Zusammenfassung
- Definition:Fraktur des Handwurzelknochens Os scaphoideum (Kahnbein).
- Häufigkeit:Sehr häufige Fraktur, die 80 % aller Handwurzelfrakturen ausmacht. Junge Männer sind am häufigsten betroffen.
- Symptome:Trauma durch Sturz oder Schlag auf dorsalextendierte Hand. Druckempfindlichkeit und Schmerzen im Bereich der proximalen Handwurzel.
- Befunde:Druckdolenz über der Fovea radialis (Tabatière).
- Diagnostik:Anamnese, klinische Untersuchung und Bildgebung. Röntgen als Basisdiagnostik, bei klinischem Verdacht und unauffälligem Röntgen zusätzlich CT zum Ausschluss okkulter Frakturen.
- Therapie:Bei stabilen Frakturen konservative Therapie mittels Immobilisation. Bei instabilen Frakturen operative Therapie, meist mit Schraube.
Allgemeine Informationen
Definition
- Fraktur des Handwurzelknochens Os scaphoideum (Kahnbein)
- Okkulte Skaphoidfraktur: klinische Skaphoidfraktur mit negativer Röntgendiagnostik1
- 20–40 % aller Fälle
Klassifikation
- Für die Therapieplanung ist die Herbert-Klassifikation in der Modifikation nach Krimmer am besten geeignet.2
- Typ A: frische stabile Fraktur
- A1: Tuberkelfraktur
- A2: undislozierte Rissfrakturen mit querem Verlauf im mittleren oder distalen Drittel
- Typ B: frische instabile Fraktur
- B1: Schrägfraktur
- B2: dislozierte oder klaffende Fraktur
- B3: Frakturen des proximalen Drittels
- B4: transskaphoidale perilunäre Luxationsfraktur
Häufigkeit
- Sehr häufige Fraktur, die 80 % aller Handwurzelfrakturen ausmacht.3
- Inzidenz3
- 38 Fälle pro 100.000 Personen pro Jahr
- Am stärksten betroffen sind junge Männer mit Durchschnittsalter von 25 Jahren.3
- bei Kindern und älteren Menschen selten, bedingt durch relative Schwäche des distalen Radius im Vergleich zum Skaphoid in diesen Altersgruppen
- Lokalisation der Fraktur2
- 70 % im mittleren Drittel
- 20 % im proximalen Drittel
- 10 % im distalen Drittel
Ätiologie und Pathogenese
- Meist die Folge eines Sturzes auf den gestreckten Arm mit dorsalextendierter Hand
- Häufigster Unfallhergang Sturz beim Sport, vor allem Fußball, Handball und sturzgefährdende Sportarten4
Klinische Anatomie5
- Das Skaphoid ist ein biomechanisch wichtiger, bootförmiger Karpalknochen, der mit dem distalen Radius, dem Os trapezium und dem Os capitatum artikuliert.
- Bei Radialabduktion und Dorsalextension des Handgelenks drückt das Skaphoid gegen den Radius und wird fixiert.
- Wenn das Skaphoid in dieser Position starken Kräften (Sturz) ausgesetzt ist, kann es wegen der fehlenden Ausweichmöglichkeit brechen.
- Die Blutversorgung des Knochens erfolgt durch die Radialisarterie, die auf der dorsalen Seite nahe dem Tuberkel und der Knochenmitte in den Knochen eindringt.
- Da der proximale Teil keine direkte Blutzufuhr hat, kann eine Fraktur in diesem Bereich schlechter heilen und zu Komplikationen wie Pseudarthrose und avaskulärer Nekrose führen.
ICPC-2
- L74 Fraktur Handknochen
ICD-10
- S62.0 Fraktur des Os scaphoideum der Hand
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Klinische Untersuchung mit hoher Sensitivität (85 %), jedoch niedriger Spezifität (40 %)3
- Radiologisches Basisdiagnostikum ist die konventionelle Röntgenaufnahme.
- Sensitivität jedoch nur 60–80 %1
- Daher ist bei einem klinischen Verdacht immer eine CT zum Ausschluss einer okkulten Skaphoidfraktur erforderlich.3
- Sensitivität 95 %
- MRT nur bei weiterhin bestehendem klinischem Verdacht, aber nicht eindeutiger Bildgebung in Röntgen und CT3
- Sensitivität nahezu 100 %, aber Spezifität von nur 80–90 % wegen Überempfindlichkeit gegenüber Knochenödemen
Differenzialdiagnosen
- Fraktur des distalen Radius
- Fraktur anderer Handwurzelknochen
- Prellung
- Läsion des triangulären fibrokartigalinären Komplexes (TFCC)
- Os scaphoideum bipartitum
- Anatomische Variante, die im Röntgen als Fraktur fehlinterpretiert werden kann.
Anamnese
- Unfallhergang
- Vorherige Verletzungen der Hand/des Handgelenks
- Dominante Seite (Rechts-/Linkshänder*in), Beruf und sportliche Aktivitäten
- Hieraus ergibt sich der Funktionsanspruch.
- Symptomatik
- Schmerzen tief radialseitig im Handgelenk/proximale Hand
- Zunahme bei Greifbewegungen
Klinische Untersuchung
- Druckschmerzen über Tabatière, proximalem oder distalem Skaphoidpol3
- Stauchungsschmerz des Daumens3
- Schmerzbedingte Einschränkung der Beweglichkeit des Handgelenks
- Meist keine oder nur geringe Schwellung und diskrete Hämatombildung
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
- Haben keinen diagnostischen Wert.
Diagnostik bei Spezialist*innen
- Bildgebung3
- Röntgen Basisdiagnostik
- 3 Ebenen: dorso-palmar, seitlich und Zielaufnahme nach Stecher
- Cave: initial 20–40 % okkulte Frakturen!
- sinnvoll auch als Ausgangsbefund für vergleichsweise strahlenarme und kostengünstige Verlaufskontrollen
- CT
- bei klinischem Verdacht, aber unauffälligem Röntgenbild
- zur OP-Planung
- MRT
- „Schiedsrichterrolle“ bei fortbestehendem klinischem Verdacht auf eine Fraktur, aber ansonsten unauffälliger oder nicht eindeutiger bildgebender Untersuchung
- Röntgen Basisdiagnostik
Indikationen zur Überweisung
- Bei klinischem Verdacht Überweisung an eine unfallchirurgische Praxis
Therapie
Therapieziel
- Ausheilung der Fraktur ohne Komplikationen (Pseudarthrose, Handgelenksarthrose)
Allgemeines zur Therapie
- Stabile Frakturen (A1, A2) können konservativ behandelt werden, während instabile Frakturen (B1, B2, B3, B4) operativ versorgt werden sollten.4
- Siehe Abschnitt Klassifikation.
Empfehlungen für Patient*innen
- Die Finger möglichst viel verwenden, während der Gips anliegt.
- Nach Entfernung des Gipsverbands Funktionstraining
- aktive Ausführung täglicher Aktivitäten, insbesondere auch Handarbeit
Konservative Therapie
- Indikationen
- stabile Frakturen (Typ A1 und A2)
- Vorgehen2-3
- Ruhigstellung im Skaphoid-Cast bis zur knöchernen Heilung und daran anschließend Bewegungstherapie und schließlich Kraftaufbau
- Die Ruhigstellung umfasst Daumensattelgelenk, Mittelhand, Handgelenk und Unterarm und wird zirkulär durchgeführt, sofern kein Schwellungszustand gegen solch eine Immobilisation spricht.
- A1-Frakturen werden für 4 Wochen, A2-Frakturen für 6–8 Wochen ruhiggestellt.
- Sonderfall okkulte Skaphoidfraktur1
- Bei V. a. okkulte Skaphoidfraktur Ruhigstellung in Skaphoid-Cast, bis eine weitere Bildgebung erfolgt ist.
Operative Therapie
- Indikationen
- instabile Frakturen (Typ B1–4)
- Nach individueller Abwägung und Aufklärung können auch A2-Frakturen operativ versorgt werden, wodurch sich in Einzelfällen eine frühere Rückkehr zu manuellen Tätigkeiten und an den Arbeitsplatz realisieren lässt.3
- Vorgehen3
- operative Therapie erfolgt zumeist mithilfe versenkbarer Doppelgewindeschrauben mit Kompressionseffekt
- Diese können oft minimalinvasiv eingebracht werden.
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Zum Zeitpunkt der Belastungswiederaufnahme werden in der Regel Physiotherapie und Ergotherapie verordnet, mit dem Ziel des Kraftaufbaus über 4–6 Wochen.2
- Die Verbesserung der Handgelenkbeweglichkeit sollte wegen der Gefahr der Refraktur anfangs nicht forciert werden.
- Bei jeder Skaphoidfraktur sollten Maximalbelastungen, z. B. mit Schlagwerkzeugen, mindestens 12 Wochen nach dem Unfall vermieden werden.2
- Sportler*innen können bei einer elektiven Operation nach durchschnittlich 6 Wochen unter Entlastung des Handgelenks zu gewohnter Aktivität zurückkehren.3
Komplikationen
- Proximale Frakturen sind wegen der verminderten Blutversorgung besonders gefährdet für die Entwicklung einer Pseudarthrose.5
- Arthrose des Radiokarpalgelenks bei unzureichender anatomischer Rekonstruktion
- Generelle OP-Risiken wie Wundinfektion, Wundheilungsstörungen, Implantatlockerung oder -dislokation2
- CRPS (komplexes regionales Schmerzsyndrom)
Prognose
- Falls Skaphoidfrakturen übersehen oder falsch behandelt werden, kann dies weitreichende Folgen haben und u. a. eine schmerzhafte Handgelenkarthrose begünstigen.3
- Bei anatomischer Ausheilung ist ein gutes funktionelles Ergebnis ohne negative Spätfolgen zu erwarten.2
Verlaufskontrolle
- Bis zur gesicherten knöchernen Heilung erfolgen klinische und bildgebende Verlaufskontrollen bei Spezialist*innen.2
Patienteninformationen
Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?
- Bei Schmerzen im Gips sofortige ärztliche Vorstellung
- „Patient*in mit Gips hat immer recht“.
- Um Druckschäden im Gips zu vermeiden, sollte bei Schmerzangabe sofort durch Spezialist*in Überprüfung vom Gips erfolgen.
Patienteninformationen in Deximed
Illustrationen
Quellen
Literatur
- Flury A, Günkel S. Die okkulte Skaphoidfraktur: aktuelle Evidenz und diagnostischer Algorithmus. Der Unfallchirurg 2020; 123: 238-43. link.springer.com
- Dittler S, Bickert B. Skaphoidfraktur – Schritt für Schritt. Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 2021; 16(1): 19-24. www.thieme-connect.com
- Neubrech F, Terzis A, Seegmüller J, et al. Diagnostik und Therapie frischer Skaphoidfrakturen. Der Unfallchirurg 2019; 122: 182-90. link.springer.com
- Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie, Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie, Deutsche Gesellschaft für Handchirurgie. Skaphoidfraktur. AWMF-Leitlinie Nr. 012-016, Stand 2015. awmf.org
- Phillips TG, Reibach AM, Slomiany WP. Diagnosis and management of scaphoid fractures. Am Fam Physician 2004; 70: 879-84. PubMed
Autor*innen
- Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Frankfurt a. M.
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).