese nur eingeschränkt möglich ist. Auch lässt sich das Hüftgelenk häufig nur bedingt beugen und zur Seite abspreizen. Beim Gehen ist häufig ein Hinken zu beobachten.

Solange das Bein beim Gehen mit oder ohne Unterarmgehstützen belastet werden kann, gilt der Zustand als stabil. Wenn die Schmerzen so stark sind, dass ein Gehen nicht möglich ist, gilt der Zustand als instabil. In rund 90 % der Fälle handelt es sich um die stabile Verlaufsform, die mit einer günstigeren Prognose einhergeht.

Zur Sicherung der Diagnose wird eine Röntgenuntersuchung beider Hüftgelenke durchgeführt. In der Röntgenaufnahme ist zu sehen, dass der Hüftkopf im Verhältnis zum Oberschenkelhals verschoben liegt.

Therapie

Das Ziel der Therapie besteht zunächst darin, ein weiteres Abgleiten des Hüftkopfes (der in diesem Fall die Epiphyse darstellt) zu stoppen und Komplikationen zu verhindern.

Dies geschieht durch eine Operation, bei der Hüftkopf und Oberschenkelknochen mit einem Drahtstift bzw. einer Zugschraube wieder miteinander verbunden werden. Diese Operation wird in der Regel über einen minimalinvasiven Schnitt seitlich an der Hüfte durchgeführt. Da ein hohes Risiko besteht, dass es auch an der anderen Seite zu einer Hüftkopflösung kommt, wird der Eingriff häufig auch am (noch) nicht betroffenen Hüftgelenk vorgenommen. Manchmal sind zur Fixierung mehrere Drähte bzw. Zugschrauben erforderlich. Vor und nach dem Eingriff ist die Hüfte mithilfe von Unterarmgehstützen zu entlasten. Um das Risiko von Komplikationen zu minimieren, sollten die Unterarmgehstützen 6 Wochen lang benutzt und Belastungen der Hüfte vermieden werden. Schmerzen können ggf. mit Schmerzmitteln (NSAR) gelindert werden.

Nach 6 Wochen kann das Bein in der Regel wieder voll belastet werden. Wann Patienten ihre sportlichen Aktivitäten wieder aufnehmen können, ist im Einzelfall von den behandelnden Orthopäden zu beurteilen. Bei einer leichten oder mittelschweren Hüftkopflösung können die meisten Kinder und Jugendlichen jedoch nach 3 Monaten wieder am Schulsport teilnehmen.

Zur Kontrolle werden regelmäßige Röntgenuntersuchungen empfohlen.

Prognose

Wenn die Diagnose gestellt wird, bevor der Hüftkopf zu weit abgerutscht ist, ist die Prognose günstig. In diesem Fall kann praktisch der Normalzustand des Hüftgelenks wiederhergestellt werden, sodass voraussichtlich nicht mit Spätfolgen zu rechnen ist. Wenn der Hüftkopf bereits zu weit abgerutscht ist oder die Erkrankung einen instabilen Verlauf zeigt, ist das Risiko künftiger Beschwerden höher.

Hierbei können kurzfristig verschiedene Komplikationen auftreten. Als schwerste mögliche Komplikation ist die sog. avaskuläre Hüftkopfnekrose zu nennen (wird auch als Femurkopfnekrose bezeichnet). Hierbei ist die Blutzufuhr zum Hüftkopf so stark herabgesetzt, dass das Knochengewebe abstirbt. Diese Komplikation tritt bei bis zu 60 % der Patienten mit instabilem Verlauf auf, ist aber bei stabilem Verlauf selten. In seltenen Fällen kann es beim chirurgischen Eingriff zu einer Verletzung des Gelenks kommen. Eine Beschädigung der Knorpelschicht kann Gelenksteifigkeit und Schmerzen verursachen. Aufgrund verbesserter Operationstechniken tritt diese Komplikation heute nur noch selten auf.

Oft entstehen leicht unterschiedliche Beinlängen mit einem kürzeren Bein auf der Seite der Epiphysenlösung. In der Regel beträgt dieser Beinlängenunterschied weniger als 2 cm und erfordert keine Maßnahmen.

Bei einer fortgeschrittenen Hüftkopflösung lassen sich Anatomie und Beweglichkeit des Hüftgelenks nicht vollständig wiederherstellen. Langfristig birgt dies ein erhöhtes Risiko für einen Verschleiß des Hüftgelenks (Hüftgelenksarthrose).

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  • Martina Bujard, Wissenschaftsjournalistin, Wiesbaden

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Dieser Artikel basiert auf dem Fachartikel Epiphysiolysis capitis femoris. Nachfolgend finden Sie die Literaturliste aus diesem Dokument.

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