Zusammenfassung
- Definition:Glykogenspeichererkrankung. Gestörte Funktion des Enzyms Myophosphorylase; Glykogen kann nicht normal abgebaut werden. Ursächlich sind Mutationen im PYGM-Gen; autosomal-rezessive Vererbung.
- Häufigkeit:Genaue Angaben zur Prävalenz liegen nicht vor; sehr selten (Schätzungen belaufen sich auf 1:100.000 in den USA und 1:170.000 in Spanien).
- Symptome:Beschwerden bei Belastung: Myalgien, Krämpfe und vorzeitige Ermüdung, beginnend meist im Kindesalter; durch massive CK-Erhöhung und Rhabdomyolyse akutes Nierenversagen möglich.
- Befunde:Muskelschmerzen, CK-Erhöhung und Rhabdomyolyse, Myoglobinurie.
- Diagnostik:Fehlender Laktatanstieg im Bluttest (ischämischer Vorderarmtest), verminderte Phosphorylaseaktivität in der Muskelbiopsie; genetische Diagnostik.
- Therapie:Symptomatische Therapie, kontrollierte physische Aktivität. Bei Vermeidung von schwerwiegender Rhabdomyolyse potenziell gute Prognose.
Allgemeine Informationen
Definition
- Das McArdle-Syndrom gehört zur Gruppe der Glykogenspeichererkrankungen (Glykogenosen).1
- Ursächlich ist ein Defizit des Enzyms Myophosphorylase in der Muskulatur.
- Die Spaltung von Glykogen in Glukose zur Energiegewinnung ist gestört.
- Glykogen kann vom Körper nicht direkt in Energie umgewandelt werden.
- Typische Symptome der Erkrankung sind eine geringe Ausdauer bei körperlicher Aktivität, Muskelkrämpfe und dunkel verfärbter Urin (Myoglobinurie).2
Synonyme
- McArdle-Krankheit
- McArdle-Erkrankung
- Morbus McArdle
- Glykogenose Typ V
- Muskelphosphorylase-Mangel
- Myophosphorylase-Mangel
- Englische Synonyme
- Glycogen storage disease V (GSD V)
- McArdle disease
- Glycogenosis Type V
Häufigkeit
- Laut Schätzungen aus den USA betrifft die Erkrankung 1:100.000.1
- In Spanien wird eine Prävalenz von 1:170.000 geschätzt.
- Angaben zur Häufigkeit in Deutschland existieren zum jetzigen Zeitpunkt nicht.
Ätiologie und Pathogenese
- Ursächlich sind Varianten des PYGM-Gens (auf Chromosom 11q13).1,3-4
- Defekte dieses Gens führen dazu, dass die Myophosphorylase ihre Funktion nicht richtig oder gar nicht erfüllt.
- je nach Mutation teilweiser oder kompletter Funktionsverlust4
- Autosomal-rezessive Vererbung1,3-4
- Ein Erkrankungsrisiko besteht erst dann, wenn ein Kind von beiden Elternteilen jeweils eine veränderte Genkopie erbt.
- Die Eltern von Betroffenen sind in den meisten Fällen heterozygote Anlageträger*innen für die Erkrankung und selbst nicht erkrankt (oder nur mit geringen Symptomen).
- Das Wiederholungsrisiko nach Geburt eines betroffenen Kindes liegt bei 25 %, wenn beide Elternteile heterozygote Anlageträger*innen sind.
- 50 % der Kinder werden ebenfalls heterozygote Anlageträger*innen sein.
- 25 % der Kinder werden nur die normalen Genkopien der Eltern erhalten.
Pathophysiologie
- Zur Energiegewinnung bei körperlicher Aktivität muss Glykogen in Glukose gespalten werden.1-2
- Dazu wird in der Muskulatur das Enzym Myophosphorylase benötigt.
- Gestörte Funktion der Myophosphorylase
- Bereitstellung von Glukose zur Energiegewinnung gestört
- Bei körperlicher Anstrengung kommt es infolge der gestörten Funktion der Myophosphorylase zu Schwäche und Schmerzen.
- ausgeprägte Symptome vor allem bei anaerober Muskelarbeit
ICD-10
- E74.0 Gykogenspeicherkrankheit [Glykogenose]: McArdle-Krankheit
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Schmerzen und Muskelkontrakturen, typischerweise während der ersten 10 Minuten Belastung1-2
- Beginn häufig im Kindesalter
- Second-wind-Phänomen: nach den ersten 10 Minuten Belastung oder nach kurzer Pause Verbesserung der Symptomatik2
- Nach längerer Aktivität kommt es zur vermehrten Freisetzung von Glukose und freien Fettsäuren aus dem Blut.
- Dadurch können diese Stoffe zunehmend zur Energiegewinnung im Muskel herangezogen werden, sodass es zu einer Symptomlinderung kommt.
- Myoglobinurie, Rhabdomyolyse
- Unspezifische Symptome: Probleme beim Kauen, Dysphagie; spontanes Kompartmentsyndrom, spontane Kontraktur der hinteren Nackenmuskeln (z. B. bei zahnärztlichen Eingriffen)
- Erhöhte CK-Werte
- CK-Werte, die um das Vierfache des Normwerts erhöht sind, gelten als Hinweis auf eine Muskelerkrankung.5
Differenzialdiagnosen
- VLCAD Defizienz
- Isolierte HyperCKämie
- Carnitin-palmytoil-transferase-Defizienz
- Weitere Gylkogenspeichererkrankungen
- Phosphorylasekinase-Defizienz
Krankheitsverlauf
- Beginn häufig in der ersten Lebensdekade1-2,5
- Klinisch sehr variabel
- Bei ca. 10 % der Betroffenen treten nur milde Symptome auf, die im Alltag kaum bemerkbar sind.1
- Aggressivere Formen sind beschrieben: Beginn typischerweise kurz nach der Geburt.
- teilweise progressive Ermüdung erst ab der 6. oder 7. Lebensdekade feststellbar
- Der Großteil der Patient*innen passt den Lebensstil an die Symptome an und kann ein relativ normales Leben führen.
Symptome
- Belastungsintoleranz (Kontrakturen, Steifheit, Schwäche)2
- Myalgien
- Fatigue
- Die Symptome treten typischerweise während der ersten Minuten Belastung auf.
- Besserung der Symptomatik bei Ruhe
- 50 % der Patient*innen zeigen eine rezidivierende Myoglobinurie nach exzessiver Belastung.1
- Atypische Symptome wurden beschrieben: Schwierigkeiten beim Kauen und Schlucken, spontanes Kompartmentsyndrom, akute Kontraktur der hinteren Nackenmuskeln.1,5
Klinische Untersuchung
- Zur Bestätigung der Verdachtsdiagnose sollte eine molekulargenetische Diagnostik durchgeführt werden:1,3-4
- Homozygote (auf beiden Genkopien) pathogene Varianten im PYGM-Gen sind beweisend für die Erkrankung.
- Einzelgendiagnostik bei dringendem Hinweis auf McArdle oder Multigen-Paneldiagnostik (die mögliche Differenzialdiagnosen einschließt)
- In vielen Fällen wird die Diagnose erst im Erwachsenenalter gestellt.
- Die typischen Symptome werden häufig nicht erkannt.
- Zudem vermeiden viele Patient*innen automatisch starke körperliche Aktivität.1
- CK-Erhöhung: oft starke Erhöhung des CK-Werts messbar1
- Laktattest1,5
- hohe Sensitivität und Spezifität
- wiederholter Faustschluss über 1 Minute lang: Blutentnahme vor und nach dem Test
- Bei gesunden Personen sollte sich der Laktatwert im Laufe des Tests mindestens verdreifachen.
- Beim McArdle-Syndrom steigen die Laktatwerte während des Tests nicht/kaum an, die Ammoniakwerte dagegen schon.
- Fahrradergometertest
- Während der ersten 10 Minuten Anstieg der Herzfrequenz und typische Symptome: Myalgien, Krämpfe
- Nach etwa 10 Minuten ist ein Abfall der Herzfrequenz und ein Rückgang der Symptome zu sehen.
- Muskelbiopsie
- zur Bestimmung der Enzymaktivität5
Besondere Bedürfnisse und Maßnahmen
Therapie
- Eine Heilung der Erkrankung ist nicht möglich.
- Die Therapie sollte sich nach den individuellen Bedürfnissen der Patient*innen ausrichten und zielt vor allem darauf ab, Exazerbationen der Erkrankung zu vermeiden.1-2
- Umfasst v. a. Lifestyle-Interventionen: z. B. kontrollierte physische Aktivität.
- Da die Erkrankung extrem selten ist, gibt es bisher kaum randomisiert-kontrollierte Studien zu möglichen Interventionen.
- Eine multidisziplinäre Betreuung in einem spezialisierten Zentrum erscheint gerade im Hinblick auf mögliche Therapien und Studienteilnahme sinnvoll.
Sportliche Aktivität
- Regelmäßige körperliche Aktivität (v. a. aerobe Aktivität wie Wandern, Schwimmen, etc.) führt zu einer Besserung der Symptomatik.2
- Man geht davon aus, dass regelmäßige körperliche Aktivität die Wahrscheinlichkeit für ein Second-wind-Phänomen verbessert.1
- Das Training sollte individuell angepasst sein und überwacht werden (z. B. von Physiotherapeut*innen).
- Früher wurde zu einer strikten Vermeidung von Krafttraining geraten; heute wird vermutet, dass auch kontrolliertes und moderates Krafttraining einen positiven Effekt auf den Krankheitsverlauf hat.2
Ernährung
- Die bisherigen Studien zu möglichen Ernährungsinterventionen umfassen sehr wenige Teilnehmer*innen.6
- Eine Ernährung mit vielen komplexen Kohlenhydraten könnte einer Ernährung mit hohem Proteinanteil überlegen sein.2,6
- Weitere Ernährungsinterventionen, z. B. in Form von Nahrungsergänzungsmitteln, konnten bisher keine eindeutig belegbaren Effekte in Studien zeigen und sollten individuell besprochen werden.6
Leben mit dem McArdle-Syndrom
- Die meisten Patient*innen können mit entsprechender Betreuung durch Physiotherapeut*innen und andere Expert*innen ein relativ normales Leben führen und Symptome verringern.
- Eine jährliche körperliche Untersuchung mit Evaluation der Ernährung und des Trainings wird empfohlen.1
Komplikationen
- Eine Myoglobinurie aufgrund einer Rhabdomyolyse nach intensiver körperlicher Belastung tritt bei ca. 50 % der Betroffenen auf.1
- Patient*innen sollten bei dunkel verfärbtem Urin zeitnah ärztliche Hilfe suchen, um eine Rhabdomyolyse auszuschließen bzw. adäquat zu behandeln.1-2,5
- Gefahr des akuten Nierenversagens als Komplikation mit Notwendigkeit der Dialyse; insgesamt scheinen nur wenige Patient*innen ein Nierenversagen zu entwickeln.1
Selbsthilfe/Netzwerke
- Selbsthilfegruppe Glykogenose Deutschland e. V. glykogenose.de
- International Association for Muscle Glycogen Storage Disease. iamgsd.org
- Euromac Registry: Netzwerk für Patient*innen mit McArdle-Erkrankung. euromacregistry.eu
Quellen
Literatur
- Martín MA, Lucia A, Arenas J, Andreu AL. Glycogen Storage Disease Type V. GeneReviews, 2006. Zuletzt aktualisiert 2019. www.ncbi.nlm.nih.gov
- Khattak ZE, Ashraf M. McArdle Disease. 2021 Aug 14. In: StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing; 2021 Jan–. PMID: 32809620. www.ncbi.nlm.nih.gov
- Llavero F, Arrazola Sastre A, Luque Montoro M, Gálvez P, Lacerda HM et al. McArdle Disease: New Insights into Its Underlying Molecular Mechanisms. Int J Mol Sci. 2019 Nov 25;20(23):5919. doi: 10.3390/ijms20235919. PMID: 31775340; PMCID: PMC6929006. www.ncbi.nlm.nih.gov
- Andreu AL, Nogales-Gadea G, Cassandrini D, Arenas J, Bruno C. McArdle disease: molecular genetic update. Acta Myol. 2007 Jul;26(1):53-7. PMID: 17915571; PMCID: PMC2949323. www.ncbi.nlm.nih.gov
- Joshi PR, Deschauer M, Zierz S. McArdle Disease: Clinical, Biochemical, Histological and Molecular Genetic Analysis of 60 Patients. Biomedicines. 2020 Feb 15;8(2):33. doi: 10.3390/biomedicines8020033. PMID: 32075227; PMCID: PMC7168270. www.ncbi.nlm.nih.gov
- Quinlivan R, Martinuzzi A, Schoser B. Pharmacological and nutritional treatment for McArdle disease (Glycogen Storage Disease type V). Cochrane Database Syst Rev. 2014 Nov 12;2014(11):CD003458. doi: 10.1002/14651858.CD003458.pub5. PMID: 25391139; PMCID: PMC7173724. www.ncbi.nlm.nih.gov
Autorin
- Laura Morshäuser, Dr. med. Ärztin, Karlsruhe