Geschlossene Spina bifida

Spina bifida

Die Spina bifida – das ausbleibende Zusammenwachsen des Wirbelkanals – kann zu Verletzungen des Rückenmarks und neurologischen Schäden führen.

Was ist Spina bifida?

Definition

Spina bifida ist ein Neuralrohrdefekt, bei dem es zu einem unvollständigen Verschluss des Neuralrohrs kommt, also des Wirbelkanals aus dem sich in der embryonalen Entwicklung Gehirn und Rückenmark bilden. Der Begriff bedeutet eigentlich gespaltene Wirbelsäule. Die Fehlbildung entsteht innerhalb der ersten 4 Schwangerschaftswochen. Die Rückenwirbel wachsen im hinteren Bereich nicht zusammen, sodass der Wirbelkanal nach hinten geöffnet ist. Der Defekt und damit die Folgen der Erkrankung können unterschiedlich stark ausgeprägt sein.

  • Spina bifida occulta (versteckte Spina bifida) beruht auf einem fehlerhaften Verschluss des hinteren Teils der Wirbelsäule. Der Neuralkanal ist dadurch nach hinten offen, eine Beteiligung des Rückenmarks liegt aber nicht vor. Sie ist mit Haut bedeckt und am Rücken unauffällig. Sie verursacht in der Regel keine Schäden oder Symptome.
  • Geschlossene Spina bifida kann sichtbare Veränderungen am Rücken wie eine asymmetrische Gesäßfalte, Blutgeschwulste, behaarte Flecken oder andere Hautveränderungen verursachen. Sie ist von Haut bedeckt und die klinischen Symptome variieren erheblich.
  • Spina bifida cystica oder Spina bifida aperta (offene Spina bifida) ist eine Fehlbildung, bei der sich der Inhalt des Wirbelkanals durch die Öffnung der hinteren Rückenwirbel wölben kann. Sie ist nicht von Haut bedeckt. Im Spinalkanal befinden sich das von Flüssigkeit umgebene Rückenmark und einige Bindegewebsmembranen. Wölbt sich nur die Membran nach außen und bildet sie eine kleine Blase, die Liquor enthält, wird diese Ausstülpung als Meningozele bezeichnet. Falls die Ausstülpung auch Teile des Rückenmarks enthält, spricht man von einer Myelomeningozele.

Anenzephalie ist ein anderer häufiger Neuralrohrdefekt, bei der sich das Gehirn nicht entwickelt. Es besteht keine Lebensfähigkeit.

Symptome

Spina bifida occulta beeinträchtigt den Inhalt des Wirbelkanals in der Regel nicht und verläuft deshalb meist ohne besondere Symptome. Das einzige Anzeichen kann eine kleine Vertiefung an der Lendenwirbelsäule sein, eventuell in einem Bereich, der besonders behaart ist oder eine anomale Pigmentierung aufweist. In einigen Fällen treten im entsprechenden Bereich Fettpolster auf.

Geschlossene Spina bifida kann ohne klinische Symptome ablaufen oder zu schweren neurologischen Problemen, Rückenschmerzen, eingeschränkter Kraft in den unteren Extremitäten, Gangstörungen oder Schwierigkeiten beim Wasserlassen führen.

Spina bifida cystica steht im Zusammenhang mit Fehlbildungen in umgebender Muskulatur, Bindegewebe und Haut. Die Symptome werden durch das Ausmaß der Ausstülpung und die Lokalisation im Rücken bestimmt: Je höher im Rücken, desto stärker sind die Symptome. Eine Meningozele kann eine offene oder mit Haut bedeckte Aussackung an der Mittellinie des Körpers verursachen. Durch eine Myelomeningozele, d. h. eine Ausstülpung inklusive Rückenmark, werden in der Regel schwerwiegendere Symptome ausgelöst. Das Rückenmark kann beschädigt werden, was zu Lähmungserscheinungen der Beine und Problemen beim Stuhlgang und Wasserlassen führen kann. Häufig treten Hüftgelenksluxationen und Augenprobleme auf. Darüber hinaus kann die Erkrankung mit Fehlbildungen im Gehirns einhergehen, sodass das Kind einen Hydrozephalus (Wasserkopf) und mentale Störungen entwickelt.

Ursachen

Spina bifida ist das Ergebnis einer Entwicklungsstörung im fetalen Stadium. Die Ursache ist unbekannt, die genetische Veranlagung spielt jedoch wahrscheinlich eine Rolle. Bei Kindern mit älteren Geschwistern, die unter einer Spina bifida leiden, ist die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sie selbst ebenfalls erkranken. Darüber hinaus scheint ein Folsäuremangel bei der Mutter während der Schwangerschaft derartige Entwicklungsstörungen zu begünstigen. Nimmt die Mutter bereits vor der Konzeption Folsäure ein, beugt dies in mehr als 50 % der Fälle Myelomeningozelen vor. Es besteht auch ein Zusammenhang zwischen Spina bifida und einem niedrigen Vitamin-B12-Wert, Diabetes, bestimmten Medikamenten (Valproinsäure/Valproat oder Carbamazepin) und Übergewicht in der Schwangerschaft.

Häufigkeit

Neuralrohrdefekte sind nach angeborenen Herzfehlern die zweithäufigsten Geburtsdefekte. Spina bifida und Anenzephalie treten bei 1 von 1.000 Schwangerschaften auf. Die Häufigkeit ist im letzten Jahrhundert gesunken, was vor allem an der vorbeugenden Einnahme von Folsäure liegt sowie daran, dass Schwangerschaften, bei denen eine Anenzephalie und schwere Ausprägungen von Spina bifida vorliegen, abgebrochen werden.

Spina bifida occulta ist häufig ein zufälliger radiologischer Befund bei 10‒15 % der Bevölkerung. Geschlossene und offene Spina bifida kommen weniger häufig vor.

Untersuchungen

  • Die Diagnose wird in der Regel durch eine Ultraschalluntersuchung in der Schwangerschaft gestellt.
  • Beim Verdacht auf ein erhöhtes Risiko kann die Bestimmung des Alpha-Fetoprotein-Wertes im Zuge einer Blutuntersuchung bei der Mutter auf eine Myelomeningozele hinweisen.
  • Falls die Erkrankung während der Schwangerschaft nicht erkannt wird, ist sie nach der Geburt leicht anhand der typischen Symptome zu diagnostizieren. Eine versteckte Spina bifida kann während des gesamten Lebens unentdeckt bleiben oder als zufälliger Befund einer Röntgenuntersuchung entdeckt werden.
  • Bei Neugeborenen mit Spina bifida sollte eine bildgebende Diagnostik des zentralen Nervensystems per Röntgen oder CT durchgeführt werden, um den Therapiebedarf einzuschätzen.
  • Ein MRT wird empfohlen, um Weichteildefekte und den Grad der Knochenmarkausstülpung festzustellen.
  • Nieren und Harnwege müssen frühzeitig und im Wachstum regelmäßig per Ultraschall untersucht werden.

Behandlung

  • Bei umfangreicheren Neuralrohrdefekten ist das Ziel, Komplikationen des Neugeborenen zu vermeiden und langfristig die Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes Leben zu optimieren.
  • Dafür ist eine lebenslange interdisziplinäre Behandlung aus Pädiatrie, Krankenpflege, pädiatrische Neurochirurgie, Urologie, Orthopädie, Physiotherapie, sozialer Arbeit und Allgemeinmedizin notwendig.
  • Ein chirurgischer Verschluss der Fehlbildung wird normalerweise innerhalb von 48 Stunden nach der Geburt durchgeführt, kann aber auch bereits im Mutterleib erfolgen.
  • Fußfehlstellungen sollten ebenfalls kurz nach der Geburt orthopädisch behandelt werden.
  • Zur Behandlung eines Hydrozephalus wird ein Shunt angelegt, über den Liquor abfließen kann.
  • Nach dem Neugeborenenalter ist weiter eine kontinuierliche Überwachung mit Fokus auf Neurologie, Urologie und das muskeloskelettale System notwendig. Urologische und orthopädische Fehlbildungen werden bei Bedarf operiert.
  • Durch die Teilnahme an individuellen Ausbildungsprogrammen wird es Kindern ermöglicht, notwendige Fähigkeiten für ein selbstbestimmtes Leben zu entwickeln.
  • Bei Bedarf können Medikamente wie Antiepileptika oder Abführmittel eingesetzt werden.

Vorbeugung

  • Allen schwangeren Frauen wird die tägliche Einnahme von 0,4 mg Folsäure in den Monaten vor der Schwangerschaft oder ab Bekanntwerden der Schwngerschaft und in den ersten 12 Schwangerschaftswochen empfohlen.
  • Frauen, die bereits mit einem Kind schwanger waren, das einen Neuralrohrdefekt hatte, sollten über den gleichen Zeitraum 4 mg Folsäure pro Tag einnehmen, also die 10-fache Dosis.

Prognose

  • Die Sterblichkeit bei jungen Patient*innen mit Spina bifida im Alter von 5–30 Jahren liegt bei etwa 1 % pro Jahr und ist bei Patient*innen mit höherliegenden Fehlbildungen am höchsten.
  • Etwa 75 % der Patient*innen mit Myelomeningozele erleben das frühe Erwachsenenalter.
  • Es besteht ein erhöhtes Risiko für depressive Symptome und Angstzustände.
  • Es sollten regelmäßig Routinemessungen des Kopfumfangs durchgeführt und Anzeichen für neurologische Komplikationen in Form von Krämpfen erfragt werden.
  • Häufige Komplikationen sind Fehlstellungen der Beine, Harnwegsinfekte und Niereninsuffizienz sowie wiederkehrende Nierenbeckenentzündungen.

Weitere Informationen

Autor

  • Markus Plank, MSc BSc, Medizin- und Wissenschaftsjournalist, Wien

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Literatur

Dieser Artikel basiert auf dem Fachartikel Spina bifida. Nachfolgend finden Sie die Literaturliste aus diesem Dokument.

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