Zusammenfassung
- Definition:Erregerinduzierte Infektion des Knochens, endogen oder exogen bedingt.
- Häufigkeit:21,8 Fälle auf 100.000 Personenjahre. Bei Kindern vor allem akute Osteomyelitis, bei älteren Personen chronische Osteomyelitis.
- Symptome:Fieber, Schüttelfrost, reduzierter Allgemeinzustand und lokale Entzündungszeichen.
- Befunde:Lokale Entzündungszeichen, reduzierte Beweglichkeit in benachbarten Gelenken.
- Diagnostik:Röntgen in 2 Ebenen sowie MRT, ggf. ergänzt durch CT.
- Therapie:Bei akuter Form i. v. Antibiotikatherapie, bei chronischer Form operative Sanierung.
Allgemeine Informationen
Definition
- Infektion des Knochens durch pyogene Erreger1-2
- Unterteilung in 3 Qualitäten:3
- Infektionsweg
- exogen vs. endogen (hämatogen)
- Dauer
- akut vs. chronisch (entsteht über Monate, avaskuläres Knochengewebe4)
- Zeitpunkt des Auftretens nach Infekt/Trauma
- früh vs. spät (> 4 Wochen)
- Infektionsweg
- Frühzeitige Diagnose und Erregeridentifizierung sind essenziell für eine erfolgreiche Therapie.5
- Beim Übergang in eine chronische Form mit avaskulären Knochenbereichen ist eine operative Sanierung unumgänglich.
- Abzugrenzen ist die chronische nichtbakterielle Osteomyelitis.
Häufigkeit
- Inzidenz
- 21,8 Fälle auf 100.000 Personenjahre8
- Anstieg der Inzidenz mit Zunahme des Lebensalters
- 8,8 Fälle auf 100.000 Personenjahre bei Kindern < 18 Jahre
- 88,3 Fälle auf 100.000 Personenjahre bei Senioren > 80 Jahre
- Anstieg der Inzidenz mit Zunahme des Lebensalters
- Die Inzidenz bei Kindern war in den letzten 40 Jahren stabil, bei Senioren, die älter als 60 Jahre sind, hat sie sich verdreifacht.8
- 21,8 Fälle auf 100.000 Personenjahre8
- Alter
- akute Osteomyelitis gehäuft bei Kindern
- 8 Fälle auf 100.000 Kinder pro Jahr, davon 50 % < 5 Jahre 9
- akute Osteomyelitis gehäuft bei Kindern
- Geschlecht
- Männer sind etwa 1,5- bis 2-mal häufiger betroffen als Frauen.8
- Infektionsweg
- 20 % hämatogen, 80 % exogen10
- Erreger
- Lokalisation
- Die untere Extremität ist am häufigsten betroffen.5
Ätiologie und Pathogenese
- Infektionsmechanismus12
- endogen: hämatogene Ausbreitung
- exogen: direkte Infiltration des Knochens, z. B. posttraumatisch oder postoperativ
- Bis zu 50 % aller offenen Frakturen sind mit Osteomyelitis assoziiert10, häufig polymikrobiell.
- Mikrobiologie
Pathophysiologie1
- Vor allem die Metaphyse ist betroffen.
- ausgeprägtes Kapillarnetzwerk mit niedriger Flussgeschwindigkeit
- Absiedelung von Bakterien ist einfacher möglich.
- ausgeprägtes Kapillarnetzwerk mit niedriger Flussgeschwindigkeit
- Eitrige Entzündung durch Bakterien
- Kompression der knöchernen Gefäßkanäle durch Entzündung bei unzureichender Behandlung
- Ischämie, Gewebe- und Knochennekrose
- Bildung von Sequestern (avaskuläre Knochenfragmente) = chronische Osteomyelitis
- Der avaskuläre Bereich ist durch Antibiotika und Entzündungszellen nicht erreichbar.
- dauerhaftes Überleben von Bakterien in diesem Bereich
- Bei Kindern wird dieser septische Herd als „Brodie-Abszess“ bezeichnet.
- Kompression der knöchernen Gefäßkanäle durch Entzündung bei unzureichender Behandlung
Prädisponierende Faktoren
- Geringes Alter
- starke Vaskularisierung der Wachstumsfugen durch Kapillarnetze
- Verlangsamte Flussgeschwindigkeit erleichtert Absiedelung von Bakterien.
- starke Vaskularisierung der Wachstumsfugen durch Kapillarnetze
- Hohes Alter
- vaskuläre Insuffizienz mit verminderter Knochendurchblutung
- Abwehrzellen gelangen nicht zum Ort der Infektion.
- vaskuläre Insuffizienz mit verminderter Knochendurchblutung
- Sichelzellänamie10
- Immunsuppression
- Diabetes mellitus und periphere arterielle Verschlusskrankheit13
- vaskuläre Insuffizienz (s. o.)
Auslösende Faktoren
- Direkte Infektion über offene Fraktur, chirurgische Eingriffe, Schusswunden, diagnostische Aspiration oder Medikamenten-/Drogeninjektion
- Sekundäre Osteomyelitis nach hämatogener Ausbreitung vom primären Infektionsherd (am häufigsten bei Kindern)
ICPC-2
- L70 Infektion des muskuloskelet. Systems
ICD-10
- M86 Osteomyelitis
- M86.0 Akute hämatogene Osteomyelitis
- M86.1 Sonstige akute Osteomyelitis
- M86.2 Subakute Osteomyelitis
- M86.3 Chronische multifokale Osteomyelitis
- M86.4 Chronische Osteomyelitis mit Fistel
- M86.5 Sonstige chronische hämatogene Osteomyelitis
- M86.6 Sonstige chronische Osteomyelitis
- M86.8 Sonstige Osteomyelitis
- M86.9 Osteomyelitis, nicht näher bezeichnet
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Häufig unspezifische Symptome10
- Fieber, Schüttelfrost, Abgeschlagenheit
- Klassische Entzündungszeichen
- Schmerzen im betroffenen Knochen, Schwellung, Rötung, Überwärmung
- nicht immer präsent, häufig Abklingen nach 5–7 Tagen5
- Bildgebende Verfahren: Röntgen sowie MRT und ggf. CT sind sinnvoll.
- Repräsentative Untersuchungsmaterialen sollten vor antibiotischer Therapie unter sterilen Bedingungen aus dem infizierten Gebiet gewonnen werden.3
- Abstriche aus Fisteln oder oberflächlichen Wunden sind ungeeignet.3
Differenzialdiagnosen
Akute Form
- Septische Arthritis
- Rheumatisches Fieber
- Phlegmone
- Seröse Koxitis (Coxitis fugax)
- Akute myeloische Leukämie
- Akute lymphatische Leukämie
Chronische Form
Vertebrale Osteomyelitis (Spondylitis)
- Knochenmetastasen
Anamnese
- Genaues Erfragen von vorausgegangen Traumata (exogen) und Infektionen (endogen)
- Kinder
- Kleinkinder
- Symptome und Beschwerdebilder sind häufig diffus.
- Stillhalten von Armen und Beinen ohne vorhergehendes Trauma
- Erwachsene
- Hier können die Symptome schleichender und weniger offenbar sein.
- häufig chronische Verlaufsformen
- häufig exogen bei chronischen offenen Wunden18
- Menschen, die an Diabetes leiden19, und Patienten mit Gelenkprothesen sind besonders häufig betroffen.
- 1–2 % der Patienten mit Prothese bekommen im Verlauf Osteomyelitis.20
- vertebrale Osteomyelitis
- Beruht meist auf hämatogener Ausbreitung.
- Normalerweise ist die Lendenwirbelsäule betroffen.21
- Hier können die Symptome schleichender und weniger offenbar sein.
Klinische Untersuchung
- Die Körperoberfläche auf mögliche Eintrittspforten (chronische Ulzera, Narben mit Wundheilungsstörungen) absuchen.22
- Reduzierter Allgemeinzustand mit Fieber oder Schüttelfrost
- Lokale Entzündungszeichen
- Schmerzen bei Mitbeteiligung des Periosts
- Häufig reduzierte Beweglichkeit in benachbarten Gelenken
Laboruntersuchungen
- Zur Verlaufsbeobachtung der akuten Erkrankung ebenso wie der chronischen sollten die Leukozytenzahl und der CRP-Wert bestimmt werden.3
- bei Kleinkindern nicht immer erhöht23
Bildgebung
Leitlinie: Bildgebende Diagnostik3
- Röntgen
- Die Projektionsradiografie (Knochenröntgen in 2 Ebenen) soll als Eingangsuntersuchung beim Verdacht auf eine entzündliche Knochenerkrankung (Osteomyelitis) angewandt werden.
- Zur Differenzialdiagnose zwischen entzündlichen und tumorösen Erkrankungen des Knochens soll die Projektionsradiografie nicht allein angewandt werden.
- MRT
- Die Magnetresonanztomografie soll zur Differenzialdiagose gegenüber anderen Knochenerkrankungen eingesetzt werden.
- Die Magnetresonanztomografie sollte für die Beurteilung der Entzündungsausbreitung eingesetzt werden.
- CT
- Die Computertomografie soll nicht als Erstuntersuchung bei Osteomyelitis angewandt werden.
- Die Computertomografie kann anhand des ossären Struktur- und Konturmusters einen Beitrag zur Diagnostik der Osteomyelitis leisten.
- Die Computertomografie kann bei der präoperativen Planimetrie einer chronischen Osteomyelitis angewandt werden.
- Szintigrafie
- Zum Ausschluss einer Osteomyelitis kann eine 3-Phasen-Skelettszintigrafie durchgeführt werden.
- PET-CT
- Zur Diagnostik der chronischen Osteomyelitis im Implantatbereich kann die FDG-PET/CT angewandt werden.
Mikrobiologie
- Eine histopathologische (zum Nachweis einer Nekrose) und mikrobielle Untersuchung des betroffenen Knochens ist diagnostischer Standard.24
- Besonders geeignet sind intraoperative Biopsien.3
- Die Blutkultur ist in der Hälfte aller Fälle positiv.25
- Beginn einer antibiotischen Therapie sollte erst nach Gewinnung von Proben erfolgen.
- Ein negatives Ergebnis der mikrobiologischen Diagnostik schließt das Vorliegen einer infektiösen Osteomyelitis nicht aus.3
Indikationen zur Krankenhauseinweisung
- Beim Verdacht auf Osteomyelitis sollten Betroffene umgehend ins Krankenhaus eingewiesen werden.
Checkliste zur Krankenhauseinweisung
Orthopädische Infektionen, subakute oder chronische Erkrankungen mit gradweiser Verschlechterung
- Zweck der Einweisung
- Diagnostik? Konservative Behandlung? Operation?
- Anamnese
- Beginn? Ursprüngliche Behandlung? Verlauf und Entwicklung?
- Symptome? Grad der Funktionseinschränkung?
- Andere Erkrankungen von Bedeutung?
- Aktuelle Medikamente?
- Klinische Untersuchung
- Allgemeinzustand? Fieber? Schüttelfrost?
- Lokale Befunde?
- Ergänzende Untersuchungen
- CRP, Leukozyten
- Bakteriämie?
- Röntgenbefunde? Ergebnisse anderer bilddiagnostischer Verfahren, insbes. CT und MRT
Therapie
Therapieziele
- Die Infektion sanieren.
- Übergang in die chronische Form verhindern.
- Komplikationen verhindern.
Allgemeines zur Therapie
- Eine Krankenhausbehandlung ist nötig.
- Schnelle Gewinnung von Gewebeproben zur Erregerbestimmung anstreben.
- Immobilisierung und kalkulierte i. v. Antibiotika-Gabe
- Bei Nichtansprechen auf Antibiotika ist ein operatives Debridement nötig.
- Analgesie mit Paracetamol (Kinder) oder NSAR (Erwachsene)
- Thromboseprophylaxe
Empfehlungen für Patienten
- Bettruhe
- Hochlagerung des betroffenen Bereichs
- Schmerzmittel
- Schnelles Aufsuchen eines Krankenhauses
Akute Osteomyelitis
- Antibiotische Therapie für 4–6 Wochen, initial i. v.13
Leitlinie: Kalkulierte parenterale Initialtherapie bei Erwachsenen26
- 1. Wahl: Breitspektrum-Betalaktam-Antibiotikum
- Amoxicillin/Clavulansäure
- 3 x 2,2 g bzw. 60–100 mg/kg – oder –
- Ampicillin/Sulbactam
- 3 x 3 g bzw. 100–150 mg/kg
- Bei Penicillin-Allergie: Clindamycin
- 3 x 0,6 g
Zielgerichtete Antibiotikatherapie
- Ggf. Anpassung der Antibiotika nach Vorliegen des Erregers und Resistogramm27
Kalkulierte Antibiotikatherapie bei Kindern 28
- Insbes. bei Kindern ist ein schneller Beginn der i. v. Antibiotikatherapie nötig, um Schädigung der Wachstumsfuge (Prädispositionsstelle für Osteomyelitis) zu vermeiden.
- Neugeborene < 3 Monate
- penicillinasefestes Penicillin (Oxacillin) + Gentamycin
- Kinder > 3 Monate
- penicillinasefestes Penicillin (Oxacillin) oder
- Cephalosporin der 1. Generation
- Bei V.a. MRSA (hospitalisierte Patienten, Immunkompromittierte)
- Clindamycin
Chronische Osteomyelitis
- Da bei der chronischen Osteomyelitis bereits avaskuläre Knochenfragmente entstanden sind, sind diese einer antibiotischen Therapie nicht mehr zugänglich und können nur operativ saniert werden.
Leitlinie: Therapie3
- Die lokale operative Sanierung soll Teil der Behandlung sein.
- Die lokale operative Sanierung soll das makroskopisch infiziert wirkende Knochen- und Weichgewebe inkludieren.
- Die operative Therapie der infektiösen Osteomyelitis soll mit einer systemisch antimikrobiellen Chemotherapie ergänzt werden.
- Die operative Therapie kann mit einer lokalen antimikrobiellen Therapie kombiniert werden.
- z. B. Gentamycin-Ketten
- Die Evidenzlage ist kontrovers.10
- In Europa verbreitet, wird in Nordamerika in der Regel nicht durchgeführt.
Infektionen bei Patienten mit Fremdmaterial
- Insbes. Gelenkprothesen1
- Ursache können auch Keime mit geringer Pathogenität sein.
- Das Risiko ist in den ersten beiden Jahren nach der Implantation am höchsten.
- Beim chronischen Infekt soll einliegendes Implantatmaterial entfernt werden.3
- Der Austausch der Gelenkprothese erfolgt häufig in 2 Schritten:
- Zunächst wird die infizierte Prothese entfernt und die Patientin/der Patient bis zu 6 Wochen lang je nach Ergebnis des Resistogramms antibiotisch therapiert.
- Danach wird die neue Gelenkprothese implantiert.
Prävention
- Antibiotikaprophylaxe zur Verhinderung von Wundinfektionen nach chirurgischem Eingriff bei Schenkelhalsfraktur und bei Implantation einer Hüft- oder Kniegelenksprothese.29
- Frühzeitig mit Antibiotika bei offenen Frakturen behandeln.30
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Komplikationen
- Übergang in chronische Osteomyelitis bei inadäquater Behandlung
- Ausbreitung der Infektion auf benachbarte Knochen und Gelenke
- Pathologische Frakturen
- bei 5 % aller akuten Osteomyelitiden durch S. aureus bei Kindern31
- Sepsis mit Multiorganversagen32
- Ein Rezidiv der Osteomyelitis kann zu Anämie, Gewichtsverlust und Abgeschlagenheit führen.
- Vertebrale Osteomyelitis
- Weichteilextension, Epiduralabszess, Psoasabszess, Kompression der Medulla oblongata
Prognose
- Falls nach 2–4 Wochen Sterilität im Gewebe erreicht wird, ist die Prognose in den meisten Fällen gut.
- Bei einer Spondylitis ist die Prognose hinsichtlich der mikrobiologischen Heilung häufig gut, die Rückenprobleme dagegen können persistieren.
- Klinische Anzeichen, die länger als 10 Tage anhalten, beruhen auf der Entwicklung einer Knochennekrose und chronischen Osteomyelitis.33
- Eine chronische Osteomyelitis ist besonders häufig in den unteren Extremitäten und bei Personen mit Durchblutungsstörungen, z. B. bei Diabetes mellitus.10
- Mortalität < 1 %32
Verlaufskontrolle
Leitlinie: Verlaufskontrollen3
- Zur Verlaufsbeobachtung der akuten Erkrankung ebenso wie der chronischen sollten die Leukozytenzahl und der CRP-Wert bestimmt werden.
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Quellen
Leitlinien
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- Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie e. V. (PEG). Kalkulierte parenterale Initialtherapie bakterieller Erkrankungen bei Erwachsenen – Update 2018. AWMF-Leitlinie 082-006. S2k, Stand 2017. www.awmf.org
Literatur
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Autoren
- Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Innere Medizin, Frankfurt
- Bertil Christensson, professor och överläkare, Infektionskliniken, Skånes universitetssjukhus
- Kurt Østhuus Krogh, specialist inom barnsjukdomar, Barne- og ungdomsklinikken, St. Olavs Hospital, Trondheim